Protocol of the Session on January 25, 2006

Meine sehr verehrten Damen und Herren, insofern sage ich nur: Dieser Fragenkatalog ist – da müssten wir uns eigentlich alle einig sein – keine zielführende Maßnahme, um bei der Integration in diesem Land einen Fortschritt zu erreichen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich glaube, das Grundproblem in diesem Fragekatalog ist, dass auf der einen Seite Grundwerte und auf der anderen

Seite Gesinnung und Meinung verwechselt werden. Wir sind in diesem Land eine Wertegemeinschaft, aber wird sind keine Gesinnungsgemeinschaft.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Clemens Reif (CDU))

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich hoffe, dass wir alle miteinander dieselben Grundwerte über das Zusammenleben, die demokratischen Prinzipien und die Menschenrechte in diesem Land teilen.

(Clemens Reif (CDU): Das hoffen wir doch!)

Ich hoffe,dass ich mit Roland Koch in diesem Punkt keine Differenz habe.Aber ich lege Wert darauf,dass wir andere Meinungen haben – und das ist auch gut so.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Clemens Reif (CDU):Auch andere Werte!)

Deshalb stelle ich fest: Ein so verkorkster Versuch, das Einbürgerungsverfahren zu verändern, kann kein Vorbild sein, um in unserem Bundesland oder insgesamt

(Zuruf des Abg. Hans-Jürgen Irmer (CDU))

Herr Kollege Irmer, genau Sie meine ich – das Einbürgerungsverfahren zu verändern.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Clemens Reif (CDU))

Wissen Sie, das sehen auch nicht nur wir so.

(Zuruf des Abg. Clemens Reif (CDU))

Beispielsweise Bülent Arslan, der Vorsitzende des Deutsch-Türkischen Forums in der CDU,sagt zum badenwürttembergischen Fragenkatalog: „Wer das formuliert hat, war besoffen oder hat kein Gefühl.“ – So hart hätte ich mich nie ausgedrückt.

Aber auch die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung,Frau Böhmer – die ist Ihnen ja bekannt –,hat gesagt: „Den Weg, den Baden-Württemberg eingeschlagen hat, halte ich nicht für zielführend.“

Deswegen ein Schritt zurück: Was ist die gegenwärtige Gesetzeslage?

(Hans-Jürgen Irmer (CDU): Genau!)

Das Staatsangehörigkeitsgesetz stellt fest, dass Einbürgerungsbewerberinnen und -bewerber ein Bekenntnis zur Verfassungsordnung ablegen müssen,und es legt fest,dass die Einbürgerung versagt wird, wenn tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, dass ein Einbürgerungsbewerber oder eine -bewerberin verfassungsfeindliche Bestrebungen verfolgt. Das ist die gegenwärtige Gesetzeslage.

(Zuruf des Abg. Clemens Reif (CDU))

Meine sehr verehrten Damen und Herren, diese Loyalitätserklärung beinhaltet unter anderem, dass man sich dazu bekennt – und zwar vor dem Beamten – und dies auch unterzeichnet, dass man die im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechte, aber unter anderem auch – das ist ein ziemlich langer Katalog, der dort benannt ist – das Recht auf Bildung und Ausübung einer parlamentarischen Opposition und die Ablösbarkeit der Regierung sowie ihre Verantwortlichkeit gegenüber der Volksvertretung anerkennt. Das ist die gegenwärtige Gesetzeslage, und die können wir nur begrüßen.

Nächster Punkt.Welches sind bisher die Voraussetzungen für die Einbürgerung? – Die Voraussetzungen für die Einbürgerung sind: erstens mindestens acht Jahre Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland, zweitens Beherrschung der deutschen Sprache, drittens sicherer Lebensunterhalt, viertens besagte Loyalitätserklärung.

Ich sage Ihnen ernsthaft: Seit dem 01.01.2000 haben wir in der Bundesrepublik Deutschland ungefähr 800.000 Menschen auf dieser Gesetzesgrundlage eingebürgert.

Wenn man am bisherigen Verfahren etwas verändern möchte, dann möchte ich gerne wissen, bei wie vielen dieser Menschen es denn im Nachhinein herausgekommen ist, dass sie sich nicht an diese Werte gehalten haben. Herr Innenminister, dazu hätte ich gerne etwas gewusst. Denn bevor ich eine Neuregelung mache, will ich erst einmal wissen, ob die alte bisher problematisch war.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Warum gibt es diese Debatte trotzdem? Warum interessiert diese Debatte in der Öffentlichkeit so sehr? – Das hat etwas damit zu tun, dass wir – unbestritten – bei einem Teil der Einwanderer in der Bundesrepublik Deutschland Integrationsprobleme haben. Das ist unbestritten.Wir haben diese Integrationsprobleme auch – ich sage: auch – bei manchen Muslimen.

Ich sage aber ausdrücklich: Betrachten Sie sich einmal, was jetzt in der Debatte ist – als Beispiel das Stichwort Ehrenmord. Ich hätte gesagt, dies hätte das Unwort des Jahres werden sollen. Betrachten Sie sich beispielsweise die Geschichte Siziliens oder das Thema freiwillige und unfreiwillige Eheschließung, und schauen Sie, was wir teilweise bei Yeziden oder Aramäern vorfinden. Sie werden feststellen, dass das kein Problem einer Religion ist, sondern ein Problem einer patriarchalen Gesellschaft wie auch ein Problem rückständiger Traditionen bzw. rückständiger Bereiche bestimmter Kulturen.

Das ist kein Religionsproblem,

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

deshalb werden wir es mit so einfachen und platten Versuchen wie in Baden-Württemberg nicht lösen. Das Gegenteil wird der Fall sein.Ich glaube,dass es völlig richtig ist, wenn wir in diesem Land darauf bestehen, dass Männer und Frauen gleichberechtigt sind und dass dies ohne jegliche Einschränkung und Begründung gilt. Ich warne aber davor, dass gerade wir in diesem Bereich zu arrogant werden sollten. Ich bin 1971 als Kind einer deutschen Mutter und eines ausländischen Vaters geboren worden. Ich habe damals trotz des Abstammungsprinzips keine deutsche Staatsangehörigkeit bekommen, weil erst 1975 vom bundesdeutschen Gesetzgeber auch die deutsche Mutter für wert befunden wurde, ihre Staatsangehörigkeit weitergeben zu können. Oder haben Sie etwa vergessen, dass in diesem Land die Vergewaltigung in der Ehe erst am 01.07.1997 strafbar geworden ist? Haben Sie das vergessen? Ich sage nicht, dass dies irgendeine Entschuldigung dafür ist, dass in anderen Ländern Gesetzeslagen, wie sie vor kurzer Zeit noch bei uns bestanden haben, noch immer bestehen.

(Jörg-Uwe Hahn (FDP): Jetzt fehlt mir die intellektuelle Verbindung!)

Dies sollte uns jedoch davor bewahren, Herr Kollege Hahn, zu sagen, dass wir die großartig Fortschrittlichen

und alle anderen die Rückschrittlichen sind. Davor sollte uns diese Tatsache bewahren.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Warum haben wir bei Teilen – ich sage ausdrücklich: bei Teilen – der Einwanderer Integrationsprobleme? Wir haben diese Probleme,weil wir in diesem Land von 1955,das war der erste Tag der Gastarbeiteranwerbung, bis 1998 keine Integrationspolitik, sondern Gastarbeiterpolitik gemacht haben. Es gab bis 1998 einen Bundesinnenminister Kanther, der bundeseinheitlich vorgeschrieben hat, dass in jeder Ausweisungsverfügung stehen müsse, ein Grund dafür sei, dass die Bundesrepublik kein Einwanderungsland sei. Dies ist natürlich ein Teil des Problems gewesen: Wenn ich eine offensichtliche Tatsache negiere,dann kann ich diesen Prozess, den es für mich gar nicht gibt, auch nicht gestalten.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir werden deshalb ein wenig skeptisch,wenn diejenigen, die das Problem mit verursacht haben, jetzt erklären, sie hätten den Stein der Weisen gefunden. Wir haben am 01.01.2000 als Teil der Reparaturmaßnahme für diese Verweigerung vor der Wirklichkeit das Staatsangehörigkeitsgesetz novelliert. Muss ich jetzt erzählen, wer so heftig dagegen war? Ich meine, Herr Ministerpräsident Roland Koch ist der höchste Preis, den wir hierfür bezahlt haben. Manchmal muss man für Fortschritte auch hohe Preise bezahlen.

(Heiterkeit bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Wir haben am 01.01.2005 das Zuwanderungsgesetz in Kraft treten lassen. Übrigens, Herr Ministerpräsident Roland Koch, Sie können sich sicherlich noch an Ihren Auftritt im Bundesrat erinnern, der Herrn Chruschtschow zum Vorbild hatte.

(Zuruf von dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Hessischer Chruschtschow!)

Das Zuwanderungsgesetz vom 01.01.2005 sieht vor, dass alle, die zu uns kommen, einen Integrationskurs angeboten bekommen – als Angebot,aber auch als Verpflichtung, diesen zu besuchen. Dieser Kurs beinhaltet zum größten Teil die deutsche Sprache, aber auch zu einem angemessenen Teil die Grundregeln und Grundwerte unseres Landes.Wir haben diese Problematik für die Zukunft höchstwahrscheinlich minimiert. Sie werden natürlich niemals in alle Köpfe schauen können.Aber wir haben diese Problematik minimiert, und wir haben die Anregungen und die Angebote gemacht, damit wir in Zukunft manche Probleme nicht mehr haben.

Es geht aber um die, die durch das Raster gefallen sind, um das, was man nachholende Integration nennt. Diese nachholende Integration wird nicht funktionieren, wenn wir im staatlichen Handeln gegen alle Zuwanderer – und gegen Muslime im Besonderen – einen Generalverdacht verankern. Die Folge wird eher sein, dass sich die Leute zurückziehen und glauben, dass sie nicht willkommen sind. Deshalb betone ich: Manche, die meinen, dass sie die Integration mit solchen Schritten befördern, bewirken in Wahrheit genau das Gegenteil.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir haben sowohl die Regelanfrage beim Landeskriminalamt als auch die Regelanfrage beim Landesamt für Verfassungsschutz. In Anbetracht dessen, dass das Land Hessen etwas verändern möchte, hatten wir folgende Si

tuation: Das Innenministerium hat in der ersten Januarwoche gesagt, dass es nichts vorhabe. In der zweiten Januarwoche hat der Regierungssprecher gesagt, dass Hessen doch etwas vorhabe. Am vorletzten Wochenende hat der Innenminister gesagt, dass er dies nun doch tun wolle, aber auf keinen Fall nach dem Vorbild Baden-Württembergs. Es gehe hier wohl eher um die Frage: Wie funktioniert ein Parlament, und wie sind die unterschiedlichen Gewalten verteilt? – Das kann ich als Parlamentarier nur begrüßen. Wir haben einen Justizminister, der sich vor kurzem als Chef der dritten Gewalt ausgerufen hat. Darin sieht man,dass uns allen eine nachholende Bildung – auch in grundlegenden Staatsfragen – nur gut tun kann,so auch den Einwanderinnen und Einwanderern.

(Heiterkeit – Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Gestern sagte der Herr Ministerpräsident, dass er es am liebsten bundeseinheitlich hätte. Ich sage, und dies soll mein Schluss sein: Sie haben die Mehrheit sowohl im Bundestag als auch im Bundesrat.Wenn Sie etwas ändern wollen, dann überlegen Sie doch gemeinsam mit Ihrem Koalitionspartner auf Bundesebene, was mit dem Staatsangehörigkeitsgesetz zu tun ist oder nicht zu tun ist. Es ist besser, und dies sollte unsere Leitlinie sein: Wissen statt Vorurteile, keine Schnellschüsse in bestimmten Bereichen. Die Einwanderungspolitik der Bundesrepublik Deutschland krankt daran, dass sie vor allem in Wahlkampfzeiten verändert worden ist. Das hat der Integration in diesem Land nicht gut getan, sondern geschadet. Ich fordere deshalb: Problemlösung statt Ideologie, und Baden-Württemberg darf auf keinen Fall ein Vorbild für Hessen werden. – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das Wort hat Herr Dr.Wagner für die Fraktion der CDU.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Der hessische Innenminister Volker Bouffier plant, mit dem angesprochenen Leitfaden, der Handreichung, oder wie auch immer, eine größere Gewissheit darüber herzustellen, dass Ausländer, die Deutsche werden wollen, genügend über Geschichte und Kultur unseres Landes wissen und sich eindeutig zu unserer Werteordnung bekennen. Die CDU-Landtagsfraktion begrüßt dieses Vorhaben ausdrücklich und unterstützt den Innenminister darin.