Protocol of the Session on October 7, 2004

Der Gesetzentwurf wird zur Vorbereitung der zweiten Lesung dem Sozialpolitischen Ausschuss überwiesen. – Das ist Konsens. Damit ist dieser Punkt erledigt.

Meine Damen und Herren, wir sind am Ende der Vormittagssitzung. Ich berufe die Fortsetzung dieser Sitzung für 14 Uhr ein. – Alles Gute.

(Unterbrechung von 12.53 bis 14.02 Uhr)

Meine Damen, meine Herren! Wir setzen die unterbrochene Plenarsitzung fort. Vereinbarungsgemäß rufe ich die Tagesordnungspunkte 31, 32 und 33 auf. Bevor ich das tue, möchte ich Ihnen bekannt geben, dass in der Mittagspause auf Ihren Plätzen die Publikation über das Symposium aus Anlass des 150. Todestages von Georg Moller ausgelegt worden ist.Sie ist in der Reihe hessischer Schriften zum Föderalismus und des Parlamentarismus als Nr. 10 erschienen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 31 auf:

Beschlussempfehlung und Bericht des Europaausschusses zu dem Antrag der Fraktion der CDU betreffend notwendige Überarbeitung des Entwurfs der Verordnung für die Registrierung, Bewertung und Zulassung chemischer Stoffe – Drucks. 16/2528 zu Drucks. 16/2217 –

Berichterstatter ist Herr Abg. Lenz. – Auf Berichterstattung wird verzichtet.

Tagesordnungspunkt 32:

Beschlussempfehlung und Bericht des Europaausschusses zu dem Antrag der Fraktion der SPD betreffend EUChemikalienpolitik – Drucks. 16/2529 zu Drucks. 16/2345 –

Auch hier wird auf Berichterstattung verzichtet.

Ich rufe weiter Tagesordnungspunkt 33 auf:

Beschlussempfehlung und Bericht des Europaausschusses zu dem Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN betreffend Ökologie und Verbraucherschutz zu einer innovativen und wettbewerbsfähigen EU-Chemikalienpolitik – Drucks. 16/2530 zu Drucks. 16/2406 –

Auch hier wird auf Berichterstattung verzichtet. – Die Fraktionen haben vereinbart, dass diese drei Beschlussempfehlungen mit zehn Minuten Redezeit besprochen werden. Als erster Redner hat sich Herr Dr. Lennert für die CDU-Fraktion zu Wort gemeldet.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Keine andere bedeutende Branche in Europa ist bereits heute so stark reguliert wie die chemische Industrie.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Dabei ist das Europaprogramm zur Registrierung, Bewertung,Zulassung und Beschränkung chemischer Stoffe, mit Abkürzung REACH, nicht berücksichtigt. Nahezu alles wird von Brüssel jetzt schon geregelt.Das betrifft nicht nur die großen chemischen Unternehmen, sondern das geht über die kleinen und mittleren Unternehmen bis hin zur chemischen Reinigung.

Zunächst bezogen sich die Regulierungen mehr auf Einträge in die Luft, das Wasser und den Boden sowie auf die Sicherheit der Chemieanlagen. Dann kamen Arbeits

schutzaspekte und Regulierungen hinzu, die auf einen sparsamen Umgang mit den knappen Ressourcen hinwirken sollen. In den letzten zehn Jahren sind es zunehmend stoff- und produktbezogene Regelungen, die zu beachten sind. Die Unternehmen der chemischen Industrie unterliegen heute über 500 Umweltregulierungen, rund ein Drittel davon betreffen chemische Stoffe. Darunter sind die EU-Altstoffverordnung, die Notifizierungs- und Prüfpflichten für neue Stoffe, Spezialvorschriften sowie Richtlinien für Arzneimittel, für Kosmetika, für Biozide, für Pflanzenschutzmittel, für Düngemittel, Lebensmittel, Bedarfsgegenstände und vieles mehr.

Über die gesetzlichen Vorgaben hinaus haben die chemischen Unternehmen sowohl national als auch international eine Reihe von Eigeninitiativen mit dem Ziel ergriffen, die Sicherheit ihrer Stoffe zu überprüfen und zu verbessern. Zum Beispiel wurde 1988 das deutsche Prüfprogramm für Altstoffe in Kooperation mit der Bundesregierung gestartet. Das Programm verlief außerordentlich erfolgreich, wesentlich erfolgreicher als die seit 1993 geltende EU-Altstoffverordnung. Die Ergebnisse wurden auch in Englisch veröffentlicht, sodass sie grundsätzlich europaweit verwertbar sind.

Programme für die Beurteilung der möglichen Wirkung von Hormonen und hormonähnlichen Stoffen auf den Menschen und die Umwelt sowie die Risikobewertung von Waschmittelinhaltsstoffen wurden dargelegt. Viele Stoffe werden bereits seit Jahrzehnten produziert, vermarktet und von uns allen verwendet. Die chemischen Unternehmen haben in dieser langen Zeit vielfältige Erfahrungen mit dem Umgang mit diesen Stoffen gesammelt und die Sicherheitsmaßnahmen Schritt für Schritt auf den heutigen hohen Stand gebracht. Die Zahlen der Berufsgenossenschaften belegen, dass die chemiespezifischen Arbeitsunfälle auf historischem Tiefstand sind und die Anzeigen auf Verdacht einer Berufskrankheit seit Jahren zurückgehen.

In der Bevölkerung sind die Ursachen für die Zunahme bestimmter Krankheiten wie Krebs oder Allergien nicht etwa Industriechemikalien. Es handelt sich vielmehr zum großen Teil um Alterskrebs, der bei steigender Lebenserwartung natürlich zunimmt, und Krebsarten, die nachweislich mit dem Rauchen, ungesunder Ernährung, Infektionen und erhöhtem Alkoholgenuss zusammenhängen. Internationale Studien erhärten einen positiven Zusammenhang zwischen Wohlstand, übertriebener Hygiene und der Zunahme von Allergien.

(Christel Hoffmann (SPD): Wir müssen wieder dreckig werden!)

Vor diesem Hintergrund wird klar, wir haben ein sehr hohes Niveau erreicht.Mit REACH wird es kaum einen großen Sprung nach vorne beim Schutz von Umwelt und Gesundheit geben. Die Möglichkeit, von Chemikalien ausgehende Risiken noch weiter zu reduzieren, ist begrenzt. REACH ist jedoch eine Chance für die europäische Chemieindustrie,ihre Wettbewerbsfähigkeit und Innovationskraft im internationalen Vergleich zu stärken.Anstelle einer Vielzahl von komplizierten und nicht aufeinander abgestimmten stoff- und chemikalienbezogenen EU-Regelungen könnte ein konsistentes Regelwerk für Chemikalien entstehen – könnte. Insbesondere müsste das ineffiziente, innovationshemmende Verfahren zur Zulassung neuer Stoffe verbessert werden. Das neue System könnte auch dem Verbraucher klarmachen, dass der Umgang mit Chemikalien sicher ist. Das wäre für das Geschäft in Europa nicht schlecht.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Der Verordnungsvorschlag der Europäischen Kommission vom 29. Oktober 2003 war diesbezüglich allerdings eine Enttäuschung.

(Beifall des Abg. Frank Gotthardt (CDU))

Die Chance, ein wirklich neues, fortschrittliches und flexibles Chemikalienrecht zu schaffen, wurde verpasst. Das ist schade. Das vorgesehene System aus Registrierung, Bewertung und Zulassung ist viel zu bürokratisch, zu komplex und zu aufwendig. Mit REACH wird ein über 20 Jahre altes Konzept, das sich in der Praxis nicht bewährt hat, im Prinzip weitergeführt und auch auf die Altstoffverordnung ausgedehnt.

(Ursula Hammann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Das stimmt doch gar nicht!)

Die Prüfanforderungen richten sich weiterhin in erster Linie danach, in welcher Menge ein Stoff produziert oder importiert wird und ob er gefährliche Eigenschaften hat. Entscheidend dafür, ob ein Risiko für Mensch oder Umwelt existiert, ist aber die Exposition, d. h. die Höhe, Art und Dauer der Belastung, der Mensch und Umwelt tatsächlich ausgesetzt sind. Gefährliche Eigenschaften an sich ergeben noch kein Risiko.

Ein weiterer Kritikpunkt ist für uns, dass die Chance, ein einheitliches konsistentes Regelwerk zu schaffen, nicht genutzt wurde. Die Vielzahl bereits bestehender chemikalienrechtlicher Regelungen wird nach dem Kommissionsvorschlag neben REACH weiter Bestand haben.

Hieraus ergeben sich zwangsläufig Doppelregelungen und Widersprüche. Wenn der Verordnungsvorschlag so verabschiedet werden wird, wird REACH gravierend negative Auswirkungen auf die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Chemieunternehmen und der gesamten Industrie haben.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Eine Reihe von Studien, die es in verschiedenen Mitgliedstaaten der Europäischen Union dazu gegeben hat, hat das bestätigt. Die Ergebnisse sind alarmierend. Insbesondere in den vielen kleinen und mittleren Unternehmen wird der zeitliche,personelle und finanzielle Aufwand,der erforderlich sein wird, um die wesentlichen Anforderungen, die sich aus der Verordnung ergeben, zu erfüllen, nur in begrenztem Umfang oder gar nicht geleistet werden können. Es ist deutlich geworden, dass die Mehrzahl der Unternehmen eine fachliche Beurteilung der Produkte in der von REACH geforderten Detailtiefe und in dem geforderten Umfang insbesondere wegen der dabei entstehenden Kosten nicht gewährleisten kann. Hier muss sachgerecht nachgearbeitet werden. Dabei sind Broschüren wie die, die Bundesumweltminister Trittin verbreitet, wenig hilfreich. Ja, sie sind sogar für unser Land schädlich.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU – Widerspruch der Abg. Ursula Hammann und Martin Häusling (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Darin wird eine Schlüsselindustrie unseres Landes insgesamt als von Katastrophen geschüttelt diffamiert. Die Mitarbeiter der chemischen Industrie sind zu Recht besonders darüber empört, dass der Minister in seinen Verlautbarungen sogar so weit gegangen ist, der chemischen Industrie Großversuche an Menschen zu unterstellen. Herr Trittin sollte sich für diese Entgleisung entschuldigen. Denn die Beschäftigten der chemischen Industrie sind keine Hasardeure, die mit dem Leben ihrer Mitbür

ger und ihrem eigenen Leben spielen. Sie haben es nicht verdient, dass man so mit ihnen umgeht.

(Beifall bei der CDU)

Meine Ausführungen haben deutlich gemacht, dass es in den nächsten 20 Jahren in der chemischen Industrie und der gesamten Industrielandschaft Europas zu erheblichen Verwerfungen kommen würde, wenn REACH so in Kraft gesetzt würde, wie es bisher von der Kommission vorgeschlagen wurde. Das wird natürlich insbesondere da spürbar werden, wo die chemische Industrie eine große Bedeutung hat. In Deutschland sind das Nordrhein-Westfalen, Hessen, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt. Wir werden dadurch neue so genannte strukturschwache Regionen erhalten. Nicht nur ehemalige Regionen des Bergbaus und der Stahlindustrie, wie das Ruhrgebiet, werden dann nach Subventionen rufen. Vielmehr werden dann auch Regionen, in denen es ehemals die chemische Industrie gab, nach Subventionen rufen. Kann das politisch gewollt sein? Wir sagen dazu Nein. Noch ist es Zeit, die Weichen für eine neue Chemikalienpolitik richtig zu stellen. Der Antrag der CDU-Fraktion zielt darauf ab.Wir bitten um Ihre Unterstützung. – Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU)

Als nächste Rednerin spricht Frau Abg. Hoffmann für die SPD-Fraktion.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Wir diskutieren über die Neuordnung des Chemikalienrechts in der Europäischen Union. Herr Kollege Dr. Lennert hat darauf hingewiesen, dass seit Oktober letzten Jahres dazu ein Verordnungsentwurf vorliegt. Es handelt sich dabei um den zweiten Verordnungsentwurf, der auf ein Weißbuch folgt. Zurzeit läuft ein Modifikations- und Verbesserungsprozess zu diesem Verordnungsentwurf.Wir fordern die Landesregierung auf, sich endlich aktiv in diesen Prozess einzubringen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Dieser Entwurf enthält eines der komplexesten Gesetzeswerke der europäischen Umweltpolitik. Der Entwurf soll später ca. 40 alte Verordnungen ersetzen.

Ich möchte noch einmal betonen: Alle in der europäischen Chemikalienpolitik sind sich in der Zielsetzung einig. Es geht um einen vorsorgenden Umwelt- und Verbraucherschutz, der gleichzeitig den ökonomischen Erfolg und die Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit der chemischen Industrie unterstützen soll.

Ich möchte nun in aller Kürze den Unterschied zwischen der derzeitigen Genehmigungspraxis im Chemikalienrecht und der beabsichtigten Art der Chemikalienzulassung skizzieren. Dabei möchte ich besonders den Gedanken der Vorsorge herausarbeiten, der in der neuen Regelung niedergelegt ist.

Zunächst möchte ich auf die alte Rechtslage zu sprechen kommen. Es besteht kein Zweifel darüber, dass die Altstoffverordnung der Europäischen Union gescheitert ist. An ihr gab es auch heftige Kritik vonseiten der Unternehmen. Mittlerweile sind sehr viele Altstoffe nach den neu geltenden Regelungen der Europäischen Union auf

ihre Gefährlichkeit untersucht worden. Aber da klaffen noch erhebliche Lücken. Außerdem muss immer noch von der Behörde der Nachweis erbracht werden, dass ein Stoff ein besonderes Risiko darstellt. Ich möchte in diesem Zusammenhang an die Diskussion erinnern, die vor einigen Jahren in der gesamten Europäischen Union in der Öffentlichkeit über die Frage der Anwendung von Tributylzinn geführt wurde. Jeder, der das mitverfolgt hat, kennt diese lang andauernden und quälenden Prozesse.

Lediglich neue Stoffe unterliegen einem Anmeldeverfahren. Dieses ist von der jährlich produzierten Menge abhängig. Auch beim Import müssen abhängig von der Menge verschiedene Angaben gemacht werden.

Diese ungleiche Behandlung alter und neuer Stoffe führte gerade in der Europäischen Union zu einem heftigen Streit.Herr Kollege Dr.Lennert,da können Sie doch nicht sagen: Das war doch alles schön und wunderbar.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Nun möchte ich auf die neue Regelung zu sprechen kommen, das so genannte REACH-System. Demnächst werden alle Stoffe mit bestimmten Grunddaten angemeldet werden müssen. Ab einer Produktion von 10 t pro Jahr steigen dann noch einmal die Anforderungen. Dies geschieht mit Blick auf die Risiken für Mensch und Umwelt.