Herr Präsident, meine Damen und Herren! Lieber Herr Rentsch, ich war doch ein bisschen enttäuscht von dem,
was Sie uns erzählt haben, und von dem, was die FDP präsentiert hat. Ich dachte, es käme jetzt einmal etwas Neues. Aber es kamen nur ein paar Sprechblasen, mehr nicht.
Mehr Wahlfreiheit,mehr Therapiefreiheit und mehr Wettbewerb werden verkündet – lauter große Worte. Sie klingen unheimlich gut. Aber hat das wirklich etwas mit dem zu tun, was Sie beschlossen haben?
Mehr Wahlfreiheit, mehr Therapiefreiheit, mehr Wettbewerb. Soll das heißen, die Menschen sagen sich „Heute nehme ich mir eine Appendizitis“? Hat man da eine Wahlfreiheit? Krankheiten sucht man sich nicht aus, man bekommt sie.
(Beifall bei der SPD – Florian Rentsch (FDP):Wer das nicht verstanden hat, sollte auch nicht dazu reden!)
Eine Krankheit kann man sich nicht aussuchen. Da gibt es keine Wahlfreiheit.Was die Therapiefreiheit betrifft:Auch das kann man sich nicht aussuchen, sondern nur richtig oder falsch machen. Therapiefreiheit bei einer Blinddarmentzündung bedeutet, dass der Blinddarm operiert wird oder der Patient stirbt.Die einzige Freiheit,die es dabei gibt, besteht darin, dass man es ordentlich oder schlecht macht. Eine andere Freiheit gibt es nicht.
Therapiefreiheit – was für eine hohle Floskel, die Sie immer wieder vortragen. Es gibt auch keine individuellen Angebote, für die man sich frei entscheiden kann. Ein Blinddarm wird ordentlich oder schlecht operiert. Aber man kann es sich nicht aussuchen, ob die Wunde vielleicht offen bleibt, was die Billigvariante wäre, oder ob sie mit einem goldenen Faden vernäht wird, was der Luxusvariante entspräche.Was für ein Blödsinn.
(Beifall bei der SPD – Florian Rentsch (FDP): Es gibt schlechte Politiker oder gute Politiker! Sie gehören eher zu den schlechten Politikern, Herr Dr. Spies!)
Herr Rentsch, Sie wissen genau, dass für 99 % dessen, was in der Medizin geschieht, gilt: Es gibt einen Bedarf, der gedeckt werden muss. Dafür gibt es richtige und falsche Verfahren. Die richtigen bezahlt die GKV.
(Florian Rentsch (FDP): Kommen Sie zu dem Thema Budgetierung und Rationalisierung von medizinischen Leistungen!)
Das wissen Sie, denn in dem Beschluss der FDP heißt es, dass der Leistungskatalog gar nicht geändert werden soll. Ich zitiere:
Bei den Regelleistungen handelt es sich um medizinisch unbedingt notwendige Leistungen. Sie entsprechen in etwa dem heutigen GKV-Leistungskatalog.
Jawohl, Recht haben Sie. So ist das. Es gibt keine Wahlfreiheiten und auch keine Therapiefreiheiten. Die gibt es nur bei Firlefanz drum herum. Hören Sie auf, den Leuten solchen Quatsch zu erzählen.
(Beifall bei der SPD – Florian Rentsch (FDP): Das ist doch Unsinn! – Frank Gotthardt (CDU): Regen Sie sich nicht so künstlich auf! Das ist nicht gut für die Krankenversicherung!)
Das Ganze ist doch bei Herrn Rürup abgeschrieben. Denn es ist nichts anderes als die Kopfpauschale, allerdings mit einem Unterschied zur CDU, den ich anerkenne:
Wenigstens gibt es bei Ihnen nicht mehr wie bei der CDU Gleiche und Extragleiche. Für die CDU gilt die Kopfpauschale nur für die Pflichtversicherten,der Rest darf privat, wie bisher. – Es gibt noch einen Unterschied zur CDU. Die Leute sollen nicht nur ihren Schutz durch Krankenversicherung finanzieren, sondern – weil Sie das Ganze ja privatisieren wollen – für irgendjemanden noch einen satten Profit. Denn wenn nur private Unternehmen Krankenversicherung anbieten, dann will irgendjemand daran verdienen. Das müssen die Leute extra bezahlen. Na bravo, eine unglaublich „tolle“ neue Idee, die die FDP bringt. Das war es.
Meine Damen und Herren, was allenfalls bleibt, ist ein Wettbewerb der Krankenkassen, den Sie wollen. Aber den haben wir heute schon. Der funktioniert bei den gesetzlichen Krankenkassen gut, und der funktioniert bei den privaten Krankenversicherungen überhaupt nicht.
Zwischen den privaten Krankenversicherungen gibt es de facto keinen Wettbewerb, weil die Altersrückstellungen nicht portabel sind und man so auf ewig bei der gleichen Versicherung bleiben muss.
Ansonsten trifft Ihre ganze Marktrhetorik nur Randbereiche und Details. – Herr Rentsch, hören Sie einmal genau zu. Vielleicht lernen Sie heute einmal etwas. – Markt funktioniert nach Angebot, Gesundheitsversorgung nach Bedarf, wenn es nötig ist und was nötig ist. In Ihrem Privatisierungswahn verkennen Sie völlig, wie Sie hier mit dem Feuer spielen. Medizinische Versorgung von Menschen muss immer jenseits aller Marktinteressen und jenseits aller Einkommensinteressen vollständig, flächendeckend, hochwertig und ohne Ansehen von Alter, Geschlecht,Vermögen oder sonst was funktionieren.
Das kann nur ein neutraler Organisator sicherstellen – nämlich der Staat – und keiner, der ein eigenes ökonomisches Interesse hat.
(Florian Rentsch (FDP): Hören Sie auf mit dem Klassenkampf! Der Klassenkampf ist hier falsch angebracht!)
An wenigen Stellen, wo es nicht so ist, geht es komplett schief. Schauen Sie sich einmal Chile an. Da gibt es Leute, die sterben, weil sie die falsche Versicherung haben. Dahin wollen wir nicht.
Die Leute brauchen keine Sprechblasen wie „Wahlfreiheit“ oder „Therapiefreiheit“. Sie brauchen eine vernünftige medizinische Versorgung.
Meine Damen und Herren, hinter der Frage um Kopfpauschale à la Merkel oder à la Pinkwart steht in Wahrheit nur eine ganz einfache Frage, nämlich die: Wer soll das Ganze bezahlen? Aus wessen Tasche wird die Gesundheitsversorgung für alle finanziert?
Seien Sie doch einmal so ehrlich, und sagen Sie klar und deutlich: Es geht um eine Verteilungsfrage und sonst gar nichts.
Darauf gibt es nur eine richtige Antwort.Die richtige Antwort ist das Triple-A-Modell solidarische Bürgerversicherung: alle von allem den gleichen Anteil.
Meine Damen und Herren, seit 30 Jahren gibt es keine Kostenexplosion. Der Anteil der Gesundheitsausgaben am Bruttoinlandsprodukt liegt bei 6 % völlig stabil. Was gestiegen ist, sind die Beitragssätze. Sie sind deshalb gestiegen, weil die Beitragsbasis eingebrochen ist. Wir nehmen den Beitrag nur auf den Lohn. Die Grundlohnsummenquote sinkt. Also gibt es weniger, aus dem wir nehmen können.Also steigt der Beitragssatz.
Wir lösen das, indem wir die Krankenversicherung vom Lohn trennen und alle Einkommensarten hinzunehmen – fertig, ganz einfach.
Der zweite Punkt ist, die Armen werden ärmer, und die Reichen werden reicher. Deshalb wird das Geld unter der Beitragsbemessungsgrenze weniger und das über der Beitragsbemessungsgrenze mehr.
Das haben Sie politisch gewollt. Sie nennen das anders. Sie nennen das angebotsorientierte Wirtschaftspolitik. Aber im Grunde ist es das Gleiche. Solche Umverteilungsphänomene führen wieder dazu, dass der Beitrag im unteren Einkommensbereich steigt. Also muss man die Bemessungsgrenze anpassen.
Frau Oppermann, die Geschichte mit der Arbeitslosigkeit – ich kann sie nicht mehr hören. Hätten wir null Arbeitslose,wäre der Beitragssatz zur gesetzlichen Krankenkasse um nicht einmal 1 % niedriger.Wenn Sie das nicht verstehen, sollten Sie vielleicht in eine der von Frau Wolff organisierten Schulen gehen, denn da sind die Rechenarten, die man dafür braucht, Gegenstand der 6. Klasse. Dann kann man das ausrechnen.