Nicht mehr? – Dann darf ich Sie in die Mittagspause entlassen. Ich berufe den Landtag für 14 Uhr wieder ein.
Ich eröffne die Sitzung wieder und teile Ihnen mit, dass zum Tagesordnungspunkt 14 b noch eingegangen und bereits verteilt ist: ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD, Drucks. 16/3415, zum Gesetzentwurf der Landesregierung für ein Finanzausgleichsänderungsgesetz 2005, Drucks. 16/3345 zu Drucks. 16/3194 und zu Drucks. 16/2700.
Entschließungsantrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN betreffend schlechtes Jahr 2004 für Hessen in der Verantwortung von Roland Koch – Drucks. 16/3315 –
Die vereinbarte Redezeit beträgt 15 Minuten je Fraktion. Das Wort hat der Kollege Al-Wazir, Vorsitzender der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir befinden uns in der letzten Plenarwoche des Jahres 2004. Das ist für meine Fraktion Anlass, einmal zurückzublicken, wie das Jahr 2004 in der Politik des Landes Hessen für die Bürgerinnen und Bürger des Landes Hessen unter der Verantwortung dieser Landesregierung und dieses Ministerpräsidenten zu bewerten ist.
Wir können uns noch gut an die „Visionen 2015“ erinnern, die in der Regierungserklärung dargestellt worden sind. Ich werde mich nicht mit Visionen 2015, sondern mit der Realität 2004 befassen, denn dieses Jahr 2004 war ein schlechtes Jahr für Hessen.
Im September 2003, anlässlich der Vorstellung der „Operation düstere Zukunft“, hat der Ministerpräsident den Eindruck erweckt, er wolle sich wieder mehr um Hessen kümmern. Schon damals haben wir die Frage gestellt, was er eigentlich vorher gemacht hat.
Scherzhaft haben wir dann gesagt, das könnte vielleicht auch als eine Drohung verstanden werden. Meine Damen und Herren, genau so ist es gekommen.
Im Jahr 2004 wollten Sie angeblich mit der „Operation düstere Zukunft“ 1 Milliarde c sparen.Es ist genau so gekommen, wie wir es gesagt haben: Die Einmaleffekte sind realisiert, d. h. das Vermögen des Landes ist geringer geworden. Ein Weiteres ist genau so gekommen, wie wir es vorausgesagt haben: Diejenigen, die Ihnen ideologisch noch nie in den Kram gepasst haben, kämpfen um ihr Überleben oder haben teilweise bereits zugemacht: Frauenhäuser, Schuldnerberatungsstellen, Erziehungsberatungsstellen und andere Einrichtungen, die Mittel des Landes erhalten haben. Im Zweifelsfalle haben sie diese Mittel auch deshalb erhalten, weil viel ehrenamtliches Engagement dabei war. Ich habe Ihre hehren Worte von der Förderung des ehrenamtlichen Engagements noch im Ohr.
Das, was Ihnen ideologisch noch nie gepasst hat, wurde gekürzt, auf null gesetzt oder tot gemacht.Aber Ihren ideologischen Freunden geht es besser als je zuvor.
Die Unverfrorenheit, mit der die CDU-Klientel weiter bedient wird, ist schon atemberaubend. Meine Damen und Herren, es ist atemberaubend, wenn man sich die Streichung von Zuschüssen für Bereiche anschaut, die Ihnen noch nie gepasst haben, und sie den immer weiter steigenden Zuschüssen z. B. an den Landesverband der Vertriebenen oder dem immer noch im Haushalt zu findenden Zuschuss an Ihre Not leidenden Freunde vom Frankfurter Pferderennklub gegenüberstellt,
oder der Tatsache, dass Sie immer noch der Meinung sind, für 13 Millionen c ein Schloss im Odenwald kaufen zu müssen.
Herr Boddenberg, wissen Sie, ich habe in den Haushaltsanträgen für das Jahr 2005 auch noch einen Vermerk gefunden, wonach Sie jetzt nicht nur das Schloss kaufen, sondern auch noch quasi eine Schlossbetriebsgesellschaft gründen wollen. Ich frage Sie: Haben wir in Hessen im Jahre 2004 keine anderen Probleme?
Meine Damen und Herren,in dieser Landespolitik geht es nach dem Muster – und das hat sich sogar noch verstärkt –: Von anderen, vornehmlich der Bundespolitik, wird gefordert, gefordert, gefordert. Die werden für alles verantwortlich gemacht, wenn man die eigenen Aufgaben nicht erledigt und gleichzeitig der Wille und die Kraft dieser Landesregierung und ihres Ministerpräsidenten nur mehr für die Klientelbedienung der eigenen Leute ausreichen.
Das zentrale Thema dieses Jahres ist die Frage: Wie sieht es eigentlich auf dem Arbeitsmarkt aus? Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, das war für Hessen noch nie so traurig wie im Jahr 2004. Denn bis auf zwei, drei Ausnahmen haben wir jeden Monat – –
Ja, dann kommt wieder dieser schlaue Zwischenruf „Dank Rot-Grün!“ aus den Reihen der CDU-Fraktion. Sehr verehrter Herr Kollege Wintermeyer, die Bundesrepublik besteht aus 16 Bundesländern.
Das Land Hessen aber war Monat für Monat das Bundesland mit dem höchsten Zuwachs an Arbeitslosigkeit, im Vergleich mit allen anderen Bundesländern; und alle anderen Bundesländer gehören ebenfalls der Bundesrepublik Deutschland an. Sparen Sie sich daher diese dümmlichen Zwischenrufe „Dank Rot-Grün!“
Ich sage Ihnen, dieser Zuwachs der Erwerbslosenquote in Hessen ist umso bitterer, als Hessen nach wie vor zu den wirtschaftsstärksten Bundesländern in Deutschland gehört. Ich kann mich noch gut erinnern: Als wir einmal überproportional sinkende Erwerbslosenzahlen hatten, verging kein Monat, ohne dass aus der Staatskanzlei die Presseerklärung kam: „Hessen Spitze dank Roland Koch“. Jetzt, da es bergab geht, kommen nur noch das Lamento und der Fingerzeig auf die anderen.
Nein, meine Damen und Herren, das glaubt Ihnen niemand mehr, und wenn Sie ehrlich sind, glauben Sie das nicht einmal mehr selbst.
Den wahrscheinlich krönenden Abschluss dieses Jahres 2004 haben wir gestern Abend erlebt. Das hat es wahrscheinlich auch noch nie in der Geschichte des Landes Hessen gegeben: Um 17.45 Uhr werden ein paar Anträge auf die Tische gelegt, 13 an der Zahl. Darüber steht ganz unschuldig: „Änderungsanträge Nachtragshaushalt“. Zählt man die Beträge dort zusammen, dann kommt man darauf, dass der Finanzminister mal so eben 144 Millionen c neuer Schulden machen möchte.
Meine Damen und Herren, dazu macht dieser Finanzminister noch nicht einmal mehr eine Presseerklärung. Das wird einfach so gemacht. Ich nehme an, von Ihnen hat es kaum einer gelesen.Trotzdem haben Sie alle zugestimmt.
Was wir in diesem Land derzeit erleben, das ist wirklich eine Politik auf die Kosten nachfolgender Generationen.
Wir sind im Jahr 2004 inzwischen genau wieder bei den 1,8 Milliarden c Nettoneuverschuldung, bei denen wir auch schon im Jahr 2003 waren. Das ist das Ergebnis Ihrer Politik. Das Problem ist, dass Sie selber dazu beitragen, dass Sie diese Probleme haben, weil Sie die Politikverweigerung im Bundesrat, wo Sie seit Jahren die im gesamtstaatlichen Interesse liegende Stabilisierung der Steuereinnahmen verhindern, immer weitermachen. Der Ministerpräsident ist jetzt gerade in Berlin. Es kommt der nächste Vermittlungsausschuss. Er wird wieder dafür sorgen, dass kein Geld in die Kasse kommt. Dann stellt sich der Finanzminister wieder mit dem traurigen Seehundblick hin und sagt: Die Ausgaben haben wir im Griff, nur mit den Einnahmen haperts. – Meine Damen und Herren, nein, so kann man keine verantwortungsvolle Politik machen.
Ich möchte das an dem Beispiel der Eigenheimzulage deutlich machen. Wenn Sie weiterhin der Meinung sind, dass das Land Hessen in der letzten Phase, wenn man sie streichen würde, auf 260 Millionen c Einnahmen verzichten kann, dann sagen Sie das hier so deutlich. Dann sagen Sie aber nicht mehr, Sie hätten ein Problem mit den Einnahmen. Wir brauchen eine Stabilisierung der Staatseinnahmen, weil wir mit der Staatsverschuldung nicht so weitermachen können und weil wir auch Aufgaben zu erledigen haben. Zu diesen Aufgaben möchte ich jetzt kommen.
Im Rückblick. Sie haben als Allererstes 1.000 Lehrerstellen gestrichen und damit ein Drittel der von Ihnen selbst so hoch gerühmten 3.000 Lehrerstellen aus der letzten Legislaturperiode wieder einkassiert. Das heißt auch, dass Sie das Wahlversprechen der Unterrichtsgarantie, das Sie wie eine Monstranz vor sich hergetragen haben, massiv brechen. Wenn Sie mir das nicht glauben, dann gehen Sie einmal in irgendeine Schulaula, sagen Sie das Wort „Unterrichtsgarantie“, und warten Sie auf das Gelächter,
Auch bei der Frage, was eigentlich inhaltlich in der Schule gemacht werden müsste – wir haben große Aufgaben, die wir zu erledigen hätten –, haben Sie das genaue Gegenteil von dem gemacht, was nötig wäre. Sie haben ein Schulgesetz verabschiedet, das notwendige individuelle Förderung nicht macht, sondern das zu immer weiterem Abstufen und Aussortieren führt und damit genau das Gegenteil von dem macht, was nach PISA notwendig gewesen wäre.
Sie sind in keiner Weise auf die Kritikpunkte eingegangen. Es hat Sie in keiner Weise interessiert, dass innerhalb kürzester Zeit 74.000 Unterschriften gegen Ihr Schulgesetz eingegangen sind. Es macht Sie noch nicht einmal nachdenklich, dass in der Zwischenzeit eher konservative Bereiche – Stichwort: Philologenverband, berufliche Erziehung und Ähnliche – auch sagen, so gehe es mit der CDU-Bildung nicht weiter.
Herr Boddenberg, nein, noch nicht einmal das macht Sie nachdenklich. Die Kultusministerin und der Ministerpräsident stellen sich weiter hin und sagen: Zwei und zwei sind fünf.– Ich sage Ihnen:Wenn die Kultusministerin und der Ministerpräsident so lernschwach sind, dann müssen uns die Ergebnisse der PISA-Studie nicht überraschen – leider, meine Damen und Herren.
In einem einzigen Punkt ist im Jahr 2004 bei der CDU Bemerkenswertes passiert,und zwar in ihrem Programm.Sie sind jetzt bei der Frage der Vereinbarkeit von Familie und Beruf und der Kinderbetreuung ungefähr im Jahr 1990 angekommen – immerhin, meine Damen und Herren. Sie haben gesagt, dass Kinderbetreuung nicht von Übel sei. Ich beglückwünsche Sie zu diesem Parteitagsbeschluss.