Liebe Frau Präsidentin, ich bin ein bisschen sparsam, weil ich weiß, dass auch meine Uhr tickt und mir die Zeit für die Fragen nicht gutgeschrieben wird.Wir müssen das also nachher noch vertiefen.
Es war die Landesregierung, die mit ihrem Entwurf eines Existenzgrundlagengesetzes als Erste und am konsequentesten den Ansatz einer regionalisierten Arbeitsmarktpolitik vorgelegt hat. Viele Ansätze von dem, was wir in die Debatte im Bundesrat und Bundestag eingebracht haben, finden sich in Holland und in Dänemark wieder. Die Trägerschaft der Kreise und der Städte ist in diesem Gesetz festgeschrieben. Die Bundesagentur und die Kommunen sind zur Zusammenarbeit „auf gleicher Augenhöhe“ verpflichtet. Die Träger haben die Pflicht zur Unterbreitung eines Beschäftigungsangebotes – ein ganz wichtiger Aspekt. Das ist ein Argument für die Kommunalisierung, denn nur dann können solche Angebote auch tatsächlich in der Menge, wie wir es brauchen, vorgelegt werden. Ein fairer, verlässlicher Belastungsausgleich garantiert nach unserem Gesetzentwurf, dass damit den Kommunen keine zusätzlichen Kosten entstehen. Die Hilfesuchenden werden in kommunalen Jobcentern aus einer Hand betreut.Es sind klare Anreize zur Aufnahme von Arbeit vorgesehen. Durch die Stärkung der Länderkompetenzen
Schließlich etwas, was wir ansonsten vermissen, was wir aber auch auf unserer Reise bestätigt fanden: Durch die Förderung des Niedriglohnsektors würde ein nachhaltiger Beitrag zum Abbau der Massenarbeitslosigkeit geleistet werden können.
Wir sehen uns durch die Erfahrungen aus diesen Ländern in unserem eingeschlagenen Kurs sehr wohl bekräftigt und wollen ihn fortsetzen.
Frau Schönhut-Keil hat dankenswerterweise Fragen und skeptische Bemerkungen eingebracht: Wohin führt uns das Konzept der Bundesregierung, insbesondere der zuständigen Ministerien? Wenn Hartz III und IV in Reinkultur kommen, dann droht die Zentralisierung der Arbeitsmarktpolitik bei der Bundesagentur für Arbeit.
Nun ist es nicht so, dass die Bundesagentur für Arbeit – trotz der wechselnden Bezeichnungen der jeweiligen Arbeitsämter – etwas gänzlich Neues wäre. Wir haben es weiterhin – da greife ich das auf, was Herr Rentsch gesagt hat – mit einer Behörde zu tun. Die ist von oben nach unten zentralistisch organisiert,
mit sehr klaren Vorgaben, die den einzelnen Mitarbeiter oder die einzelne Mitarbeiterin in der Eigenverantwortung bis zur Bewegungslosigkeit begrenzen.Wenn die Arbeitsmarktpolitik in Deutschland im 21. Jahrhundert so organisiert und betrieben werden soll, dann haben zumindest wir große Zweifel. Sie höhlen außerdem die kommunale Selbstverwaltung aus, indem sie ihr die wichtigen Aufgaben der sozialen Daseinsvorsorge entziehen. Sie schaffen mehr Bürokratie und eine noch größere Regelungsdichte, als sie ohnehin schon vorhanden war.
Dies, obwohl – auch da waren am Anfang Schalmeienklänge in der Rede, die wir vor gut einem Jahr im Bundestag vom Bundeskanzler zur Agenda 2010 gehört haben – noch ganz andere Klänge zu hören waren hinsichtlich der Entbürokratisierung, der Flexibilisierung, der Möglichkeiten von betrieblichen Bündnissen für Arbeit.Alles das ist im Laufe der Diskussion, mit Sonderparteitagen der SPD, immer mehr in den Hintergrund getreten. Heute vergleicht man die Realität doch mehr mit dem, was immer Arbeitsmarktpolitik der Sozialdemokraten war.
Wo war denn das Veto der hessischen Sozialdemokraten, als diese zentralistische und bürokratische Arbeitsmarktpolitik auf den Weg gebracht wurde? Es war den unionsgeführten Ländern im Bundesrat zu verdanken, dass im Vermittlungsausschuss das Schlimmste verhindert werden konnte.
Wir haben im Vermittlungsausschuss durchgesetzt, dass ein Optionsmodell auf den Weg gebracht werden soll, das den Kommunen, die das wollen, den Wettbewerb zumindest ermöglicht. Die Mehrheit der Sozialhilfeträger wird nun einmal durch den Landkreistag vertreten. Wie Sie wissen, hat dieser das Projekt der Hessischen Landesregierung von Anfang an sehr aktiv unterstützt, den Kommunen, die das wollen, dies zu ermöglichen.
Hessen will dazu seinen Beitrag leisten.Wir machen noch vergleichsweise viel Arbeitsmarktpolitik, auch mit dem Einsatz von Landesmitteln und von Mitteln aus dem Europäischen Sozialfonds. Wir wollen unsere arbeitsmarktpolitischen Instrumente gezielt einsetzen, um die optierenden Kommunen zu unterstützen. Aber, meine Damen und Herren – –
Meine Damen und Herren, jetzt kommen allerdings langsam Zweifel daran auf, ob es die Bundestagsmehrheit wirklich ernst meint mit dem, was in Bundestag und Bundesrat einstimmig zum Thema Optionsgesetz beschlossen wurde. Denn es liegt immer noch kein Gesetzentwurf auf dem Tisch. Wir haben immer noch keine vernünftige und für die Kommunen und die Länder akzeptable Regelung zur Gestaltung der Trägerschaft. Es gibt gute Gründe dafür, dass Kommunen das Instrument der Organleihe als nicht akzeptabel ansehen.
Die Organleihe klingt eigentlich ganz harmlos. Sonst machen wir für die Organspende durchaus Werbung, aber hier geht es um etwas ganz anderes. Wie uns bisher geschildert wurde, führt die Organleihe dazu, dass die optierenden Kommunen tatsächlich zum Handlanger der Bundesanstalt werden und nach dem Regelungswerk der Bundesanstalt und deren Vorgaben arbeiten müssen.Frau Schönhut-Keil, Sie sind im Geschäft. Frau Kollegin Fuhrmann nickt, weil auch sie weiß, dass es so ist. Das führt zum Zentralismus. Es führt nicht dazu, dass ein wirklicher Wettbewerb um den besten Arbeitsmarkt in den Regionen entsteht.
Meine Damen und Herren, es bleibt nach wie vor völlig unbefriedigend beantwortet, wie die Finanzierung sein soll. 2,5 Milliarden c standen als Entlastung ursprünglich im Raum. Es gibt gute Argumente von Kommunen, zu sagen, dass die Kommunen durch die Finanzierung der Unterkunftskosten, die im Rahmen des Verfahrens von der Bundesregierung als Kompensation vorgeschlagen wurde, am Ende schlechter als heute dastehen. Wir alle wissen, wie die Lage vieler kommunaler Haushalte ist.
Deshalb sind im Moment Zweifel angebracht, ob die Bundesregierung und die sie tragenden Parteien das ernst meinen, was wir einstimmig im Bundestag und Bundesrat beschlossen und verabredet haben. Es wäre jenseits des politischen Schadens für die Arbeitsmarktpolitik auch ein erheblicher politischer Schaden für die Glaubwürdigkeit
zukünftiger Verabredungen im Vermittlungsausschuss zwischen Bundesrat und Bundestag,wenn man sich in Zukunft auf das gegebene Wort eines Partners nicht mehr würde verlassen können.
Meine Damen und Herren, falls die Einigung scheitert, wird zum Jahreswechsel allein die Bundesagentur für Arbeit für das AlG II zuständig sein. Ob das funktioniert, wird bezweifelt. Es existiert noch nicht einmal eine Ausschreibung für das entsprechende Computerprogramm, mit dem die Bundesagentur die neue Aufgabe meistern will. Dieses wird von vielen Fachleuten immer wieder mahnend und warnend erwähnt und eingefordert. Passiert ist bisher nichts. Es verdeutlicht die Arbeitsweise der Bundesregierung in dieser Frage. Meine Damen und Herren, wir sollten doch eigentlich gelernt haben: Toll Collect II lässt grüßen.
Aber nicht genug der negativen Punkte. Die Änderung der Finanzierung – ich habe es gesagt – hat dazu geführt, dass die Kommunen mehr Belastungen haben. In diesem Zusammenhang den Kommunen noch eine zusätzliche Belastung für die Kinderbetreuung der unter Dreijährigen aufbürden zu wollen, die unbestritten eine sehr wichtige Aufgabe ist und wo wir alle, zumindest im Westen, einen großen Nachholbedarf haben – das steht außer Zweifel –, ohne den Kommunen entsprechende finanzielle Kompensation zu geben, das grenzt fast an Dreistigkeit.
Wir wollen eine Deregulierung des Arbeitsmarktes. Es ist schlecht für dieses Land, dass diese Reform, die wir wollen, nunmehr zweieinhalb Jahre auf sich warten lässt, bis der Wähler die Bundesregierung im Jahre 2006 in den wohlverdienten Ruhestand geschickt hat.
Meine Damen und Herren, die Wahrheit ist doch, dass die Bundesregierung einen Bleimantel über dieses Land gelegt hat, mit dem jede Aufbruchstimmung im Keim erstickt wird.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie von der hessischen Sozialdemokratie haben mit dem heutigen Antrag und mit der heutigen Debatte nicht dazu beigetragen, von diesen Bleiplatten einige wegzupacken. Die Befürchtung ist, dass Sie eher noch nach neuen Bleiplatten suchen, die Sie draufpacken können.
Meine Damen und Herren, die Verweise auf Dänemark und die Niederlande sind richtig und interessant.Aber da gilt: Man kann sich nicht nur die Rosinen aus diesen Modellen herauspicken. – Wenn Sie schauen, was zum Thema gesetzlicher Kündigungsschutz in Dänemark im Konsens verabredet ist – es gibt keinen gesetzlichen Kündigungsschutz mehr, es gibt nur noch tariflichen.Wenn Sie sehen, dass betriebliche Bündnisse für Arbeit in Dänemark alle Lohnleistungen festlegen und dass Rahmentarifverträge auf der nationalen Ebene nur sehr grobe Regelungen treffen – es gibt einen durch Rahmentarif festgelegten Mindestlohn. Herr Schäfer-Gümbel, Sie haben das richtig gesagt, aber die konkrete Entlohnung wird im Betrieb entschieden und ist nicht durch Streik erreichbar, sondern nur auf dem Verhandlungswege. Es gibt keine Arbeitsgerichtsbarkeit.
Das sind alles Punkte, die hier sehr umstritten wären. Meine Damen und Herren, wir haben ein sehr interessan
tes Gespräch mit dem dänischen Gewerkschaftsbund geführt. Der Vorsitzende des dänischen Gewerkschaftsbundes, sozusagen der Herr Sommer von Dänemark, hat uns erklärt, dass man sich dort von einer engen Anlehnung an eine politische Partei gelöst hat.
Herr Staatssekretär, darf ich Sie darauf hinweisen, dass die zwischen den Fraktionen vereinbarte Redezeit abgelaufen ist?
Dort hat man sich von der Anlehnung an eine Partei mit dem Erfolg gelöst, dass man allerdings 90 % der Arbeitskräfte im Lande vertritt und damit einen anderen Fokus und ein anderes Verantwortungsbewusstsein sieht.
Wenn ich das alles zusammenfasse: Ich bleibe dabei, Reisen bildet. Es ist gut, dass man reist. Aber die Bildungsreise der hessischen SPD hat gerade erst begonnen. – Vielen Dank.
Meine Damen und Herren! Ich will an das anknüpfen, was Herr Krämer zum Schluss gesagt hat. Eine der wichtigsten Erfahrungen war, dass in beiden Ländern – in den Niederlanden und in Dänemark – eine Konsensgesellschaft nicht erst seit etwa 1945 besteht, sondern eben seit den Zeiten, in denen in Deutschland unter Bismarck die Versicherungssysteme erfunden wurden, die immer auf der Kampfsituation von Arbeitgebern und Arbeitnehmern beruhen. Dort gibt es so etwas wie Beschäftigungsräte, Stiftungen und Ähnliches, die immer auf den Konsens ausgehen. Das ist nicht übertragbar. Das ist eine ganz andere Mentalität, das ist richtig.
Deshalb muss man das unter bestimmten Bedingungen sehen. Trotzdem hat Herr Pipa auf dieser Reise irgendwann zu mir gesagt: Wissen Sie, ich fühle mich immer mehr als weißer Rabe in meiner Partei.– Das ist genau der Punkt. Wir könnten eine Menge übernehmen, was wir in unserer Situation heute dringend brauchen.
Ich will Ihnen das sagen: Wenn Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe in Dänemark und in den Niederlanden lokal oder regional zusammengeführt werden, dann gibt es noch etwas anderes, was wir nicht haben. Die Chance wäre für uns, die unterschiedlichsten Arten von Arbeitslosigkeit – die brauche ich jetzt nicht aufzuzählen – mit den Beratungsinstitutionen vor Ort zusammenzuführen, z. B. der Migrantenbetreuung, z. B. denjenigen, die in der zweiten und dritten Generation schon aus den unterschiedlichsten Gründen Sozialhilfeempfänger sind. Die gibt es doch nur vor Ort und nicht in einer Bundesagentur für Arbeit.
Es gibt die ganzen Institutionen, die zur Weiterqualifizierung, zur Nachqualifizierung, zu einem Schulabschluss führen – alles vor Ort, gebunden, viel weniger Geld, viel weniger Bürokratie, aber am Ende effizienter und effektiver. Meine Damen und Herren, auch die Lösung der Probleme, die mit Persönlichem zu tun haben – Drogenbehandlung, Alkoholprobleme –, funktioniert auf lokaler Ebene besser. Das ist aber auch eine völlig andere Grundmentalität in der Einschätzung von so genannten Lower Jobs, nämlich eine Einstellung der gesamten Gesellschaft, dass ein Dienstleistungsbereich, der nicht sehr hoch bezahlt wird, nach wie vor gesellschaftlich geachtet wird.
Deshalb ist Flexibilität nichts Negatives im Ansehen dieser Gesellschaften, sondern eher etwas Positives. Das heißt, jeder, der bereit ist, sich flexibel auf andere Arbeitsverhältnisse einzustellen, hat eine positive Sanktion zu gegenwärtigen. Wir wissen, das sind kleine Gesellschaften. Das lässt sich nicht übertragen. Herr SchäferGümbel, das haben wir gesehen.Trotzdem sind die Prinzipien richtig.
Wir brauchen nach meiner Ansicht – das ist das, was ich aus diesen Erfahrungen mitgenommen habe – die Option vor Ort. Wir müssen, wie ein dortiger Arbeitgeberpräsident in Dänemark gesagt hat, von einer reinen Geldbürokratie der Arbeitsverwaltung zu einer lokalen Vermittlungssituation herunterkommen, in der den Menschen wirklich Arbeit angeboten wird, die sie annehmen können.