Protocol of the Session on March 25, 2004

Der Entwurf zur Novellierung des Schulgesetzes, über den wir heute schon diskutiert haben, wird dem Landtag in Kürze zu gehen. Mit diesem Gesetzentwurf soll das bestehende System unserer Schulen vervollständigt werden. Bei dem Gesetzentwurf ist allergrößter Wert darauf gelegt worden, dass alle Kinder unseres Landes ihre Schulzeit so nutzen können, dass sie entsprechend ihrer Begabung einen möglichst hohen Abschluss erzielen können. Wir wollen, dass alle in unserem Land vorhandenen Begabungen gefördert werden.Dem wird der Gesetzentwurf Rechnung tragen. Dem ordnen wir alle unsere Anstrengungen unter. – Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Frau Ministerin, vielen Dank. – Den Oppositionsfraktionen sind drei Minuten Redezeit zugewachsen. – Frau Habermann, Sie haben für die SPD-Fraktion das Wort. Ihnen stehen sechs Minuten Redezeit zur Verfügung.

(Jörg-Uwe Hahn (FDP): Entweder hat sie acht oder fünf Minuten Redezeit! Es können keine sechs Minuten sein!)

Ich werde mir etwas aussuchen.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Frau Ministerin,ich will mit Ihrer Beweisführung anfangen.Sie wollten den Erfolg des dreigliedrigen Schulsystems am Beispiel des Landes Bayern und dessen Ergebnis in der PISAUntersuchung beweisen. Diese Beweisführung ist aber erstens nicht vollständig gewesen. Zweitens ist sie auch falsch. Ich will Ihnen das erläutern.

Erstens. Sie haben nicht berücksichtigt, dass inzwischen auch Fachleute an dem Ergebnis des Landes Bayern Zweifel angemeldet haben. Ein Großteil der 15-Jährigen befinden sich in Bayern bereits in den Berufsschulen. Die Berufsschulen haben aber an der PISA-Studie nur unzureichend teilgenommen. Natürlich wurden die restlichen Schulformen dadurch stärker berücksichtigt. Die Gymnasien hatten zum Teil die Oberhand.

Das ist aber nicht das Entscheidende. Wenn wir uns den internationalen Vergleich anschauen, dann erkennen wir sehr deutlich, dass sich auch das Land Bayern dort nur im Mittelfeld bewegt. Beim Vergleich mit Ländern im gesamten Europa kann man erkennen, dass Bayern mit sei

nen erfolgreichen Schulen nicht in die Spitzengruppe vordringen konnte.

Frau Ministerin, wir haben mittlerweile schon eine Debatte über den Gesetzentwurf geführt, obwohl er noch nicht vorliegt. Ich hätte es für sinnvoller gehalten, wenn wir mehr anhand der vorliegenden Anträge diskutiert hätten.

Ich will jetzt aber einmal mit Folgendem beginnen: Die Vorlage des Entwurfs eines Qualitätssicherungsgesetzes ist angekündigt. Wo Qualität draufsteht, muss auch Qualität drin sein. Die SPD-Fraktion wird die Qualität Ihres Entwurfs zur Änderung des Schulgesetzes daran messen, ob die Hausaufgaben erledigt wurden, die uns aufgrund der Ergebnisse der PISA-Studie aufgegeben wurden. Im Gegensatz zu Herrn Irmer sehen wir da nicht, dass mit dem Gesetzentwurf Meilensteine erreicht würden.Wir sehen, dass es an manchen Stellen zögerliche Trippelschritte nach vorne geben wird. Meine Damen und Herren, liebe Frau Ministerin, insgesamt muss man aber sagen, dass Sie den Rückwärtsgang eingelegt haben.

Da wir nach Einbringung des Gesetzentwurfs noch genügend Zeit zur Diskussion haben werden, will ich an dieser Stelle nur drei Bereiche aufgreifen, bei denen die PISAStudie massive Defizite in der deutschen Schulpolitik,und zwar insgesamt, festgestellt hat. Die Kultusministerkonferenz hatte schon vor längerer Zeit beschlossen, dass entsprechende Überlegungen dazu in die Politik der Länder einfließen sollten.

Ich komme zum ersten Punkt. In Deutschland muss früher gefördert werden. Der Übergang in die Grundschule muss gleitender werden. Frau Kultusministerin, Sie haben zu Recht darauf hingewiesen, dass Sie in Ihren Gesetzentwurf aufgenommen haben, dass das Hessische Schulgesetz eine flexiblere Schuleingangsstufe vorsehen soll. Diesen Schritt begrüßen wir. Das ist aber ein Trippelschritt geblieben. Denn die Modellversuche sind inzwischen so weit ausgewertet, dass man ausreichend Erfahrung hat, um diese Form der flexiblen Eingangsstufe in Hessen flächendeckend umzusetzen. Man könnte dann auf die Praxis der Rückstellung von Kindern verzichten. Außerdem würde es nicht mehr zu frühen Schulfrustrationen mancher Kinder kommen. Es würde dann in der Grundschule eine Förderphase aufgebaut, die die Kinder individuell, je nachdem, wie weit ihre Entwicklung ist, in ein bis zwei Jahren hätten durchlaufen könnten.

Das heißt, hier wird es zu einem Beginn kommen. Aber wir erwarten, dass an dieser Stelle weitergegangen wird. Wir brauchen in ganz Hessen diese flexible Eingangsstufe.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Zuvor brauchen wir aber noch die Einführung des Bildungs- und Erziehungsplans. Das fordern wir als Opposition permanent ein. Ich sage Ihnen auch an dieser Stelle noch einmal ganz deutlich:Es wird nicht ausreichen,einen solchen Plan auf den Tisch zu legen, wenn nicht gleichzeitig dafür gesorgt wird, dass sich die Strukturen bei der Vorschulerziehung verändern. Die Qualität der Ausbildung der Erzieherinnen muss sich verändern. Außerdem muss es eine Veränderung bei den Ressourcen geben, die für diesen Bereich zur Verfügung gestellt werden. Ich würde es sehr begrüßen, wenn die Kultusministerin bei diesem Thema mit der Sozialministerin nicht immer nur kooperieren würde. Ich würde es begrüßen, wenn sie dabei die Federführung übernehmen würde.

Zweiter Punkt. Die Ergebnisse der PISA-Studie sagen uns, dass die individuelle Förderung im Schulalltag in Deutschland zu kurz kommt. Ich rede jetzt von den Ganztagsschulen. Auch die Kultusministerkonferenz hatte in ihre Planungen aufgenommen, eine Erweiterung bei den Ganztagsschulen vorzunehmen.

Inzwischen haben Sie die Forderung der SPD erfüllt – das ist auch wieder ein Trippelschrittchen gewesen – und in den Entwurf zur Novellierung des Schulgesetzes aufgenommen, dass in Zukunft Schulen aller Schulformen nach verschiedenen Konzeptionen ganztägig werden arbeiten können, also auch nach der gebundenen Konzeption. Das begrüßen wir. Ansonsten ist das, was da noch passieren soll, Rosstäuscherei. Der Gesetzentwurf, der uns heute noch nicht vorliegt, der aber verabschiedet werden soll, wird zwar einen rechtlichen Rahmen für Ganztagsschulen in Hessen schaffen. Gleichzeitig läuft das Landesprogramm aber auf Sparflamme. Wir müssen davon ausgehen, dass im kommenden Jahr höchstens 30 oder 40 Schulen eine pädagogische Mittagsbetreuung werden einführen können. Herr Irmer, wer dann von Meilensteinen bei der Einrichtung von Ganztagsschulen redet, vertut sich.

Ich greife gerne das auf, was Sie vorhin gesagt haben.Wir werden eine ganze Menge neuer Ganztagsschulen in Hessen bekommen. Da gebe ich Ihnen Recht. Aber das geschieht,weil diese Kultusministerin das Bundesprogramm „Bildung und Erziehung“ dafür missbraucht, ihren Ansatz eines achtjährigen Gymnasiums ad hoc und mit schnellsten Schritten durchzusetzen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Hans-Jürgen Irmer (CDU): Das ist doch falsch!)

Das wird dazu führen, denn diese Bundesmittel werden teilweise gebraucht werden, um die Gymnasien mit den Einrichtungen zu versehen, die sie brauchen, wenn ihre Schüler in der Mittelstufe zwischen 35 und 39 Stunden in der Schule sind. Herr Irmer, das ist in der Tat nicht unsere Konzeption von Ganztagsschule.Wir wollen keinen Fachunterricht den ganzen Tag lang, sondern wir wollen entzerrten Unterricht. Wir wollen Förderkonzepte, und wir wollen eine Kooperation von Jugendhilfe und Schule in den Schulen, um die Kinder individuell zu fördern.

Frau Habermann, die Redezeit ist um.

Ich beeile mich, Herr Präsident. – Ganztagsschulen, nur um eine Stundentafel umzusetzen, sind nicht das richtige Konzept.

Mein drittes Stichwort würde ich gerne noch nennen.

Aber bitte ganz kurz.

Ich mache es ganz kurz. – In Deutschland kommt die individuelle Schulförderung im Schulalltag zu kurz, sagt uns PISA. Dem deutschen Schulsystem fehlt es an Durchlässigkeit.

Frau Habermann, bitte kommen Sie jetzt zum Schluss.

Die Antwort dieser Landesregierung ist das Streichen des Begriffes Durchlässigkeit. Was ich von der Anschlussfähigkeit bei einem Wechsel halte, werde ich Ihnen in der nächsten Sitzung gern erklären, wenn uns das Gesetz vorliegt.

(Beifall bei der SPD)

Herr Weinmeister, Sie haben das Wort für die CDU-Fraktion. Fünf Minuten Redezeit stehen zur Verfügung.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Liebe Frau Habermann, Sie können versuchen, es hin und her zu wenden, wie Sie wollen. Trotzdem muss deutlich gesagt werden: Sie tragen immer wieder einen Popanz vor sich her, nach dem Motto:Wir müssen das, was die Schweden, die Finnen, die skandinavischen Länder insgesamt vorgemacht haben,

(Priska Hinz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Schotten nicht zu vergessen!)

so umsetzen. Wenn ich mir dann anschaue, dass das Land Bayern die gleiche Punktzahl erreicht wie das Land Schweden, dann ist mir deutlich, dass es nicht an der Systematik des Schulsystems liegt, sondern dass es daran liegt, wie die Schülerinnen und Schüler unterrichtet werden.

(Beifall bei der CDU)

Wenn ich mir anschaue – die Vorredner haben es gesagt –, dass die Länder der Bundesrepublik Deutschland, in denen Ihr Ansatz in den letzten Jahren besonders deutlich herausgearbeitet und durchgesetzt worden ist, am Ende der PISA-Skala stehen, dann denke ich, dass Sie dazu kommen müssen, Ihre Blockadehaltung aufzugeben und zu fragen, wie wir ein neues, modernes Schulsystem bekommen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Ich verwahre mich dagegen, dass die Lehrer hier allgemein in Bausch und Bogen nach dem Moto abgestempelt werden: Die Lehrer sagen immer nur, sie hätten die falschen Kinder vor sich. – Das ist wirklich nicht der Fall.

(Priska Hinz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das sagen Ihnen alle Schulforscher!)

Sie wissen ganz genau, wenn Sie mit den Lehrerinnen und Lehrern reden, dass sie durchaus versuchen, einen differenzierten Blick auf ihre Schülerinnen und Schüler zu richten. Hier einfach nur Generalschelte zu betreiben greift zu kurz.

Frau Hinz, ich schaue mir das Thema Förderstufe an. Das ist wirklich eine spannende Debatte. Aus den Jahren, bevor wir regiert haben, als Herr Holzapfel als Kultusminister dies noch vor sich hergetragen hat, kann ich Ihnen alleine aus meinem Wahlkreis drei Gesamtschulen nennen, in denen drei Schulleiter im Einvernehmen mit der Schulgemeinde statt ihrer fünften Gymnasialklassen fünfte

Eingangsklassen eingerichtet und ihre Förderstufe lieber abgebaut haben. Das macht ganz deutlich, dass sich die Förderstufe in dem Maße, wie sie bisher gefahren worden ist, eigentlich nicht durchgesetzt hat.

(Hans-Jürgen Irmer (CDU): Richtig! – Priska Hinz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sie haben wieder einmal nicht zugehört, Herr Weinmeister! Schade eigentlich!)

Aus diesem Grund können Sie nicht behaupten, wir würden hier etwas abschaffen. Wir gehen vielmehr auf den Wunsch der Lehrerinnen und Lehrer, auf den Wunsch der Eltern ein, ich glaube auch, im Sinne der Schülerinnen und Schüler, und verändern hier etwas.

Ich glaube nicht, dass wir aufgrund der Tatsache, dass wir ein achtjähriges Gymnasium einrichten, in besonderer Art und Weise merken werden, dass wir weniger Abiturientinnen und Abiturienten haben werden.

(Priska Hinz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das werden wir merken!)

Ich denke auch, dass gerade die Zahl derjenigen, die den Weg über eine 13-jährige Ausbildung gehen werden, nämlich über die Realschule und dann in die Oberstufe, oder aber den Weg, der immer wieder beschritten wird von guten Hauptschülern,die in der 10.Klasse den mittleren Abschluss machen und dann in die Oberstufe gehen, nicht abnehmen wird.Man darf diesen Weg aber nicht künstlich kaputtreden, sondern wir müssen immer wieder auf diese Chancen hinweisen.Wir müssen sagen: Hauptschulen und Realschulen sind keine Sackgassen. – Sie versuchen immer wieder, das mit Ihrer Argumentation den Leuten einzureden.

(Beifall bei der CDU)

Haupt- und Realschulen sind keine Sackgassen. Sie führen nach 13 Jahren genauso zum Abitur wie andere Schulen auch. Das muss deutlich dargestellt werden. Es geht nicht um Selektion, sondern es geht um verschiedene Wege, wie man die höchstmögliche Bildung erreichen kann.

Meine Damen und Herren von Rot und Grün, wenn Sie das beherzigen, werden Sie dem Gesetz zustimmen, denn im Endeffekt werden Sie merken, dass das, was 30 Jahre lang nicht geklappt hat, verändert wird. Wir gehen einen modernen Weg. – Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Vielen Dank, Herr Weinmeister. – Meine Damen und Herren, wir sind damit am Ende der verbundenen Debatte der Tagesordnungspunkte 36, 22, 23, 30, 51 und 52, und wir haben nunmehr über die einzelnen Anträge zu befinden.