Protocol of the Session on October 6, 2004

Vielleicht sollten wir die im Detail auch noch in der Geschäftsordnung näher regeln, damit wir damit umgehen können.

Meine Damen und Herren, ich habe mich gemeldet, weil ich auf zwei Punkte aus der Rede der Ministerin nochmals eingehen wollte.

(Zuruf des Abg.Volker Hoff (CDU))

Zum einen haben Sie mir vorgeworfen, ich sei nicht genügend auf die Gemeinsamkeiten, die zwischen uns bestehen,eingegangen.Meine Damen und Herren,ich habe am Anfang überhaupt nichts anderes gemacht,als auf die Gemeinsamkeiten zwischen Ihnen, Frau Sozialministerin, und mir einzugehen. Das einzig Verwunderliche war, wie Ihre eigene Fraktion zu diesem Zeitpunkt hier herumgetobt hat. Das heißt doch, Ihre eigene Fraktion versteht gar nicht, was Sie uns hier als Paradigmenwechsel in der Familienpolitik erzählen. Das war heute Morgen der Beweis dafür.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Zweiter Punkt. Sie haben mir vorgeworfen, ich hätte gesagt,die Geburtenrate in Hessen hätte etwas mit Ihrer Politik zu tun.Vermutlich hat sie das.Aber ich habe es nicht gesagt, weil ich der Meinung bin, dass man in fünf oder sechs Jahren nicht durch Politik Einfluss auf die Geburtenrate nehmen kann. Man kann einiges dafür tun, dass sich die Perspektive ändert. Ich werfe Ihnen vor, dafür zu wenig zu tun.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Petra Fuhrmann (SPD))

Meine Damen und Herren, ich möchte klarstellen, dass die Geburtenrate in Deutschland zu niedrig ist – und zwar nicht nur in Hessen, sondern in der gesamten Bundesre

publik –, was das Ergebnis einer konservativen verstockten Frauen- und Familienpolitik ist.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Lachen bei der CDU)

Für diese Familienpolitik sind sowohl schwarze als auch schwarz-gelbe Landesregierungen seit Jahrzehnten in diesem Land verantwortlich. Das habe ich vorhin gesagt. Frau Ministerin, statt darauf einzugehen, flüchten Sie sich auf die Bundesebene. Unser Antrag heißt „Umsetzung des TAG in Hessen“. Darüber haben wir geredet. Sie haben wieder die übliche Lyrik wiederholt, die ich Ihnen schon am Anfang vorgeworfen habe.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, Frau Ministerin, die absolute Härte war, dass Sie den Vorwurf des Kollegen Reißer aufgegriffen haben. Ich denke, dass Sie eigentlich sonst besser auf solche Debatten vorbereitet sind. Uns vorzuwerfen, wir würden, wenn wir über Familienpolitik reden, nur über Kinderbetreuung reden – dann haben Sie die letzte Plenarsitzung offensichtlich voll verschlafen. Da hatten wir nämlich einen Antrag, der „Vereinbarkeit von Beruf und Familie“ hieß. In dieser ganzen Debatte hat die Kinderbetreuung zwar mitgespielt, war aber nicht der wesentliche Punkt der Auseinandersetzung, sondern das war genau das, worüber wir reden. Kinderbetreuung ist ein Teil.

Meine Damen und Herren, wir brauchen auch Arbeitsplätze, die es Frauen und Männern ermöglichen, Familienleben und berufliche Tätigkeit miteinander zu vereinbaren. Wir brauchen nicht nur Kommunen, die Betreuungsplätze anbieten, sondern wir brauchen auch kinderund familienfreundliche Kommunen, wo sich Familien wohl fühlen, günstig einkaufen können, wo sie in einem Umfeld leben,das es ihnen überhaupt ermöglicht,die Vereinbarkeit von Erwerbstätigkeit und Familie zu erreichen. Darum geht es.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Heute reden wir über die Kinderbetreuung und die Chancen, die die Landesregierung durch die Ablehnung dieses TAG auf Bundesebene vergeben hat. Wir hätten alle Chancen,die Kinderbetreuung in den nächsten Jahren zügig auszubauen.Aber wir sollten hier verhindern, dass wir aus rein parteitaktischen Gründen oder – wie sich heute Morgen wieder gezeigt hat – aufgrund eines konservativen Frauen- und Familienbildes in dieser Frage nicht weiterkommen. Für die demographische Entwicklung dieses Landes wäre das eine Katastrophe. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Meine Damen und Herren,es liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Ich darf feststellen, dass damit die Aussprache über den Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN betreffend kleine Kinder – große Zukunft – Umsetzung des Tagesbetreuungsausbaugesetzes in Hessen und über den Dringlichen Antrag der Fraktion der CDU betreffend Tagesbetreuung in Hessen auf gutem Weg beendet ist.

Beide Anträge sollen zur weiteren Beratung an den Sozialpolitischen Ausschuss überwiesen werden.– Dem wird nicht widersprochen. Dann können wir so verfahren.

Die Tagesordnung sieht vor, dass wir den Tagesordnungspunkt 2 aufrufen:

Erste Lesung des Gesetzentwurfs der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN für ein Gesetz zur Einrichtung einer Härtefallkommission (Härtefallkommissionsgesetz HFKG) – Drucks. 16/2687 –

in verbundener Debatte mit Tagesordnungspunkt 28:

Dringlicher Antrag der Fraktion der SPD betreffend Einrichtung einer Härtefallkommission – Drucks. 16/2658 –

Tagesordnungspunkt 38:

Antrag der Fraktion der FDP betreffend Gestaltungsmöglichkeiten des Zuwanderungsgesetzes bei Härtefällen nutzen – Drucks. 16/2688 –

Tagesordnungspunkt 39:

Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN betreffend Abschiebestopp für Härtefälle – Drucks. 16/2689 –

Tagesordnungspunkt 47:

Antrag der Fraktion der SPD betreffend Moratorium für Ausländerinnen und Ausländer mit langjährigem Aufenthalt in Hessen – Drucks. 16/2731 –

Jetzt wird mir ein

Änderungsantrag der Fraktionen der CDU und der FDP zu dem Antrag der FDP betreffend Gestaltungsmöglichkeiten des Zuwanderungsgesetzes bei Härtefällen nutzen – Drucks. 16/2760 –

gereicht, den ich gleichzeitig mit aufrufe.

Ich darf zuvor noch einen eingegangenen Dringlichen Antrag von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN betreffend Fortführung und Weiterentwicklung der KMK, Drucks. 16/2758 aufrufen. – Die Dringlichkeit wird bejaht, dann wird dieser Dringliche Antrag Tagesordnungspunkt 74 und könnte gemeinsam mit Punkt 49 aufgerufen werden.

Wir kommen nunmehr zu einer verbundenen Debatte zurück, die ich eben skizziert habe: erste Lesung des Gesetzentwurfs. Damit hat BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN auch das erste Rederecht. Herr Frömmrich, Sie haben das Wort. 15 Minuten Redezeit stehen zur Verfügung.

(Volker Hoff (CDU): Zur Sache bitte!)

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Am 01.01.2005 tritt ein neues Zuwanderungsgesetz in Kraft. Nach langer Diskussion mit langem Vermittlungsverfahren liegt nun ein vom Bundestag und Bundesrat beschlossenes Gesetz vor; ich betone: vom Bundestag und Bundesrat beschlossenes Gesetz. Dieses Gesetz eröffnet die Möglichkeit, auf gesicherter rechtlicher Grundlage in einem bestimmten Rahmen eine Einzelfallgerechtigkeit herzustellen. Hierzu können die Länder eine Härtefallkommission einrichten.

Die Einrichtung der Härtefallkommission ist in § 23a Aufenthaltsgesetz geregelt. Die oberste Landesbehörde darf anordnen,dass einem Ausländer,der vollziehbar ausreisepflichtig ist, abweichend von der in diesem Gesetz festge

legten Erteilungs- und Verlängerungsvoraussetzung zu einem Aufenthaltstitel eine Aufenthaltserlaubnis erteilt wird, wenn eine von der Landesregierung durch Rechtsverordnung eingerichtete Härtefallkommission darum ersucht. Dies ist natürlich nicht uneingeschränkt möglich. Vielmehr sind die Sicherung des Lebensunterhaltes bzw. die Verpflichtungserklärung zu berücksichtigen. Die Annahme eines Härtefalles scheidet aus,wenn der Ausländer Straftaten von erheblichem Gewicht begangen hat.

Meine Damen und Herren, § 23a Aufenthaltsgesetz ermächtigt die Landesregierung, eine solche Härtefallkommission durch Rechtsverordnung einzurichten. Die Landesregierung ist bis jetzt jedoch nicht tätig geworden, obwohl wir im Hessischen Landtag mehrfach über dieses Thema diskutiert haben und obwohl am 01.01.2005 dieses Gesetz in Kraft tritt.Deshalb legen wir Ihnen nunmehr einen eigenen Gesetzentwurf vor, der die Einrichtung einer Härtefallkommission regelt, wie wir sie für effektiv und im Sinne der Beteiligten für richtig halten. Dem Zuwanderungsgesetz haben Sie, meine Damen und Herren von der Union, im Bundesrat zugestimmt. Jetzt ist die Hessische Landesregierung, jetzt ist die CDU in Hessen am Zuge, den Widerstand gegen die Einrichtung der Härtefallkommission aufzugeben.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, worum geht es eigentlich? – Es geht um die Berücksichtigung dringender humanitärer oder persönlicher Härten. Es geht um Menschen, die schon lange in der Bundesrepublik Deutschland einen Aufenthalt haben. Es geht um Familien mit Kindern, um Kinder, die hier geboren wurden, die hier in den Kindergarten gegangen sind oder die hier noch zur Schule gehen, Kinder, die das Herkunftsland der Eltern nur aus Erzählungen oder überhaupt nicht kennen,die die Sprache des Herkunftslandes nicht sprechen, in das sie wieder zurückgeführt werden sollen. Das sind unserer Meinung nach Fälle, in denen es wirklich um humanitäre Härten geht, die geregelt werden sollen.

Es geht darum, Menschen einen legalen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland zu ermöglichen. In den allermeisten Fällen sind diese Menschen in der Bundesrepublik Deutschland gut integriert. Ich will es auf den Punkt bringen:In der Sache geht es um ein Stück Menschlichkeit.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Brigitte Hofmeyer (SPD))

Die Kolleginnen und Kollegen aus dem Petitionsausschuss wissen, wovon ich rede.Wir alle haben solche Fälle und können für diese Menschen zurzeit nichts oder nur wenig tun. Oft können wir den Betroffenen, deren Nachbarn oder deren Freunden wirklich nicht erklären, warum es erforderlich sein soll, dass eine Familie, die beispielsweise zu einem wichtigen Faktor in der Dorfgemeinschaft geworden ist, die Bundesrepublik Deutschland verlassen muss. Es handelt sich um Menschen, die arbeiten und sich sozial engagieren. Es handelt sich um Menschen, die anderen Menschen in der Bundesrepublik ans Herz gewachsen sind. Diese Menschen, die abgeschoben werden sollen, haben in ihrem Heimatland keine Bezugspunkte mehr. Sie haben dort keine Arbeit. Die Kinder, die mit ihnen ausreisen müssen, sprechen oft die Sprache des Landes nicht. Sie kennen das Land nicht. Sie werden in ein für sie vollkommen fremdes Land zurückgeführt.

Wir sind deshalb der Meinung, dass dringend Handlungsbedarf besteht. Da schreiben z. B. Schülerinnen und Schüler in einer Petition:

Wir sehen es als nicht gerechtfertigt an, unseren kurdischen Klassenkameraden in ein für ihn vollkommen fremdes Land auszuweisen, da er und seine Geschwister in Deutschland aufgewachsen sind und dieses Land als ihre Heimat betrachten.

Ein Karnevalsverein schreibt:

Mit Entsetzen haben wir in der vergangenen Woche die Information von der Abschiebung der kurdischen Familie zur Kenntnis genommen. Dieser Fall trifft gerade unser Vereinsleben im Ort ganz besonders, weil alle Kinder aktiv im Sport und in der Kultur engagiert sind.

Aufgrund des neuen Zuwanderungsgesetzes haben wir jetzt die Möglichkeit,diese oder ähnlich gelagerte Fälle zu entscheiden. Meine Damen und Herren, es liegt jetzt an Ihnen, zu handeln. Wir fordern Sie deswegen auf, sich nicht länger der Einrichtung einer Härtefallkommission zu verschließen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Wie sehen denn die Erfahrungen in den anderen Bundesländern mit der Härtefallkommission aus? NordrheinWestfalen hat eine Härtefallkommission. MecklenburgVorpommern, Berlin und Schleswig-Holstein, all diese Länder haben Härtefallkommissionen. Die Erfahrungen in diesen Ländern mit der Härtefallkommission sind durchweg positiv.