Protocol of the Session on June 13, 2004

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Michael Boddenberg (CDU): Sagen Sie etwas, was man nachvollziehen kann!)

Herr Boddenberg, ich erfülle während einer Rede immer nur einen Wunsch.Ich erfülle Ihnen den Wunsch,dass ich etwas zu Kassel-Calden sage. Aber die ganze Rede lasse ich mir von Ihnen nicht vorgeben,Herr Kollege Boddenberg. Dafür bitte ich Sie wirklich um Verständnis. Selbst wenn man mit einer absoluten Mehrheit regiert, geht das zu weit.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Gemeinsamkeiten mit der FDP: Hier sind das Biokompetenzzentrum, das ISET und die Nanotechnologieforschung angesprochen worden. All das ist richtig. All das sind Entwicklungschancen für Nordhessen; darin stimmen wir überein.

Aber Ihr Ansatz, Niedersachsen mit ins Boot zu holen, ist falsch; denn wir haben hier keine gemeinsamen Interessen, sondern stehen im Zweifel in Konkurrenz zu Niedersachsen. Dann sollen wir uns mit Niedersachsen verbinden?

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir brauchen einen starken hessischen Wirtschaftsminister, aber keinen, der auf ein Coaching durch niedersächsische Politiker angewiesen ist.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Jetzt komme ich zu der Betonfraktion – Herr Kollege Boddenberg, Sie haben es herausgefordert –, nämlich zu der Frage: Welche Perspektive hat die Landesregierung für Nordhessen?

(Michael Boddenberg (CDU): Wir haben eine! Mich interessiert, was Sie wollen!)

Da kann ich nur sagen: Hoffentlich ist es Beton. – Herr Kollege Boddenberg, Sie wollen Nordhessen zubetonieren. Das Einzige, was Ihnen für die Entwicklung dieser schönen Region einfällt, ist Beton für Kassel-Calden und Beton für 232,9 km neue Autobahnen in Nordhessen. Sie haben für Nordhessen nur Beton übrig. Sie sind sich nicht zu schade, für Ihre Betonpolitik die längst schon in den Akten verschwunden geglaubte A 4 wieder auszugraben.

(Jürgen Frömmrich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Das ist Leichenschändung, was die da machen!)

Dann gibt es auch noch – Kollege Williges hat es angesprochen – Beton für riesige Logistikzentren, frei nach dem Motto: „Jeder Kommune ihr eigenes Logistikzentrum“. Wie die wirtschaftlich betrieben werden sollen, bleibt Ihr Geheimnis, Herr Kollege Boddenberg.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Michael Boddenberg (CDU): Was machen die GRÜNEN?)

Was machen die GRÜNEN? Wir können es Ihnen ganz konkret sagen.Wir machen keine Schaumschlägerpolitik, wie Sie sie betreiben, indem Sie ein großes Projekt, nämlich Kassel-Calden,ins Schaufenster hängen,das in der Investition und im Betrieb nicht einmal ansatzweise finanziert ist, sondern wir wollen ein Strukturprogramm, das die Region entwickelt und auf ihre Stärken setzt.

(Michael Boddenberg (CDU): Unser Dorf soll schöner werden!)

Dabei handelt es sich im Wesentlichen um drei Punkte. Energie aus Nordhessen: In diesem Bereich sind in den letzten Jahren – dank des Erneuerbare-Energien-Gesetzes der Bundesregierung – 1.500 neue Jobs entstanden. Ferner setzen wir auf Kur- und Wellnessangebote. In der Region gibt es 40.000 Arbeitsplätze, die damit zusammenhängen. Dann kommt Herr Kollege Williges und spricht von 1.100 Arbeitsplätzen, die angeblich durch den Ausbau des Flughafens Kassel-Calden geschaffen würden. Das ist ziemlich arm, Herr Kollege Williges.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir setzen auch auf die Kultur- und Wissenschaftslandschaft in Nordhessen. Das sind unsere Ansätze. Das sind die Stärken der Region. Es geht aber nicht, einfach Beton in die Region zu kippen und dadurch alle Ansätze kaputtzumachen.Herr Kollege Boddenberg,das sind unsere Ansätze.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Als nächster Redner hat Herr Abg. Uwe Frankenberger für die SPD-Fraktion das Wort.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Herr Kollege Williges, durch Ihren Beitrag ist deutlich geworden, dass, wenn es um Nordhessen geht, die CDU konzeptionell nichts – wie man bei uns sagt – auf der Pfanne hat.

(Beifall bei der SPD)

Ihrem Beitrag war – außer dass Sie immer wieder das Symbolthema Kassel-Calden in den Vordergrund geschoben haben – nicht zu entnehmen, wie Sie die Region Nordhessen in der Zukunft nach vorne bringen wollen.

Meine Damen und Herren von der FDP, wir freuen uns, dass die FDP-Fraktion jetzt auf einer anderen Ebene das nachvollziehen will,was wir Sozialdemokraten bereits seit längerer Zeit auf der Parteiebene praktizieren. Wir pflegen mit den örtlichen Akteuren unserer Partei in Südniedersachsen – wenn man schon über die Landesgrenzen hinausgeht, gehört sicherlich auch Ostwestfalen dazu – einen intensiven Dialog, weil wir wissen, dass die Entwicklung der Regionen über die Landesgrenzen hinweg betrieben werden muss. Das ist der Unterschied zu den GRÜNEN.

(Beifall bei der SPD)

Wir glauben, dass eine solche Regionalkonferenz – gemeinsam mit der Region Südniedersachsen – ein wichtiger Impuls für die Entwicklung der Region Nordhessen sein kann. Ich sage noch einmal, dass aus unserer Sicht, wenn man es rein räumlich betrachtet, auch Ostwestfalen dazugehört.

Von der Zielrichtung her finden wir den FDP-Antrag in Ordnung. Eine Zusammenarbeit der Regionen – wer will das nicht? Eine Verbesserung der Verkehrsinfrastruktur, eine bessere Zusammenarbeit in der Wissenschaft – das kann jeder unterschreiben.

Auf den zweiten und genaueren Blick erkennt man, dass Ihr Antrag in vielem unkonkret ist. So sehen wir das jedenfalls. Manchmal handelt es sich nur um eine Art Bauchladen: unverbindliche Maßnahmen, gepaart mit ein bisschen Aktionismus.

Herr Kollege Posch, Ihr Antrag lässt viele Fragen offen. Wir wollen vor allem wissen:Wer sollen denn die Akteure bei der Durchführung der Regionalkonferenz sein? Wie verbindlich sind die Verabredungen einer solchen Regionalkonferenz? Wie definieren Sie den Raum Nordhessen? Gehört z. B. der Kreis Fulda dazu oder nicht?

Daher kann die Schaffung einer solchen Regionalkonferenz zunächst nicht mehr als ein Anstoß sein. Aus dem Grund sollten wir uns erst einmal auf die Dinge konzentrieren, die auch im Lande Hessen zu erledigen sind. Wie heißt es bei uns so schön? Wir sollten zuerst einmal vor der eigenen Haustür kehren. Deswegen – Herr Kollege Posch, das schien mir auch die Intention Ihres Antrags zu sein – lassen Sie uns ein bisschen über Nordhessen und über das, was die Landesregierung für Nordhessen nicht tut, reden.

(Beifall bei der SPD)

Wenn wir uns über Nordhessens Entwicklung und seine Perspektiven unterhalten – da hat mich eine Formulierung in Ihrem Antrag etwas irritiert –, dürfen wir die Entwicklung im Rhein-Main-Gebiet nicht außer Acht lassen. So, wie Sie das formuliert haben, kann leicht der Eindruck erweckt werden, als könnte man die Entwicklungen des Rhein-Main-Gebiets und die Entwicklungen im Rest des Landes Hessen, also auch die in Nordhessen, isoliert voneinander betrachten.

Das können wir so nicht stehen lassen. Wir alle wissen doch: Wer den Blick auf das Rhein-Main-Gebiet richtet, fasst auch die gesamte hessische Entwicklung mit ins Auge; denn die Entwicklung in Hessen ist nicht nur, aber maßgeblich von der Entwicklung im Rhein-Main-Gebiet

abhängig. Anders ausgedrückt: Wer die Entwicklung im Rhein-Main-Gebiet so sträflich vernachlässigt wie diese Landesregierung, versäumt es auch, rechtzeitig wichtige Weichenstellungen für die übrigen Landesteile und damit auch für Nordhessen vorzunehmen.

(Beifall bei der SPD)

Wenn man sich die Zahlen für Nordhessen bezüglich der Entwicklung der Arbeitslosigkeit anschaut, gewinnt man auf den ersten Blick den Eindruck, dass das alles gar nicht so schlecht zu sein scheint.Aber wie das bei Statistiken so ist: Natürlich muss man auch das Ausgangsniveau betrachten. Die Arbeitslosigkeit war in Nordhessen seit jeher höher als im Bundesdurchschnitt. Damit ist man recht voreilig geneigt, jedes Zurückgehen der Arbeitslosigkeit bereits als großen Erfolg zu feiern. Das verstellt einem gelegentlich den Blick auf die wahren Probleme, die man eigentlich angehen müsste.

(Beifall bei der SPD – Zuruf des Abg. Dr. Walter Lübcke (CDU))

Lassen wir uns durch die Zahlen und deren Interpretationen auch nicht den Blick auf die wesentlichen Aufgaben und Probleme verstellen, mit denen es Nordhessen in Zukunft zu tun hat.Es gibt eine Menge zu tun.Wir vermissen vonseiten der Landesregierung ein schlüssiges Gesamtkonzept für Nordhessen.Allein auf den Ausbau des Flughafens Kassel-Calden zu setzen ist als Konzept zu dürftig.

(Dr. Walter Lübcke (CDU): Das ist doch nur eines von vielen Projekten!)

Meine Damen und Herren von den GRÜNEN, ich finde es ein bisschen schade, dass Sie den Ausbau des Flughafens Kassel-Calden nur unter dem Aspekt des Flugverkehrs betrachten.Dabei vergessen Sie aber immer wieder, zu erwähnen und zu überdenken, welche Chance für die Infrastruktur in Nordhessen in dem Ausbau des Flughafens Kassel-Calden steckt.

(Zurufe von dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es ist schade – der Kollege Posch hat es angesprochen –, dass uns die Landesregierung bis heute nicht sagen kann, wer diesen Flughafen letztendlich betreiben wird. Außer Ankündigungs- und Symbolpolitik: Fehlanzeige.

Meine Damen und Herren,die wichtigste Aufgabe,die wir im Interesse der Menschen in Nordhessen anpacken müssen, ist die Verhinderung der drohenden Abwanderung. Dem damit verbundenen Bevölkerungsrückgang in Nordhessen muss etwas entgegengesetzt werden. Wenn wir nicht gegensteuern – am Samstag haben wir die pessimistischste Prognose kennen gelernt –, dann droht Nordhessen ein gewaltiger Schrumpfungsprozess. Wenn diese pessimistischen Annahmen zutreffen, leben im Jahre 2012 in Nordhessen nur noch 92 % der Zahl der Menschen, die im Jahre 2000 dort lebten.

Man könnte sagen: Das ist aufgrund der demographischen Entwicklung nun einmal so. Dieser Erklärungsansatz greift aber unseres Erachtens viel zu kurz. Für andere Kreise, z. B. im Rhein-Main-Gebiet, wird für den gleichen Zeitraum ein Bevölkerungszuwachs um über 12 % prognostiziert. Zusätzlich verschärft wird das Problem dadurch, dass bereits heute zwischen 15 und 20 % der Bevölkerung Nordhessens im Rentenalter sind. Um es drastisch auszudrücken:Wenn hier nicht gegengesteuert wird, dann verlassen in den nächsten Jahren viele junge Menschen, die gut ausgebildet sind und über hohe Qualifikationen verfügen, die Region Nordhessen. Der Trend zur

Abwanderung aus Nordhessen kann nicht geleugnet werden,selbst wenn man diese Zahlen als zu pessimistisch ansieht. Daran sehen wir: Mehr denn je braucht Nordhessen Ausbildungs- und Arbeitsplätze.

(Beifall bei der SPD)

Am Beispiel anderer Regionen in Deutschland kann man durchaus nachvollziehen, dass hier die Landespolitik sehr wohl gefordert ist und die politischen Rahmenbedingungen so gestaltet werden müssen, dass dieser Trend gestoppt bzw. umgekehrt wird. Man muss es nur wollen.

In diesem Gesamtzusammenhang stellt sich zwangsläufig die Frage, wie wir die Region Nordhessen angesichts dieser Entwicklung positionieren. Nach allem, was ich gelesen habe, besteht unter den Fachleuten bei einer Erkenntnis weitgehende Einigkeit: Der Zusammenarbeit in der Region kommt dabei eine ganz entscheidende Rolle zu. Nicht Kirchturmdenken, sondern der Blick auf die Vorteile einer Politik im Interesse der Menschen, die in der Region leben und hier eine Zukunft haben wollen, ist gefragt.

Ich möchte mich zunächst mit dem Aspekt der regionalen Zusammenarbeit auseinander setzen. Der Adressat des FDP-Antrags ist die Landesregierung.Dabei kommen bei uns erhebliche Zweifel auf, ob die Landesregierung über den Willen verfügt – ich mag gar nicht über den notwendigen Sachverstand philosophieren, es geht allein um den Willen –, eine regionale Zusammenarbeit umzusetzen, eine sinnvolle Zusammenarbeit in Nordhessen überhaupt zu definieren und zu fördern. Diesbezüglich haben wir in Kassel in den letzten drei Jahren eine sehr interessante und zum Teil haarsträubende Diskussion erlebt.Der Stadt Kassel kommt, wenn wir über die Zusammenarbeit in der Region Nordhessen reden, eine große Bedeutung zu. Das mag manchem Nordhessen nicht gefallen, ist aber so. Das kann man auch nicht leugnen. Seit März 2001 wird in der Stadt und im Landkreis Kassel – nach maßgeblichem Anstoß durch die Wirtschaft – über eine Regionalreform diskutiert.

(Zuruf des Abg. Dr.Walter Lübcke (CDU))