Protocol of the Session on May 8, 2003

Wir wollen mit unserem Antrag erreichen, dass Hessen nicht der weiße Fleck auf der Landkarte innovativer Behindertenpolitik bleibt. Wenn die Landesregierung ihrer Verantwortung nicht gerecht wird, muss es eben dieser Landtag tun. Er muss sagen, auch Hessen reiht sich in die Reihe derer ein, die eine neue Behindertenpolitik wollen,

die auf dem Weg zu mehr Chancengleichheit und Gleichberechtigung vorangehen wollen.

Allerdings habe ich auch da wenig Hoffnung, wenn ich mir den Antrag der CDU-Mehrheit anschaue. Sie wollen offenbar weiterhin, dass Hessen behindertenpolitisches Niemandsland bleibt. Sie kritisieren die Landesregierung nicht für ihre Untätigkeit, sondern Sie sagen sogar noch: Weiter so!

Natürlich wird alles das, was hier beredet und beschlossen wird, von den behinderten Menschen in diesem Lande sehr aufmerksam wahrgenommen.

Heute, spätestens morgen wird das hier Besprochene im Internet nachzulesen sein. Ich kann nur sagen: Jeder blamiert sich eben so gut, wie er kann.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

In diesem Sinne,meine Damen und Herren von der CDU, ist Ihr Antrag allerdings eine Spitzenleistung.

Ich kann nicht auf alle Aspekte unseres Antrags eingehen, sondern möchte einige wenige herausgreifen.

Erstens. Behinderung ist nicht nur ein Thema der Sozialpolitik, sondern auch ein Bürger- und Menschenrechtsthema.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Die an sich selbstverständliche Zuerkennung ungeteilter Grundrechte wird leider immer noch von vielen infrage gestellt. Deshalb soll sich nach unserem Dafürhalten der Landtag ausdrücklich dazu bekennen. An anderer Stelle wird zu bewerten sein, dass die CDU dies mit ihrem Antrag offensichtlich nicht will.

Wir sind der Auffassung, dass ein Benachteiligungsverbot in die Hessische Verfassung übernommen werden soll. Aus Respekt vor der Überarbeitung, die wir an anderer Stelle beantragen werden, und der Enquetekommission, die wir dazu einrichten wollen, übernehmen wir den Änderungsantrag der FDP-Fraktion. Wir sind mit der Überprüfung im Rahmen der Gesamtüberarbeitung der Hessischen Verfassung einverstanden.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,der SPD und der FDP)

Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Chancengleichheit für Menschen mit Behinderung. Diese kann keine rein formale sein, sondern man muss die Besonderheiten beim Zugang zu den gesellschaftlichen Ressourcen berücksichtigen. Barrieren unterschiedlicher Art verhindern bis heute oft eine gleichberechtigte Teilhabe. Sicherlich kann nicht von heute auf morgen beseitigt werden, was in Jahrhunderten an Barrieren errichtet wurde.Jedenfalls sollten wir uns dazu bekennen, dass wir bei allen jetzt beginnenden Vorhaben darauf achten, dass sie möglichst barrierefrei gestaltet werden.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Ein selbst bestimmtes Leben für Menschen mit Behinderung habe ich schon als wichtigen Grundsatz erwähnt.Dabei ist natürlich klar, dass man ein selbst bestimmtes Leben niemandem schenken kann. Alle Menschen, behinderte wie nicht behinderte, müssen ihr Selbstbestimmungsrecht selbst wahrnehmen. Das tun auch immer mehr Behinderte in diesem Land, ohne auf Entscheidun

gen von Parlamenten oder wem auch immer zu warten. Natürlich können andererseits der Staat, die Gesetzgebung, die Verwaltung und die Rechtsprechung die Selbstbestimmung entweder fördern, behindern oder sogar verhindern.

Wir wollen die Anerkennung des Selbstbestimmungsrechts behinderter Menschen ausdrücklich festgelegt haben, und zwar unabhängig von Art und Schwere der Behinderung. Das ist keineswegs selbstverständlich. Der Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt, Herr Böhmer, hat bei der Eröffnungsveranstaltung des Europäischen Jahres der Menschen mit Behinderung in Magdeburg einen Eklat verursacht, als er geistig behinderten Menschen das Recht und die Fähigkeit zur Selbstbestimmung absprechen wollte. Ich sage ganz deutlich: Selbstbestimmung gilt auch für Menschen mit so genannter geistiger Behinderung.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vom 1. bis 4. Mai dieses Jahres fand in Kassel eine internationale Tagung des Netzwerks „People first“ von Menschen mit so genannter geistiger Behinderung statt, die von sich selbst allerdings lieber als Menschen mit Lernschwierigkeiten reden.

Zu Beginn dieser Tagung gab es einen Bericht einer Vertreterin der „People first“-Bewegung aus den USA, die dort inzwischen eine ganze Reihe von Gruppen so genannter geistig behinderter Menschen organisiert hat. Sie erzählte von ihrer eigenen Geschichte.

Sie habe immer versucht, sich dem Tempo und dem Vorbild nicht behinderter Menschen anzupassen. Daran sei sie selbstverständlich gescheitert. Erst als sie ihre eigenen Träume und Ziele gefunden habe, habe sie mit ihren Einschränkungen zu leben gelernt. Heute gibt sie diese Fähigkeiten an andere Menschen mit so genannter geistiger Behinderung weiter.

Dann sagte Sie – das zitiere ich aus einer Pressemitteilung –:

Eine Ärztin hat mir einmal gesagt, ich würde nie eine Vorbild- und Führungsrolle für andere Menschen übernehmen können. Sie hatte Unrecht. So haben viele Unrecht, die uns einreden, dass wir nichts können, und uns klein machen wollen.

Ich finde, wir sollten niemandem einreden, dass er nichts kann und dass er sich klein machen soll. Deswegen sind wir für das ungeteilte Selbstbestimmungsrecht aller.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Dass die CDU auch hierzu in ihrem Antrag nichts zu sagen hat, fällt auf sie zurück. Immerhin hat die Landesregierung versprochen, ein Gleichstellungsgesetz für behinderte Menschen vorzulegen – endlich, könnte man sagen. Wir haben lange genug darauf gewartet, dass sie sich dazu bekennt.

(Petra Fuhrmann (SPD): Zu dem sie verpflichtet ist!)

Frau Ministerin Lautenschläger, Sie haben kürzlich aus Anlass des 5.Mai,des Internationalen Protesttages behinderter Menschen, einen hohen Anspruch formuliert, der mit diesem Gesetz umgesetzt werden soll. Sie haben gesagt,jeder Mensch mit Behinderung solle so leben können wie Menschen ohne Behinderung. Das konnte man Ihrer Pressemitteilung entnehmen. Das ist ein hoher Anspruch.

Ich bin gespannt,ob Sie sich bei dem Vorhaben gegen Ihre Ministerkollegen durchsetzen können. Frau Wolff müsste dann den gemeinsamen Unterricht von behinderten und nicht behinderten Kindern zulassen. Gleiches Recht für alle. Nach der IGLU-Studie wäre das ohnehin angezeigt. Vorhin haben wir das diskutiert. Von ihr wird das aber eher bekämpft.

Herr Rhiel müsste den bisherigen Widerstand seines Ministeriums gegen die Einführung verbindlicher Vorgaben für die Barrierefreiheit im öffentlichen Personenverkehr aufgeben und den Grundsatz der Barrierefreiheit in die Bauordnung aufnehmen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Herr Bouffier müsste den Einsatz von Gebärdesprachdolmetschern beim Umgang gehörloser Menschen mit Landes- und Kommunalbehörden – wie es auf Bundesebene mittlerweile geregelt ist – ermöglichen. Ich bin gespannt, wie diese Debatte ausgehen wird.

Es fällt auf, dass bisher weder die Ministerin noch die CDU in ihrem Antrag, der das Vorhaben unterstützt, etwas dazu sagt, was eigentlich nach ihren Vorstellungen Inhalt eines solchen Gesetzes sein soll. Das Entscheidende wird natürlich sein, was drinsteht. Sie haben die Abstimmung mit anderen Bundesländern angekündigt. Das lässt befürchten, dass Sie nur das machen wollen, was der kleinste gemeinsame Nenner ist. Möglicherweise ist Hessen dann hinten. Ich lasse mich gerne eines Besseren belehren.

(Uwe Brückmann (CDU): Gucken Sie es sich einmal an!)

Herr Jürgens, kommen Sie bitte zum Ende Ihrer Rede.

Sie wollen einen Geheimbeschluss von uns verlangen, weil Sie den Bericht der interministeriellen Arbeitsgruppe zur Grundlage machen, der bisher nur einigen, aber nicht dem Landtag bekannt ist. Dem Landtag soll zugemutet werden, ein Papier als Grundlage der Gesetzgebung zu bestätigen, das er gar nicht kennt. Stattdessen sollte der Landtag mit dem heutigen Beschluss die Grundlage für eine Gleichstellungspolitik zugunsten behinderter Menschen in dieser Wahlperiode legen. Deswegen bitte ich um Zustimmung zu unserem Antrag. – Vielen Dank.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Als nächster Redner hat Herr Abg. Gerling für die CDUFraktion das Wort.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Dr. Jürgens, um eines klar festzustellen: Bei dieser Landesregierung und bei der CDU-Landtagsfraktion hat die Behindertenpolitik höchste Priorität. In den letzten Jahren haben wir viel erreicht. Das mag Ihnen viel

leicht nicht zur Kenntnis gegeben worden sein. Diesen erfolgreichen Weg wollen wir weitergehen.

Ich werde einige Beispiele nennen,in denen Hessen vorne ist. Heute steht ein Entschließungsantrag von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zur Behindertenpolitik im Europäischen Jahr der Menschen mit Behinderung zur Debatte. Er umfasst einige Forderungen und Punkte, die bereits berücksichtigt sind, andere bedürfen noch einer intensiven Beratung, insbesondere mit den betroffenen Fachverbänden, bevor wir sie beschließen.

Einig sind wir uns, dass die Intention des Europäischen Jahres der Menschen mit Behinderung 2003 eine Chance ist, auf die Belange behinderter Menschen in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union,so auch in Deutschland, aufmerksam zu machen.

Allein in Hessen sind 525.000 Menschen von Schwerbehinderung betroffen. Das europäische Kampagnejahr wurde ausgerufen, um für den Schutz vor Diskriminierung und für die Rechte von Menschen mit Behinderung zu sensibilisieren.

Dieses Kampagnejahr – so sagen die Experten – lebt vor allem von der Initiative der Selbsthilfegruppen und Verbände, damit die vielen Widerstände, denen Behinderte in unserer Gesellschaft immer noch begegnen,abgebaut und überwunden werden.

Meine Damen und Herren, uns allen ist bekannt, dass einige Veranstaltungen von Behindertenverbänden geplant sind und auch Aktionen durchgeführt werden. Und das ist gut so.

Der Aussage des VdK-Präsidenten Walter Hirrlinger ist zuzustimmen, dass vom Jahre 2003 Impulse für die kommenden Jahre ausgehen sollen, damit die volle Teilnahme und Teilhabe für Menschen mit Behinderungen umgesetzt werden können. Er warnt aber gleichzeitig davor, dass sich nicht wiederholen darf, was im Jahre 1981 beim Internationalen Jahr für Menschen mit Behinderung geschehen ist. Damals haben wir ein Kampagnejahr mit Veranstaltungen gefüllt. Danach war jedoch Sendepause.

Meine Damen und Herren, das wollen wir nicht. Deshalb nutzt es nach Meinung der CDU-Landtagsfraktion nichts, wenn man Kampagnen inszeniert, die schnell verpuffen, aber für die Belange der Behinderten wenig bringen und eine Menge Geld kosten, das man an anderer Stelle besser und sinnvoller einsetzen könnte.

Wir sind der Auffassung, dass es richtig ist, dass die Landesregierung auf eigene Kampagnen verzichtet und stattdessen ihre erfolgreiche Politik für behinderte Menschen fortsetzt. Nach unserer Auffassung ist es entscheidend, dass die hessische Behindertenpolitik auf Kontinuität und Weiterentwicklung ausgerichtet ist, die sich immer an den Bedürfnissen der betroffenen Menschen orientiert.

Meine Damen und Herren, zuletzt war die hessische Behindertenpolitik von zwei Schwerpunkten bestimmt, zum einen durch die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit schwerbehinderter Menschen – Herr Dr. Jürgens, dazu haben Sie z. B. nichts gesagt –, zum anderen durch die Überprüfung der Landesgesetzgebung auf ihre Übereinstimmung mit dem Benachteiligungsverbot, das seit dem Jahre 1994 Bestandteil des Grundgesetzes ist. Beide Projekte sind sehr erfolgreich verlaufen. Hessen liegt an der Spitze beim Abbau der Arbeitslosigkeit Schwerbehinderter.

Der zweite Schwerpunkt der hessischen Behindertenpolitik wurde mit einem wahren Kraftakt geschultert. Herr