Protocol of the Session on March 16, 2005

Jetzt geht es um die Frage, wie wir mit einem Segment von Menschen umgehen, die ins Feld führen: Ich kann aber eigentlich diesem Gesetzesbefehl keine Folge leisten, weil ich traumatisiert bin.

Meine Damen und Herren, Frau Kollegin Kühne-Hörmann hat es dargelegt.Es geht nicht um wenige Fälle.Fakt ist auch, dass die Berufung auf diesen Umstand in den letzten zwei Jahren deutlich zugenommen hat. Natürlich ist richtig, wie es in der Antwort auch steht, dass eine Behörde Zweifel darüber äußerst, ob man eine Berufung auf einen Umstand,der bisher noch nie vorgetragen wurde,so akzeptieren kann. Das halte ich für richtig. Ich halte für richtig, dass dieser Zweifel geprüft wird. Die Alternative ist, wie das hier zum Teil vorgetragen wurde: Jemand ist in einer Vielzahl von Verfahren und trägt das nie vor. Jetzt, obwohl das alles teilweise über zehn Jahre oder 15 Jahre zurückliegt und immer wieder gerichtlich überprüft wurde, wird ein Einwand gebracht. Jetzt kann der zuständige Mitarbeiter doch nicht einfach sagen: „fertig, akzeptiert“,sondern er muss sich mit der Frage auseinander setzen: Ist das ein Vortrag, der erstens glaubwürdig und zweitens tragfähig und im Ergebnis von Belang ist?

Um das Ergebnis einmal zusammenzufassen: Das geht nicht ohne Einzelfallprüfung. Sie wissen doch sehr genau, dass die Einzelfallprüfung stattfindet. Es ist doch nicht so, als würde das alles nicht zum dann, ich weiß nicht, wievielten Male und, soweit es ein neuer Sachvortrag ist, im

Einzelfall geprüft. Ich will Ihnen, worüber wir uns vielleicht streiten, sehr klar die Antwort geben. Die Rechtslage ist klar. Sie ist überall so.

Wenn der Kollege Rentsch gesagt hat, er habe Bedenken, ob wir jemanden in ein Heimatland schicken könnten, in dem er Schlimmes erlebt hat, dann sage ich Ihnen: Ja, weil es nicht darum geht, ob der in seinem Heimatland Schlimmes erlebt hat. Das glaube ich auch. Wir können – durch welche Gesetzgebung oder Handhabung auch immer – ein Flüchtlingsschicksal nicht ungeschehen machen, sondern er muss, wenn er hier Schutz gefunden hat und in seiner Heimat nicht mehr verfolgt wird, in seine Heimat zurück. Im Zweifel wird er mit vielen Schrecknissen, die er dort erlebt hat, weiterhin belastet sein.

Die Trennschärfe ist nicht die Frage,was er dort erlebt hat, sondern die Trennschärfe ist die Frage: Ist er so krank – von mir aus aufgrund seiner Erlebnisse –, dass wir es nicht verantworten können, diesen Menschen in sein Heimatland zu bringen? – An dieser Stelle ist die Trennschärfe, nach welchen Kriterien wir das machen. Frau Kollegin Kühne-Hörmann hat schon darauf hingewiesen. Ich will Sie mit Rechtszitaten verschonen. Ich will Sie nur auf das Bundesverwaltungsgericht verweisen.

Das Bundesverwaltungsgericht sagt, es müsse eine wesentliche oder eine lebensbedrohliche Gefahr für den Betroffenen bestehen, dass sich sein Gesundheitszustand verschlechtert. Ich verkürze jetzt einmal sehr – die führen das in einer jüngeren Entscheidung so an –: Es reicht auf gar keinen Fall der Hinweis, wie wir ihn sehr häufig lesen, dass im Heimatland die gesundheitliche Betreuung nicht so wie in der Bundesrepublik Deutschland stattfinden könne. Das stimmt.

Herr Kollege Rentsch, über die Türkei wird viel diskutiert. Ich will nicht darüber streiten – mir fehlt die Sachkenntnis –, ob dort die gesundheitliche Betreuung in dem Maße wie in der Bundesrepublik Deutschland möglich ist. Daran kann man Zweifel haben.Aber ich sage Ihnen: Darauf können wir uns nicht einlassen. Wenn ich das zur Grundlage mache, dass eine gesundheitliche Betreuung im Zielland mindestens so sein muss wie in der Bundesrepublik Deutschland, dann sollten wir gemeinsam sagen, dass wir die Angelegenheit beenden können. Dann müssen wir fairerweise aber auch sagen: Dann gibt es auch keinerlei Problematik mit der Abschiebung mehr. Bitte schön, dann bleiben die Menschen hier. – Ich halte das für falsch. Ich halte das auch nicht für vertretbar.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Weil das so ist, haben wir in der Tat mit einer ganzen Reihe von ärztlichen Stellungnahmen unsere Probleme. Frau Kollegin Waschke, Sie haben sich noch einmal gemeldet. Vielleicht können Sie darauf eingehen. Was soll denn eine Behörde eigentlich machen, die einen gesetzlichen Auftrag hat? Der mag Ihnen nicht gefallen, aber der Auftrag ist so. Jetzt kommt jemand und sagt: Ich habe es nie vorgetragen, habe Probleme damit und, bitte schön, glaubt mir es. – Dann müssen die doch irgendwie versuchen, den Wahrheitsgehalt dieser Geschichte herauszufinden. Das halte ich für richtig.

Was wir auf gar keinen Fall akzeptieren werden, ist, dass jede Behauptung ausreicht. Das kann nicht sein.Wenn jemand der Behörde schreibt und sagt: „Ich bin der Auffassung, im Heimatland kann die betreffende Person nicht angemessen betreut werden“, dann sage ich: Das reicht nicht. – Mit dieser schlichten Begründung werden wir die Angelegenheit jedenfalls nicht lösen können. Das ist ein

Sachverhalt, der sensibel, im Ergebnis aber klar entschieden werden muss.

Wenn sich die Zahlen so verändern, wie sie sich verändert haben, dann mögen Sie aus unserer Antwort erkennen, wie sensibel wir damit umgehen. Wenn Sie in Ihrer Bemerkung berichtet haben, Hessen sei als einziges Land aus dieser Arbeitsgruppe vorzeitig ausgestiegen, dann weiß ich nicht,woher Sie Ihre Kenntnisse haben.Aber das ist schlichtweg falsch.

(Sabine Waschke (SPD):Von der „Hessenschau“!)

In dieser Arbeitsgruppe waren wir nie.

(Frank-Peter Kaufmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Das ist sachlich nicht besser!)

Ja, dass man einmal sieht, damit Ihr Vortrag das nächste Mal wenigstens nicht an dieser Stelle zusammenfällt.

(Beifall bei der CDU)

Wir bemühen uns doch um ein schwieriges Thema. Deshalb können wir das ganz sachlich machen. Die Innenministerkonferenz beschäftigt sich seit Jahren mit diesem Thema, völlig unabhängig von der Farbenlehre. Die hat drei Länderkollegen gebeten, mit der Bundesärztekammer zu sprechen. Ich habe den Bundesinnenminister vor drei Jahren angeschrieben und gefragt: „Wie sollen wir, bitte schön, mit dem Thema eigentlich verfahren?“, weil die Abschiebungen zum größten Teil über den Bundesgrenzschutz laufen. Der Bundesgrenzschutz verlangt die Flugtauglichkeitsbescheinigung. Die stellen doch wir nicht aus. Der Bundesgrenzschutz hat gesagt:Wenn es die Flugtauglichkeitsbescheinigung nicht gibt, kann nicht abgeschoben werden. – Wir haben erlebt, dass Ärzte und Standesorganisationen erklärt haben, sie hielten es mit ihrem Eid für unvereinbar, daran mitzuwirken, dass jemand abgeschoben wird. Ich sage dazu ganz klar: Ich halte diese Position für absolut inakzeptabel.

(Beifall bei der CDU)

Herr Minister, die Fraktionsredezeit ist vorbei.

Frau Präsidentin, ich komme zum Schluss.

Es kann nicht sein,dass,wenn ein Gesetz – das nun einmal gilt – für jemanden kein Aufenthaltsrecht hat, der freiwillig das Land nicht verlässt und dann – unter ärztlicher Betreuung – zwangsweise das Land verlassen muss, mir dann eine Ärzteorganisation sagt: „Wir nehmen grundsätzlich daran nicht teil, weil wir das nicht mit unserem Standesauftrag für vereinbar halten.“ Dann habe ich das Gefühl, dass dort etwas verwechselt wird.

Deshalb habe ich der hessischen Ärztekammer und auch der Bundesärztekammer immer sehr deutlich geschrieben, was ich davon halte. Der Bundesinnenminister hat mir ausdrücklich zugestimmt. Man ist nicht weitergekommen, und dann gab es die Arbeitsgruppe. Die Arbeitsgruppe hat einen Bericht erstellt. Der hat in der Innenministerkonferenz keine Zustimmung erfahren. Daraufhin haben zwei Länder gesagt: Dann machen wir das einmal auf unsere Kappe.– Es mag Gründe geben,warum das gerade Nordrhein-Westfalen und – aus meiner Kenntnis – Brandenburg sind. Jetzt schauen Sie sich einmal die Far

benlehre in der Bundesrepublik Deutschland an. Da sind noch 14 ganz unterschiedliche Länder, die sich wie wir verhalten.

Ich möchte für mich schon in Anspruch nehmen, einmal ein Wort über diejenigen sagen zu dürfen, die das tagtäglich bearbeiten. Das ist mir wichtig.

Herr Kollege Kaufmann hat einmal als Kreisbeigeordneter Verantwortung getragen.

(Jürgen Frömmrich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Das machen wir im Petitionsausschuss übrigens auch! Das wollte ich nur einmal feststellen!)

Natürlich ist das so. Ich rede jetzt aber von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Verwaltung. All die Menschen, die in den Ausländerbehörden sitzen, quälen sich doch auch angesichts dieser Situation. Sie erledigen ihre Arbeit sorgfältig. Ich hätte es gern, dass in einer solchen Debatte nicht der Eindruck stehen bleibt, dort würden nur, um abschieben zu können, also wegen finsterer Motive, menschlich schwerwiegende und häufig sehr bedrückende Entscheidungen getroffen.

Wer das alles nicht will, der muss das Ausländerrecht gänzlich verändern. Eines wird es jedenfalls unter meiner Verantwortung in Hessen nicht geben. Wir werden auf pauschale Behauptungen hin und ohne Prüfung des Einzelfalles kein Aufenthaltsrecht geben.Wer sich darauf beruft, dass es im jeweiligen Zielland die gesundheitliche Betreuung nicht in der Form gibt, wie sie in der Bundesrepublik Deutschland vorhanden ist, der wird, auf welchem Weg auch immer, in Hessen kein Aufenthaltsrecht erhalten.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Meine Damen und Herren, Sie mögen mir das als meine letzten Sätze dieser Rede und als persönliche Bemerkung abnehmen. Ich muss am Schluss unterschreiben. Ich quäle mich damit. Denn ich sehe die Problematik sehr genau. Die Menschen schicken mir Bilder von ihren Kindern. Oder Sie schicken mir Zeichnungen ihrer Kinder.Manche stehen auch vor dem Tor und fragen:Warum trifft es uns? – Da kann von einer fröhlichen Diskussion keine Rede sein. Ich muss dann diesen Menschen in die Augen sehen und muss ihnen sagen:Ja,es gibt kein Aufenthaltsrecht für Sie. – Das macht mir keinen Spaß.Aber noch viel weniger könnte ich es verantworten, wenn nach Gefühl und Wellenschlag oder danach entschieden würde, wer die lauteste Lobby hat, und wenn das Gesetz und das Recht, wie wir es nun einmal haben, nicht mehr vollzogen würden. – Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Als nächste Rednerin hat sich Frau Abg.Waschke von der SPD-Fraktion zu Wort gemeldet.

Sehr geehrte Frau Präsidentin,meine Damen und Herren, sehr geehrter Herr Minister! Ich möchte noch auf zwei Punkte eingehen. Zum einen möchte ich noch etwas zu der mehrfach erwähnten Frist von sechs Monaten sagen, während der vorgebracht werden muss, dass diese Krankheit besteht.

Ich glaube, Sie wissen genauso gut wie ich, dass die Forschungen zur posttraumatischen Belastungsstörung in den letzten Jahren intensiviert wurden. Jetzt liegen auch Ergebnisse vor.

Ich habe das in meiner Rede schon einmal gesagt.Ich sage es gerne erneut. Bei einer posttraumatischen Belastungsstörung ist es typisch, dass sie verspätet vorgebracht wird. Das sagt der Begriff schon aus.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Typisch bei dieser Krankheit ist, dass man die schrecklichen Erlebnisse, die man hat, bis zum dem Moment verdrängt, ab dem der Druck so groß ist, dass es einfach nicht mehr anders geht. So lautet die Einschätzung aller Fachleute,die sich mit posttraumatischen Belastungsstörungen beschäftigt haben. Das wollte ich dazu sagen.

Zweitens geht es um die gesundheitliche Betreuung in dem Land, in das die Leute wieder abgeschoben werden. Es ist unbestritten, dass in diesen Ländern das Niveau der gesundheitlichen Versorgung nicht dasselbe sein kann wie bei uns in Deutschland. Das bestreitet niemand. Ganz bestimmt muss aber in diesem Verfahren gewürdigt werden, ob es überhaupt die Möglichkeit der Betreuung der Menschen in ihren Heimatländern gibt. Gibt es dort die Möglichkeit, ihnen die Behandlung angedeihen zu lassen, die sie brauchen? Sind die Menschen dort versichert? Wie weit müssen sie fahren, bis sie das nächste Gesundheitszentrum erreichen? Können sie eine Behandlung finanzieren? Das sind ganz wichtige Punkte,die geklärt werden müssen.

Ich habe es vorhin schon einmal gesagt:In den Gutachten, die z. B. in Nordrhein-Westfalen gefertigt werden, ist das ein wesentlicher Bestandteil. Diese Fragestellungen werden dort mit einbezogen. Das wird dort gewürdigt. Ich glaube, so heißt das in Juristendeutsch.

Das ist der Vorteil bei dieser Form des Umgangs damit. Die Ärzte, die mit diesem Gutachten befasst sind, können sich da verantwortlich einbringen. Das ist in Hessen nicht der Fall. Deswegen hat die Landesärztekammer Hessen auch so reagiert, wie sie es getan hat.

Zum Schluss meiner Rede möchte ich noch sagen,dass ich es sehr schade gefunden habe, dass Sie mit keinem Wort darauf eingegangen sind, warum Hessen das Verfahren damals verschärfen wollte.

(Beifall bei der SPD)

Als nächster Redner spricht Herr Abg. Frömmrich für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

(Zuruf:Warme Luft!)

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Bouffier, ich fand, dass die Debatte bisher sehr ausgewogen und sehr fachlich geführt wurde. Ich habe mich dann schon gewundert, dass Sie von hier vorne aus vorgetragen haben, dass es Leute anderer Fraktionen gäbe,die mit den Fällen beschäftigt sind und die erreichen wollen, dass gar nicht mehr rückgeführt wird. Sie sagten, diese Leute wollten dieses ganze Verfahren nicht mehr haben und würden solche Vorträge in den Petitionen zum Anlass nehmen, das Ganze möglichst lang herauszuschie

ben. Bevor das gesagt wurde, fand ich, war die Debatte sehr sachlich.

Ich finde,man kann das auch sehr sachlich diskutieren.Ich nehme Ihnen auch ab, dass Ihnen das auch sehr viel ausmacht, dass Sie mit der Fülle der einzelnen Schicksale betraut sind. Ich finde, wir sollten dann aber, wenn wir eine solche Diskussion führen, einmal auf die einzelnen Fälle eingehen. Herr Kollege Dr. Jürgens hat hier zwei Einzelfälle ganz klar geschildert. Dann haben Sie sich hierhin gestellt – auch Frau Kollegin Kühne-Hörmann hat das getan – und damit argumentiert, dass es eine Zunahme der Fälle gebe.

Ich finde, in dieser Diskussion sollte man doch ehrlich sein.Vielleicht kann man diese Argumente einfach einmal zur Kenntnis nehmen. Jetzt, also zu dem Zeitpunkt, zu dem die Rückführungen ins ehemalige Jugoslawien zunehmen, werden die Menschen, die im Heimatland traumatisiert wurden, damit unmittelbar konfrontiert. Dann bricht die Krankheit aus. Dann bedarf sie der Behandlung.

Damit lässt sich auch der Zeitpunkt begründen, zu dem das vorgetragen wird. Deswegen wird das im Verfahren so spät vorgetragen. Deswegen sind sie so oft im Asylverfahren nicht in der Lage gewesen, ihre Störung vorzutragen.