Protocol of the Session on September 14, 2004

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wer redet davon,wie verlässlich diese Ansprechpartner in der Schule sein müssen, wie verlässlich Kolleginnen und Kollegen gemeinsam am Schulprogramm arbeiten müssen und Teil des Kollegiums sein sollen?

Mit diesen vielfachen Abordnungen haben Sie das Problem – neben den halbjährigen BAT-Verträgen und solchen, die teilweise nur für Wochen gelten –, dass Sie ein Flickwerk von Kollegen an Schulen haben, die kein gewachsenes Kollegium mehr darstellen können, die nicht mehr feste,etablierte Ansprechpartner für die Kinder sein können, weil sie morgens zwei Stunden an dieser Schule unterrichten, dann drei Stunden an einer anderen Schule, in zwei Tagen vielleicht wieder kommen. Die Kinder haben damit keine Möglichkeit,sich an diese Lehrer zu wenden, wenn es Probleme gibt, und die Eltern ebenfalls nicht.

(Horst Klee (CDU): Horrormeldungen! – Zuruf des Abg. Hans-Jürgen Irmer (CDU))

Das sind keine Horrormeldungen, Herr Klee, das ist die Realität an hessischen Schulen. Dann reden Sie doch einmal mit ihnen.

(Lebhafter Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Auch dies hat nichts mit Bildungsqualität, mit Förderung oder mit einer verbesserten Unterrichtskultur zu tun. Deswegen ist das Thema Unterrichtsgarantie eine Schönfärberei. Ich befürchte auch, dass damit die Qualitätsverbesserung reine Schönfärberei und ein Wortgeklingel der Frau Ministerin bleibt. Denn auch die Erhöhung der Schülerzahlen um jährlich 0,3 % führt zu unerträglichen Situationen in Klassen, die nicht nur 33, sondern teilweise bis zu 35 Schülerinnen und Schüler haben. Die Förderstunden, die den Grundschulen laut Stundentafel zustehen, sind in die Lehrerzuweisung nicht eingerechnet. Hier wird kleinen Kindern wichtige Lernzeit genommen.

Außerdem haben wir verstärkten Leistungsdruck ohne die Einrichtung einer Förderkultur in den Schulen.Das ist das Hauptproblem von Qualitätsverbesserung.

Traurige Konsequenzen sehen wir in der Bilanz, nicht nur in der Bilanz der Unterrichtsgarantie, sondern auch in der nackten Bilanz der Schulversager und der steigenden Zahl von Sitzenbleibern.Wir hatten im Schuljahr 1996/97 16.926 Sitzenbleiber in Hessen. Das waren 25,9 % der Schülerinnen und Schüler. Dieses Jahr haben wir 22.805 Wiederholer. Das sind 33,9 %.

(Hans-Jürgen Irmer (CDU):Von was?)

Wiederholer auf 100 Schüler.– Das ist ein Riesensprung.

(Rafael Reißer (CDU): Mengenlehregeschädigt? – Mark Weinmeister (CDU): Das kann nicht stimmen!)

Pro 100 Schüler, habe ich gesagt. Lesen Sie es doch nach in der Statistik des Statistischen Landesamtes. 33,9 von 100 Schülerinnen und Schülern.

(Clemens Reif (CDU): Können Sie nicht Prozentrechnen?)

Wir geben im Jahr 110 Millionen € für das Sitzenbleiben aus.

(Clemens Reif (CDU): Ich will wissen, wie Sie auf diese Prozentzahl kommen! – Weitere Zurufe von der CDU)

Können Sie vielleicht ein bisschen – –

Meine Damen und Herren, bitte etwas mehr Ruhe, damit die Rednerin von allen verstanden werden kann.

(siehe Anlage 2: Erklärung zu Protokoll der Abg. Priska Hinz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Wir haben eine Steigerung um 8.000 Schülerinnen und Schüler pro Jahr und geben im Jahr 110 Millionen € für das Sitzenbleiben aus. Für diese 110 Millionen € könnten wir zwischen 2.500 und 2.800 Lehrerinnen und Lehrer einstellen, je nachdem, welche Besoldung Sie anlegen. Ich glaube – für meine Fraktion steht es fest –, dass wir besser daran täten, mit diesem Geld Lehrerinnen und Lehrer dafür zu bezahlen, dass sie die Kinder dann fördern, wenn die Defizite im Lernverhalten auftreten, statt das pädagogisch unsinnige Sitzenbleiben hier in Hessen weiter zu fördern, was Sie mit der Hessischen Landesregierung tun. Das zeigt die steigende Zahl der Sitzenbleiber.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Clemens Reif (CDU): Sagen Sie noch etwas zum Prozentrechnen!)

Wir haben eine zusätzliche Problematik der steigenden Zahl von Sonderschülern in Hessen. Inzwischen haben wir 25.927 Schülerinnen und Schüler, die im Jahr 2003 eine Sonderschule besuchten. Im Jahre 1997 waren es noch 20.505 Schülerinnen und Schüler. Das sind alles solche Schülerinnen und Schüler, Kinder und Jugendliche, die weitestgehend ohne Perspektiven die Schule verlassen, die ausgegrenzt werden, weil sie keine Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben.Wir haben zunehmend das Problem, dass Schülerinnen und Schüler von den allgemein

bildenden Schulen überwiesen werden, weil der Leistungsdruck steigt, aber sie nicht die Möglichkeit haben, Förderung zu betreiben. Das ist der eigentliche Punkt.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Wir brauchen mehr Förderung in den Schulen, damit die Kinder das Leistungsziel erreichen können. Sie müssen den OECD-Bildungsexperten Andreas Schleicher etwas ernster nehmen, Frau Wolff, anstatt das, was er bei der Vorstellung des Bildungsberichts gesagt hat, so abzutun. Er hat den verantwortlichen Politikern ins Stammbuch geschrieben – allen, nicht nur Ihnen, sondern auch uns –, dass das Potenzial junger Menschen in den Schulen nicht genutzt wird, sondern zu einem beträchtlichen Teil versandet.

Das ist der Unterschied z. B. zum skandinavischen System.Dort werden die Kinder mitgenommen.Dort werden sie nicht ausgegrenzt. Dort ist das Schulsystem so in die Verantwortung genommen, dass Lehrerinnen und Lehrer Kinder dann fördern, wenn Defizite auftauchen, dass sie sie in ihren Begabungen dann fördern, wenn die Begabungen festgestellt wurden. All dies findet bei uns in den Schulen noch nicht statt. Das hängt zum großen Teil damit zusammen, dass unsere Landesregierung zwar auf viele Vergleichsarbeiten und Tests setzt, aber nicht auf die Selbstständigkeit von Schulen, die ihre pädagogischen Wege selber finden, von der Stundentafel abweichen, auf das Sitzenbleiben verzichten und Personal selbst aussuchen zu können.Als System sollten sie an den Leistungen gemessen werden. Aber den Weg sollten sie frei haben. Diese Art von Selbstständigkeit ist den Schulen verwehrt und soll auch durch das neue Schulgesetz nicht eingeführt werden. Da bleibt bislang allein die Selbstständigkeit für das Geld, und das reicht nicht aus, um eine fortschrittliche Pädagogik zu begründen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Auch ein gut verstandenes Förderprogramm für den Ganztagsschulunterricht fehlt in Hessen. Natürlich sind Schulen mit pädagogischer Mittagsbetreuung ausgestattet worden.Aber das reicht bei weitem nicht aus.Wenn es darum geht, Kinder individuell zu fördern, dann müssen wir den Schulen die Möglichkeit geben, Ganztagsangebote zu schaffen,die den Namen verdienen,bei denen vertiefende Fördermaßnahmen möglich sind, bei denen am Nachmittag nachgearbeitet werden kann, was am Vormittag im Unterricht stattgefunden hat, bei denen am Nachmittag nicht nur Betreuung stattfindet,sondern eine Rhythmisierung des Unterrichts möglich ist,bei denen der Unterricht so ausgebaut werden kann, dass er fächerübergreifend stattfindet und nicht vormittags sechs Stunden unterrichtet werden und nachmittags noch Arbeitsgemeinschaften zur musischen Förderung angehängt werden. Nein, das muss anders miteinander verzahnt werden.

Vor allem brauchen die Schulen und die Schulträger ein Mehrjahresprogramm der Landesregierung, sodass sie Planungssicherheit haben, sowohl für Bauten als auch für die Ausstattung mit Personal.Auch hier hat die Landesregierung bislang nichts vorgelegt.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Frau Hinz, auch eine halbe Stunde Redezeit geht einmal zu Ende. Das ist jetzt der Fall. Ich bitte Sie, zum Schluss zu kommen.

Ein letzter Punkt – –

Nein, ein letzter Satz.

Ein letzter Satz, den ich ansprechen möchte,

(Heiterkeit)

ist, dass die Ministerin sich gerade bei der G-8-Schulzeitverkürzung in den letzten Tagen als Geisterfahrerin bewährt hat und so tut, als würde sie auf der Autobahn fahren und sich wundern, dass alle anderen ihr entgegenkämen.

(Zuruf des Abg. Hans-Jürgen Irmer (CDU))

Ich würde der Ministerin raten, die Bedenken, die überall vorgetragen werden, tatsächlich ernst zu nehmen, nach der Anhörung zum Schulgesetz Nachbesserungen auch tatsächlich vorzunehmen, damit die Schüler, die Eltern und Lehrer in einer neuen Art der Zusammenarbeit das Schulgesetz so ausfüllen können, dass Unterrichtsqualität möglich wird.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

:

Danke schön, Frau Hinz. – Herr Irmer, ich darf Ihnen für die Fraktion der CDU das Wort erteilen.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte mich in der gebotenen Kürze mit der gnädigen Frau von eben auseinander setzen, um einige wenige Stichworte aufzugreifen, die es in der Tat wert sind, erörtert zu werden.

Stichwort: BAT-Verträge. Liebe Frau Hinz, natürlich sind BAT-Verträge eine notwendige Maßnahme, um kurzfristige Vakanzen zu überbrücken. Das gehört zur Lebenswirklichkeit dazu, dafür sind sie doch letzten Endes geschaffen worden. Im Übrigen sind wir heute in der glücklichen Lage, BAT-Verträge vergeben zu können, weil diese Landesregierung bzw. die Mehrheit des Landtags die entsprechenden Mittel zur Verfügung gestellt hat. Das war zu Ihrer Zeit doch gar nicht möglich, deshalb konnten Sie diese Mittel doch gar nicht vergeben.

(Beifall bei der CDU)

Ich will es Ihnen gerne noch einmal erklären, weil Sie immer noch dem Irrtum unterliegen, die Zahl der Planstellen wäre in letzter Konsequenz entscheidend. Frau Hinz, wenn Sie gelegentlich zuhören, damit Sie es begreifen: Entscheidend ist die Zahl der Unterrichtsstunden, die gehalten werden. Ich stelle fest, dass in diesem Schuljahr

mehr Unterrichtsstunden gehalten werden als im letzten Schuljahr.

Sie haben ferner davon gesprochen, dass man kleinen Kindern durch entsprechende Maßnahmen eine Lernzeit nehme. Das – ich sage es ganz offen – ärgert mich schon. Als wir zusammen mit der FDP diese Regierung übernommen haben, gab es kein Bundesland, in dem Grundschulkinder weniger Unterricht hatten als in Hessen. Hessen war in Deutschland Schlusslicht. Das war das Ergebnis Ihrer Politik. Wir haben deshalb die Stundentafel in der Grundschule gemeinsam mit der FDP um fünf Jahreswochenstunden erhöht.

Ansonsten könnte man sagen: The same procedure as every year – die gleiche Geschichte wie jedes Jahr. – Eine seriöse Betrachtung von Ihrer Seite ist überhaupt nicht gewünscht. Ich habe mir deswegen bewusst einmal Ihre Presseerklärungen zu Gemüte geführt, die Sie in den letzten Jahren immer zu Beginn des Schuljahres veröffentlicht haben. Das zieht sich natürlich wie ein rot-grüner Faden durch, das sind keine Neuigkeiten.

1999 erklären Sie, Sie wollten die Unterrichtsgarantie auf den Prüfstand stellen.Am 01.08.2000 erklären Sie: Unterrichtsausfall ist vorprogrammiert. – Am 2. Mai 2001 – also wieder ein knappes Jahr später – erklären Sie erneut, die Unterrichtsgarantie sei gescheitert. Zwei Jahre später, am 28.08.2003: Die Unterrichtsabdeckung ist nur bei 95 %. – In diesem Jahr erklären Sie dann: Defizite bei der Lehrerversorgung, Chaos pur. – So sprach Priska, die chaospolitische Sprecherin der GRÜNEN.

(Kordula Schulz-Asche (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Da sehen Sie einmal, wie schlecht Ihre Regierung ist!)

Es ist doch nun wirklich nichts Neues, was Sie uns jedes Jahr erzählen.