Protocol of the Session on July 14, 2004

Die zweite Frage,die ich vorhin aufgeworfen habe,betrifft eine Diskussion, die seit vielen Jahren auch in unserem Lande intensiv geführt wird: Wo kommt es aufgrund des Engagements von Kommunen zu Wettbewerbsverzerrungen zum Schaden der Wirtschaft insgesamt, und wo müssen die Kommunen aus Gründen ihres Aufgabenzuschnittes selbstständig tätig werden? Ich bin der Überzeugung, dass wir mit der jetzt vorgelegten Novelle eine sehr vernünftige Trennlinie gefunden haben, die einen Interessenausgleich schafft, sodass die Kommunen ihre Aufgaben wahrnehmen können, dass wir aber auf der anderen Seite Wettbewerbsverzerrungen vermeiden.

In diesem Zusammenhang muss ich auf Folgendes hinweisen: Für die wirtschaftliche Betätigung von Kommunen gab es schon immer gesetzliche Regelungen. Ich habe mit Interesse gelesen, dass Sozialdemokraten gefordert haben,man solle die wirtschaftliche Betätigung völlig freigeben. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie das wirklich meinen.Das wäre weder mit dem geltenden noch mit dem zukünftigen Recht in Einklang zu bringen.

Für die wirtschaftliche Betätigung von Kommunen müssen drei Voraussetzungen erfüllt sein. Das will ich in der gebotenen Kürze darstellen. Zunächst muss der wirtschaftlichen Betätigung ein öffentlicher Zweck zugrunde liegen. Das gilt seit jeher. Zweitens muss das, was eine Kommune an wirtschaftlicher Betätigung vorhat, in einem angemessenen Verhältnis zur Leistungsfähigkeit der Kommune stehen. Das ist an und für sich selbstverständlich, wir stellen aber immer wieder fest, dass Kommunen Einrichtungen unterhalten, dass Kommunen Verpflichtungen haben, die ihre Leistungsfähigkeit erheblich übersteigen und damit zu erheblichen Überschuldungen führen.

(Frank-Peter Kaufmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Beispiele?)

Beispiele kann ich Ihnen jede Menge nennen.

(Frank-Peter Kaufmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Dann tun Sie es!)

Wir haben sie damals in der Debatte des FDP-Antrags auch gehabt.

(Frank-Peter Kaufmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):Alle nicht in Hessen!)

Der dritte Grundsatz ist neu: Die wirtschaftliche Betätigung der Kommunen darf nur dann stattfinden, wenn zuvor geprüft wurde, ob nicht ein privater Dritter in gleicher Weise diese Aufgabe wahrnehmen kann.

(Zuruf des Abg. Jürgen Frömmrich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Das ist in der Tat neu, und das ist doch eigentlich auch ganz vernünftig.

(Jürgen Frömmrich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Bezahlt das Land die Marktanalyse?)

Wenn wir auf der einen Seite alle gemeinsam davon überzeugt sind,der Staat in allen seinen Ausprägungen soll nur das machen, wozu es eine besondere Begründung gibt, dann wird man doch füglich verlangen können, dass es jemand begründet, wenn er meint, das müsse die öffentliche Hand erledigen und nicht die private Hand.

Dieser Bereich – auch das ist neu und bisher einmalig in Deutschland – hat im Vorfeld der parlamentarischen Beratung häufig eine kritische Darstellung gefunden. Es wurde dann der Bereich der so genannten Daseinsvorsorge gegenübergestellt.

Meine Damen und Herren, ich habe immer wieder deutlich gemacht, ich halte von dem Streit um das Wort „Daseinsvorsorge“ gar nichts.

(Zuruf des Abg. Jürgen Frömmrich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Wir haben einen anderen Weg gewählt.Wir haben in diesem Gesetzentwurf eine, wie ich glaube, sehr gute Lösung finden können. In § 121 Abs. 2 haben wir bestimmte Bereiche gesetzlich definiert, die wir nicht als wirtschaftliche Tätigkeit ansehen. Das sind zum einen die Aufgaben, die die Kommunen gesetzlich erfüllen müssen. Das sind zum anderen diejenigen, die die Kommunen für ihren Eigenverbrauch machen. Und das sind zum Dritten Bereiche der Bildung, der Gesundheit und des Sozialwesens, die im Gesetz im Einzelnen aufgeführt sind.

Dies erscheint mir sinnvoller als dieser Wechselbalg der Daseinsvorsorge, der seit 30 Jahren Gegenstand der Diskussion ist: was Daseinsvorsorge denn eigentlich sei.Weil man dort nie einen klaren Strich ziehen konnte oder wollte, ist der Begriff der Daseinsvorsorge in der Regel auch in den meisten Gemeindeordnungen überhaupt nicht aufgenommen.

Wir kommen mit der Daseinsvorsorge auch nicht weiter. Vielmehr enthebt dieser Regelmechanismus – dass wir sagen, bestimmte Dinge gelten nicht als wirtschaftliche Tätigkeit – die Gemeinden von diesem Vergleich. Das enthebt sie aber nicht der Prüfung, wie sie wirtschaftlich vernünftig arbeiten. Daneben können sie wirtschaftlich tätig werden, aber in dem Dreiklang, den ich vorhin genannt habe.

Meine Damen und Herren, deshalb bin ich der Überzeugung, dass wir bei Lichte besehen hier eine sehr gute Lösung haben finden können – ich will deutlich machen: auch in den Bereichen, die als nicht wirtschaftliche Aufgabe qualifiziert sind, soweit es die Zweckerfüllungen möglich machen. Ich nehme einmal ein Beispiel: Auch in bestimmten betreuenden Einrichtungen und Ähnlichem mehr muss man schauen, dass man eine wirtschaftliche und der Verwendung der Steuergelder angemessene Lösung findet. Aber man ist als Kommune dort der Pflicht enthoben, einen derartigen Vergleich mit den Privaten herzustellen.

Meine Damen und Herren, ich möchte darauf hinweisen, dass der Gesetzentwurf aus Rechtsgründen einen Bestandsschutz für die bisherigen Tätigkeiten der Kommunen zum 01.04. dieses Jahres enthält. Ich füge das Ganze in der Form zusammen, indem ich sage: Die berechtigten Interessen der Kommunen sind in vollem Umfang gewahrt.

Der Gesetzentwurf enthält allerdings auch noch zwei Neuerungen, die viel wichtiger sind und viel größere Bedeutung haben. Die sind in Deutschland einmalig, und von denen verspricht sich die Landesregierung große Wir

kung. In § 121 Abs. 7 haben wir festgelegt, dass sich jede Kommune einmal pro Wahlperiode in öffentlicher Sitzung mit ihrem wirtschaftlichen Handeln auseinander setzen muss – ich halte das für ausgesprochen wichtig –, um zu prüfen, ob das, was man tut, noch notwendig ist, ob es in dieser Form getan werden muss, ob es gar nicht mehr getan werden muss oder ob es auch geändert werden kann. Durch diesen Zwang zur öffentlichen Erörterung wird das Handeln transparent. Die Öffentlichkeit und namentlich die Verbände der Wirtschaft haben die Möglichkeit, sich in diese Diskussion einzubringen.

Das muss dann noch viel mehr gelten, wenn eine Gemeinde neue wirtschaftliche Bereiche erschließen will. Wir haben dort vorgeschrieben, dass zunächst der Gemeindevorstand eine so genannte Markterkundung vornehmen muss.

(Jürgen Frömmrich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN):Wer bezahlt die denn?)

Diese Markterkundung ist eine Selbstverständlichkeit, und sie ist ohne große Bürokratie zu leisten,

(Lachen des Abg. Jürgen Frömmrich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das möchte ich sehen!)

denn sie soll die Verschwendung von Steuergeld vermeiden. Kommt der Gemeindevorstand z. B. zu dem Ergebnis, in unserer Gemeinde wird dies schon erfüllt, dann muss er das dem Parlament mitteilen. Vorab sind zwingend die Verbände der Wirtschaft zu beteiligen,und deren Stellungnahme ist ebenfalls vorzulegen.

Aus beidem ergibt sich die Notwendigkeit der öffentlichen Debatte, und aus dieser öffentlichen Debatte wird der wechselseitige Vorwurf, man missbrauche seine Stellung, objektiviert.

Ganz praktisch führt das dazu: Kommt man nach der Markterkundung dazu, dass das in dieser Gemeinde schon erledigt wird, dann wird auch die Gemeindevertretung vernünftigerweise darüber diskutieren und fragen: Warum müssen wir das als Gemeinde auch noch tun?

Kommen die Verbände der Wirtschaft zu dem Ergebnis und teilen mit, sie haben damit kein Problem, dann ist die Diskussion beendet. Teilen sie mit: „Wir können dies selbst leisten“ – in welcher Weise auch immer –, dann ist es doch vernünftig, dass man sich darüber unterhält.

Dieser öffentliche Prozess der Diskussion, diese zwingende Beteiligung der betreffenden Verbände und die öffentliche Wahrnehmung werden dazu führen, dass wir aus dem Klima der wechselseitigen Behauptungen und Mutmaßungen herauskommen. Wir werden eine wesentliche Objektivierung erfahren.

Meine Damen und Herren, deshalb sind diese für die Bundesrepublik Deutschland bislang einmaligen Regelungen ein massiver Fortschritt, nicht nur für die Wirtschaft, sondern – recht betrachtet – auch für die Kommunen.

Herr Staatsminister, die mit den Fraktionen vereinbarte Redezeit ist abgelaufen – für Sie als Hinweis.

Herr Präsident, ich verstehe das wohl. Ich will auch versuchen, das in sehr groben Strichen darzustellen.

Der zweite wesentliche Schwerpunkt ist die Einführung eines neuen kommunalen Finanzmanagements. Meine Damen und Herren, das ist eine Revolution. Hessen und Nordrhein-Westfalen werden die ersten Länder sein, die das einführen. Das Revolutionäre besteht darin, dass wir in Zukunft nicht mehr den Geldverbrauch, sondern den Ressourcenverbrauch abbilden wollen. Der Unterschied besteht ganz schlicht darin, dass wir zukünftig – auch im Sinne einer Nachhaltigkeit – in diesem Haushaltsrecht abbilden werden,vereinfacht ausgedrückt,was man braucht, um das Vermögen zu erhalten; einfacher und deutlicher: die Abschreibungen.

Es wird bei einer Schule nicht mehr darum gehen, nur die Gelder für den Bau im Haushalt zu veranschlagen, sondern jedes Jahr periodengerecht auch die Aufwendungen, die nötig sind, um diesen Bau in seiner Substanz zu erhalten.

Das Gleiche gilt von Beamtenpensionen bis hin zu Abfalldeponien.

(Jürgen Frömmrich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Dazu keine Differenzen! – Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wenn Sie revolutionär sind, stimmt etwas nicht!)

Meine Damen und Herren, es wird eine Eröffnungsbilanz geben, die ausdrücklich auch die kommunalen Wirtschaftsbetriebe umfasst; die sind bisher nämlich draußen. Darin liegt das Revolutionäre.Wenn Sie so wollen,geht es hier um einen Konzernabschluss und eine Eröffnungsbilanz.

Daraus werden sich – was über dieser gesamten Novelle als Überschrift steht – eine wesentlich bessere Durchschaubarkeit, Transparenz und damit auch Handlungsfähigkeit derer ergeben, die berufen sind, zu entscheiden. Das sind nämlich diejenigen, die in den Parlamenten sitzen.

Ich kann nur sagen, wir werden hier in der Debatte noch sehr viele Einzelpunkte zu besprechen haben. Es ist in der Tat für das kommunale Wirtschaften und das kommunale Haushaltsrecht – und damit für das Königsrecht des kommunalen Parlaments – die entscheidende Veränderung schlechthin.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Meine Damen und Herren, wenn ich zu dieser Novelle vortrage, möchte ich schon auf einen Punkt hinweisen. Wir geben den Kommunen ein Wahlrecht. Wir sind das einzige Land, das den Kommunen dieses Wahlrecht lässt und sagt,ihr könnt wie bisher kameral buchen – allerdings mit einer Reihe von Besonderheiten –, oder ihr macht diese berühmte kaufmännische Buchführung. Das ist für das Land eher nachteilig,weil wir dann mit zwei Systemen arbeiten müssen. Aber es ist ein deutlicher Ausweis der Kommunalfreundlichkeit dieser Landesregierung. Das Land Nordrhein-Westfalen zwingt jetzt sämtliche Kommunen, auf einen Schlag umzustellen. Wir machen es anders. Ich möchte schon deutlich machen, dass dies ein besonderes Entgegenkommen des Landes ist. Allerdings halte ich das auch für richtig.

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich abschließend auf zwei weitere Themen eingehen, die in der Debatte auch immer eine große Rolle gespielt haben.

In der allgemeinen kommunalen Verfassung haben wir im kommunalen Wahlrecht einige wenige, aber wichtige Änderungen vorgenommen. Beispielhaft möchte ich erwähnen, dass es zukünftig in Hessen keine Ein-Mann- oder Eine-Frau-Fraktionen mehr geben soll. Nach der letzten Kommunalwahl hatten wir 159 Ein-Mann- oder EineFrau-Fraktionen.

(Jürgen Frömmrich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Das passt aber nicht zu Ihrem Wahlrecht!)

Das ist eine Besonderheit, die es bisher nur in Hessen gibt. Das hat sich nicht bewährt. Deshalb müssen zukünftig mindestens zwei Mitglieder des Parlaments eine Fraktion bilden.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Aufgrund des Selbstorganisationsrechts der Kommunen und der Parlamente können die aber auch höhere Grenzen setzen. Der Minderheitenschutz ist völlig ausreichend gewährleistet.Wenn man bedenkt, was alles für die Arbeit eines Parlaments am Fraktionsstatus hängt, dann ist es im Interesse der Arbeitsfähigkeit eines Parlaments richtig, diese hessische Besonderheit zurückzunehmen und zu dem zurückzukehren, was vernünftig ist.

(Zuruf des Abg. Jürgen Frömmrich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))