Protocol of the Session on March 19, 2004

Dafür werden die Mittelständler, die ihrer Verpflichtung dankenswerterweise nachkommen – die auch überproportional ausbilden –, durch die Ausbildungsplatzumlage entlastet.Was daran mittelstandsfeindlich ist, müssten Sie noch einmal erläutern, Herr Kollege Posch.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir haben in der Bundesrepublik die duale Berufsausbildung, um die uns viele andere Länder wirklich beneiden. Wir haben gesagt, den schulischen Teil der Berufsausbildung organisiert der Staat, und den betrieblichen Teil organisiert die Wirtschaft. Das ist ein gutes System, zu dem sich alle bekannt haben. Viele Betriebe kommen ihrer Ausbildungsverpflichtung auch nach.

(Michael Boddenberg (CDU): Dann lassen wir es auch so!)

Aber das ist kein Schönwetterbündnis. Das ist kein Bündnis zwischen Staat und Wirtschaft, dessen Grundbedingung lautet: „Wenn wir 3 % Wachstum haben, kommt ihr eurer Ausbildungsverpflichtung nach“, sondern es heißt: Wir geben den jungen Menschen immer eine Chance, einen Ausbildungsplatz zu bekommen.– Das ist kein Schönwetterbündnis, bei dem die Wirtschaft sagen kann: Wenn es uns gerade nicht gefällt, verabschieden wir uns aus unserer Ausbildungsplatzverpflichtung. – So funktioniert das nicht, Herr Kollege Boddenberg.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das muss man denjenigen, die ihrer Verpflichtung nicht nachkommen, auch sagen. Das wird in unserem Land so nicht funktionieren. Eine immer bessere Infrastruktur fordern, immer niedrigere Steuern verlangen und sich aus immer mehr gesellschaftlichen Verpflichtungen zurückziehen – das ist keine funktionierende Arbeitsteilung zwischen Staat und Wirtschaft in unserem Land.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Volker Hoff (CDU): Deshalb wollen Sie auch verstaatlichen!)

Welche Probleme gibt es in der dualen Berufsausbildung oder bei den Ausbildungsplätzen? Wir haben insgesamt

zu wenig Ausbildungsplätze. Ich denke, darin sind wir uns einig. Wir alle kennen die Zahl. Eigentlich müssten, gemessen an der Stärke des Jahrgangs, jedes Jahr 120 % Ausbildungsplätze zur Verfügung gestellt werden, damit die Jugendlichen eine Auswahlmöglichkeit haben. Davon sind wir sehr weit entfernt. Dass wir insgesamt zu wenig Ausbildungsplätze haben, ist das erste Problem.

Das zweite Problem – Herr Kollege Boddenberg hat es angesprochen – betrifft vor allem die Schülerinnen und Schüler, die die Schule mit einem schlechten Schulabschluss verlassen und dann einen Ausbildungsplatz suchen. Für die Ausbildungsgänge der Schülerinnen und Schüler mit einem schlechten Abschluss brauchen wir in der Tat eine Modularisierung.Wir müssen verstärkt zweijährige Ausbildungsgänge schaffen. Das ist bei uns GRÜNEN überhaupt nicht strittig.

(Michael Boddenberg (CDU): Das liegt alles auf dem Tisch!)

Das müssen wir angehen; in dem Punkt sind wir uns einig.

(Volker Hoff (CDU): Da gibt es kein Problem!)

Aber wir müssen auch das Problem angehen, dass wir in diesem Land insgesamt zu wenig Ausbildungsplätze haben.Meine Damen und Herren von der CDU und von der FDP, auf diese Frage habe ich von Ihnen keine Antwort gehört.

(Volker Hoff (CDU): Regierungswechsel, das ist die Antwort!)

Sie haben gesagt, was Sie nicht wollen. Aber Sie haben nicht gesagt, wie Sie es schaffen wollen, dass in diesem Land für junge Menschen wieder genug Ausbildungsplätze zur Verfügung gestellt werden. Sie können es sich nicht so einfach machen, auf diese zentrale Frage keine Antwort zu geben.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Volker Hoff (CDU): Der Rücktritt von Schröder wäre das größte Ausbildungsplatzprogramm!)

Dass die Ausbildungsplatzumlage kein „Knechtungsinstrument für den Mittelstand“ ist, wie es der Kollege Posch hier gesagt hat,sieht man an der Entwicklung in der Bauindustrie.

Herr Kollege Wagner, Sie müssen zum Schluss kommen.

Ich bin bei den letzten Sätzen. – Im „Gießener Anzeiger“ vom 31.10.2003 steht – man höre und staune – ein Kommentar mit dem Titel „Ausbildungsumlage beim Bau unumstritten“:

Das ist ein System, das auf breite Akzeptanz der Betriebe stößt, versichert die Sprecherin des Zentralverbands des Deutschen Baugewerbes, Ilona Klein.

Warum soll das, was im Baugewerbe wunderbar funktioniert, nicht auch in anderen Branchen funktionieren? Diese Frage müssten Sie hier beantworten.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Volker Hoff (CDU): Das größte Beschäftigungs programm wäre der Rücktritt von Gerhard Schröder! So einfach ist das!)

Das Wort hat der Herr Wirtschaftsminister.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich glaube, Herr Posch wird mir zustimmen, wenn ich sage: Gerade das letzte Beispiel zeigt, wohin es führt, wenn ein System wie das in der Bauindustrie, das auf freiwilligen Vereinbarungen beruht – wie das von Ihnen angedacht ist –, umgesetzt wird.

(Zuruf des Abg. Dieter Posch (FDP))

Schauen wir einmal, wie es eigentlich in der Bauindustrie mit der Anzahl der Auszubildenden aussieht. Diese Zahl ist kontinuierlich zurückgegangen. Das ist die Realität.

(Zuruf des Abg. Dieter Posch (FDP) – Tarek AlWazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Weil die Bauarbeitsplätze zurückgegangen sind!)

Wenn Sie jetzt das von Ihnen angedachte System vom Einzelfall auf das Ganze übertragen, dann können wir heute schon erahnen, wohin das führt.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU – Zuruf des Abg Dieter Posch (FDP))

Das ist eine nüchterne Bewertung. Meine sehr verehrten Damen und Herren, damit sind wir beim Grund des Problems angelangt. Genau wie gestern in der wirtschaftspolitischen Debatte allgemeiner Art, so gilt auch hier:Wenn die Wirtschaft schrumpft, wenn die Unternehmen keine Perspektive haben, wenn sie ständig verunsichert werden – wie beispielsweise mit der drohenden Ausbildungsplatzabgabe –,

(Volker Hoff (CDU): Steuererhöhungen!)

dann stellen sich die Verhaltensweisen ein, die wir heute zutiefst beklagen müssen – an diesem Punkt zulasten der jungen Menschen. Das ist der wesentliche Grund.

Der zweite wesentliche Grund ist die demographische Situation. Da wollen wir uns nichts vormachen. Zumindest anhand der Perspektiven in Hessen werden wir diese Menge an Ausbildungsplatzbewerbern bis weit über das Jahr 2007 hinaus haben. Das ist kein Problem von heute und des nächsten Jahres.Vielmehr müssen wir uns darauf einstellen – diese Daten haben wir –, dass das ein länger andauerndes Problem, eine länger anhaltende Herausforderung sein wird.

Als dritten Punkt nenne ich schließlich den Fakt – das wurde bereits erwähnt, und darum sollten wir nicht herumreden –, dass die mangelhafte Ausbildungsfähigkeit eines zu großen Teils junger Menschen auch ein Grund dafür ist, dass mancher Ausbildungsvertrag nicht zustande kommt. In Hessen haben wir im Sommer und im Frühjahr letzten Jahres eine Lücke von 13.000 Ausbildungsplätzen gehabt. Die Hessische Landesregierung und der Ministerpräsident haben gesagt, unser Ziel ist es, diese Lücke so gut es geht – möglichst ganz –, zu schließen.

Heute können wir Bilanz ziehen. Wir dürfen zufrieden feststellen, dass sich diese große Lücke sehr stark reduziert hat. Allerdings müssen wir nüchtern konstatieren:

nicht bis auf null, sondern – wenn wir angebotene offene Stellen und Nachfrageüberhang gegeneinander rechnen – es sind etwa 2.000 junge Menschen ohne Ausbildungsvertrag.

Warum, das müsste im Einzelnen analysiert werden.Aber ich möchte in diesem Zusammenhang zumindest mein Bedauern darüber ausdrücken, dass die Praktikaplätze, die in der Landesverwaltung zu Verfügung gestellt worden sind – alleine bei der Landesregierung waren es 913 –, leider nicht besetzt wurden. Schließlich und endlich konnten nur 170 Plätze besetzt werden. Das ist zu wenig, wenngleich es für die Beteiligten eine große Chance ist. Denn sämtliche Ausbildungsbetriebe, mit denen wir gesprochen haben – Sie wissen, ich bin im letzten Jahr durch sämtliche Arbeitsamtsbezirke gereist, und ich werde das in Kürze wieder tun –, haben gesagt: Jeder junge Mann, jede junge Frau, die ein Praktikum machen, haben nicht nur eine Chance, sondern sie sind auch in der Realität mit einem ganz normalen, formellen Ausbildungsvertrag übernommen worden.

Mein Appell an die jungen Menschen ist: Diese Chance sollten Sie nutzen, um im Arbeitsleben, in der beruflichen Wirklichkeit Fuß zu fassen.

(Beifall des Abg. Dr. Franz Josef Jung (Rheingau) (CDU))

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn ich für die Landesregierung erkläre, dass wir die Ausbildungsplatzabgabe aus vielerlei Gründen, die eben schon genannt wurden, strikt ablehnen, dann stehe ich damit in Übereinstimmung mit allen Länderwirtschaftsministern der Bundesrepublik Deutschland.

(Beifall des Abg. Dr. Franz Josef Jung (Rheingau) (CDU))

Anlässlich der Wirtschaftsministerkonferenz im Dezember in Magdeburg gab es einen einstimmigen Beschluss, der an die Bundesregierung gerichtet war. Die Landeswirtschaftsminister wehrten sich aus ökonomischer Verantwortung, insbesondere aber im Hinblick auf die Verantwortung für die jungen Menschen, eindeutig gegen diese Abgabe, weil sie im Ergebnis zu ganz anderen, nämlich negativen Verläufen führen wird.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Wirtschaftsministerkonferenz hat sich auch deswegen dagegen ausgesprochen, weil diese Abgabe nicht ein Stück weniger Staat bedeutet – was wir dringend in allen Bereichen der Wirtschaft brauchen –, sondern erneut ein Stück mehr Staat.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Meine Damen und Herren, das heißt, dass sich die Wirtschaft – wenn ich von Verantwortung der Wirtschaft spreche, dann sind damit beide gemeint, Arbeitgeber und Arbeitnehmer – nicht ihrer hohen Verantwortung entziehen kann, hier Wege zu finden. Da muss man sehr enttäuscht feststellen, dass es in den letzten Jahren nur sehr schwer und mit einem unglaublich großen zeitlichen Aufwand gelungen ist – nämlich sage und schreibe zehn Jahre – neue Ausbildungsberufe zu generieren. Diese neuen Ausbildungsberufe folgen der technischen Entwicklung in Handwerk und Wirtschaft, aber sie nehmen auch Rücksicht darauf, dass die theoretischen Fähigkeiten junger Menschen nicht gleichmäßig verteilt sind.

Herr Minister, ein freundschaftlicher Hinweis.

Ja, ich komme zum Ende.

Diese so genannten theoriereduzierten Ausbildungsberufe, 18 an der Zahl, die seit mehreren Jahren auf dem Verhandlungstisch liegen, müssen dringend kommen, denn von Experten wurde hochgerechnet, dass dadurch mindestens 20.000 junger Menschen ihre Ausbildung beginnen könnten.