Protocol of the Session on June 13, 2004

(Frank Gotthardt (CDU):Das wäre es vielleicht für Sie, aber nicht für ihn!)

Ich möchte ausdrücklich die uns vom Arbeitsgeberverband in Dänemark übergebenen Eckpunkte zum General Agreement erwähnen.Herr Boddenberg kennt sie.In diesen wird unter anderem die Bedeutung der Zusammenarbeit der drei betont, die freien Tarifverhandlungen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern und die Bedeutung der starken Arbeitnehmer- und Arbeitgeberorganisationen. Bei den Gewerkschaften gibt es einen Organisationsgrad von 80 %. Kollektive vertragliche Regelungen sind eine wichtige Quelle des Rechtes bei arbeitsrechtlichen Angelegenheiten. Es gibt liberale Regelungen auf dem Arbeitsmarkt. Ein Stichwort dazu lautet: Flexicurity. Es gibt einen lockeren Kündigungsschutz. Es gibt keinen gesetzlichen, aber einen tariflich garantierten Mindestlohn.

Herr Boddenberg, ich möchte noch eine Bemerkung zum Kündigungsschutz machen. Das, was Sie sagten, ist natürlich nicht ganz richtig gewesen. Ein Kündigungsschutz von nur einem Tag gilt in vielen Bereichen. Der Kündigungsschutz kann aber auch bis zu einem halben Jahr dauern. Das ist Gegenstand einer tarifvertraglichen Verabredung und keine gesetzliche Bestimmung. Dafür gibt es aber etwas,was das Gegenteil von dem ist,was wir hier bei der Diskussion erleben. Bei dem Lohnersatz gibt es eine hohe Quote. In Dänemark bedeutet das z. B., dass jemand 90 % des letzten Arbeitsentgelts für vier Jahre erhält.Spätestens nach einem Jahr hat dort jemand das Recht, an aktivierenden Maßnahmen teilzunehmen.

Viele von uns hat das irritiert.Denn damit hatten wir nicht gerechnet. Es gab ein Delegationsmitglied, das, nachdem wir das erfahren hatten, von Sozialismus sprach. Ich will ausdrücklich betonen, dass ich das nicht war. Der Arbeitgeberverband wies ausdrücklich darauf hin, dass ein Ziel

darin besteht, eine möglichst geringe Lohndifferenzierung zu haben.

Diese Politik wurde dann durch eine ganze Reihe von Maßnahmen ergänzt, die die sozialdemokratische Regierung nach dem Regierungswechsel im Jahr 1993 durchgeführt hat. Das Jahr bitte ich sich zu merken. Denn darauf komme ich gleich noch einmal zurück. Unter anderem wurde eine Politik für eine harte Währung gefahren. Es wurde ein Stabilitätskurs eingeschlagen, bei dem es aber eine starke Orientierung auf die Arbeitslosigkeit gab. Es gab bestimmte Reformen am Arbeitsmarkt. Es gab ein nachfragestimulierendes Paket und eine Steuerreform. Das sind alles Positionen, die in dem Papier der Arbeitgeber formuliert waren. Das sind also keine Positionen, die ich hier so für mich entwickelt habe. Es gibt die Jobrotation, die Möglichkeit zum Sonderurlaub und eine Verschärfung bei den Leistungen bei gleichzeitigem Rechtsanspruch auf aktivierende Maßnahmen.

(Beifall der Abg. Petra Fuhrmann (SPD))

Das bedeutet, dass ein entsprechendes Angebot vorhanden sein muss. Denn ansonsten wird aus dem Grundsatz „Fördern und Fordern“ das, was der Ministerpräsident immer daraus macht.Aber dazu komme ich gleich noch.

(Beifall der Abg. Petra Fuhrmann (SPD))

Zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit gibt es dort Maßnahmen nach sechs Monaten Arbeitslosigkeit.Das ist ein klares Angebot. Auch da müssen entsprechende Angebote vorhanden sein. Denn ansonsten kann dieser Anspruch nicht eingelöst werden.

Auch auf der Angebotsseite gibt es sehr spannende Modelle. Das, was wir dazu in Kopenhagen gesehen haben, hat uns sehr beeindruckt. Dort wird nämlich gesagt:Wenn wir nach einem Jahr sehen, dass die Maßnahme nicht funktioniert, also keinen Erfolg hat, dann wird sie eingestellt, und wir machen etwas Neues. – Das ist eine Grundphilosophie, die ich hier an vielen Stellen vermisse.

Ein weiterer wichtiger Punkt ist letztlich auch die Dezentralisierung des Arbeitsmarktes. Auf die Zahlen, die den Erfolg zeigen, hat Herr Boddenberg hingewiesen. Deswegen muss ich das hier nicht mehr im Detail machen.

Das sind die Fakten, die es in Dänemark gibt.

Hinsichtlich der Niederlande müsste ich jetzt von vorne beginnen.Denn die Instrumente,die es dort unterhalb der Grundphilosophie gibt, sind anders ausgerichtet. Dort werden andere Schwerpunkte gesetzt. Dort wurde z. B. ein sozialökonomischer Rat eingerichtet, den wir besucht haben. Die Grundphilosophie ist aber ähnlich. Alle Akteure orientieren sich auf Integration und Beschäftigung. Die Rahmenbedingungen werden zwischen den Akteuren,und zwar allen,verabredet.Nach den entsprechenden Rahmenbedingungen wird das dann lokal umgesetzt.

Nach der Reise waren wir uns darin einig, dass wir viel gelernt haben. Wir waren uns aber auch darüber einig, dass wir wahrscheinlich nicht alle das Gleiche gelernt haben. Eine andere Einschätzung lassen auch die Presseverlautbarungen des Ministerpräsidenten nicht zu, die er vor, während und nach der Reise herausgegeben hat. In der ersten Erklärung ging es ausschließlich um das Thema Kündigungsschutz. Das gibt es in Dänemark nicht. In der Erklärung wurde mitgeteilt, das sei gut.

(Zuruf des Abg. Michael Boddenberg (CDU))

Herr Boddenberg, ich habe die Presseerklärung dabei.

Ich komme zu der zweiten Presseerklärung. Dort wird behauptet, betriebliche Lösungen seien das Optimum. Dabei wurde aber nicht mitgeteilt, was es dort an Rahmenbedingungen gibt. In den dänischen Betrieben werden z. B. die Betriebsräte von den Gewerkschaften bestellt. Dort gibt es also ein völlig anderes System. Das hat in der Presseerklärung alles keine Rolle gespielt. Es wurde alles in einen Topf gemischt, einmal umgerührt, und das war es.

Nach der Reise hörten wir einen Mix aus verschiedenen Teilen. Aber die Gesamtphilosophie wurde dort eben nicht mitgeteilt.

Wir waren uns zwar alle einig, dass wir nicht alle das Gleiche gelernt haben. Dass die Landesregierung aber bisher nahezu nichts gelernt hat, verwundert mich schon.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Deswegen noch drei Bemerkungen in der Sache. Bei der Arbeitszeitpolitik ist auf die Flexibilität bei den betrieblichen Möglichkeiten hingewiesen worden, Stichwort: 48 Stunden Betriebsarbeitszeit pro Woche für den einzelnen Beschäftigten. In den bisherigen Verlautbarungen wird aber nicht darauf hingewiesen, dass die Jahresarbeitszeit in Dänemark unter der von Deutschland liegt.

Eine zweite Bemerkung zu den betrieblichen Bündnissen. Es wird immer so getan, als gäbe es keine in der Bundesrepublik. Das ist völliger Unsinn. Gerade der letzte Tarifvertrag in der Metallindustrie hat erhebliche Öffnungen vorgenommen. Das ist auch in Ordnung so. Herr Boddenberg, ich glaube aber, dass es in der Landesregierung – ich habe aufmerksam Ihren Bemerkungen zugehört und fand, darin waren ein paar Öffnungen, über die wir im Ausschuss sehr gut weiter diskutieren können – eher eine Position gibt, bei der es nicht um die Aufwertung von betrieblichen Bündnissen geht, sondern um die Zerschlagung der Rahmensetzung für Tarifverträge – anders machen die Positionen von Herrn Koch bisher keinen Sinn –, und dies ohne die Möglichkeit eines kollektiven Arbeitsrechts auf der Betriebsebene. Das verweigern Sie bisher auch. Darüber haben wir am Rande der Delegationsreise auch diskutiert.

An dieser Stelle möchte ich deshalb ausdrücklich auf das Papier des dänischen Arbeitgeberverbandes verweisen, der am Ende auf die kollektivvertraglichen Regelungen als wichtige Rechtsquelle in arbeitsrechtlichen Angelegenheiten hinweist.

Drittens zum Grundsatz der ortsnahen Umsetzung, zur Regionalisierung und Kommunalisierung der Arbeitsmarktpolitik. Ich möchte dabei auf zwei Probleme hinweisen. Sowohl im dänischen Sozialministerium als auch beim Leiter der Arbeitsmarktabteilung der Stadt Den Haag wurde deutlich,dass bestimmte Steuerungsfragen in den jeweiligen Modellen, die dort derzeit diskutiert werden,noch nicht geklärt sind,weil es Probleme gibt.Wir haben das Stichwort mit der Frage aufgenommen: Wie gehen wir beispielsweise mit der Ausbildung von Schneiderinnen und Schneidern um? Ich meine, es ist nach wie vor absurd, dass wir in bestimmen beruflichen Schulen ganze Klassenverbände ausbilden, obwohl wir in der Region keine einzige Änderungsschneiderei haben, kein Textilunternehmen usw. Nur als Vorbereitungskurs für Designerstudiengänge an Fachhochschulen – da muss man sich überlegen, ob das das richtige Instrument ist, insbesondere für diejenigen, die nicht anschließend an der FH studieren wollen.

Deswegen ist die Steuerungsfrage von zentraler Bedeutung. Ich hätte Herrn Koch jetzt gerne gefragt, ob er das Buch über das niederländische Beschäftigungswunder von Herrn Visser, einem Mitglied des Arbeitsmarktinstituts an der Amsterdamer Universität, das ihm überreicht wurde, mittlerweile gelesen hat.Wir hatten am Rande des Botschaftsgesprächs mit ihm diskutiert.Auch er hat explizit darauf hingewiesen: Weil die Kommunalisierung erst zum 01.01.2004 in den Niederlanden umgesetzt wurde, gibt es überhaupt noch keine Erfahrungswerte. Insbesondere die Steuerungsunterschiede und -probleme zwischen den städtischen Regionen und den ländlichen Regionen können auch in den Niederlanden nicht beantwortet werden. Deswegen ist die reine Kommunalisierung, der Sie gebetsmühlenhaft das Wort reden, auch nicht die Lösung.

(Gerhard Bökel (SPD): Außerdem haben die Geld gekriegt!)

Außerdem haben sie Geld bekommen. Amsterdam hat z. B. 200 Millionen c pro Jahr für aktive Maßnahmen bekommen. Davon sind wir wirklich meilenweit entfernt.

(Gottfried Milde (Griesheim) (CDU): Hier ist der Bund in der Pflicht!)

Im dritten Abschnitt würde ich gerne ein paar Fragen stellen. Wir werden morgen noch im Detail über die Ausbildungspolitik reden. Wir haben dies hier schon häufig getan, deshalb nur so viel. Herr Boddenberg, in einem Land – das ist der Unterschied zu Dänemark und den Niederlanden –, in dem 560.000 Ausbildungsplätze im Jahr 2002 zur Verfügung gestanden haben und 35.000 fehlen, wobei ich die 112,5 % des Bundesverfassungsgerichts weglasse und nur von den realen Zahlen spreche, muss es doch möglich sein, dass wir diese 35.000 Ausbildungsplätze holen. Nun gestehe ich gerne, dass wir uns hier häufig über die Frage streiten, ob die Ausbildungsplatzumlage ein mögliches Instrument ist. Dazu gibt es klare Unterschiede hier im Haus.Aber jedem in diesem Haus muss klar sein: Die Ausbildungsumlage alleine wird das Problem nicht lösen. Aber von Ihnen höre ich bisher keinerlei Antworten außer irgendwelchen Kampagnen,

(Michael Boddenberg (CDU): Doch, das habe ich gestern gesagt!)

die in den vergangenen Jahren immer schief gegangen sind. Die Bilanz der Kampagne vom letzten Jahr ist niederschmetternd, um das ganz deutlich zu sagen.

Herr Kollege Schäfer-Gümbel, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Kahl?

(Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Von ihm immer!)

Herr Abgeordneter,wie bewerten Sie bei dieser wichtigen Debatte, die von der Seite der CDU gesetzt worden ist, dass auf der Regierungsbank kein Verantwortlicher dieser Debatte beiwohnt?

Herr Kollege Schäfer-Gümbel, wenn Sie antworten, müssen Sie dann auch langsam zum Ende kommen.

Dann beeile ich mich. – Ich glaube, die Antwort liegt auf der Hand: Es ist ein Armutszeugnis, aber das wussten wir auch vorher schon.

(Beifall bei der SPD)

Ich mache es jetzt sehr schnell. Andere Probleme sind z. B., welche Signale Sie derzeit industriepolitisch setzen. Stichworte sind Ticona – dazu kommen wir bestimmt noch einmal im Ausschuss –, Betreuungspolitik und Fördern und Fordern.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich komme zum Schluss. Ich bin dankbar dafür, dass Sie überhaupt noch Ihren Antrag als Reaktion vorgelegt haben. Das Problem ist nur, dass darin leider nichts steht. Deswegen vier abschließende Bemerkungen.

Erstens. Die Grundphilosophie in den Niederlanden baut auf den Prinzipien Kooperation und Integration in den Arbeitsmarkt auf. In Deutschland ist das leider anders, in Hessen ganz besonders.

Zweitens. Die Reformpolitik – jetzt komme ich zur Jahreszahl 1993 zurück – in den Niederlanden und in Dänemark setzte Anfang und Mitte der Neunzigerjahre ein. Da haben andere Verantwortliche in dieser Bundesrepublik gepennt, und zwar dauerhaft.

(Ruth Wagner (Darmstadt) (FDP):Alle!)

Sonst hätten wir die Probleme in dieser Form heute nicht.

Dritte Bemerkung. Die aktuelle Diskussion um die CDUWirtschaftspolitik und die CDA-Kritik am Wirtschaftspapier zeigen, dass Sie nicht zukunftsfähig sind.

Der vierte ist der entscheidende Punkt. Wenn Sie über Fördern und Fordern reden, reden Sie nicht über die Anforderungen an moderne Ausbildungspolitik, sondern Sie reden über Selektion und Ausgrenzung. Ich glaube, dass dies auch Ihr Kalkül ist. Übrigens hat Ihr selbst ernannter Arbeitsmarktexperte, der Herr Koch, wesentlich zum Chaos beim Optionsgesetz in Berlin beigetragen. Ein großer Teil der Verantwortung für das Chaos, das wir jetzt haben, hat dieser Ministerpräsident, weil er sich als selbst ernannter Arbeitsmarktexperte in Sachen hineingehängt hat, in die er sich besser nicht hineingehängt hätte.

(Beifall bei der SPD)

Herr Kollege Schäfer-Gümbel, ich möchte Ihnen nicht zu nahe treten.Aber wir waren schon sehr gnädig.

Letzter Satz. – Herr Koch ist schicht und einfach der falsche Mann am falschen Platz, und die Zeche zahlen wieder einmal die Falschen. – Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Das Wort hat Frau Kollegin Schönhut-Keil, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.