Protocol of the Session on March 16, 2005

Damit lässt sich auch der Zeitpunkt begründen, zu dem das vorgetragen wird. Deswegen wird das im Verfahren so spät vorgetragen. Deswegen sind sie so oft im Asylverfahren nicht in der Lage gewesen, ihre Störung vorzutragen.

Ich finde, man sollte da wirklich ehrlicher argumentieren. Man sollte nicht einfach sagen: Jetzt gibt es eine Vielzahl von Fällen, da muss es also viele Trittbrettfahrer geben, deswegen müssen wir mit den Betroffenen jetzt so und so umgehen.

Ich möchte auch noch etwas zu dem Vorwurf der Trittbrettfahrerei sagen. Da wird immer in die Richtung derjenigen geschielt, die von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen betroffen sind. Ich finde, Sie könnten auch anders argumentieren und die Auffassung vertreten, man sollte doch einmal prüfen, wer solche Bescheinigungen ausstellt. Wenn Sie wirklich meinen, dass solche Bescheinigungen leichtfertig ausgestellt werden, dann sollte man einmal prüfen,wie es zu solchen Bescheinigungen kommt. Vielleicht sollten Sie einmal dieser Frage nachgehen, wenn Sie wirklich meinen, dass dies zutrifft.

Herr Kollege Bouffier, Sie sagten, sehr viele Menschen in den Ausländerbehörden seien mit diesen Fällen beschäftigt.Wir, die Mitglieder des Petitionsausschusses des Hessischen Landtags, erleben sehr oft, dass verschiedene Ausländerbehörden bei der gleichen Frage zu sehr unterschiedlichen Bewertungen gelangen. Da geht es also auch um die Form des Umgangs mit dieser Problematik.Es gibt Ausländerbehörden, die diese Problematik sehr ernst nehmen und bei dieser Problematik sehr viel Sensibilität aufweisen. Es gibt aber auch Ausländerbehörden, die diesem Vortrag keine Beachtung schenken. Da hilft es auch nichts, wenn man bei diesen einmal nachfragt und den Versuch unternimmt, dazu nähere Informationen zu erhalten. Herr Bouffier, man kann dabei also nicht so einfach in Schwarz und Weiß aufteilen.

Frau Kollegin Kühne-Hörmann, man kann Ihnen das nicht zum Vorwurf machen. Aber die Kolleginnen und Kollegen des Petitionsausschusses hätten Ihnen das mitteilen können. Bekanntlich soll Reisen bilden. Wir waren bei dem Bundesamt in Nürnberg. Dort haben wir uns speziell mit dieser Frage beschäftigt. In diesem Bundesamt herrscht eine hohe Sensibilität für diese Problematik.

Mit dem, was dort gesagt wurde, kann ich das vorhin genannte Argument untermauern. Auch die Mitarbeiterin

nen und Mitarbeiter des Bundesamtes sagen, dass zurzeit relativ viele Vorträge in diese Richtung gehen würden. Auch dort wurde das mit den Rückführungen in das ehemalige Jugoslawien begründet. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dort sagen, dass sie diese Problematik zuvor anders beurteilt hätten, dass sie aber mittlerweile mit diesem Thema sensibler umgehen und das auch intensiver prüfen würden. Auch daran kann man erkennen, dass es sich wirklich um ein Problem handelt.

Es hilft eben nicht, schwarz und weiß zu zeichnen. Sie haben hier damit argumentiert, man müsse den Einzelfall prüfen. Im Petitionsausschuss ist eine Fülle Petitionen anhängig, in denen das Vorhandensein dieser Störung vorgetragen wird.

Diese Fälle werden ganz unterschiedlich begutachtet. Ich habe z. B. einen Fall, in dem es eine sehr ausführliche Begutachtung einer Spezialklinik gibt. Daneben gibt es aber auch Fälle, in denen auf einem Attest kurz dargestellt wird, dass es sich um eine posttraumatische Belastungsstörung handele.

Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss Ihrer Rede.

Das wird also sehr unterschiedlich behandelt. Ich bitte Sie deshalb darum, in dieser Frage mit dem Schwarz-WeißMalen aufzuhören. Wenn es um Gerechtigkeit und die Prüfung der einzelnen Fälle geht, dann sollten Sie uns, die Mitglieder des Petitionsausschusses, auch in die Lage versetzen,das beurteilen zu können.Sie sollten deshalb in Ihren Stellungnahmen auf diese Problematik dezidiert eingehen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Sabine Waschke (SPD))

Meine sehr geehrten Damen und Herren,mir liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Damit ist die Große Anfrage besprochen.

Ich unterbreche die Sitzung bis 15 Uhr und wünsche Ihnen allen einen guten Appetit.

(Unterbrechung von 12.59 bis 15.02 Uhr)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir setzen die unterbrochene Plenarsitzung fort. Vereinbarungsgemäß rufe ich Tagesordnungspunkt 39 auf:

Antrag der Fraktion der FDP betreffend kein Generalverdacht von Steuerzahlern – Drucks. 16/3728 –

Vereinbart sind 15 Minuten Redezeit. Als erstem Redner erteile ich dem Herrn Abg. von Hunnius von der FDPFraktion das Wort.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Am 1. April wird ein alter Beamtentraum wahr: Es gibt Informationen auf Zuruf über jeden nur denkbaren

Steuerbürger Deutschlands ohne vorherige Prüfung,ohne Vorliegen eines nachweisbaren Bedarfs, ohne Verdacht, und ohne dass der Betroffene vorher davon erfährt oder gar seine Zustimmung erteilen muss.Zugriff hat direkt die Finanzverwaltung, und zwar jedes Finanzamt in Deutschland, und Zugriff haben mittelbar alle Behörden, die sich mit einem dieser Sachverhalte beschäftigen: Sozialhilfe, Kranken-, Unfall- und Rentenversicherung, Wohnraumförderung,Ausbildungsförderung,Wohngeld, Erziehungsgeld, Unterhaltssicherung,Arbeitslosengeld II.

Das ist leider kein Aprilscherz, sondern die geltende Gesetzeslage. Das Gesetz mit dem schönen Titel „Gesetz zur Förderung der Steuerehrlichkeit“ hat die Abgabenordnung an einigen entscheidenden Punkten geändert. Die letzte Konkretisierung erfolgte in der vergangenen Woche mit einem Anwendungserlass und weiteren Erläuterungen.

Man kann es gut finden oder nicht, man kann es für erforderlich oder für überflüssig halten, eines ist aber nicht zu bestreiten:Ab dem 1.April 2005 ist das Bankgeheimnis in Deutschland faktisch aufgehoben.

(Norbert Schmitt (SPD):Ach du lieber Gott!)

Das hat eine ganz einfache Konsequenz – auch diese kann man mögen oder nicht; aber sie ist unbestreitbar –: Am 1. April werden in österreichischen Banken die Sektkorken knallen; denn mit dem Steuerehrlichkeitsgesetz wird wieder einmal Kapital aus Deutschland vertrieben. Das ist die unausweichliche Konsequenz dieses wunderschönen Gesetzes.

(Beifall bei der FDP)

Wir haben uns – auch in diesem hohen Haus – unter dem Aspekt der informationellen Selbstbestimmung lange darüber unterhalten, ob es z. B. zumutbar ist, Fahrzeugkennzeichen elektronisch zu erfassen, und haben uns überlegt, wie schnell die Daten dieser Fahrzeuge gelöscht werden müssen. Wir sprechen immer wieder darüber, ob es denn sinnvoll ist, dass DNA-Spuren nur von Personen erfasst werden, die einer schweren Straftat verdächtig sind.Aber wenn es um das Bankgeheimnis geht, spielt das alles offensichtlich überhaupt keine Rolle mehr, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der FDP – Jörg-Uwe Hahn (FDP): Hört, hört!)

Wenn es um Bankkonten und Depots geht, treten solche kleinlichen Bedenken in den Hintergrund. Mit einem Federstrich werden die Bedenken von Datenschützern beiseite gewischt. Zur elektronischen Abfrage der Kontenstammdaten muss nicht einmal der Anfangsverdacht einer Straftat vorliegen. Ein ganzes Volk wird pauschal dem Verdacht der Steuerhinterziehung unterworfen.

(Beifall bei der FDP)

Das ist der Fakt: ein Generalverdacht für ein ganzes Volk.

Das hat auch einige bürokratische Konsequenzen.

(Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Deswegen habt ihr die Schleierfahndung abgelehnt!)

Wir haben 82 Millionen Einwohner und, so schätze ich einmal,40 Millionen Kontoinhaber.Wenn jeder zwei Konten hat, haben wir eine Datenbank mit 80 Millionen Kontostammdaten. Man muss sich einmal vorstellen, welcher bürokratische Aufwand da getrieben wird.

Inzwischen haben sich Datenschützer, Bankkunden, Verfassungsrechtler und der Steuerzahlerbund geregt, und nun endlich hat auch Christine Scheel das Gesetz einmal durchgelesen, dem sie vorher selber zugestimmt hatte. Hurra! Frau Scheel schlägt vor, man möge doch die Kontoinhaber bitte vorher informieren.

(Norbert Schmitt (SPD): Frau Scheel hat zugestimmt? Hochinteressant!)

Ein guter Vorschlag, Frau Scheel. Er kommt reichlich spät und wird von der Bundesregierung auch nicht mehr berücksichtigt werden können. Frau Scheel hat oftmals gute Ansichten; aber sie setzt sich damit in den seltensten Fällen durch, so auch hier.

(Mathias Wagner (Taunus) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Nur kein Neid!)

Manchmal kommt es auch reichlich spät.

Die Finanzverwaltung und eine Reihe anderer Behörden können nach dem neu gefassten § 93 Abs. 7 bis 18 der Abgabenordnung auf Kontostammdaten von Steuerpflichtigen im automatisierten Verfahren zugreifen. Bisher war Behörden außerhalb des Ermittlungsverfahrens ein Zugriff auf Konto- und Depotinformationen verwehrt.

Das erfahren die Behörden jetzt: die Nummer eines Kontos oder Depots, den Tag der Errichtung, den Tag der Löschung des Depots oder des Kontos, den Namen und den Geburtstag des Kontoinhabers oder des sonstigen Verfügungsberechtigten sowie Namen und Anschrift eines abweichend wirtschaftlich Berechtigten. Das gilt übrigens, Herr Notar Weimar, auch für Notar-Anderkonten. In der Veröffentlichung steht ausdrücklich, dass dadurch das Vertrauensverhältnis zum Notar nicht gestört werde. Wie das funktionieren kann, ist mir als potenziellem Notarkunden nicht ersichtlich, mag aber sein.

(Zurufe)

Wer hat Zugriff, fragen wir uns. Jeder Finanzbeamte oder Mitarbeiter in irgendeiner Behörde, die sich mit den genannten Sachverhalten im Zusammenhang mit der Einkommenserzielung beschäftigt, hat Zugriff. Es gibt keinerlei Beschränkung, es gibt auch keinerlei Weisung, dass der Behördenleiter oder der Abteilungsleiter die Anfrage zu genehmigen habe. Es gibt keinerlei Vorschriften über interne Prüfungen, und wenn einmal eine Behörde den Wunsch äußert, erfolgt auch keine weitere Prüfung mehr. Es heißt ausdrücklich: Verantwortlich ist die anfragende Behörde und sonst niemand.Ab dem Augenblick der Anfrage läuft ein Verfahren ab, mit dem vom Bundesamt für Finanzen automatische Daten abgefragt werden. Dann werden sie auch bereitgestellt, und das war es.

Der Laie könnte meinen, das Auskunftsersuchen sei an ganz bestimmte Voraussetzungen geknüpft, z. B. vielleicht die Schriftform, ein bestimmtes Formular oder vielleicht eine Begründung.Weit gefehlt.

(Nicola Beer (FDP):Vielleicht ein Verdacht!)

Schon gar nicht der Verdacht, Frau Kollegin. – Ab dem 1. April kann also ein Sozialamt, eine BAföG-Stelle oder z. B. eine Arbeitsagentur ohne irgendwelche Umstände innerhalb kürzester Zeit sämtliche Kontostammdaten abfragen, und zwar über jeden Bürger in Deutschland. So einfach ist das.

(Florian Rentsch (FDP): Nach dem alten Motto: Wer nichts zu verbergen hat...)

In Nummer 2.3 des Anwendungserlasses heißt es in entwaffnender Offenheit – das möchte ich mit Genehmigung der Frau Präsidentin gern wörtlich zitieren –:

Es genügt vielmehr, wenn aufgrund konkreter Momente oder aufgrund allgemeiner Erfahrungen ein Kontenabruf angezeigt ist...

(Beifall bei der FDP – Nicola Beer (FDP): Hört, hört!)

Die allgemeine Erfahrung reicht aus. Nehmen wir einmal einen Mitarbeiter einer BAföG-Stelle,und sehen wir,welche allgemeine Erfahrung er hat und was er zum Maßstab seiner Anfrage machen wird.Das ist ein weit gefasster Begriff, der faktisch bedeutet: Jeder kann alles fragen, was er will.

Da die konkreten Momente der Willkür Tür und Tor öffnen, bleiben nur die allgemeinen Erfahrungen übrig. Je nach den allgemeinen Erfahrungen, die jemand hat, kann er also fragen, was er mag. Er kann nach dieser unpräzisen, schwammigen und bürgerfeindlichen Definition alles erfahren, was er nur will.