Protocol of the Session on January 31, 2006

Antrag der Fraktion der FDP betreffend Privatisierung der Uniklinik Gießen und Marburg – Drucks. 16/5146 neu –

sowie die Punkte 65 bis 69 auf. Tagesordnungspunkt 65:

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wissenschaft und Kunst zu dem Entschließungsantrag der Fraktion der CDU betreffend Privatisierung des Uniklinikums Gießen und Marburg sichert und stärkt die Hochschulmedizin – Drucks. 16/5182 zu Drucks. 16/4879 –

Tagesordnungspunkt 66:

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wissenschaft und Kunst zu dem Dringlichen Entschließungsantrag der Fraktion der FDP betreffend Privatisierung des Uniklinikums Gießen und Marburg sichert und stärkt die Hochschulmedizin – Drucks. 16/5183 zu Drucks. 16/4968 –

Tagesordnungspunkt 67:

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wissenschaft und Kunst zu dem Dringlichen Entschließungsantrag der Fraktion der SPD betreffend unsinnigen Verkauf des Universitätsklinikums Gießen und Marburg stoppen – Drucks. 16/5184 zu Drucks. 16/4973 –

Tagesordnungspunkt 68:

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wissenschaft und Kunst zu dem Dringlichen Entschließungsantrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN betreffend Verkauf des Universitätsklinikums Gießen und Marburg schafft Risiken für Wissenschaftsfreiheit und Krankenversorgung – Drucks. 16/5185 zu Drucks. 16/5000 –

Tagesordnungspunkt 69:

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wissenschaft und Kunst zu dem Dringlichen Antrag der Fraktion der CDU betreffend Zukunftsfähigkeit des Uniklinikstandorts Gießen-Marburg ist gesichert – Drucks. 16/5186 zu Drucks. 16/5002 –

Das sind fünf Beschlussempfehlungen zum gleichen Sachkomplex. Die vereinbarte Redezeit beträgt 30 Minuten pro Fraktion. Herr Staatsminister Corts wird als Erster zu uns sprechen. Sie haben das Wort

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen, meine Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Landesregierung bittet heute den Landtag, der Veräußerung von 95 % Gesellschaftsanteil der Universitätsklinikum Gießen und Marburg GmbH an die Rhön-Klinikum AG zuzustimmen.

Der heutige Tag ist ein guter Tag für die Hochschulmedizin in Gießen und in Marburg. Er ist ein guter Tag für das ganze Land.

(Beifall bei der CDU – Zuruf von der SPD: Un- glaublich!)

Ein Jahr, nachdem sich die Landesregierung entschlossen hat, die Universitätsklinika in Gießen und Marburg zu fusionieren und dann einen strategischen Partner zu gewinnen, der das fusionierte Universitätsklinikum betreibt, stelle ich für die Landesregierung fest: Das ehrgeizige Vorhaben ist gelungen. Es ist mit einem Ergebnis gelungen, das der Hochschulmedizin in Mittelhessen hervorragende Zukunftsperspektiven gibt. Die Ziele der Landesregierung, die Ministerpräsident Koch in seiner Regierungserklärung am 14. Dezember 2004 diesem Hause vorgetragen hat, sind alle erfüllt worden.

Es liegt ein ereignis- und arbeitsreiches Jahr 2005 mit einer beispiellosen Kraftanstrengung hinter uns, für die die Landesregierung vielen dankbar ist,den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in den Ministerien, unseren exzellenten Beraterinnen und Beratern der Luther Rechtsanwaltsgesellschaft und der KPMG. Ich danke meiner Kollegin,

Frau Staatsministerin Lautenschläger,und vor allem,über ein Jahr im Brennpunkt des Geschehens, den Staatssekretären Prof. Dr. Leonhard und Dr.Arnold.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Lassen Sie mich kurz die Ausgangslage in Erinnerung rufen, auf die die Landesregierung mit ihrer Entscheidung vom Dezember 2004 reagiert hat. Sie musste feststellen, dass Vorgängerregierungen am Standort Gießen in nur als fahrlässig zu bezeichnender Weise über Jahrzehnte notwendige Sanierungsmaßnahmen und Neubauten für das Universitätsklinikum schlichtweg nicht durchgeführt haben. Man kann eine solche Politik eigentlich nur betreiben, wenn man diesen Standort preisgeben will oder wollte. Diejenigen, die damals die politische Verantwortung in Hessen hatten und sich heute ereifern, sollten sich selbstkritisch fragen, was sie denn für den Standort Gießen damals tatsächlich getan haben.

(Beifall bei der CDU)

Des Weiteren war und ist offensichtlich,dass sich die Rahmenbedingungen der Hochschulmedizin durch die Einführung des Systems der Fallpauschalen deutlich verändert haben. Es gibt Prognosen, dass in absehbarer Zeit mehrere Universitätskliniken in Deutschland schlichtweg geschlossen werden müssen, wenn es nicht gelingt, Kosten deutlich zu senken.Vor diesem Hintergrund hatte sich die Landesregierung entschlossen, eine Politik der Standortsicherung in die Wege zu leiten.

Zur Standortsicherung gehört die Absicherung der Krankenversorgung. Zur Standortsicherung gehören neue wissenschaftspolitische Perspektiven, Spitzenniveau in der Krankenversorgung mit Exzellenz in Forschung und Lehre sowie der Heranbildung des wissenschaftlichen Nachwuchses. Diese wissenschaftspolitische Herausforderung ist Leitgedanke und Zielsetzung gewesen und ist es nach wie vor. Das Privatisierungsprojekt nur in der Überwindung des Investitionsstaus zu sehen, wäre eine unzulässige Verkürzung, ja eine Fehlinterpretation der Landesregierung.

Ungeachtet des stark verdichteten Zeitablaufs ist das Projekt äußerst sorgfältig von der Landesregierung vorbereitet worden. So wurde im Rahmen der Strukturentwicklung der hessischen Hochschulmedizin seit Oktober 2003 für alle drei Standorte in der Hochschulmedizin in Hessen ein Konzept der hessischen Hochschulmedizin erarbeitet. Unter der Leitung meines Staatssekretärs Prof. Dr. Leonhard, dem ich für seine an kommunikative Fähigkeiten höchste Ansprüche stellende Arbeit nochmals ausdrücklich danken will, stellt dieses Konzept eine bundesweit völlig einzigartige Strukturplanung in der Hochschulmedizin dar.

(Beifall bei der CDU)

Es hat deshalb zu Recht große Beachtung gefunden.Seine Popularität drückt sich in der inzwischen eingebürgerten Bezeichnung als so genannte „Quertapete“ aus.Ohne dieses Strukturkonzept wäre die Privatisierung so nicht möglich gewesen. Die „Quertapete“ stellte den wissenschaftlichen Input der Landesregierung dar, an dem sich jeder Bieter zu orientieren hatte. Die Qualität dieses Konzepts zeigte sich darin, dass alle Bieter während des gesamten Verfahrens bereit waren,dieses Konzept als Grundlage zu akzeptieren.

Des Weiteren gab es Vorgaben und Erwartungen der Landesregierung, die im Bieterverfahren alle verwirklicht werden konnten. Ziele und Rahmenbedingungen für die

Privatisierung waren unter anderem – ich nenne sie, weil ich sie nachher insgesamt abarbeiten werde – erstens Erhalt beider Standorte des Universitätsklinikums Gießen und Marburg, des Weiteren Sicherstellung der dauerhaften Erfüllung des Versorgungsauftrages auf höchstem medizinischen Niveau durch ein innovatives Medizinkonzept, darüber hinaus die dauerhafte Mitwirkung bei der Erfüllung der Aufgabe Forschung und Lehre sowie Heranbildung des wissenschaftlichen Nachwuchses auf höchstem wissenschaftlichen Niveau, der so genannten Exzellenz – darüber haben wir mehrfach diskutiert –, darüber hinaus die wirtschaftliche Absicherung des Universitätsklinikums an beiden Standorten mit ausreichender Kapitalausstattung und solide und zügige Umsetzung der notwendigen Investitionen sowie die Stärkung der Wirtschaftskraft der Region Mittelhessen und die umfassende Regelung der Arbeitnehmerinteressen, unter anderem der Ausschluss betriebsbedingter Kündigungen bis zum 31.12.2010, und last, but not least die Erzielung eines angemessenen Kaufpreises.

(Beifall bei der CDU)

Messen wir jetzt das Transaktionsergebnis an den Zielen, die ich Ihnen genannt habe,so können wir feststellen,dass die Landesregierung alle Ziele erreicht hat.

(Beifall bei der CDU)

Die beiden Standorte Gießen und Marburg gehen aus diesem Privatisierungsprojekt gestärkt und mit besseren Zukunftsperspektiven hervor. Abgesichert durch das schon erwähnte Konzept der hessischen Hochschulmedizin bleibt die fachliche Breite an beiden Standorten, verbunden mit einer einvernehmlich festgelegten Schwerpunktbildung, voll gewahrt.

In diesem Zusammenhang möchte ich dem Sachverständigen, der die Landesregierung in dieser Frage beraten hat, Prof. von Eiff, sehr herzlich danken. Prof. von Eiff hat in der Tat ein überzeugendes Medizinkonzept entwickelt, basierend auf der „Quertapete“ und unter Einbeziehung struktureller Entwicklungen in der Krankenversorgung. Seine besondere Leistung liegt darin, die Anforderungen aus Forschung und Lehre mit den Notwendigkeiten eines innovativen Medizinkonzepts konstruktiv und kreativ zu verbinden.

Ich bin sicher, dass wir mit dem Strukturkonzept zur Hochschulmedizin und dem darauf aufbauenden Medizinkonzept einen geradezu optimalen Weg zwischen notwendiger fachlicher Konkretisierung und Offenheit für die Weiterentwicklung der Hochschulmedizin und der Krankenversorgung an beiden Standorten gefunden haben.

Die dauerhafte Mitwirkung bei der Erfüllung der Aufgabe Forschung und Lehre, unter Einschluss der Heranbildung des wissenschaftlichen Nachwuchses mit dem Ziel höchsten wissenschaftlichen Niveaus, spielte vor allem für den Wissenschaftsrat eine wesentliche Rolle bei der Beurteilung des Privatisierungsprojekts. Universitätsklinika werden nur deshalb betrieben, um Forschung und Lehre zu ermöglichen.Forschung und Lehre einerseits sowie Krankenversorgung andererseits sind dabei integrierte Kuppelprodukte. In einem Universitätsklinikum ist das eine ohne das andere nicht denkbar.

Art. 5 Abs. 3 des Grundgesetzes verpflichtet den Staat, in den aus öffentlichen Mitteln erstellten und unterhaltenen Einrichtungen des Wissenschaftssystems die Freiheit von Forschung und Lehre sicherzustellen. Im vergangenen

Jahr haben wir häufig und kontrovers darüber diskutiert, ob uns das gelingt.

Im Transaktionsverfahren ist ein System des Zusammenwirkens des Universitätsklinikums mit der Universität und ihren medizinischen Fachbereichen entwickelt worden, das eben jenen Interessenausgleich realisiert, der letztlich auch im Wissenschaftsrat überzeugen konnte. Das haben wir am vergangenen Freitag gehört.

Ein strategischer Eckpfeiler dieses Systems ist die Beleihung – ein gebräuchliches Rechtsinstitut, um öffentliche Aufgaben durch Private erfüllen zu lassen. Ich bitte um Verständnis dafür, dass ich noch einmal erläutere, was Beleihung bedeutet. Das mache ich insbesondere, weil wir hier Zuschauer und außerhalb des Landtags auch Zuhörer haben, die das verstehen sollen.

Der Vorteil einer Beleihung liegt darin, dass das damit begründete öffentlich-rechtliche Auftragsverhältnis Möglichkeiten der Aufsicht der öffentlichen Hand schafft, in diesem Fall mit der Folge, dass das private Universitätsklinikum der Rechtsaufsicht des Ministeriums für Wissenschaft und Kunst untersteht. Rechtsaufsicht bedeutet, das Ministerium kann die Einhaltung der Kooperationsvereinbarung zwischen Universitätsklinikum und Universität sowie der gesetzlichen Vorschriften sicherstellen und, sofern diese verletzt werden, Maßnahmen einschließlich der Anordnung der sofortigen Vollziehung ergreifen.All dies ist in § 25a des Universitätsklinikumsgesetzes geregelt.

Ein weiterer wesentlicher Punkt, der auch die Diskussion mit dem Wissenschaftsrat bestimmt hat, war die Funktion der Dekane der medizinischen Fachbereiche in der Geschäftsleitung des privatisierten Universitätsklinikums. Wir haben uns aus grundsätzlichen Erwägungen dafür entschieden, den Dekanen kein volles Mitwirkungsrecht bei der Geschäftsführung einzuräumen,weil damit ein unauflöslicher Widerspruch zwischen verschiedenen Loyalitäten und Pflichten einschließlich nicht unerheblicher Haftungsprobleme für die Dekane verbunden gewesen wäre.

Ich denke, wir haben mit der Teilnahme der beiden Dekane an den Sitzungen der Geschäftsleitung mit beratender Stimme und mit einem Antragsrecht genau den Weg gefunden, der ein Höchstmaß an Informationen sicherstellt, zugleich aber am effektivsten gewährleistet, dass denkbare Konflikte schon im Entstehungsstadium erkannt und gelöst werden. Genau mit dieser Begründung haben wir auch den Wissenschaftsrat am vergangenen Freitag letztendlich von unserer Konzeption überzeugen können.

Vertraglich abgesichert ist die Aussetzung des Vollzugs einer Maßnahme der Geschäftsführung, wenn die Dekane mit einer Entscheidung nicht einverstanden sind. Diese Suspensivklausel fällt im Übrigen unter die so genannte Wesentlichkeitsgarantie gemäß § 1 Abs. 4 und 5 des Kooperationsvertrags. Sie gehört zu den unabdingbaren und nicht veränderbaren Prinzipien der Zusammenarbeit der Partner. Wir sind der Überzeugung, dass wir mit diesen Regelungen ein Höchstmaß an Sicherung der Belange von Forschung und Lehre und damit der Interessen beider Universitäten und ihrer Medizinfachbereiche zustande gebracht haben. Der Wissenschaftsrat, der diese Regelung in seiner Empfehlung eingehend darstellt und bewertet, bestätigt uns in dieser Auffassung.

Auch die wirtschaftliche Absicherung des Universitätsklinikums ist an beiden Standorten durch eine ausreichende Kapitalausstattung sowie durch eine solide und zügige

Umsetzung der notwendigen Investitionen durch das Angebot der Rhön-Klinikum AG voll gewährleistet. Das Investitionskonzept von Rhön ist mit Abstand das beste, da bis zum Jahr 2010 der Investitionsstau an beiden Standorten vollständig überwunden sein wird.

(Beifall bei der CDU)

Die Investitionsverpflichtungen von Rhön sind pönalisiert, wie das so schön heißt. Rhön muss also zahlen, wenn es die Investitionsverpflichtungen nicht zeitgerecht erfüllt, konkret: 50 % der nicht erfüllten Investitionsverpflichtungen an das Land Hessen als weiteren Kaufpreis und 50 % der nicht erfüllten Investitionsverpflichtungen als eine zweckgebundene Rücklage an die Universitätsklinikum GmbH.

In einer vergleichenden Bewertung der Investitionszusagen der drei Bieter ist das Investitionsangebot von Rhön nicht nur der Höhe nach, nämlich 260 Millionen c, von keinem anderen Bieter übertroffen worden. Vielmehr stellt auch dieser enge Investitionszeitplan – ich erinnere daran: bis zum Jahr 2010 – einen entscheidenden, sich letztlich auch finanziell auswirkenden Vorteil für beide Universitätskliniken und ihre Fachbereiche dar.

(Beifall bei der CDU)

Die defizitäre Situation des Standorts Gießen ist nicht zuletzt durch die marode Bausubstanz mit verursacht worden.Das habe ich Ihnen eingangs bereits gesagt.Wenn die Rhön-Klinikum AG binnen weniger Jahre ein zentrales neues Bettenhaus in Gießen errichtet,sinken nicht nur die Betriebskosten für das Universitätsklinikum, sondern auch die Beiträge zur Mitfinanzierung der Betriebskosten durch die Universitäten – Stichwort:Trennungsrechnung.

Wenn, wie es beispielsweise bei Asklepios der Fall ist, die Mitbewerber Zeithorizonte angeben, die bis zum Jahr 2020 reichen, sie für die Investition also zehn Jahre länger brauchen würden, kommt auch eine vorsichtige Einschätzung zu dem Ergebnis, dass das Investitionskonzept von Rhön, das eine zügige Durchführung zusagt, ein ganz erhebliches finanzielles Plus darstellt.