Protocol of the Session on January 31, 2006

Es heißt weiter:

Aufgrund der Bereitschaft von Land und privatem Klinikbetreiber, auf die Anliegen des Wissenschaftsrates einzugehen, ist der Wissenschaftsrat auch hinsichtlich der weiteren Entwicklung zuversichtlich.

Das sehe ich auch hinsichtlich der Überprüfung in drei Jahren.Das Bundeskartellamt hat vorige Woche bestätigt, dass der Erwerb des Universitätsklinikums Gießen und Marburg durch die Rhön-Klinikum AG wettbewerbsrechtlich unbedenklich ist. Es liegt seit letzter Woche auch ein Vorstandsbeschluss der VBL vor, wonach diese bereit ist,die Beteiligungsvereinbarung mit dem Universitätsklinikum Gießen und Marburg fortzusetzen, sobald der Landtag der Veräußerung zugestimmt hat.Damit sind alle

aufschiebenden Bedingungen erfüllt. Die Rhön-Klinikum AG kann ab morgen die volle wirtschaftliche Verantwortung für das Universitätsklinikum Gießen und Marburg übernehmen.

(Beifall bei der CDU)

Ich stelle abschließend fest: Die Privatisierung ist mit einem überragenden Ergebnis gelungen. Die Landesregierung hat zielgerichtet gehandelt. Die Landesregierung hat trotz so mancher Äußerungen der Kollegen und Kolleginnen der Oppositionsfraktion ersichtlich keinerlei handwerkliche Fehler begangen.

(Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Na ja! – Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Da müssen Sie ja selber lachen!)

Die Landesregierung hat mit diesem Projekt den Wissenschaftsrat überzeugt.

(Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Was hat sie denn sonst? Der Wissenschaftsrat hat doch zugestimmt. – Sie ist zuversichtlich, dass auch die Betroffenen vor Ort erkennen werden, welche Zukunftschancen die Landesregierung der Hochschulmedizin in Gießen und Marburg damit eröffnet. Ich glaube – ich habe mich vorhin bei unseren örtlichen Abgeordneten noch einmal rückversichert –, dass die Stimmung positiv und optimistisch ist. Es gibt sowohl in Gießen als auch in Marburg eine Aufbruchsstimmung.

(Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Muss ich mir das wirklich anhören?)

Ich denke, es ist heute ein großer Tag für Hessen und ein ganz besonders großer Tag für Mittelhessen. – Vielen Dank.

(Anhaltender lebhafter Beifall bei der CDU – Bei- fall bei Abgeordneten der FDP)

Meine Damen und meine Herren, ich eröffne dazu die Aussprache. Das Wort hat Herr Abg. Dr. Spies für die Fraktion der SPD.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Lassen Sie uns zu Beginn dieser Debatte einen kurzen Rückblick auf die Vorgeschichte werfen, damit wir verstehen, wie es überhaupt zu der heute anstehenden Entscheidung gekommen ist. Seit 30 Jahren wird die Fusion der Universitätskliniken Gießen und Marburg diskutiert.

(Axel Wintermeyer (CDU): Wir haben es geschafft!)

In der Regel wird dies mit dem schlagenden Argument diskutiert, dass die Universitätskliniken nur 30 km voneinander entfernt seien. Ob dies allein zur Begründung ausreicht, kann man diskutieren.

Der Herr Minister hat darauf verwiesen, und wir wollen das in keiner Weise schönreden: Gleichzeitig haben alle Regierungen in Hessen in den vergangenen 20 Jahren – das verteilt sich gerecht auf uns und Sie –

(Zurufe der Abg. Dr. Christean Wagner (Lahntal) und Mark Weinmeister (CDU))

die Investitionen auf die drei hochschulmedizinischen Standorte sehr ungleichmäßig verteilt: Frankfurt bekam 400 Millionen c, obwohl in der Stadt Frankfurt vielleicht, wenn man genau hinschaut, insgesamt ein Großkrankenhaus zu viel vorhanden ist. Marburg erhielt 250 Millionen c und Gießen gerade einmal 30 Millionen c.

Anfang 2003 sollte dann Gießen an der Reihe sein. 300 Millionen c wurden für Baumaßnahmen ausgeschrieben, aber ein halbes Jahr später, im Herbst 2003, war das Land Hessen pleite. Folglich kassierten Sie die Mittel für Gießen wieder ein und erklärten stattdessen, dass Sie nunmehr Gießen und Marburg fusionieren wollten. Der Hintergedanke war seinerzeit – da müssen wir uns doch nichts vormachen –, alles, was in Gießen an Baubestand nicht zu halten ist, nach Marburg zu verlagern. Am Ende bliebe in Gießen allenfalls ein formales Universitätsklinikum.

(Beifall bei der SPD – Axel Wintermeyer (CDU): Das Gegenteil ist der Fall! – Zuruf des Abg. Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD) – Zuruf von der SPD: Natürlich, so ist das!)

Meine Damen und Herren, das haben die Gießener gemerkt. Sie haben ihren Protest sehr deutlich artikuliert, der am Ende darin gipfelte: Man würde lieber an irgendwen verkauft werden, als ein Ableger von Marburg zu sein. – Man kann durchaus verstehen, dass die Gießener das so wollten.

(Beifall bei der SPD – Zuruf von der SPD: Gerade dies war die Gefechtslage!)

Im Herbst 2004 eskalierte die Stimmung. Der eine oder andere aus diesem Hause war bei einer sehr denkwürdigen Diskussionsveranstaltung dabei. In dieser Situation – Ankündigung des Ministerpräsidenten,er werde fusionieren, und lokale Panikattacken der Gießener CDU, ihrer Abgeordneten und des Herrn Innenministers vor den protestierenden Massen – gab es zwei Möglichkeiten: Entweder Sie korrigieren Ihren Plan, der in Wahrheit ein Gießener Liquidationsplan war, oder Sie gehen in die Vorwärtsverteidigung, fusionieren, weil Sie es angekündigt hatten, und verkaufen, weil das den Druck von Ihnen nimmt. – Keine Planung, keine Vorüberlegungen, kein Konzept – Politplanung, Politpanik, nichts anderes war das.

(Beifall bei der SPD – Zuruf des Abg. Frank Gott- hardt (CDU))

Meine Damen und Herren, wir wollen gerne aufmerksam schauen, ob sich für den Verkauf dieses Universitätsklinikums Mittelhessen noch ein vernünftiger Grund finden ließe. Wozu der Verkauf? Was für einen Grund könnte es denn für diese Privatisierung geben?

(Michael Boddenberg (CDU): Jetzt kommt wieder die Panikmache von Herrn Spies! Immer das Gleiche!)

Vielleicht brauchen wir das Universitätsklinikum gar nicht mehr. Das Land entledigt sich einer Einrichtung, die es nicht mehr braucht. – Natürlich ist das Unsinn. Natürlich brauchen wir dieses Universitätsklinikum auf Dauer, und das macht auch die Attraktivität für den Käufer aus: die Tatsache, dass man eine Einrichtung mit garantiertem Betrieb übernimmt. Nicht nur, dass Menschen in der Region auch in Zukunft krank werden werden, nein, das

Land Hessen ist auf die Existenz dieses Universitätsklinikums angewiesen. Also gilt: unternehmerisches Risiko gleich null. Will das Land auch in Zukunft Ärzte bereithalten, braucht es Universitätsklinika. Deshalb braucht man sich, wenn man es kauft, keine Sorgen zu machen.

Wenn es also in Wahrheit so ist, dass Sie dieses Universitätsklinikum auf Dauer brauchen, vielleicht haben Sie ein wunderbares Geschäft für das Land gemacht. Vielleicht haben Sie durch den Verkauf der Universitätsklinika den Schatz des Staates unermesslich gefüllt, und wir alle würden uns in großer Ehrfurcht vor dem großen Kapitalisator Roland Koch verneigen.

Was verkaufen Sie? Laut der Ausschreibung, also den Daten der Landesregierung, verkaufen Sie eine Sachanlage mit einem Buchwert von 330 Millionen c. Dazu kommt, dass es sich um einen laufenden Betrieb handelt. Wer ihn übernimmt, muss nicht neue Ärzte einstellen, muss nicht als Erstes bauen, muss kein Pflegepersonal suchen, muss keine Verwaltung aufbauen. Er übernimmt einen laufenden, funktionierenden Betrieb, in Marburg sogar einen mit schwarzen Zahlen. In Gießen ist das etwas schwieriger. Es wird nicht nur ein laufender Betrieb, sondern auch quasi eine Monopolstellung in der Region übernommen, weil diese zwei Krankenhäuser der Hauptanbieter sind.

Wenn wir also ganz bescheiden nur einen Jahresumsatz als den Wert dieses laufenden Betriebs annehmen, dann bewegen wir uns bei einer Größenordnung von weit über einer halben Milliarde Euro.Aber was bekommen Sie dafür? Was ist das gigantische Geschäft des Landes? – 112 Millionen c, also 15 %, vielleicht 20 % des Wertes, den man für dieses Klinikum annehmen muss, wenn man vernünftig rechnen würde.

Meine Damen und Herren, diese Privatisierung einer öffentlichen Einrichtung ist kein gutes Geschäft.

(Lebhafter Beifall bei der SPD und dem BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN)

Diese Privatisierung ist die Verschleuderung von Steuergeldern, eine Enteignung der Gesellschaft, eine Enteignung der Bürgerinnen und Bürgern; denn die haben das Ding bezahlt.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Nun könnten Sie argumentieren, man habe nur so einen schlechten Preis bekommen können,

(Frank Gotthardt (CDU): So ein Stuss!)

weil zumindest Gießen defizitär war. Die Wahrheit ist aber: weil Sie der Aufgabe nicht gewachsen waren, weil Sie dieses Klinikum nicht betreiben konnten.

Aber wenn der Betrieb so schlecht läuft und Sie ein schlechtes Geschäft damit machen, warum verkaufen Sie es überhaupt? Mit dem öffentlichen Vermögen, das Sie hier verschleudern, hätten Sie das Gießener Defizit für 100 Jahre bezahlen können.

Ein solch schlechtes Geschäft wird nicht besser, weil es nicht besser ging. Bis heute ist überhaupt keine Notwendigkeit zu erkennen, warum Sie das tun müssten. Sie werden sagen, Sanierung und Neubau waren insbesondere in Gießen erforderlich, und die Mittel dafür hatte das Land nicht. Aber 260 Millionen c Investitionsmittel waren für Gießen und Marburg zugesagt. Die mindern nicht den Wert; sie kommen obendrauf. Sie erhöhen den Wert der vorhandenen Einrichtung.

Die Wahrheit ist eine ganz andere: Zur Landtagswahl 2003 haben Sie den Mund zu voll genommen und die Kassen zu leer gemacht. Nachdem Sie alle Versuche der Bundesregierung, zu Subventionsabbau zu kommen, blockiert hatten, verkündeten Sie als quasi schicksalhaftes Ereignis 2003 Ihre Pleite. Meine Damen und Herren, alternativlos wollen Sie uns den Verkauf des Klinikums darstellen, weil doch das Land keine Mittel mehr habe. Dabei gibt es Alternativen. Natürlich gibt es Alternativen. Wer private Mittel haben möchte, der kann öffentlich-private Partnerschaften eingehen.Wir haben Ihnen das im Detail vorgeschlagen, nicht nur wir.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das Modell ist ganz einfach. Das Klinikum leiht sich das Geld bei einem Investor und zahlt es aus dem laufenden Betrieb wieder zurück.Wir können Ihnen eine Reihe von Quellen nennen,aber das müssen wir gar nicht;denn Herr Staatssekretär Arnold hat mit den gleichen Leuten geredet wie ich,

(Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Genau!)

die ihm gesagt haben: Natürlich kann man da auch ein PPP-Modell machen. Der einzige Preis wäre gewesen: Das Land hätte geradestehen müssen für den Fall, dass etwas schief geht.

(Ruth Wagner (Darmstadt) (FDP): Wie ist das mit den Forschungsmitteln?)

Sind Sie jetzt aus der Haftung des Landes heraus? Keineswegs, das Land haftet am Ende immer.Was wollen Sie denn machen, wenn etwas schief geht? Wollen Sie diese Unikliniken schließen? Wollen Sie die Fachbereiche schließen? Sie haben überhaupt keine Möglichkeit, auf das Universitätsklinikum Gießen und Marburg zu verzichten.

(Ruth Wagner (Darmstadt) (FDP): Stimmt überhaupt nicht!)

Meine Damen und Herren, Herr Ministerpräsident, erklären Sie den Leuten deshalb einmal in einfachen klaren Worten, wozu das gut sein soll.