Protocol of the Session on May 7, 2003

(Beifall)

Ebenfalls begrüße ich sehr herzlich den Botschafter der Republik Ungarn in der Bundesrepublik Deutschland, Herrn Dr. Sándor Peisch. Herzlich willkommen.

(Beifall)

Wir fahren in der Aussprache fort. Das Wort hat die Frau Sozialministerin.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Das Thema Ausbildungsplatzsituation und Ausbildung ist natürlich eines, das im Moment alle gesellschaftlichen Gruppen beschäftigen muss. Denn die Lage auf dem Ausbildungsstellenmarkt ist inzwischen mehr als schwierig. Aber sie ist natürlich auch ein Spiegelbild dessen, was auf dem Arbeitsmarkt passiert. Genau das ist es, was wir heute Morgen schon einmal besprochen haben.Es geht dabei um die Frage nach den Arbeitsstellen und der Produktivität in Deutschland. Es ist zu fragen, welche Chancen die Unternehmen auf Weiterentwicklung haben. Auf der anderen Seite geht es dabei gleichzeitig um die Ausbildungsplatzsituation.

Meine Damen und Herren der SPD-Fraktion, ich glaube, es ist falsch,an dieser Stelle zu versuchen,hier ein Gebilde aufzubauen, das zeigt, was die Landesregierung nicht macht und was die Bundesregierung nicht macht. Dazu ist meiner Ansicht nach die Lage viel zu dramatisch. In Hessen fehlen momentan rund 10.000 Ausbildungsplätze. Da geht es nicht um das Ergreifen des Wunschberufs. Vielmehr geht es allein um die Frage, wie viele Ausbildungsplätze tatsächlich zur Verfügung gestellt werden müssten. Die Bundesanstalt für Arbeit hat heute mitgeteilt, dass es bundesweit mindestens 70.000 Ausbildungsplätze sein werden, die zum Schluss fehlen. Möglicherweise sind es sogar deutlich mehr.

Dabei muss man auch bedenken, dass sich gerade im Osten sehr viele der vorhandenen Ausbildungsplätze bereits auf dem zweiten Ausbildungsmarkt befinden, die nur noch dort gefördert werden.

Ich habe gesagt: Es handelt sich dabei um ein Spiegelbild der Arbeitsmarktsituation. – Damit will ich auch sehr deutlich machen, dass es nichts hilft, herumzunörgeln. Vielmehr muss das Motto lauten:anpacken und nicht nörgeln. – Man muss tatsächlich weitermachen. Genau das ist es, wofür wir mit dem Ausbildungskonsens und mit dem Programm für weitere Ausbildungsstellen werben. Auch auf Einladung des Ministerpräsidenten hat zu dem Ausbildungskonsens gerade eben wieder eine Runde stattgefunden. Alle gesellschaftlichen Gruppen, also sowohl die Gewerkschaften als auch die Unternehmen, die Verbände der Wirtschaft, die Industrie- und Handelskammern, die

Landesregierung und hoffentlich auch alle politischen Kräfte sollen hier mitwirken und sich darum bemühen, dass Ausbildungsplätze geschaffen und dass Unternehmen dazu bewegt werden, Ausbildungsplätze zur Verfügung zu stellen.

Wir wissen, dass nicht alle Unternehmen ausbilden. Mit diesen Unternehmen muss natürlich gesprochen werden. Ich will aber auch Folgendes sehr deutlich machen. Das betrifft die Insolvenzen. Man muss sich dabei auch die Ausbildung in kleinen Betrieben und bei den Existenzgründern anschauen. Wir rechnen in diesem Jahr für diesen Bereich allein mit weiteren 8.000 bis 10.000 zusätzlichen Insolvenzen. Das wird also auf den Höchststand, den wir im Vorjahr hatten, noch einmal draufgesattelt. Das macht natürlich deutlich, dass in diesen Bereichen im Arbeitsmarkt strukturelle Probleme vorhanden sind. Dort ist tatsächlich Handeln angesagt. Frau Kollegin Schönhut-Keil, das hängt eben nicht von der konjunkturellen Lage der Weltwirtschaft ab. Vielmehr müssen tatsächlich Probleme gelöst werden, die hier in Deutschland auf dem Arbeitsmarkt bestehen. Es ist gemeinsame Aufgabe von uns allen, jungen Menschen Perspektiven zu eröffnen. Genau das macht die Landesregierung, indem sie mit einem breiten politischen Bündnis und mit einem Maßnahmenbündel neue Wege beschreitet. An dieser Stelle ist aber auch die Kraftanstrengung aller gesellschaftlichen Gruppen gefordert.

In Hessen ist die Schaffung 10.000 weiterer Ausbildungsplätze nötig. Die Werbekampagne dafür ist nur ein Teil. Natürlich spielt auch die Frage der Mobilität eine Rolle. Aber Sie haben Recht: Im Rhein-Main-Gebiet gibt es inzwischen auch weniger Ausbildungsplätze. Ich sage dazu: Das ist logischerweise so. Denn das ist ein Spiegelbild des Arbeitsmarktes. – An dieser Stelle müssen wir auch mit der Bundesregierung sprechen. Denn von dieser Politik wird natürlich insbesondere auch die Dienstleistungsbranche betroffen. Dort findet ein Stellenabbau statt. Aber wir müssen die Unternehmen gemeinsam überzeugen.

Frau Kollegin Fuhrmann,Sie sagen,bei der Bundesanstalt gebe es keine Kürzungen. – Meine Damen und Herren, was hat es denn bewirkt,dass alle gesellschaftlichen Gruppen erst einmal gemeutert haben? Inzwischen hat der Minister angekündigt, dass es wieder Zuschüsse geben wird und dass Programme auch gerade im Bereich der Ausbildung neu aufgelegt werden können, um dort gerade einmal auf dem Vorjahresniveau bleiben zu können. Das haben wir im Lande Hessen gerade nicht gemacht: Mittel im Bereich der Ausbildung gekürzt, sondern wir haben sie kontinuierlich ausgebaut. Alles, was in den Anstrengungen des Landes liegt, sowohl bei den Berufsschulen als auch beim Kollegen Rhiel, vorher bei Herrn Posch, im Wirtschaftsbereich, zusammen mit Unternehmen und Handwerk, das war, Programme aufzulegen,Ausbildungsverbünde zu schaffen und Teilzeitausbildungen voranzubringen. Es sind unterschiedliche Maßnahmen, zur Not auch noch „Ausbildung statt Sozialhilfe“. Diese Programme müssen greifen, um mit ihnen jungen Menschen eine Perspektive geben zu können.

Frau Ministerin, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Fuhrmann?

(Ministerin Silke Lautenschläger: Ja!)

Frau Ministerin, würden Sie mir zugestehen, dass der Haushalt der Bundesanstalt für Arbeit im vergangenen Jahr aufgestellt worden ist und damals von einem Wachstum von 1,5 % ausgegangen wurde,werden konnte,

(Lachen bei der CDU)

und Herr Gerster damals erklärte, er käme dieses Jahr ohne Bundeszuschuss aus? Diese Haltung hat Herr Gerster inzwischen aufgegeben, und die Bundesregierung hat zugesagt, dass sie selbstverständlich aufgrund der konjunkturell schwierigen Lage den notwendigen Bundeszuschuss an die Bundesanstalt für Arbeit geben wird.

Aufgrund der schwierigen Lage am Arbeitsmarkt, aufgrund der noch nicht erfolgten Reformen durch die Bundesregierung und aufgrund des Drucks aus allen Bundesländern, von allen gesellschaftlichen Gruppen, hat der Bundeswirtschaftsminister – das gestehe ich Ihnen zu – inzwischen gesagt, dass der Bundeszuschuss erhöht wird bzw. es wieder einen Bundeszuschuss geben wird.

(Petra Fuhrmann (SPD): Richtig!)

Aber dann bleiben wir einmal genau bei dem Thema. Der Bundeszuschuss von 5 Milliarden c, wenn er denn jetzt fließen wird, ändert noch nichts daran, dass z. B. der Eingliederungstitel aufgrund der hohen Arbeitslosigkeit und der notwendigen Maßnahmen in Hessen trotzdem gekürzt bleibt.

(Petra Fuhrmann (SPD): Das ist unrichtig!)

Das wird zum Glück, wenn die Ankündigungen realisiert werden, zumindest bei der Ausbildung nicht stimmen. Aber nur, wenn diese Mittel kommen, können wir im Bereich der Ausbildung die Maßnahmen überhaupt auf Vorjahresstand erhalten.

(Petra Fuhrmann (SPD): Diese Mittel sind zugesagt! Die brauchen Sie nicht infrage zu stellen!)

Meine Damen und Herren, dazu gehört natürlich, dass in Hessen alle Kräfte – hier rede ich von Gewerkschaften und Arbeitgebern – die gemeinsam vereinbarten Punkte dann auch umsetzen.Es ist ein Erfolg,dass wir gemeinsam im Gespräch mit dem Ministerpräsidenten ganz konkret sechs Punkte vereinbart haben. Dazu gehört auch, dass der Erwerb von Teilqualifikationen wieder nach vorne gestellt wird, dass man erst einmal Möglichkeiten bietet. Sie wissen genauso gut wie ich, dass von der katastrophalen Lage der Wirtschaft, aber auch von der katastrophalen Lage auf dem Ausbildungsstellenmarkt die benachteiligten Jugendlichen, die aus der Hauptschule kommen, am schwersten betroffen sind, da sie noch geringere Chancen haben. Gerade für diese sind Teilqualifikationen, mit denen sie schneller zu einem Abschluss kommen, eine ganz wichtige Voraussetzung. Das spielt z. B. in Callcentern eine Rolle, mit Teilqualifikationen, die dort gemacht werden.

Wichtig ist natürlich auch, dass sich die Tarifpartner darauf verständigt haben,in Tarifverträgen wieder miteinander über Ausbildung zu sprechen. Sie wollen versuchen, das gemeinsam zu verankern.

Meine Damen und Herren,ich will noch einmal sehr deutlich machen: Die Ausbildung ist die erste Perspektive, die wir jungen Menschen eröffnen müssen. Deswegen unter

nimmt das Land an dieser Stelle alle Anstrengungen, weitere Lehrstellen zu finden. Denn diese erste Perspektive schützt vor Langzeitarbeitslosigkeit. Wer keine Ausbildung hat, hat natürlich noch wesentlich schwierigere Bedingungen, später in den Arbeitsmarkt integriert zu werden.

Aber ich will nicht verhehlen, dass wir inzwischen ein Problem haben, das es vor einigen Jahren noch nicht gab: dass gut Ausgebildete nach der Ausbildung genauso auf der Straße stehen können und keinen Job mehr finden. Dann sind wir wieder dabei, dass die Arbeitsmarktreformen von Ihrer Seite dringend in Angriff genommen werden müssen, um zum Erfolg zu kommen.

(Beifall bei der CDU)

Lassen Sie mich einen letzten Punkt nennen, die Ausbildungsplatzabgabe, die von Ihnen wieder als ein Allheilmittel propagiert wurde.

(Reinhard Kahl (SPD): Wer hat denn das gesagt: Allheilmittel?)

Bundeswirtschaftsminister Clement hat vor kurzem noch gesagt, er will sie jetzt eigentlich nicht. Das halte ich im Übrigen für einen sehr vernünftigen Weg. Inzwischen kommen aus der SPD-Fraktion im Bund und von den GRÜNEN hier im Hessischen Landtag wieder Forderungen nach der Ausbildungsplatzabgabe.Was ist denn damit gewonnen, wenn Sie ein Problem auf alle verteilen und man sich wieder freikaufen kann? Die duale Ausbildung in unserem System ist erfolgreich. Daran festzuhalten und sie nicht zu sozialisieren und auf alle zu verteilen, das muss unser Weg sein.

(Beifall bei der CDU)

In Bezug auf die Ausbildung und Zukunftsperspektiven für junge Menschen müssen wir – da bitte ich auch die Oppositionsfraktionen im Landtag ganz herzlich – gemeinsam Überzeugungsarbeit leisten, gerade in den kleinen Handwerksbetrieben, die sich natürlich unter den wirtschaftlichen Bedingungen, die vorhanden sind, fragen, ob sie es überhaupt schaffen, einen Auszubildenden mit durchzubringen.

(Zuruf der Abg. Petra Fuhrmann (SPD))

Da gibt es Probleme, und hier spielt die Vergütung nicht die größte Rolle, wohl aber die Frage des Kündigungsschutzes, wie man mit dem Lehrling umgehen muss und was auf einen zukommen kann. Da gibt es in kleinen Handwerksunternehmen viele Probleme, die sie sich bewusst machen müssen und bei denen sie Hilfestellung brauchen.

Meine Damen und Herren, ein Weiteres gehört dazu. Wenn Sie jetzt über den Meisterbrief sprechen und eine riesengroße Verunsicherung hervorrufen, dann schaffen Sie auch damit nicht mehr Akzeptanz für Ausbildung,sondern wieder ein Stück weniger.

(Beifall bei der CDU)

Die Hessische Landesregierung wird in diesem Bereich alles dafür tun, die Unternehmen wieder davon zu überzeugen, möglichst viele Ausbildungsplätze zur Verfügung zu stellen, wie das auch vonseiten der Bundesregierung und der Bundesanstalt mit ihrer Kampagne versucht wird. Aber dazu gehört nun einmal auch, dass man Unternehmen Zukunftsperspektiven eröffnen muss. Der Fachkräftemangel ist auf der einen Seite vorprogrammiert. Es gilt, den Unternehmen klarzumachen, dass sie nur durch gute

Ausbildung, durch gut ausgebildete junge Menschen, dem vorbeugen können. Gleichzeitig gilt es, ihnen auch die Perspektive zu eröffnen, dass sich am Wirtschaftsstandort Deutschland Ausbildung weiter lohnt. Dazu gehört, dass auf Bundesebene endlich die Hausaufgaben gemacht und die Reformen angepackt werden.

(Beifall bei der CDU)

Vielen Dank, Frau Staatsministerin. – Das Wort hat jetzt der Kollege Abg. Schäfer-Gümbel von der SPD-Fraktion.

(Abg. Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD) fährt das Rednerpult hoch.)

Sie sehen, heute mache ich es nicht kaputt. Jetzt weiß ich, wie es funktioniert.

(Michael Denzin (FDP): Prima! Ein lernfähiger junger Mann! – Frank Gotthardt (CDU): Praktisch bildbar!)

Herr Präsident,meine sehr verehrten Damen und Herren, insbesondere Herr Brückmann und Frau Lautenschläger! Seit den Zeiten von Galileo Galilei, 1564 bis 1642, gilt der Grundsatz, dass Glaubenssätze durch Beweise ersetzt werden. Hinter dieses Niveau sollten wir in dieser Debatte nicht zurückfallen.

(Frank-Peter Kaufmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Das gilt leider nur in den Naturwissenschaften!)

Deswegen wollen wir uns schön mit den Fakten beschäftigen. Die Zahl der gemeldeten Ausbildungsstellen im April 2003 hat sich im Bund um 12 % verringert. Auf der so genannten erfolgreichen Südschiene von Bayern, Baden-Württemberg und Hessen,also dem Bermudadreieck für politische Spitzenleistungen, sehen die Zahlen nach den Meldungen der Landesarbeitsämter von heute, 14 Uhr, wie folgt aus: Bayern minus 13,1 %, Baden-Württemberg minus 13,8 % und Hessen minus 13,5 %. So viel zur Situation in der so genannten Spitzengruppe.

(Petra Fuhrmann (SPD): Hört, hört! – Zuruf des Abg.Volker Hoff (CDU))

Ich nehme zunehmend zur Kenntnis, seitdem ich diesem Plenum angehöre, also sozusagen seit vier Sitzungstagen, dass Sie versuchen, Ihre Mehrheit zur Wahrheit zu machen.Das wird nicht funktionieren,im Übrigen auch nicht mit Ihrer Lautstärke.

(Petra Fuhrmann (SPD): Schon gar nicht, wenn wir ein Mikro haben!)