Protocol of the Session on July 13, 2005

Sprechen wir aber erst einmal über Finanzen und über den notwendigen Finanzausgleich für Frankfurt. Natürlich muss es einen finanziellen Ausgleich für das Kulturangebot der Stadt Frankfurt geben, das ja nicht nur in die Region hinein, sondern weit darüber hinaus strahlt. Es ist der einzig richtige Punkt in Ihren Ideen, dass dies endlich einmal von der Landespolitik anerkannt wird.

Nicht richtig aber ist, wer zahlen soll, nach welchen Kriterien gezahlt werden soll, was bezahlt werden soll und wer darüber bestimmt, was bezahlt werden soll. Ihre Zwangsverbandsidee gibt bei all diesen Punkten die falsche Antwort. Schauen wir uns das einmal im Einzelnen näher an.

Erstens. Wer soll zahlen? Hier zitiere ich – heute wird er zum berühmten Mann – Herrn Landrat Banzer aus der „FAZ“ vom 9. Juli dieses Jahres, der richtig feststellte:

Das Gutachten hat zunächst einmal festgehalten, dass sich das Land Hessen in seiner größten Stadt in nicht akzeptabler Weise zurückhält.

Weiter sagt er:

Ich fände es besser, wenn die Landesregierung in ihrer größten Stadt stärker präsent wäre und größeres Engagement zeigen würde.

(Ruth Wagner (Darmstadt) (FDP): Das sagen doch alle Landräte seit 30 Jahren!)

Ohne Herrn Banzer hier zu viel Platz einzuräumen, will ich ihn weiter zitieren, weil er einfach Recht hat. Auf die Frage, ob das Land seiner Meinung nach zu wenig für seine größte Stadt tut, sagt er:

Eindeutig. Zum einen gilt der Gleichheitsgrundsatz. Es ist nicht einzusehen, warum das Land andere Städte wie Gießen, Darmstadt, Kassel usw. fördert, Frankfurt aber nicht in gleichem Maße. Zum anderen: Was an hessischer Kultur wirklich Strahlkraft hat, wird zu einem erheblichen Anteil in Frankfurt produziert.Wenn also das Gutachten fordert, Frankfurt müsse in seinen kulturellen An

strengungen unterstützt werden, dann müsste das Land Hessen mit mindestens der Hälfte, also mit 60 Millionen c, dabei sein, insbesondere wenn man die Kriterien des Gutachtens anwendet, denn 36 % der gezählten Besucher kommen von außerhalb des Ballungsraums. Dieser Anteil wäre ohnehin vom Land zu tragen. Und an den anderen zwei Dritteln des Kulturpublikums aus Frankfurt und dem Ballungsraum müsste sich das Land mindestens zu einem geringen Anteil ebenfalls beteiligen, da es dies ja auch in anderen Städten des Landes tut.

Da kann ich nur sagen: Recht hat der Mann.Wer eine veränderte Kulturfinanzierung will – und das wollen wir hier alle,wie ich es sehe –,darf nicht mit dem Finger auf andere Haushalte zeigen und seinen eigenen schonen.

Ein Finanzausgleich für die Frankfurter Kultureinrichtung ist zuallererst Landesaufgabe. Die wichtigsten Frankfurter Kultureinrichtungen müssen analog der Staatstheater und Landesmuseen deutlich vom Land unterstützt werden. Das ist schon allein aus Gerechtigkeitsgründen notwendig. Dass Sie bei einer so wichtigen Frage nicht den Mut haben, das Augenscheinliche zu benennen, finde ich schon wirklich ein Armutszeugnis, Herr Koch.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Leere Kassen haben alle, und auch deshalb ist es schäbig, den Kommunen eine finanzielle Mehrbelastung aufzubürden, die man aber selbst zu zahlen nicht bereit ist. Zudem ist es ungerecht und falsch, alle Kommunen ungeachtet der Wirtschaftskraft, ungeachtet der Finanzsituation und ungeachtet dessen, wie hoch der Kulturetat in der jeweiligen Kommune ist, über einen Kamm zu scheren.

Wenn Sie dies durchsetzen wollen, Herr Koch, wird es dazu führen, dass Kommunen Beiträge in ähnlicher Höhe in den Zwangsverband einzahlen müssen, wie sie sie zurzeit für Kultur im jeweiligen Haushalt veranschlagt haben. So sagt der Offenbacher Oberbürgermeister Grandke in der „Frankfurter Rundschau“ vom 12. Juni: „Für meine Stadt würde das bedeuten, dass wir mit 4,2 Millionen c den Frankfurter Kulturetat subventionieren müssten.“ Das sei praktisch der gesamte Offenbacher Kulturetat, und für eigene Kultureinrichtungen bleibe dann kein Cent mehr übrig.

Das ist doch wirklich kulturpolitischer Unsinn, Herr Koch. Das ist keine Kulturförderung, sondern das ist eine Zerschlagung der kommunalen Kulturangebote.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Nun zu der Frage, nach welchen Kriterien gezahlt werden soll. Das Ballungsraumgesetz ist dann sicher nicht das richtige Mittel, um die kulturelle Zusammenarbeit der Region zu verbessern. Das Ballungsraumgesetz ist generell ein schlechtes Instrument, da es mit Zwang arbeitet und in seinen Grenzen viel zu eng gefasst ist.Nicht nur wir GRÜNEN sagen: Das Ballungsraumgesetz und seine Zwangsverbände müssen weg,weil sie die Bürokratie aufblähen und mehr Verwaltung und mehr Pöstchen schaffen, aber keine tatsächlich verbesserte Zusammenarbeit in der Region bringen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Da wundert es auch nicht, dass sich bis auf meine Heimatstadt, die nach Ihrem Vorschlag verständlicherweise schon die Dollarzeichen in den Augen blitzen sah, alle vehement und, wie ich finde, auch mit den richtigen Argu

menten gegen den Kulturzwangsverband ausgesprochen haben. Auch die Kommunalpolitikerinnen und -politiker der CDU lehnen ihn doch ab, und das sind nicht nur Landrat Banzer und Frau Jungherr – er ist auch von Herrn Walter hier schon öfter zitiert worden –, sondern auch die CDU-Fraktion in Offenbach hat sich gegen den Kulturzwangsverband ausgesprochen. Nur Herr Staatsminister Grüttner war bei der Abstimmung schnell mal „für kleine Jungs“; er wird doch nicht gegen seinen Chef stimmen.

(Petra Fuhrmann (SPD): Der kleine Staatsminister!)

Das sind peinliche Spielchen, Herr Grüttner. Zur Politik gehört auch, dass man laut und offen sagen muss, wofür man überhaupt steht. Ich kann Sie allerdings ein bisschen verstehen, Herr Grüttner; denn es ist wirklich offensichtlich, dass eine Zwangsmitgliedschaft der Gebietskörperschaften eines Ballungsraumes in einem Kulturzweckverband ein schwer wiegender Eingriff in die kommunale Selbstverwaltung ist. Das Offenbacher Stadtparlament hat auch einstimmig beschlossen, gegen den Zwangsverband zu klagen, und hat dafür sogar – wir haben es eben gehört – bereits entsprechende Haushaltsmittel zur Verfügung gestellt. Aus Frankfurter Sicht mag man denken: Für so etwas haben sie Geld. – Wenn man ganz ehrlich ist, muss man auch zugeben: Ein Quäntchen Populismus lässt sich auch in den Äußerungen des Offenbacher Oberbürgermeisters kaum verbergen.

(Jürgen Walter (SPD): Na, na, na! Dem ging es nur um die Sache!)

Aber dass sich auch Ihre Leute vor Ort mit guten Argumenten wehren, müsste Ihnen doch wirklich zu denken geben, Herr Koch.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Jürgen Walter (SPD))

Die Begründung des Ministerpräsidenten,die beiden Auftragsgutachten sowie die geringe Einsicht seiner „Untertanen“ in den Kommunen und Landkreisen würden ihn quasi zur Androhung des Zwangsverbands geradezu zwingen, ist eine Kapitulation. Das ist die Kapitulation, dass Sie einer so vordringlichen Aufgabe wie der Verbesserung der Zusammenarbeit der Region nicht gewachsen sind, und es ist ein Eingeständnis, dass Sie nicht mit, sondern gegen die Kommunen und gegen die Landkreise Politik machen. Ihre Form von Politik, Herr Koch, ist nicht der Dialog, sondern die Erpressung.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Ministerpräsidenten Roland Koch)

Das zieht sich durch Ihre Politik wie ein roter Faden. So haben Sie es bei der Exzellenzförderung gemacht, so machen Sie es immer wieder in den Verhandlungen mit den Hochschulpräsidenten, und so wollen Sie es wieder mit den Kommunen machen. Erpressung statt Dialog ist ein mieser Stil, wie ich finde, und der blinde Aktionismus soll in Wirklichkeit nur verdecken, dass Sie eigentlich keine Lösung für das Problem haben.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Jürgen Walter (SPD))

Sie sprechen nämlich hier in der Debatte immer wieder auch selbst von der gesamten Rhein-Main-Region. Sie führen – das haben wir gerade vorhin gehört – selbst die Kultur GmbH an,die ihre Grenzen bewusst viel weiter gefasst hat, als sie im Ballungsraumgesetz festgeschrieben sind.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Jürgen Walter (SPD))

Sie stellen beispielsweise auch Vergleiche mit der Gesellschaft für integriertes Verkehrsmanagement an. Auch sie ist weit größer gefasst, und an ihr ist nicht nur das Land Hessen,sondern sogar auch das Land Rheinland-Pfalz beteiligt, und alles ist auf freiwilliger Basis entstanden.

Genauso selbstverständlich wie Verkehrsströme fließen aber auch gerade die Kulturzusammenarbeit und die Besucherzahlen über Grenzen hinweg und machen beispielsweise vor den Toren der Städte Wiesbaden und Darmstadt nicht Halt.

Das kann man doch nicht einfach ignorieren, sondern das muss alles in einem wirklich klugen Konzept mitbedacht werden. In diesem Zusammenhang wäre auch ganz interessant, was eigentlich der für Kunst und Kultur zuständige Minister zu diesem Thema zu sagen hat, wenn er denn überhaupt etwas zu sagen hat. Denn eine erzwungene Zusammenarbeit im Kulturbereich ist ungefähr so abnorm wie die Erbacher Hirschgeweihe. Kulturpolitisch ist es nicht nur problematisch, dass durch die Einführung von Zwangsabgaben aus finanziellen Gründen die lokalen Kulturstrukturen nachhaltig zerstört zu werden drohen, sondern wie Sie überhaupt zu den 33 so genannten Leuchttürmen gekommen sind. Das ist kulturpolitisch wirklich sehr schwer nachvollziehbar.

Der Ministerpräsident geht meiner Ansicht nach aus einer falschen Perspektive an die Entwicklung der Kulturregion Rhein-Main heran, nämlich ausschließlich aus der Perspektive eines kulturellen Globetrotters, der heute in Mailand in der Oper ist, morgen in London in der Tate Gallery und abends in New York am Broadway flaniert, um gegen Mitternacht ins Flugzeug zu steigen und sich am nächsten Tag in der Neu-Isenburger Hugenottenhalle am Chiemgauer Volkstheater zu erfreuen.

(Heiterkeit und Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, die Hugenottenhalle ist einer der 33 Leuchttürme, die die Kommunen im Zwangsverband mitfinanzieren müssen.

(Priska Hinz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das ist die Elite!)

Sie wird dann,da wir ja weltweit konkurrieren müssen,die kulturell interessierten Menschen in Mailand, in Paris, wahrscheinlich auch in Wisconsin und in Zukunft sogar in Moskau zu den Aufführungen des Chiemgauer Volkstheaters locken.

Meine Damen und Herren, stellen wir uns einmal einen New Yorker vor, der im Internet etwas kulturell Interessantes sucht und stöbert und dann auf die Beschreibung des Chiemgauer Volkstheaters stößt. Da heißt es:

Sepp und Toni, die beiden Söhne des StangassingerHofes, verlieben sich dummerweise in das gleiche Mädchen – Vevi. Noch prekärer wird die Situation dadurch, dass Bauer Thomas Stangassinger nicht nur der Vater der beiden strammen Jungs ist, sondern in seiner wilden Jugend auch bei der jungen Vevi die Finger im Spiel hatte, wovon freilich seine Frau Stasi nichts weiß. Das Lustspiel von Max Neal zeigt in drei Akten die Verwirrungen und Verstrickungen im sündigen Dorf.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, Hessen bringt Kultur in die Welt.Wow, das sind Visionen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Aber Spaß beiseite, wir haben ja gar nichts gegen die Hugenottenhalle, ganz im Gegenteil. Ich erinnere mich selbst noch gut an das legendäre Konzert der Leningrad Cowboys vor ca. 340 Zuschauern.

(Jürgen Walter (SPD):Da war ich Dezember auch!)

An diesem Beispiel sehen Sie doch, wo das Problem der so genannten Leuchttürme liegt.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

33 Leuchttürme sind zu viele, um tatsächlich die Strahlkraft zu entfalten und in der Welt zu leuchten. Aber 33 Leuchttürme sind gleichzeitig zu wenige, wenn sie die gesamte Region und die kulturelle Vielfalt der Region abbilden sollen. Herr Koch, Sie haben nicht die Kraft – vielleicht auch nicht die künstlerische Vision –, zu entscheiden, was denn ein paar wenige, bis nach Manhattan strahlende Leuchttürme tatsächlich sein könnten.

Ich will hier nicht sagen, dass dieser Leuchtturmansatz grundsätzlich ein falscher Ansatz wäre.Aber hier gilt:Wer bestellt, der muss auch bezahlen, und zwar nicht nur die Gutachter, sondern auch die daraus zu ziehenden Konsequenzen. Wenn der Politoberkommissar aus Wiesbaden von oben anordnen will, was seine Untertanen an Kultur um sich haben sollen, dann hat er uns bestimmt nicht an seiner Seite.