Protocol of the Session on July 15, 2004

Es wäre wichtig, die Infrastruktur Hessens auszubauen und dabei „ganz nebenbei“ antizyklisch zu investieren. Wir sehen aber nur Einsparungen an den völlig falschen Orten,

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der SPD)

weniger Investitionen, gekürzte Mittel für den Straßenbau, d. h. noch schwerere Startbedingungen für den hessischen Mittelstand, insbesondere für die Bauwirtschaft.

Nummer eins auf der Prioritätenliste für die Zukunft Hessens müsste die Bildung sein. Wir erleben aber, dass der Hochschulpakt, den Frau Wagner erst vor kurzem geschlossen hat, von der jetzigen Landesregierung mutwillig gebrochen worden ist.

(Beifall bei der FDP – Dr. Franz Josef Jung (Rhein- gau) (CDU): Wir hatten noch nie so hohe Investitionen wie jetzt! Ist das an Ihnen vorbeigegangen?)

Wir erleben außerdem das gefährliche Drehen an der Gebührenschraube, Herr Kollege Jung, diesmal in Form von Langzeitstudiengebühren, die zudem weder in der erhofften Höhe eingehen werden – das ist schon eingeräumt worden – noch den Hochschulen zugute kommen.

Stabile Rahmenbedingungen für Hessen würden bedeuten: Hessen ist ein Hort der finanzpolitischen Stabilität, umgeben von seinen Nachbarländern und dem Bund, die allesamt auf steigende Schulden setzen. Leider ist auch in diesem Punkt die Leistung der Landesregierung nicht überzeugend. Einzelmaßnahmen ohne Konzept, Einsparungen ohne Nachhaltigkeit, Kürzungen ohne Aufgabenkritik, eine Verschuldung oberhalb der Verfassungsgrenze – all das schafft kein Vertrauen in das Bundesland Hessen.

(Beifall bei der FDP)

Fassen wir zusammen. Die Bundespolitik hat vollständig versagt, aber es reicht nicht aus, zu jammern. Hessen könnte und müsste die negativen Auswirkungen des Berliner Versagens mildern. Dafür fehlt dieser Landesregierung zumindest der Mut, vielleicht sogar der Wille.

(Beifall bei der FDP)

Vielen Dank. – Das Wort hat der Kollege Boddenberg für die CDU-Fraktion.

(Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Jetzt muss er an seinem Geburtstag doch wieder für alle reden! – Frank-Peter Kaufmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wir lassen Ihnen heute jeden Blödsinn durchgehen!)

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Kollege Frankenberger, mit einer Feststellung haben Sie Recht. Sie haben es zwar nicht so formuliert, aber Sie wollten sagen: Nach drei Jahren Stagnation in Deutschland hat natürlich auch der beste Dienstleistungsstandort der Republik Probleme auf dem Arbeitsmarkt. – Wir sind dabei, Ihnen viele gute Vorschläge zu unterbreiten, wie wir das auf Bundesebene umsetzen können, was Kollege von Hunnius hier eben vorgetragen hat.

Herr Kollege Frankenberger, mit der Interpretation von Statistiken ist das so eine Sache.Ich finde,man müsste alle Ergebnisse der Erhebungen vortragen. Man müsste dann z.B.vortragen,dass das Land Hessen nach wie vor im Vergleich der Bundesländer auf dem vierten Platz steht. Man könnte zwar einwenden, dass das nicht dem entspricht, was wir immer anstreben, nämlich einen Platz unter den ersten drei Ländern, aber wir liegen um nur 0,2 Prozentpunkte hinter Rheinland-Pfalz. Herr Dr. Jung, der Grund dafür ist vielleicht, dass in Rheinland-Pfalz die Weinlese früher stattgefunden hat als in Hessen. Wenn es das nicht sein sollte, dann wird es am Ende unsere Wirtschaftspolitik sein, die uns mindestens auf Platz drei hievt.

Zu den statistischen Ergebnissen gehört auch,dass in dem Zeitraum, seit wir die Regierungsverantwortung tragen – Herr von Hunnius, die CDU hat den Anteil der FDP am Erfolg in den ersten vier Jahren nie unerwähnt gelassen –, die Zahl der Erwerbstätigen in Hessen um sage und schreibe 80.000 angestiegen ist,während im gleichen Zeitraum der prozentuale Anstieg in der gesamten Bundesrepublik 0,5 % betrug. In einem vergleichbaren Zeitraum, nämlich zwischen 1991 und 1998, stieg die Zahl der Erwerbstätigen unter Ihrer Regierungsverantwortung nur um 600.Wer das nicht glaubt, der sollte sich bei denen erkundigen, die professionell Statistiken für die Bundesregierung und die Bundesländer erarbeiten.

Herr Frankenberger, Sie haben noch mehr Informationen weggelassen. Sie haben vergessen, zu sagen, dass Hessen beim realen Bruttoinlandsprodukt auf Rang eins steht: 62.000 c pro Jahr und Kopf der Bevölkerung. Sie haben vergessen, zu sagen, dass Hessen im Erfolgsindex der Bertelsmann-Stiftung auf Rang drei steht. Sie haben es versäumt, zu sagen, dass Hessen einer der besten Standorte für Innovationen ist und auch hier auf Rang drei steht. Sie haben nicht gesagt, dass Hessen den mit weitem Abstand höchsten Anteil an Beschäftigten hat, die im Bereich von Forschung und Entwicklung arbeiten, nämlich rund 100.000 sozialversicherungspflichtig Beschäftigte.

(Beifall des Abg. Dr. Franz Josef Jung (Rheingau) (CDU))

Sie haben vergessen, zu sagen, dass wir bei der Biotechnologie mittlerweile auf Rang drei stehen – eine Technologie, die Sie über Jahre hinweg aus dem Land getrieben haben.

(Beifall des Abg. Dr. Franz Josef Jung (Rheingau) (CDU))

Sie haben die Information weggelassen,dass wir die Nummer eins in Deutschland sind, was die Zahl der Beschäftigten in der pharmazeutischen Industrie anbelangt. Sie haben nicht gesagt, dass Hessen im Bereich der Telekommunikation auf Rang drei liegt. Ich weiß nicht recht, worüber Sie hier eigentlich gesprochen haben.

(Zurufe von der SPD)

Sie haben sich wahrscheinlich über die 0,2 Prozentpunkte ausgelassen, um die wir hinter Rheinland-Pfalz liegen. Sie haben es außerdem versäumt, zu sagen, dass Hessen das mittelstandsfreundlichste Land in Deutschland ist, dass Hessen in den letzten beiden Jahren die höchste Zahl an Gewerbeanmeldungen zu verzeichnen hatte. All das gehört ebenfalls zu den statistischen Ergebnissen.

(Beifall des Abg. Dr. Franz Josef Jung (Rheingau) (CDU))

Herr Kollege von Hunnius, Sie meinen, uns an unsere landespolitischen Hausaufgaben erinnern zu müssen. Sie wissen doch, was wir gemeinsam für die Verkehrsinfrastruktur auf den Weg gebracht haben. Ich erinnere Sie an Kassel-Calden, an die A 44 und an den Frankfurter Flughafen. All das sind deutliche Signale, die zeigen, dass in Hessen ein innovations- und investitionsfreundliches Klima herrscht.

Herr von Hunnius, Sie haben nicht erwähnt, dass wir im Bereich der Biotechnologie über neue Förderprogramme – z. B. Hessen-Invest-Bio-Start – und über das von uns gemeinsam entwickelte Biotechnologie-Zentrum in Frankfurt genau die Technologien fördern,die uns fit für die Zukunft machen.

Herr von Hunnius, Sie haben zu Recht davon gesprochen, dass uns der Bankenplatz Frankfurt Sorgen bereiten muss.An dieser Stelle gelten aber nun einmal in erster Linie internationale Wettbewerbskriterien. Wir alle wissen, worüber wir hier reden.Wir haben das gestern an anderer Stelle besprochen. Wir reden über mehr Flexibilität auf dem Arbeitsmarkt. Die Frage der Mitbestimmung muss thematisiert werden. Herr von Hunnius, an der Stelle treffen wir auf wenig Gegenliebe und Verständnis bei der rotgrünen Bundesregierung.

Herr Frankenberger, Sie haben mit Recht auf den Ausbildungsmarkt hingewiesen. Dazu sage ich sehr deutlich:Wir alle wissen, dass das eine der wichtigsten Aufgaben, wenn nicht sogar die wichtigste Aufgabe überhaupt ist, die wir gemeinsam mit der Wirtschaft zu erledigen haben. Man darf aber doch auch einmal feststellen, dass es einige positive Zwischenbilanzen gibt, die uns zwar nicht dazu veranlassen dürfen, in unseren Bemühungen nachzulassen, die uns aber erfreuen sollten.

Ich freue mich darüber, dass die Handwerkskammer Rhein-Main melden konnte, dass bis zum 30. Juni 11 % mehr Ausbildungsverträge im Vergleich zum Vorjahr geschlossen worden sind. Ich freue mich darüber, Frau Kollegin Ypsilanti, dass die IHKs 8 % mehr Ausbildungsverträge vermelden. Das ist zwar nur eine Zwischenbilanz, und Sie können einwenden, das sage noch gar nichts, aber es gibt offensichtlich Anzeigen dafür, dass die Wirtschaft verstanden hat,dass sie hier mehr leisten muss.Wir sollten daher ehrlich sein und auch einmal diejenigen loben, die sich bemühen, die Situation zu verbessern.

Herr Kollege Boddenberg, Sie haben heute einen Bonus, aber die Redezeit ist abgelaufen.

Niemand von uns behauptet, das wir uns entspannt zurücklehnen können.Was aber die Frage der Fitness für die Zukunft anbelangt, glauben wir, behaupten zu können, dass Hessen auf einem sehr guten Weg ist, was die Ausgangspositionen anbelangt.

Bei einer Umfrage von Ernst & Young haben kürzlich rund 1.600 Unternehmen in Deutschland Hessen in fast allen Bereichen auf den ersten, zweiten oder dritten Platz gesetzt – ob es um die aktuelle Geschäftslage, die Prognosen bis zum Ende des Jahres 2004, die Einschätzung der Wirtschaftslage oder die Bewertung der Infrastruktur ging.

Ich glaube, da muss man sich nicht mit hochrotem Kopf, wie Sie das früher mussten, zurückziehen, sondern man darf mit einigem Stolz sagen: Diese Landesregierung hat eine ganze Menge geleistet, und wir haben eine tolle Ausgangsposition – um dann, wenn die Konjunktur hoffentlich in diesem Land wieder einmal anspringt, die Ersten zu sein, die davon auch auf dem Arbeitsmarkt profitieren. – Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Vielen Dank, Herr Kollege Boddenberg. Wir waren hier sehr nachsichtig. – Das Wort hat die Frau Kollegin Schönhut-Keil, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Lieber Herr Kollege Boddenberg,Sie haben den Kollegen Frankenberger gefragt, worüber er denn gesprochen habe. Nun, im Gegensatz zu Ihnen hat er über die Arbeitslosen gesprochen. Und auch ich werde über die Arbeitslosen sprechen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Meine Damen und Herren,eines ist doch auffällig:Die gesamte Auflistung der statistischen Spitzendaten, die Sie gerade wieder vorgenommen haben, kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass Hessen Schlusslicht ist und offensichtlich keinen Erfolg bei der Arbeitsmarktquote nachweisen kann. Das ist das Faktum, mit dem wir uns hier auseinander zu setzen haben.

Ich sage Ihnen ganz klar: Es mag in der Politik hilfreich sein,sich gegenseitig die Schuld in die Schuhe zu schieben, hier zu stehen und weinend gen Berlin zu blicken, aber wenn man daheim seine Hausaufgaben nicht macht, dann wird das – außer vielleicht einige hier im Raum – niemanden beeindrucken, schon gar keinen Arbeitslosen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Sie von der Union muss es doch auch,zumindest ein Stück weit, beunruhigen – Machtbesoffenheit hin oder her –, dass von der ehemaligen Wirtschaftsstärke Hessens nicht viel übrig geblieben ist. Es muss Sie doch beunruhigen,

dass sich von der angeblichen Wirtschaftsstärke in Hessen nichts auf dem Arbeitsmarkt abzeichnet.

Hessen ist Schlusslicht, und das schon seit vielen Monaten. Auch im Juli hat sich dieser Negativtrend nicht gedreht. Im letzten Jahr stieg die Zahl der Arbeitslosen in Hessen weiter an, und zwar im Jahresvergleich um 2,3 %. Dies ist erneut das schlechteste Ergebnis unter allen Bundesländern.

(Zuruf des Abg. Michael Boddenberg (CDU))

Nicht nur das, die Zahl der Arbeitslosen in Hessen wächst im Jahresvergleich weiter, während sie bundesweit leicht sinkt. Das ist doch das Faktum, mit dem wir es hier zu tun haben.

Sie versuchen die übliche Taktik: alle hessischen Missstände nach Berlin abzuschieben – während wir umgekehrt angeblich alle Vorzüge dem Herrn Ministerpräsidenten persönlich zu verdanken haben. Meine Damen und Herren, diese Logik bleibt wegen des fehlenden Zusammenhangs praktisch folgenlos.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Wenn Hessens Arbeitslosigkeit im Jahresvergleich wächst,während sie im Bundestrend sinkt,können wir das nun einmal nicht in Berlin abladen. So einfach ist das.

(Beifall der Abg. Hildegard Pfaff (SPD))

Verantwortung hin und her zu schieben ist in unserem föderalen Staat eine verführerische Taktik.Auf Dauer führt das aber zu einer Schwächung des Föderalismus.Wenn Sie in der Föderalismusdebatte mehr Kompetenz und Verantwortung für die Länder fordern, sind wir bei Ihnen. Aber wer sich wie Sie so viel zutraut und in alles einmischt, der kann nicht immer nur mehr Kompetenzen fordern, sondern der hat auch mehr Verantwortung.An die möchte ich Sie hier erinnern.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Alles andere ist unglaubwürdig. Ich sage Ihnen noch einmal: Man muss sich die Schlüsselbereiche Ihrer Wirtschaftspolitik anschauen, um einfach und klar zu erkennen: Die statistische Auflistung von Herrn Kollegen Boddenberg kann nun einmal nicht über die Realitäten hinwegtäuschen.