Protocol of the Session on October 7, 2004

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Zu Beginn dieser Aktuellen Stunde ist ein Vorwurf erhoben worden, den ich für meine Fraktion – auch wenn er sich nicht unmittelbar an uns gerichtet hat – so nicht stehen lassen kann.

(Zuruf der Abg. Evelin Schönhut-Keil (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Frau Ypsilanti, Sie haben gesagt, dass diejenigen, die über Arbeitnehmerrechte und Deregulierungen am Arbeitsmarkt diskutieren, kein Interesse am sozialen Frieden haben. – Meine Damen und Herren, ich weise diesen Vorwurf mit Nachdruck zurück.

(Beifall bei der FDP)

Sozialer Friede und soziale Gerechtigkeit setzen voraus, dass es wirtschaftlichen Wohlstand gibt. Wirtschaftlichen Wohlstand aber erzielen wir dann, wenn wir die Gesellschaft und die Wirtschaft in die Lage versetzen, mehr Arbeitsplätze zu schaffen. Ihr Arbeitsrecht schafft aber keine Arbeitsplätze, es vernichtet Arbeitsplätze.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU)

Meine Damen und Herren, deswegen sage ich an Ihre Adresse: Frau Ypsilanti, ich nehme Ihr Engagement ernst. Aber ich halte es für fatal, diese Auseinandersetzung in der Art und Weise zu führen. Derjenige, der für mehr Arbeit sorgt – und eine Novellierung des Kündigungsschutz

rechtes würde dazu führen –, bereitet soziale Politik überhaupt erst einmal vor.Die beste Sozialpolitik ist die,deren Fundament eine gute Wirtschaftspolitik ist.

(Beifall bei der FDP)

Deswegen geht es beim Kündigungsschutz darum, deutlich zu machen, was erreicht wird, wenn wir hier Veränderungen vornehmen. Es geht eben nicht um einen Angriff auf Arbeitnehmerrechte in pauschaler Art, sondern darum, zu fragen, was der Gesetzgeber tun kann, um die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen.

(Ruth Wagner (Darmstadt) (FDP): So ist es!)

Meine Damen und Herren, das Kündigungsschutzrecht der jetzigen Art schützt den Arbeitsplatzinhaber, aber es erschwert es dem Arbeitsplatzsuchenden, einen Arbeitsplatz zu finden.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU)

Meine Damen und Herren, ich sage auch Folgendes: Wenn wir Arbeitsplatzsuchenden helfen können, dann müssen individuelle Schutzrechte zurücktreten, damit wieder mehr Menschen in Arbeit kommen. Das ist die politische Aussage.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU)

Ich glaube, wir sind uns einig, dass wir uns gegenwärtig in einer wirtschaftlichen Situation befinden, die durchaus mit der Situation im Nachkriegsdeutschland vergleichbar ist – wenngleich die Parameter andere sind.Aber die Probleme, die zu lösen sind, sind den damaligen ähnlich.

Da kann man sich auch einmal daran erinnern, was das Wirtschaftswunder bewirkt hat. Das Wirtschaftswunder ist durch Arbeiten, durch viel Arbeiten bewirkt worden – und nicht durch ausgeweitete und ausgedehnte Mitbestimmungs- und Kündigungsschutzrechte.

(Beifall bei der FDP)

Ich darf einmal an das erinnern, was Herr Müntefering vor wenigen Tagen gesagt hat. Er hat einen sehr schönen, plakativen Satz formuliert und gesagt: Wir brauchen Unternehmer und keine Unterlasser.

(Beifall bei der FDP)

Meine Damen und Herren, er hat Recht.Aber bei diesem Satz muss man auch sagen, dass Politik eine Bringschuld hat, nämlich Regelungen und Gesetze abzuschaffen, die Unternehmer daran hindern, etwas zu unternehmen. Das Kündigungsschutzgesetz ist genau ein solches Gesetz, das Unternehmer daran hindert, neue Arbeitsplätze zu schaffen.

(Beifall bei der FDP)

Meine Damen und Herren, ich sage das deswegen, weil auch über die Größenordnung diskutiert wird – ob das 20 oder 50 Beschäftigte sein sollen. Meine Damen und Herren, darüber lässt sich trefflich streiten. Entscheidend ist, dass wir die kleineren und mittleren Unternehmen in die Lage versetzen, wieder Arbeitsplätze zu schaffen.

Wenn ich unterwegs bin und mit Handwerksbetrieben spreche, dann höre ich, gerade das Argument des Kündigungsschutzes ist sehr entscheidend. Die Unternehmen flüchten in einer solchen Situation, in der wir uns jetzt befinden, in Überstunden, anstatt Neuanstellungen vorzu

nehmen. Der Grund dafür ist das Instrumentarium, das ich eben genannt habe.

Meine Damen und Herren, die FDP – das darf ich an dieser Stelle Franz Josef Jung sagen – freut sich sehr, dass Sie auf den Marsch gegangen sind,Vorstellungen der FDP zu übernehmen.

(Beifall bei der FDP)

Denn ich erinnere mich sehr gut: Es ist noch keine zwei Jahre her, lieber Franz Josef Jung, dass die CDU/FDPLandesregierung auf Betreiben der FDP einmal versucht hat, eine Bundesratsinitiative zur Lockerung des Kündigungsschutzes einzubringen. Damals hat mir die Union gesagt: Das ist mit uns nicht machbar. – Herzlichen Dank, dass der Meinungsbildungsprozess in der Union so weit fortgeschritten ist.

(Beifall bei der FDP)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, in diesem Zusammenhang habe ich auch mit Interesse zur Kenntnis genommen, was Franz Josef Jung eben zur Gesundheitspolitik gesagt hat. Ich sage nur:A la bonne heure. Ich wünsche gute Verrichtung. Angenehme Verhandlungen mit Herrn Stoiber.

Meine Damen und Herren, daran wird deutlich: Ohne Liberale wird die Union eine solche Politik nicht umsetzen können. Insofern herzlichen Dank dafür und viel Erfolg. – Danke schön.

(Beifall bei der FDP – Jörg-Uwe Hahn (FDP): Gemeinsam sind wir stark!)

Vielen Dank. – Das Wort hat die Sozialministerin, Frau Staatsministerin Lautenschläger.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Das Spannende an der Debatte ist, dass wir von SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN keinen einzigen Vorschlag gehört haben, wie in Deutschland wieder Arbeitsplätze geschaffen beziehungsweise gehalten werden können. Das ist die entscheidende Kernfrage,wenn wir über 5 Millionen Arbeitslose in unserem Land diskutieren. Ich will Ihnen sehr deutlich sagen, es geht nicht darum, dass Sie heute schon vorbeugen und sagen, wie Sie mit 1-c-Jobs Leute aus der Statistik bringen, weil Sie wissen, dass im Januar die Arbeitslosigkeit höchstwahrscheinlich noch weiter ansteigt. Es ist nämlich an dieser Stelle Ihr Problem, dass Sie keinerlei Lösungen für die Schaffung der Rahmenbedingungen haben, die in Deutschland notwendig sind. Frau Ypsilanti, das sollten Sie sich als SPD anschauen, denn sozial ist noch immer das, was Arbeit schafft.

(Beifall bei der CDU)

Es wäre natürlich auch ganz spannend, wenn Sie sich einmal damit auseinander setzen würden, was der Sachverständigenrat der Bundesregierung zu all diesen Themen gesagt hat. Er weist genau darauf hin, dass je strenger der Kündigungsschutz, desto höher der Anteil an Langzeitarbeitslosen ist.

(Norbert Schmitt (SPD):Was für ein Quatsch!)

Ich will mit einem von Ihnen gern gepflegten Vorurteil – oder besser gesagt: Sie versuchen, es weiter zu verbreiten – aufräumen. Es geht nicht darum, den Kündigungsschutz für bestehende Arbeitsverhältnisse aufzuheben. Genau dort wird keinerlei Änderung vorgeschlagen. Es geht darum, wieder neue Einstellungen zu ermöglichen, Menschen wieder in Arbeit zu bringen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Genau das ist das Thema,das auch Kollege Posch eben angesprochen hat, wenn wir mit Handwerkern vor Ort besprechen, wo die Hemmnisse tatsächlich sind, wo wir flexible Gestaltungsmöglichkeiten brauchen. Herr Kollege Posch, nur eine Anmerkung. Im Bundesrat hatten wir bereits das Arbeitsrechtsmodernisierungsgesetz, das davon eine ganze Menge aufgenommen hat, das mit dem Land Hessen verabschiedet und von der Bundesregierung leider nicht umgesetzt wurde.In der Zielsetzung sind wir uns einig.

Ich frage in Richtung SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN:Wie wird es mit dem Industriestandort Deutschland weitergehen, wie es Kollege Jung angesprochen hat? Nehmen wir die Pharmaindustrie: Wollen Sie weiter die Arbeitsplätze aus Deutschland vertreiben oder endlich die Rahmenbedingungen schaffen, dass auch diese Industrie bei uns eine Zukunft hat?

(Beifall bei der CDU)

Warum diskutieren wir über die Frage der Krankenversicherung, über die Gesundheitsprämie? Doch nur darum, um neue Arbeitsplätze in Deutschland zu schaffen.

(Zuruf von der SPD: Das ist doch Quatsch!)

Wo ist Ihr Lösungskonzept, wie wir den Gesundheitsbereich, der im Übrigen gerade in einer alternden Gesellschaft ein ganz wichtiger Punkt ist, wieder zum Wachstumsmarkt machen, um Arbeitsplätze nicht nur im Pharmabereich, sondern im gesamten Gesundheitsbereich zu haben? Wo sind die Senkungen der Lohnnebenkosten, über die Sie diskutieren? Die Bürgerversicherung verhindert jegliche weitere Impulse am Arbeitsmarkt und wird gerade nichts in diesem Bereich bringen.

Aber ich will Ihnen ein letztes Beispiel nennen. Ich frage mich schon, ob Sie mit uns über Arbeitsplätze, über Zukunftsfähigkeit von Deutschland diskutieren wollen oder sich weiter mit dem Abbau abfinden und den Dienstleistungssektor inzwischen komplett abgeschrieben haben. Was machen Sie in der Frage der Mitbestimmung,wenn es um die neue EU-Richtlinie geht, die Fusionsrichtlinie, in der das Recht in dem Staat gelten soll, in dem das Unternehmen seinen Sitz haben wird? Wenn das Mitbestimmungsrecht von Deutschland in der EU nicht übernommen wird, wie die Bundesregierung schon signalisiert hat und dieser Richtlinie trotzdem zustimmen wird, es aber bei uns belässt, wie es ist, ist das ein weiterer Faktor, wie Sie bei Fusionen Arbeitsplätze aus Deutschland vertreiben, den Sitz von Unternehmen nicht hier halten, sondern dafür sorgen, dass die Abwanderungstendenzen noch größer werden.

(Beifall des Abg. Dr. Franz Josef Jung (Rheingau) (CDU))

Sie müssen sich fragen lassen, was Sie unternehmen, damit wir wieder Arbeit bekommen. Mit Hartz IV – auch das dürfte Ihnen bekannt sein – geht es um bessere Vermittlung und die Zusammenführung von Systemen, aber gerade nicht um die Schaffung neuer Arbeitsplätze. Sie

lehnen sich zurück und sagen, wir brauchten nichts mehr zu machen, und schauen weiter zu, wie Sie Industrie vertreiben beziehungsweise warten ab.So bleibt die hohe Arbeitslosigkeit. Dazu sage ich Ihnen: Dann können Sie dieses Buch zumachen, denn 1-c-Jobs und 15-Stunden-Beschäftigungen sind keine echten Arbeitsverhältnisse.

Unterstützen Sie uns, wenn wir um die Aktivierung eines Niedriglohnsektors, der über der heutigen 400-c-Regelung liegt,kämpfen.Unterstützen Sie uns,wenn wir darum kämpfen, dass die Pharmaindustrie, das Gesundheitswesen und all diese Zweige wieder Zukunftschancen in Deutschland haben. Die grüne Gentechnik könnte man noch anführen, eine ganze Latte von Bereichen, wo Sie Arbeitsplätze vertreiben und nichts für neue Arbeitsplätze tun. Es gehört eben dazu, die Rahmenbedingungen zu verändern. Ihre Bundesregierung ist gefordert. Sie müssen endlich handeln und Vorschläge machen. Die Union macht das. Sie hat sie im Bundesrat eingebracht und wird sie auch weiterverfolgen,

(Zurufe von dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)