Protocol of the Session on July 13, 2004

(Dr. Franz Josef Jung (Rheingau) (CDU): Bitte sehr!)

Herr Kollege Jung, hegen Sie noch die Hoffnung, dass es Ihnen gelingen möge, dass die Verabredungen zum Länderfinanzausgleich, die bis 2019 gelten sollen, noch in dieser Legislaturperiode wenigstens so infrage gestellt werden, dass für Hessen schon vor diesem Zeitpunkt eine gerechtere Lösung zu sehen ist?

Liebe Frau Kollegin Wagner,bei der Frage fällt mir immer wieder ein Satz von Max Weber ein: „Politik ist das Bohren von dicken Brettern mit Leidenschaft und Augenmaß zugleich.“ – Ich finde, das sollte unser Anliegen sein. Wir sind ein Stück weitergekommen. Ich bin ganz hoffnungsvoll nach dem, was Kollege Walter zu dem Punkt gesagt hat, dass wir vielleicht in der Frage ein Stück weiterkommen. Das wäre mein nächster Punkt im Zusammenhang mit der Frage der Finanzstruktur gewesen. Wir müssen deutlich machen, auch gegenüber Nehmerländern, dass die teilweise dort sehr breit vorhandene Subventionsmentalität nicht Thema sein kann, um unser Land wieder nach vorne zu bringen.

Wenn ich das eine oder andere höre – ich sage das zur aktuellen Debatte in Anführungsstrichen – und mir das ansehe, was die Dohnanyi-Kommission vorgetragen hat, dann ist das nicht alles nur mit der linken Hand vom Tisch zu wischen. Das betrifft die Frage der Investitionen in Wirtschaftsförderung und in die Entwicklung von Gewerbe oder die konsumtive Entwicklung. Jeder hat das doch in dem einen oder anderen Bereich unmittelbar gesehen, wo Straßen und Bürgersteige gebaut worden sind, aber kaum jemand wohnt, wo Lampen stehen, mit denen Füchse, aber nicht die Menschen beleuchtet werden, und andere Dinge.Wir wissen, über was wir reden. Dort brauchen wir ein Stück Veränderung, aber auch Bereitschaft, gemeinsam mitzugehen.

Denn ich glaube, dass ein Stück Entbürokratisierung – wenn die Länder die Kompetenz erhalten, in eigener Verantwortung zu entscheiden – dazu führen wird, dass wir uns insgesamt auf einem besseren Weg befinden werden, sofern die entsprechenden Mittel dazu bereitgestellt werden.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich deshalb Folgendes noch einmal grundsätzlich sagen: Ich glaube, wir brauchen klare Verantwortungen, wer wann handelt. Wir

brauchen klare Regelungen bei den Einnahmen. Wir brauchen auch klar festgelegte Verantwortungen hinsichtlich der Ausgaben. Ich bin sehr wohl dafür – darüber können wir sofort reden –,dass die Länder die Verantwortung hinsichtlich der Steuern übernehmen, die ihnen zustehen. Dann wären wir in der Frage, wie die Kompetenzen bei den Steuern zu regeln sind, ein Stück weitergekommen. Ich denke, wir könnten dann auch bei diesem Punkt klare Verantwortlichkeiten deutlich machen. Liebe Frau Kollegin Wagner, vielleicht kann damit auch das eine oder andere von dem erreicht werden,was Sie eben in Ihrer Frage als Hoffnung zum Ausdruck gebracht haben.

Ich denke, wir machen in der Debatte bereits deutlich, dass wir einen starken Föderalismus wollen und alles daransetzen, ein positives Ergebnis zu erreichen. Leider gibt es im Bundestag noch zu viele, die vor einem Verlust an Kompetenzen Angst haben. Im Bundesrat gibt es noch zu viele, die vor zusätzlicher Verantwortung Angst haben. Das muss aber unser gemeinsames Anliegen sein. Denn am Schluss benötigen wir hierfür die Zweidrittelmehrheit im Bundestag und im Bundesrat,damit wir die inzwischen aufgebauten Hindernisse überwinden können. Inzwischen wurden die entsprechenden Projektgruppen eingerichtet. Ich hoffe, dass wir während der Sommerpause ein Stück weiterkommen und dass insbesondere auch die beiden Vorsitzenden ein Stück weit Garanten dafür sind,dass wir zu einer effektiven Reform kommen.

Deutschland verdankt seine Entwicklung nach dem Zweiten Weltkrieg, seine politische Stabilität, seinen wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Aufschwung nicht dem Zentralismus, sondern seiner staatlichen und kulturellen Vielfalt, also dem Föderalismus. Aus unserer Sicht ist die Reform des Föderalismus in Deutschland deshalb nicht Teil der Krise. Vielmehr wird die Reform des Föderalismus zur Lösung der Krise beitragen.

Wir wollen eine große Reform. Wir wollen, dass der Föderalismus wieder zu einem Erfolgsmodell in Deutschland wird. Deshalb treten wir für starke Länder in einem starken Deutschland ein. Wir wünschen, dass unser gemeinsam eingebrachter Dringlicher Antrag, den wir gemeinsam annehmen werden, zum Erfolg führen wird und wir zu einer effektiven Reform des Föderalismus kommen. – Besten Dank.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Herr Dr. Jung, vielen Dank. – Bevor ich Herrn Al-Wazir das Wort erteilen darf, möchte ich darauf hinweisen, dass mir inzwischen ein Änderungsantrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Drucks. 16/2517, vorliegt. Er bezieht sich auf den Entschließungsantrag der Fraktion der CDU unter Tagesordnungspunkt 48. Ich gehe davon aus, dass der Änderungsantrag in dieser Runde mitberaten werden soll.

Herr Al-Wazir, Sie haben das Wort. Bitte sehr.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Obwohl wir natürlich auch unterschiedliche Positionen hinsichtlich der Beurteilung der Reform des Föderalismus haben, handelt es sich doch um einen der wenigen Punkte,zu denen wir gemeinsam einen Antrag gestellt haben.

Ich glaube, wir sind uns alle miteinander zumindest in einem Punkt einig: Es geht darum, den Bundesstaat, ich meine damit den Bund und die Länder, durch mehr Subsidiarität – was für Europa gilt, gilt auch für die Bundesrepublik Deutschland –, durch mehr Transparenz und durch klare Zuständigkeiten wieder handlungsfähig zu machen. Die Kompetenzen müssen im Föderalismus entflochten werden. Jede staatliche Ebene muss klare Aufgaben mit entsprechender Verantwortung erhalten. Unserer Meinung nach kann nur so die Demokratie gestärkt werden.Außerdem kann unsere politische Ordnung im Bund und in den Ländern nur so handlungsfähig erhalten und effizient gestaltet werden. Dazu gehört, dass die Zustimmungsrechte der Ministerpräsidenten im Bundesrat wesentlich reduziert werden müssen. Außerdem müssen die Länderparlamente durch größere Gestaltungsspielräume gestärkt werden.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Jörg-Uwe Hahn (FDP))

Allerdings glaube ich auch,dass zur Ehrlichkeit in der Debatte dazugehört, dass wir sagen: Ja, es ist richtig, dass seit Gründung der Bundesrepublik Deutschland die Kompetenzen der Länder stark ausgehöhlt wurden. – Andererseits ist es aber so, dass der Bund die Kompetenzen der Länder nicht alleine aushöhlen konnte. Vielmehr hat es bei jeder einzelnen Maßnahme, die zur Aushöhlung beigetragen hat, die Zustimmung der Ländervertretung, des Bundesrats, gegeben. Insofern kann es in diesem Zusammenhang also nicht so sein, dass die eine Seite die andere beschimpft. Herr Kollege Hahn, vielmehr ist in diesem Fall Goethe zu zitieren:

Halb zog sie ihn, halb sank er hin,...

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN – Jörg-Uwe Hahn (FDP): Wer wen?)

Man sollte einmal ganz ehrlich zurückschauen, dann kann man feststellen, dass die Zustimmungspflicht des Bundesrats stark zugenommen hat. Das hat aber, wie gesagt, etwas damit zu tun, dass der Bund mehr Aufgaben an sich gezogen hat. Die Länder haben dies aber auch geschehen lassen.

Wir haben inzwischen die Situation, dass der Bund die in die konkurrierende Gesetzgebung fallenden Kompetenzen fast komplett nutzt. Es gibt kaum einen Punkt, bei dem der Bund inzwischen nicht voll zugegriffen hat.

Ich komme zum Stichwort Finanzbeziehungen.Man sollte sich da betrachten,wie das System ausgesehen hat,das am Anfang der Bundesrepublik Deutschland einmal bestand. Dort wurde stark zwischen Steuern getrennt, die ausschließlich dem Bund zustanden, und Steuern, die ausgesprochene Landessteuern waren. Man sollte sich dann auch anschauen, wie sich das entwickelt hat. Dazu gehört dann auch, dass wir uns einmal Gedanken darüber machen, wann es zu der Verzahnung gekommen ist.

(Jörg-Uwe Hahn (FDP): Das ist mir relativ egal!)

Herr Kollege Hahn, manchmal muss man in die Vergangenheit schauen,

(Jörg-Uwe Hahn (FDP): Nein!)

um zu wissen,was man in der Zukunft nicht falsch machen sollte. – Spätestens seit Ende der Sechzigerjahre, nämlich seit 1969, also nachdem die damals bestehende große Koalition die große Finanzreform vorangetrieben und

dann beschlossen hat, gibt es hinsichtlich der Finanzen nur noch das Steuerverbundsystem.

(Zuruf der Abg. Ruth Wagner (Darmstadt) (FDP))

Frau Kollegin Wagner, wenigstens daran war die FDP ausnahmsweise einmal nicht beteiligt.

(Jörg-Uwe Hahn (FDP): Bei der Pflegeversicherung bekennen wir uns schuldig!)

Es waren vor allem zwei Minister dafür verantwortlich, nämlich Karl Schiller und Franz Josef Strauß. Sie wurden damals „Plisch und Plum“ genannt. Sie wurden damals als großes Erfolgsduo gefeiert. Sie haben aber einen Teil der Probleme mit verursacht, die wir heute bereden.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

In diesem Zusammenhang gehört auch dazu, zu sagen, dass große Koalitionen nicht immer der Weisheit letzter Schluss sind. Denn danach hat sich ein Föderalismus der Exekutive entwickelt, bei dem die Ministerpräsidenten auf Bundesebene immer wieder mitspielen. Manchmal schauspielern sie sogar. Die Landesparlamente hingegen verlieren sukzessive an Einfluss. Ich erinnere mich in diesem Zusammenhang an die Debatte über das Zuwanderungsgesetz und daran, wie der Hessische Ministerpräsident vor zwei Jahren in diesem Zusammenhang Rumpelstilzchen spielte. Im Interesse der Sache ist es aber wirklich nicht gerechtfertigt,

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)

dass sich die Ministerpräsidenten, und zwar unabhängig von ihrer Couleur, je nachdem, wer nun einmal gerade im Bundesrat die Mehrheit hat, als Möchtegern-Nebenkanzler aufspielen, anstatt dort die realen Probleme zu lösen, wo sie Verantwortung tragen, nämlich in den Bundesländern.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich glaube, zur Ehrlichkeit gehört auch dazu, dass wir, die Mitglieder der Landesparlamente, und nicht der Bundesrat dafür sorgen müssen,dass den Ministerpräsidenten ein Stück der Aufmerksamkeit auf der bundespolitischen Bühne genommen wird. Sie werden sich in Zukunft wieder stärker darum kümmern müssen, was auf ihrer jeweiligen Bühne in der Heimat stattfindet. Es mag für manchen schwierig sein, vom Angreifer und Blockierer im Bundesrat zum Verteidiger und Angegriffenen im eigenen Landesparlament zu werden. Aber Demokratie muss eigentlich in der Art und Weise funktionieren, dass klar ist, wer für was auf welcher Ebene Verantwortung trägt. Es darf nicht dauernd auf die jeweils andere Ebene gezeigt werden, wenn man selbst bestimmte Probleme nicht lösen kann.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Frank Gotthardt (CDU): Das werden wir bei Ihrer nächsten Rede zitieren!)

Ich möchte Ihnen ein Beispiel nennen. Herr Kollege Walter führte als Beispiel schon die Praxisgebühr an.Weil hier auch mit unterschiedlichen Rollen, je nachdem, wer gerade die Mehrheit hatte, gespielt wurde, möchte ich Ihnen als Beispiel das Dosenpfand anführen.

(Ruth Wagner (Darmstadt) (FDP): Oh ja!)

Am Beispiel des Dosenpfands kann man exemplarisch die gesamten Probleme des Föderalismus in Deutschland und des deutschen Bundesstaates verdeutlichen.

Da gab es 1991 eine CDU/FDP-Bundesregierung mit Umweltminister Klaus Töpfer. Der hat eine Verpackungsverordnung erlassen.Wir waren damals der Meinung,dass die nicht gut ist, weil wir der Meinung waren, man soll lieber vermeiden als sich nachher Gedanken über die Verwertung zu machen. Aber es gab eine Mehrheit im Bundestag, und es gab auch eine Mehrheit im Bundesrat. Danach war klar: Wenn in bestimmten Segmenten von Getränken – so war die Verordnung angelegt – die Mehrwegquote unter einen bestimmten Prozentsatz sinkt,dann tritt ein Pflichtpfand in Kraft. Irgendwann war es dann so weit. Dann wurde noch eine Veränderung gemacht. Damals war Angela Merkel Umweltministerin.

(Frank Gotthardt (CDU): Gute Frau! – Gegenruf des Abg. Jörg-Uwe Hahn (FDP): Darfst du das sagen?)

Diese Veränderung fand eine Mehrheit im Bundestag und im Bundesrat. Dann galt das Gesetz.

Dann hat die Bundesregierung gewechselt. Der Umweltminister hieß nicht mehr Töpfer, auch nicht Merkel, sondern Trittin. Er hatte nun die Situation, dass der Fall eintrat. Beim Bier und beim Mineralwasser sank die Quote unter die 72 %.Weil er sachlich und fachlich,wie ich finde, völlig zu Recht der Meinung war, dass es keinen Sinn hat, auf Dosen, in denen Bier ist, Pfand zu erheben, und auf Dosen, in denen Eistee ist, keines – so war aber die Verordnung –, hat er einen anderen Vorschlag gemacht. Er hat gesagt: Liebe Leute, lasst uns Dosen generell mit Pfand belegen, und lasst uns z. B. Milchbeutel von der Pfandpflicht ausnehmen. – Dies hat keine Mehrheit im Bundesrat gefunden.Frau Wagner,Sie waren damals übrigens auch noch im Bundesrat.

(Ruth Wagner (Darmstadt) (FDP): Das war genauso ein Müllbürokratismus wie vorher! Das ist unverantwortlich!)

Das hat keine Mehrheit im Bundesrat gefunden, obwohl der Bundesumweltminister nichts anderes machen wollte, als eine praktikable Regelung vorzulegen.

(Frank Gotthardt (CDU): Da kann man anderer Auffassung sein!)

Hintergrund war: Die Mehrheit im Bundesrat hat dem Bundesumweltminister diesen Erfolg nicht gegönnt. – Was blieb dem Bundesumweltminister übrig? Er hat sich an Recht und Gesetz gehalten und das Pfand in Kraft gesetzt,

(Zuruf der Abg. Ruth Wagner (Darmstadt) (FDP))