Protocol of the Session on July 8, 2003

Meine Damen und Herren, zum Abschluss habe ich noch ein schönes Zitat aus einem Antrag von CDU und FDP aus dem Jahre 1997:

Es ist Aufgabe sowohl der Regierung als auch des Parlamentes unseres Bundeslandes, dafür Sorge zu tragen, dass in Hessen der existenzielle europäische Einigungsprozess sich noch wesentlich stärker als bisher im Dialog mit der Bevölkerung vollzieht. Daher ist eine breit angelegte Informations- und Aufklärungskampagne ebenso erforderlich wie die angemessene Vertretung hessischer Interessen durch Regierung und Parlament.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Fraktionen in diesem Hause haben durch den gemeinsamen Antrag gezeigt, dass sie dazu in der Lage sind.Wir mahnen dieses gleiche Engagement bei der Landesregierung an. – Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Für die FDP-Fraktion hat Herr Abg. von Hunnius das Wort.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Unifier l’Europe par la plume – Europa mit der Schreibfeder einigen, das hat sich Giscard d’Estaing vorgenommen. Er hat dieses gesagt, als er den Karlspreis in Aachen entgegengenommen hat.

In der Tat ist dieser Prozess ein historisch bedeutsamer Prozess, denn nachdem – wenn wir ganz lange zurückdenken – Cäsar, Karl der Große und Napoleon Europa geeinigt haben, aber mit dem Schwert, ist dieses ein Versuch, Europa mit der Feder zu einigen, aber auf friedlichem Wege.So wichtig ist auch dieser Kompromiss.Natürlich ist der Vertragsentwurf ein Kompromiss zwischen 25 geistigmoralisch unterschiedlichen Herkünften und Überzeugungen, aber es ist ein ganz großer Schritt nach vorn.

Vor 46 Jahren wurde mit der Gründung der EWG der entscheidende Schritt zur europäischen Integration getan.Inzwischen können wir feststellen, dass das Projekt Europa ein Erfolgsmodell geworden ist. Nicht umsonst stehen die Beitrittskandidaten vor der Tür Europas Schlange. Aus den drei Gemeinschaften – EG, Euratom und Montanunion – ist eine Europäische Union mit 25 Mitgliedern und 450 Millionen Einwohnern geworden.

Das Fantastische ist, dass Ausweitung und Vertiefung der Gemeinschaft keinen Widerspruch darstellen, sondern dass es gelungen ist – dafür ist dieser Vertrag auch ein Beweis –, die Ausweitung zu vollziehen, ohne die Vertiefung aufs Spiel zu setzen.

Grund zur Zufriedenheit? – Nein, denn es bleibt noch sehr viel zu tun, bis Europa die Gestalt hat, die wir uns wünschen.Aber auch unter einem zweiten Aspekt ist kein Grund zur Zufriedenheit vorhanden. Denn auch nach fast einem halben Jahrhundert bestimmt das sich einigende Europa in wachsendem Umfang das tägliche Leben der Europäer.Trotzdem wird es immer noch von weiten Kreisen als Fremdkörper empfunden. Man akzeptiert die Europäische Union zwangsläufig, aber man identifiziert sich nicht mit ihr.

Die Europäische Union soll eine Union der Bürger und der Staaten sein. So steht es im Vertragsentwurf. Eine Union der Staaten ist sie, eine Union der Bürger leider noch lange nicht.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU)

Zu diesem zwiespältigen Image der Europäischen Union tragen nationale Politiker erheblich bei, indem sie unpopuläre Sachzwänge der Einfachheit halber der Europäischen Union zuordnen, indem sie auf europäischer Ebene an Entscheidungen beteiligt sind, die sie anschließend in ihren Heimatländern aufs Schärfste kritisieren, indem sie Erfolge europäischer Politik aufs nationale Konto buchen, Misserfolge aber nach Europa abschieben, indem sie im Rat der EU die Fortschritte blockieren, deren Ausbleiben sie nachher als europäisches Versagen brandmarken.

Das Schwarzer-Peter-Spiel zwischen den Mitgliedstaaten und den Regionen einerseits und der EU andererseits hat Gründe. Die Gründe heißen Populismus, Reformfeind

lichkeit, Zukunftsangst, Machtstreben und nationale Eitelkeit. Meine sehr verehrten Damen und Herren, es wird höchste Zeit,dass eine neue Kultur in der Behandlung europäischer Fragen in den Mitgliedstaaten Einzug hält.

(Beifall bei der FDP)

Wer Euroskepsis sät, darf sich nicht wundern, wenn er blindwütige Ablehnung des Projekts Europa erntet. Schon wieder sind wir dabei, einen großen Schritt in Richtung auf ein wahrhaft gemeinsames demokratisches, parlamentarisch kontrolliertes und gemeinsam entscheidendes Europa kleinzureden.

Das Ergebnis der Arbeit des Konvents verdient höchsten Respekt. Dies ist umso mehr der Fall, als es sich wohltuend von dem kläglichen Gezerre der Regierungskonferenzen vergangener Tage abhebt. Ein trauriger Tiefpunkt hierin war die Regierungskonferenz von Nizza. Ich will nur einige wenige ausgewählte Beispiele nennen. Denn vieles wurde schon von meinen Vorrednern angeführt.

Vor zwei Jahren wäre es noch völlig undenkbar gewesen, dass es überhaupt zu einer europäischen Verfassung kommen kann. Dass die Grundrechtecharta Bestandteil des Vertrages ist, und zwar an prominenter Stelle und nicht in einem Protokollanhang, wie es andere wollten, stellt meines Erachtens einen großen Durchbruch dar.

(Beifall der Abg. Jörg-Uwe Hahn und Nicola Beer (FDP))

Wer hätte gedacht, dass das Europäische Parlament aufgrund dieser im Entwurf vorliegenden Verfassung das Recht bekommen soll, den Präsidenten der Europäischen Kommission zu wählen? Außerdem sollen die Mitentscheidungsrechte ausgeweitet werden. Das alles ist noch lange nicht ausreichend.

(Beifall der Abg. Nicola Beer und Ruth Wagner (Darmstadt) (FDP))

Das Parlament muss die vollen Rechte erhalten. Es muss das volle Budgetrecht erhalten. Es muss auch das Budgetrecht über die Agrarausgaben erhalten. Natürlich muss es auch ein Initiativrecht erhalten, wie jedes Parlament es hat, das diesen Namen verdient.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP und des Abg. Aloys Lenz (CDU))

Die Ordnung der Kompetenzen wurde deutlich fixiert. Dazu hat Herr Minister Riebel schon Ausführungen gemacht. Ich halte es für ganz wichtig, dass im Entwurf des Vertrages bestimmte Politikfelder ausdrücklich ausgenommen und mit einem Harmonisierungsverbot belegt werden. Das betrifft die Bildung und die Kultur. Das ist gut so. Denn das sind Angelegenheiten der Regionen und der Länder, und nicht der Europäischen Union.

(Beifall der Abg. Nicola Beer und Ruth Wagner (Darmstadt) (FDP))

Lassen Sie mich etwas zu dem vorgesehenen EU-Außenminister sagen. Ich habe in der Debatte schon an dieser Stelle etwas dazu gesagt, als ein Antrag von uns eingebracht wurde. Ein EU-Außenminister wäre natürlich ein schönes Symbol. Statt zwei Persönlichkeiten hätten wir dann auf europäischer Ebene eine. Nur muss man dazu Folgendes sagen:Solange es keine Mehrheitsentscheidungen in Fragen der europäischen Außen- und Sicherheitspolitik gibt,

(Beifall der Abg. Michael Denzin und Ruth Wagner (Darmstadt) (FDP))

stellt eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik nur eine Farce dar. Es würde dann nur etwas mehr Bürokratie geben, als sie bisher schon besteht. Dann habe ich auch noch lesen und hören müssen, dass man daran denkt, einen europäischen diplomatischen Dienst zu installieren. Das wäre sehr schön, wenn wir nicht bereits weitere 25 diplomatische Dienste hätten und wenn wir nicht den Streit um die Posten im Sicherheitsrat hätten.Das alles wird erst dann richtig sinnvoll sein, wenn wir auf der Ebene der Europäischen Union mit Mehrheit eine gemeinsame Außenund Sicherheitspolitik beschließen und wenn im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen ein ständiger Sitz von einem Vertreter der Europäischen Union eingenommen wird. Der dann dort sitzende europäische Außenminister müsste in der Tat für die gesamte Europäische Union sprechen können.Er dürfte dann nicht die 26.Stimme von vielen sein.

Die Kommission soll verkleinert werden. Diese Absicht ist gut und wichtig. Aber was soll es eigentlich bedeuten, dass man daran denkt, Quasi-Kommissare zu installieren? Diese Kommissare sollen Menschen sein,die aus den Ländern kommen, die zum jeweiligen Zeitpunkt keinen Sitz in der Kommission haben. Die Quasi-Kommissare sollen dann dabeisitzen. Sie werden nichts zu sagen haben und dürfen nur zuhören. Jeder von ihnen wird aber natürlich einen eigenen Stab aufbauen. Das ist nicht sinnvoll. Entweder ist die Kommission ein supranationales Organ, dann gibt es aber überhaupt keinen Grund, warum jeder Mitgliedstaat darin vertreten sein soll, oder sie ist es eben nicht. Wenn die Kommission dieses Organ nicht ist, dann muss sie zurücktreten.Dazwischen gibt es keine dritte Lösung.

Die Reduzierung der EU-Rechtsakte auf Rahmengesetze, Gesetze, Verordnungen und Entscheidungen – als noch weichere Form soll es auch Empfehlungen geben – stellt einen ganz wichtigen Schritt in Richtung Transparenz dar. Dies ist allerdings kein entscheidender Durchbruch. Es ist zu befürchten, dass der Wildwuchs an Bestimmungen aus dem EU-Vertrag, dem EG-Vertrag und den verschiedensten Protokollen und Erklärungen weitgehend ungefiltert Eingang in die Verfassung der Europäischen Union finden wird. So haben wir uns das eigentlich nicht vorgestellt.

Aus liberaler Sicht ist ausdrücklich die neu vorgesehene Möglichkeit der Bürgerbeteiligung auf europäischer Ebene zu begrüßen. Was gäbe es denn für ein schöneres Symbol des Ausdrucks eines europäischen Willens als eine über Staatsgrenzen hinausgehende gemeinsame Aufforderung an die Kommission, ein bestimmtes Thema in einer ganz bestimmten Art und Weise aufzugreifen?

(Beifall der Abg.Ruth Wagner (Darmstadt) (FDP))

Lassen Sie mich diesen Teil meiner Rede zusammenfassen. Gemessen an den Kriterien Wertekanon, Parlamentarisierung, Ordnung der Kompetenzen, Handlungsfähigkeit, Transparenz und Zukunftsfähigkeit stellt der Entwurf des Verfassungsvertrages einen großen, wenn auch längst nicht ausreichenden Schritt in die richtige Richtung dar. Es bleiben Defizite bestehen. Dies betrifft etwa die legislative Rolle des Europäischen Rates oder die Janusköpfigkeit des EU-Präsidenten.

Was in Deutschland falsch ist, kann in den Beziehungen zwischen der Europäischen Union und den Mitgliedstaaten nicht richtig sein. Hier sollten wir aus den Erfahrungen lernen, die wir in Deutschland gemacht haben. Lassen Sie mich diesen Gedanken an drei Beispielen verdeut

lichen.Wir brauchen eine konsequente Durchsetzung des Subsidiaritätsprinzips in Deutschland und Europa.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP)

Wir brauchen einen Wettbewerbsföderalismus und eine bewusst gepflegte Vielfalt in der Sozialpolitik, der Besteuerung, im Arbeitsmarkt und bei der Bildungs- und Kulturpolitik.Das ist Bürgernähe,regt das Ringen um die besten Ergebnisse an und führt zu optimaler Effizienz und Effektivität. Statt einer zentralen Standardisierung wollen wir Liberale mehr Wettbewerb der Standards.

(Beifall der Abg. Nicola Beer und Dieter Posch (FDP))

Der Grundsatz muss lauten: so viel Vielfalt wie möglich, so wenig Standardisierung wie nötig.

Ich komme zum zweiten Beispiel. In Deutschland haben wir zugelassen, dass in einem schleichenden Prozess immer mehr Bereiche aus der Marktwirtschaft entlassen und staatlicher Regulierung unterworfen wurden. Dieser Prozess ist leider auch in der Europäischen Union in vollem Gange.Teilweise wird er auch von den großen Gleichmachern aus deutschen Volksparteien betrieben. Dieser Prozess muss gestoppt werden. Deshalb ist das Bekenntnis zur Marktwirtschaft, das im Entwurf der Verfassung der Europäischen Union steht, zu begrüßen. Es darf aber nicht nur beim Bekenntnis bleiben.

Drittes Beispiel. Niemand will ernsthaft die repräsentative Demokratie infrage stellen. Wir müssen aber der wachsenden Entfremdung der Bürger von der Politik entgegenwirken. Europa stellt da in der Gesamtpolitik einen Spezialfall dar. Wenn wir die Zeitung lesen, können wir feststellen, dass diese Entfremdung bei Landratswahlen jeden Sonntag zu erleben ist.Um dieser Entfremdung entgegenzuwirken, brauchen wir aber mehr und bessere Möglichkeiten der direkten Mitwirkung der Wähler an politischen Grundsatzentscheidungen. Eine solche Grundsatzentscheidung ist das Ja oder Nein zu dem Entwurf der Verfassung der Europäischen Union. Deshalb fordern wir Liberale eine Volksabstimmung über den Entwurf dieser Verfassung.

(Beifall bei der FDP)

Es kann nicht sein, dass wir aus Angst vor dem möglichen Ergebnis kneifen. Die Politik muss sich dieser Frage offensiv stellen. Das ist eine riesengroße Chance, Europa endlich begreifbar zu machen.

(Beifall bei der FDP)

Denn wir alle sind gezwungen, die Europäische Union zu erklären. Dabei müssen wir sie so erklären, dass sie von den Bürgerinnen und Bürgern akzeptiert wird. Die Deutschen sind nicht weniger reif, sich mit diffizilen Fragen auseinander zu setzen, als es die Dänen oder Iren sind. Warum soll das in Deutschland nicht funktionieren?

(Zuruf der Abg. Ruth Wagner (Darmstadt) (FDP))

Ja, das hätten wir schon zu dieser Gelegenheit machen sollen. Frau Kollegin, das ist aber leider nicht geschehen.

Im Deutschen Bundestag müssen die Weichen schnellstens dafür gestellt werden, dass eine Volksabstimmung über die Verfassung ermöglicht wird. Ein gutes Datum für eine solche Volksabstimmung wäre der Tag der Europawahl. Dies wird voraussichtlich der 13. Juni des kommenden Jahres sein. Ich fordere die Vertreter der SPD und der GRÜNEN ausdrücklich auf, sich nicht wegzuducken, sondern die Mitglieder der FDP bei der Umsetzung dieser

Forderung zu unterstützen. Denn von den Vertretern dieser beiden Parteien erwarte ich aufgrund ihrer Programmatik, dass sie dafür aufgeschlossen sind. Meine Damen und Herren, Sie haben die Möglichkeit, dies in Berlin umzusetzen.

(Beifall bei der FDP)