Protocol of the Session on September 22, 2005

Die haben auch den Gebrauch des Dienstwagens organisiert.

(Zuruf des Abg. Jörg-Uwe Hahn (FDP))

Nein, Herr Hahn, das ist vielleicht für Sie ein Beispiel, dass Herr Westerwelle und Herr Gerhardt das gemeinsam machen können.

(Zuruf des Abg. Norbert Schmitt (SPD))

Der Dienstwagen ist bei Lafontaine und Gysi auch kein Problem. Herr Lafontaine hat zu Herrn Gysi gesagt: Wir nehmen den Dienstwagen gemeinsam; Herr Gysi, Sie fahren, und ich werde gefahren. – Vielleicht ist das ein Beispiel für Herrn Westerwelle und Herrn Gerhardt.

(Beifall bei der SPD)

Aber wieder ernsthaft.

Herr Kollege Walter, Sie müssen zum Schluss kommen.

Das habe ich mir schon gedacht. – Aber ernsthaft, meine sehr verehrten Damen und Herren,liebe Kolleginnen und Kollegen,

(Zurufe – Unruhe)

es macht wenig Sinn, das Thema auf Landesebene zu zerreden.

(Jörg-Uwe Hahn (FDP): Du hast es gerade gemacht!)

Ich habe es nicht gemacht. Ich habe nur darauf hingewiesen, warum die Reform 2004 gescheitert ist.

Die Einladung besteht, das Thema in Berlin ernsthaft zu besprechen und den Punkt, der das letzte Mal strittig war, vor die Klammer zu ziehen, weil das Ganze sonst überhaupt keinen Sinn macht. Dann, glaube ich, besteht eine gute Chance, dass wir zu einer Föderalismusreform unter Ausklammerung der Position Roland Koch kommen.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank. – Das Wort hat der Kollege Al-Wazir, der Fraktionsvorsitzende der GRÜNEN.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Zuerst stelle ich einmal die Gemeinsamkeiten fest. Wir sind alle gemeinsam der Auffassung, dass eine Föderalismusreform dringend nötig ist; so ist es. So war es auch vorher,im Prinzip war es auch im Bundestag so,und in der Rhetorik war es auch im Bundesrat so. Jetzt aber beginnt der Streit darüber, wer schuld daran war, dass es zu keiner Lösung gekommen ist.Wenn wir ehrlich sind, müssen wir sagen, dass uns dieser Streit auch nicht weiterbringt.

Eine zweite Feststellung wird die Union nicht freuen, ist aber auch unstreitig oder müsste eigentlich unstreitig sein: Mit dem „Durchregieren“, das Angela Merkel am 1. Juli angekündigt hat, wird es nichts.

(Zuruf von der CDU:Abwarten!)

Das ist ein Grund, warum die Föderalismusreform jetzt noch dringlicher ist, als sie es war, weil wir auf lange Sicht das Problem oder die Chance – je nachdem, wie man es betrachtet – haben werden, dass wir unterschiedliche bzw. unklare Mehrheiten haben.Wenn wir ehrlich sind,müssen wir zugeben: Selbst in Zeiten, als ein Lager die Mehrheit in beiden Kammern hatte, ist es in der Geschichte der Bundesrepublik über kurz oder lang immer dazu gekommen, dass diejenigen, die im Bundestag die Mehrheit hatten, die Mehrheit in der zweiten Kammer verloren haben.

(Zuruf der Abg. Ruth Wagner (Darmstadt) (FDP))

Das war eine Entscheidung des Souveräns. Man mag sie bedauern, oder man mag sie begrüßen; aber es war zumindest so. Ich stelle also fest: Die Föderalismusreform ist notwendiger denn je.

Eine dritte Feststellung: Die unterschiedlichen Positionen haben in aller Regel nicht unbedingt etwas mit der parteipolitischen Herkunft zu tun.Alle, die sich mit der Föderalismusfrage beschäftigt haben, haben immer festgestellt, dass die Trennungslinien nicht zwischen SPD, CDU, GRÜNEN und FDP, sondern zwischen Bundestags- und Landtagsabgeordneten,zwischen armen und reichen Ländern usw. verlaufen sind. Denn je nach unterschiedlichem Standort hat sich die Sichtweise geändert.

Es gibt einen einzigen, der momentan beides schafft. Das ist Franz Josef Jung. Über ihn habe ich heute früh um 7 Uhr gehört: Jetzt kommt ein Interview mit dem Bundestagsabgeordneten. – Ich habe gedacht:Was, ist er gar nicht mehr da? Jetzt ist er doch wieder da. Aber das Interview kam auch nicht. Herr Jung, ich weiß nicht, was da heute früh passiert ist.

(Heiterkeit – Michael Siebel (SPD): Ich habe es gehört; aber es war nicht gut!)

Vielleicht kam es später. Manche wissen noch nicht genau, wohin sie gehören.Aber das nur nebenbei.

(Nicola Beer (FDP): Man kann auch beides machen!)

Stellen wir fest:Wir sind uns einig, dass wir die Föderalismusreform dringend brauchen.Wir sind uns zum Zweiten auch darüber einig oder müssten uns darüber einig sein, dass die Föderalismuskommission, die im Dezember gescheitert ist, am Ende ein Problem hatte, weil die Union

der Meinung war, dass sie einen bestimmten Zeitraum später – sie wusste damals noch nicht, dass es neun Monate sein würden, sie ist noch von eineinhalb Jahren ausgegangen – „durchregieren“ kann. Wir wissen jetzt: Mit dem „Durchregieren“ wird es für niemanden etwas. Also ist es jetzt angebracht, dass wir uns einmal überlegen, wie man zu Kompromissen kommt.

Es gibt einen Punkt, bei dem wir Streit haben. Der Streit beruht darauf, dass wir der Meinung sind:Wenn 95 % Einigung auf dem Tisch liegen, muss man auch springen. Ich nenne einmal jenseits der Streitereien um die „Elitehochschulen“ ein Beispiel aus dem eigentlichen Konfliktfeld, der Bildungspolitik. Wenn der Bund nicht sein 4-Milliarden-Ganztagsschulprogramm gemacht hätte, wäre in diesem Bereich in Deutschland bis heute fast nichts passiert.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD – Ruth Wagner (Darmstadt) (FDP): Ach, hören Sie doch auf! Daran sieht man, dass Sie noch nie in einer Ganztagsschule waren!)

Wir sind natürlich dafür, dass Zuständigkeiten getrennt werden, dass Finanzströme getrennt werden usw.Aber es kann nicht sein,dass die Länder mehr oder weniger sagen: So etwas muss in Zukunft verboten werden. Das, meine Damen und Herren, kann nicht funktionieren.

(Ruth Wagner (Darmstadt) (FDP): Das Geld ist doch den Hochschulen geraubt worden!)

Ich spreche gar nicht von den Hochschulen, sondern ich spreche jetzt von den Schulen. Schauen Sie sich die PISAStudie an.Es kann nicht sein,dass man in Zeiten,in denen Schulabschlüsse europäisiert werden, jede Bundeseinheitlichkeit beseitigt. Das funktioniert nicht. Bildung ist unstreitig Ländersache, aber es kann nicht sein, dass dem Bund sogar verboten werden soll, den Ländern Geld zur Verfügung zu stellen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir sind alle gut beraten,die Parteitaktik jetzt einmal beiseite zu legen. Wir werden in den nächsten Jahren alle miteinander auf allen Ebenen Kompromisse schließen müssen, und es wäre ein gutes Signal, wenn die Kompromisse da beginnen würden, wo sie im letzten Dezember gescheitert sind, nämlich bei der wichtigsten Frage, wie man die Blockade von Bund und Ländern minimieren und dafür sorgen kann, dass jeweils die einzelne Ebene handeln kann.

Herr Kollege Al-Wazir, Sie müssen zum Schluss kommen.

Ich komme zum Schluss, Herr Präsident.

Wenn in der nächsten Zeit jenseits aller momentanen Aufgeregtheiten ein neuer Anlauf unternommen wird, kann ich nur an alle appellieren, dann dabei zu sein und nicht Nebenkanzler im Bundesrat oder Ähnliches zu spielen. – Vielen herzlichen Dank.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Vielen Dank. – Für die Landesregierung spricht Herr Staatsminister Grüttner.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich beginne mit der Feststellung, dass die Landesregierung die Notwendigkeit einer Fortsetzung der Diskussion über eine Föderalismusreform uneingeschränkt teilt und nach wie vor an dem Ziel festhält, eine deutliche Kompetenzzuweisung an den Bund auf der einen Seite und an die Länder auf der anderen Seite vorzunehmen. Allerdings macht es keinen Sinn, über die Frage zu diskutieren, was am Ende des Jahres 2004 oder zu Beginn dieses Jahres zum Ende der Verhandlungen des Bundes und der Länder über die Reform geführt hat,wie ich das heute Morgen gehört habe. Man versucht, deutlich zu machen, Herr Kollege Walter, dass es an dieser Stelle um Machtverteilung und um Geldverteilung geht, und sagt zu Recht – wenigstens zum Teil zu Recht –, dass zu 95 % ein Kompromiss erzielt worden ist.

Das ist allerdings nicht ganz richtig, Herr Kollege Walter, weil die Verhandlungsführer auf der Länderseite und auf der Bundesseite namens Stoiber und Müntefering mit ihren Mitarbeitern ein fertiges, vollständiges und auf Punkt und Komma abgestimmtes Konzept hatten, über das sich beide Seiten einig waren, und weil es zu 100 % eine Kompromisslinie zwischen den beiden Verhandlungsführern gegeben hat – zu 100 %,und zwar sowohl bei Müntefering als auch bei Stoiber.

Zu diesem Zeitpunkt ist es zu einer Diskussion gekommen, weil aufseiten der rot-grünen Bundesregierung „Hegemonialansprüche“ – so will ich einmal sagen – bei der Bildung erhoben worden sind. Man hat den Versuch unternommen, an dieser Stelle ganz bewusst einen Keil hineinzutreiben, und hat damit natürlich eine essenzielle Frage des Föderalismus angesprochen, nämlich: Was bleibt Länderkompetenz, und was bleibt Bundeskompetenz?

In diesem Punkt waren die Länder zu weit gehenden Kompromissen bereit. Sie waren bereit, auf jegliche Rechte im Ausländerrecht zu verzichten, und sie waren bereit, auf jegliche Rechte in der Gesundheitspolitik zu verzichten. Sie haben an den verschiedensten Stellen sehr deutlich gemacht, wo Mischfinanzierungen aufgelöst werden müssen und wo es unterschiedliche Finanzierungstatbestände – auch bezüglich der Kompetenzzuweisung in Richtung Bund oder in Richtung Länder – geben kann.

Es ging nicht allein um die Hochschulpolitik, und es ging auch nicht allein um die Forschungsförderung, sondern es ging im Wesentlichen um die Bildungspolitik insgesamt und um die Kulturpolitik. Da wurde klargemacht, dass es hierfür eine Länderkompetenz geben muss. Die Kulturund Bildungskompetenz der Länder gehört schlicht und einfach zur Substanz der Eigenstaatlichkeit.

Der Dissens, ob die Bildungspolitik dem Bund oder den Ländern zugeordnet werden soll, offenbart ein bisschen mehr. Er offenbart eine tiefer gehende Einstellung zu der Frage, was Sache des Bundes und was Sache der Länder sein muss. Hier hat man deutlich gemerkt, dass die Maßstäbe der Kompetenzzuweisung bei Teilen des Bundes gefehlt haben. Denn der Bund hat nur das begehrt, was ihm wirklich wichtig erschien.Wenn aber der Bund immer das begehrt, was ihm wichtig erscheint, ohne auf die einzelnen Kompetenzen zu achten, wird es nicht zu einer Fortschreibung des Kompromisses oder zu einer Fortsetzung der Diskussion kommen.

Herr Kollege Hahn hat eben von der „Demokratisierung des Bundesrates“ gesprochen. Wir müssen hier darauf

hinweisen, dass wir versucht haben, die Kompetenzen der Länder, aber auch der Länderparlamente zu stärken. Es geht nicht um die Frage der „Demokratisierung des Bundesrates“, sondern es geht um die Stärkung der Länder, um eine klare Zuordnung der Verantwortlichkeit und um eine klare Zumessung, wer welche Kompetenzen hat, damit das auch für die Bürgerinnen und Bürger nachvollziehbar ist.

An dieser Stelle – das wiederhole ich noch einmal – gab es hundertprozentige Einigkeit zwischen den Verhandlungsführern. Sie mündete in der Tat aus politischen und taktischen Erwägungen einzelner Mitgliedern der rot-grünen Bundesregierung damals nicht in die Unterschrift, die man gebraucht hätte, um diesen Prozess zu einem vernünftigen Ende zu bringen. Es bleibt dabei und ist insofern richtig, dass die Diskussion über den Föderalismus weitergeführt werden muss.Wir müssen auch bestimmen, wenn wir in Zukunft keine verfassungsändernden Mehrheiten im Deutschen Bundestag bekommen, dass wir auf dem Wege der einfachen gesetzlichen Regelungstatbestände versuchen müssen, entsprechende Kompetenzzuweisungen vorzunehmen. Dann bin ich der festen Überzeugung, dass der Kompromiss, der ausgehandelt wurde, eine gute Grundlage ist, um an den verschiedensten Stellen deutlich zu machen, was in Länderzuständigkeit bleibt, was in Bundeszuständigkeit ist, um für alle nachvollziehbar, deutlich und transparent zu machen, wer für welche Entscheidungen an welcher Stelle verantwortlich ist.

Das wird letztendlich zu einer Stärkung der Länderparlamente führen.Dieses kann nur im Interesse auch des Hessischen Landtages sein. Insofern bleibt es auf der Tagesordnung.Wir müssen nur darauf achten – darauf wird die Landesregierung achten –, dass die Kernkompetenzen, die den Länderparlamenten und den Ländern zustehen – das sind die Bildungs- und Kulturpolitik –, nicht durch die Ansprüche des Bundes einfach kassiert werden, weil man meint, irgendetwas machen zu müssen. An dieser Stelle werden wir unsere Position verteidigen. Aber ich bin der festen Überzeugung, weil es diesen ausgehandelten Kompromiss gibt, dass die neue Bundesregierung dies so akzeptieren wird und wir in der kommenden Legislaturperiode des Deutschen Bundestages Fortschritte im Interesse der Länderparlamente erzielen werden.

(Beifall bei der CDU und des Abg. Jörg-Uwe Hahn (FDP))