Protocol of the Session on February 18, 2004

Meine Damen und Herren, es gibt eine Menge Baustellen, auf denen Ihre Arbeit derzeit ruht. Wenn ich mir den Entschließungsantrag der CDU-Fraktion zur Wirtschaftspolitik anschaue, dann kann ich nur sagen: Grimms Märchen sind im Vergleich zu dem, was Sie hier beschreiben, ein Hort der Realität.

(Heiterkeit bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Wenn man sich die realen Zahlen und dann Ihren Antrag anschaut, dann kann man nicht einmal mehr grinsen. Durch die „Operation düstere Zukunft“ musste auch die Investitionsbank Hessen Kürzungen hinnehmen. Es ist also nicht alles so prima, wie Sie in Ihrem Antrag schreiben. Im Haushalt 2004 werden die Vergütungen an die IBH um ca. 1,4 Millionen c gekürzt. Das Land vergütet der IBH mit diesem Betrag Leistungen bei der Wirtschaftsförderung. Zusätzlich fallen weitere Mittel weg, die die IBH im Jahr 2003 für Werbemaßnahmen erhalten hat. Die IBH rechnet damit, bis zum Jahre 2006 Kürzungen in

einer Größenordnung von 3,1 Millionen c realisieren zu müssen. Das ist die Wahrheit Ihrer Wirtschaftspolitik und Ihrer Mittelstandsförderung.

Ebenso muss die Forschungs- und Entwicklungsgesellschaft im Jahre 2004 mit ca. 550.000 c weniger an Dienstleistungsvergütungen auskommen.Es ist verständlich und vollkommen richtig, dass wir uns bei den Haushaltsberatungen zunächst auf die kochschen Kürzungen im Sozialbereich konzentriert haben. Ich denke aber, man sollte genauer hinschauen, wenn man die Wirtschaftspolitik tatsächlich ernst nimmt. Deshalb sage ich an der Stelle, weil Sie mich gerade so freundlich anschauen, Herr Posch: Ich begrüße ausdrücklich, dass die FDP-Fraktion in ihrem Antrag nach einer Konzeption gefragt hat. Die Landesregierung soll einmal sagen, wo es bei der Wirtschafts- und Technologieförderung, bei der Strukturförderung und bei der Wohnungsbauförderung hingehen soll. Dazu kann ich nur sagen: Das ist absolut richtig, denn wir müssen prüfen können, ob Ihre Konzepte mit Ihrer Haushaltspolitik überhaupt in irgendeiner Form in Einklang zu bringen sind. Das wage ich nämlich zu bezweifeln.

Mit dem neu zu erarbeitenden Konzept zur Wirtschaftsförderung ist z. B. die Frage verknüpft, wie die Institutionen, die das umsetzen sollen, künftig geschnitten sind. Verschiedene Modelle zur Neustrukturierung der Landeseinrichtungen werden bereits vorsichtig diskutiert. Soll etwa die IBH künftig in die Helaba integriert werden, oder sollen gleich eine gemeinsame Holding von IBH und FEH, gegebenenfalls im Rahmen der Technologiestiftung Hessen,und noch weitere verwandte Einrichtungen gebildet werden? Wir wissen es nicht, aber wir wollen einmal hören, was die Landesregierung dazu zu sagen hat. Wird dies nicht rechtzeitig diskutiert, droht aus unserer Sicht die Gefahr, dass nicht mehr alle Unternehmen einen fairen Zugang zu Landesprogrammen und Landeshilfen erhalten. Wirtschaftsförderung von Fall zu Fall könnte aus Sicht der betroffenen Unternehmen schlimmstenfalls ganz und gar willkürlich erscheinen. Das wollen wir nicht.

Ein zweites Beispiel,hier schon öfter erwähnt,ist der Ausbildungsmarkt. Sie erinnern sich: Roland Koch hat im Mai letzten Jahres Arbeit und Ausbildung für alle Jugendlichen zur Chefsache erklärt. In der Presse lief das Ganze unter der Überschrift „Kampagne für 10.000 Lehrstellen in Hessen“.

Nun zeigt die Statistik, dass die Lücke zwischen der Zahl der Lehrstellen Suchenden und der Zahl der freien Ausbildungsplätze nicht geschlossen werden konnte. Ende September, zu Beginn des Ausbildungsjahres, kamen auf über 4.000 noch nicht vermittelte Bewerber nur 1.200 Ausbildungsplätze. Die Landesregierung wollte 10.000 zusätzliche Ausbildungsstellen schaffen. Da hat sie komplett versagt.Da hat sie nichts zustande gebracht.Das Gleiche gilt für die versprochenen 1.000 Praktikumsplätze. Am Ende waren zwar 913 Plätze gefunden, davon konnten aber nur 160 besetzt werden. Ich kann nur sagen: Erfolg der Ausbildungsplatzsuche der Hessischen Landesregierung – Fehlanzeige.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Als weiteres Beispiel mag das Sparkassengesetz herhalten.

(Dieter Posch (FDP): Jawohl!)

In den Debatten des letzten Jahres waren wir uns darüber einig, dass sich die hessischen Sparkassen auf veränderte Rahmenbedingungen einstellen müssen. Wir wissen, dass

aus den europäischen Regelungen neue Anforderungen erwachsen sind.Andererseits befinden sich die internationalen Kapitalmärkte in einem rasanten Modernisierungsprozess.

Im November 2003 hat die Verbandsversammlung der Sparkassenorganisation mit einer großen Mehrheit von 87 % für ein Verbundkonzept gestimmt. Es soll nach Aussage des Sparkassen- und Giroverbandes eine systematischere, planvolle und transparentere Zusammenarbeit zwischen den 51 Sparkassen ermöglichen. Das Verbundkonzept soll auch die Kooperation zwischen den Sparkassen und der Helaba verbessern.

In der Presse sind seit über einem Jahr Mutmaßungen über das zu lesen, was die Landesregierung in diesem Neuordnungsprozess tun kann oder will. Herr Wirtschaftsminister Rhiel, ich sage an dieser Stelle ganz eindeutig: Mit den Spekulationen muss endlich Schluss sein. Sagen Sie uns, was Sie an der hessischen Sparkassenlandschaft verändern wollen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Nächstes Beispiel: Standortmarketing Rhein-Main. Um sich nicht von wenigen Branchen abhängig zu machen und um insbesondere Monokulturen zu vermeiden – die Umwandlung des Bankensektors habe ich gerade erwähnt –, ist ein modernes Standortmarketing für die Rhein-Main-Region längst überfällig. Es ist nicht richtig, das allein der Stadt Frankfurt aufzuhalsen, sondern ich denke, wir sollten uns zusammen mit der Stadt Frankfurt um ein regionales Marketingprogramm bemühen und dieses Konzept dafür entwickeln.

Ich halte das, was die Arbeitgeberverbände und die SPD vorschlagen,für richtig,nämlich die Gründung einer Wirtschaftsförderungsagentur. Ich denke, es gibt im Rahmen der bestehenden Institutionen mehrere Möglichkeiten, um dieses Ziel zu erreichen. Welche wir dann fordern, müssen wir in der Debatte sehen. Das halte ich für sehr wichtig.

Der Verkehr ist das nächste Beispiel. Ich habe es eingangs schon gesagt: Im Verkehrssektor gelingt es dem Wirtschaftsminister genauso wenig wie auf den klassischen wirtschaftspolitischen Feldern, richtig Gas zu geben.

(Minister Dr.Alois Rhiel: Dank LKW-Maut!)

Nein, nichts von wegen LKW-Maut. – Ich habe schon zu Anfang gesagt: Herr Rhiel, es ist bedauerlich, dass Sie, statt sich für eine innovative Verkehrspolitik zu engagieren, ausschließlich auf Beton setzen. Sie übersehen ein Chemiewerk, wenn es darum geht, eine neue Landebahn für den Frankfurter Flughafen zu genehmigen. Sie sind eigentlich einem neutralen Genehmigungsverfahren verpflichtet. – Aber Sie sagen sofort: „Die Piste kann kommen,da gibt es kein Problem“,und müssen von Ihrem Ministerpräsidenten korrigiert werden. Er kündigt dann gleich noch die brutalstmögliche Enteignung und die Vernichtung von 1.000 Arbeitsplätzen an.

Herr Minister Dr. Rhiel, ich halte das für ein absolutes Kasperletheater. Herr Kollege Kaufmann hat das hier schon verschiedentlich gesagt. Ich denke, Sie sind völlig gescheitert und werden das ganze Planungsverfahren gewaltig an die Wand fahren.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das zeigt sich auch an einem anderen Flughafenprojekt, das derzeit diskutiert wird. Diese CDU-Landesregierung lässt den Flughafen Kassel-Calden verrotten.Sie blockiert

eine angepasste Sanierung, wie sie vor Ort schon seit Jahren gefordert wird. Nun wird behauptet, dass die Sanierung fast so teuer sei wie ein Neubau.Auch hier gilt es,den Beton einmal sinnvoll einzusetzen. Die eingesparten Millionen werden in Nordhessen für andere Projekte wesentlich dringender gebraucht. Wir haben z. B. mehrfach ein Strukturprogramm für Nordhessen eingefordert, das Nordhessens Stärken weiter fördert und seine Schwächen ausgleicht. Stattdessen wollen Sie nur Beton in die Landschaft gießen. Das halten wir nicht für eine innovative Politik.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Als letzten Punkt möchte ich das Beispiel Regionalpolitik nennen. Auch das haben wir schon breit erörtert. Meine Fraktion ist der Auffassung, dass Sie Fulda offensichtlich noch nicht so weit entwachsen sind, dass Sie insbesondere die Rhein-Main-Region bei ihrem Bemühen um eine zeitgemäße Regionalentwicklung unterstützen. Durch Ihr Ballungsraumgesetz verhindern Sie, dass der Wirtschaftsmotor Rhein-Main wieder richtig anspringt.

Aber auch im restlichen Land bremsen Sie eine zukunftsgerichtete Reform der Regionalpolitik aus. Schauen Sie einmal über Ihren Fuldaer Tellerrand hinweg und nehmen Sie wahr, was in Deutschland und Europa passiert, Herr Dr. Rhiel. Dort arbeiten die Regionen ganz selbstverständlich zusammen und werden durch die übergeordneten Ebenen gestützt, nicht etwa, wie in Hessen, ausgebremst.

Meine Damen und Herren, ich fasse zusammen: Egal, in welchen Bereich Ihrer Politik man sich vertieft – Wirtschaftsförderung, Ausbildungsmarkt, Sparkassengesetz, Standortmarketing Rhein-Main,Verkehrs- und Regionalpolitik –, nirgendwo wird gegenwärtig auch nur der Ansatz eines planvollen Vorgehens erkennbar. Daraus ergibt sich folgende Konsequenz. Wenn schon die mikroökonomischen Details dem Zufall überlassen werden, kann erst recht keine makroökonomische Strategie vorhanden sein, die eine nachhaltige Wirtschaftsentwicklung für Hessen insgesamt zum Ziel hat.

Mit Ihrer destruktiven Haltung gegenüber der Berliner Politik werden Sie die weltwirtschaftliche Erholung natürlich nicht aufhalten. Aber etwas anderes wird passieren. Wenn Sie nicht umsteuern, findet die weltwirtschaftliche Erholung statt, ohne dass Hessen von ihr profitiert. Mit anderen Worten: Hessen droht den Anschluss an die weltwirtschaftliche Entwicklung zu verlieren. Das wäre eine einmalige Verschwendung von Qualitäten, die der Standort Hessen und die hier lebenden Menschen nicht verdient haben. Das wollen wir nicht zulassen. – Vielen Dank.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Frank Gotthardt (CDU): Hessen zittert angesichts Ihrer Rede!)

Das Wort hat Herr Abg. Frankenberger für die Fraktion der SPD.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Wenn sich die drei Oppositionsfraktionen in diesem Haus in ihren Anträgen in Bezug auf den Sachverhalt und die Zielrichtung einig sind und auch in der Bewertung der Effizienz der

hessischen Wirtschaftspolitik übereinstimmen, ist das ein Ausdruck der tiefen Sorge um die Zukunftsfähigkeit unseres Landes. Um es ganz klar zu sagen: Nicht nur wir Sozialdemokraten wissen, dass die wirtschaftlichen Daten mies und die Ursachen dafür hausgemacht sind.

(Beifall bei der SPD)

Während unter gleichen bundespolitischen Rahmenbedingungen die Arbeitslosigkeit in unseren Nachbarländern Rheinland-Pfalz und Niedersachsen um 3,5 bzw. 4,2 % zurückgegangen ist, ist sie in Hessen um 6 % gestiegen. Damit hat sich der seit Monaten andauernde Trend, dass Hessen den höchsten Zuwachs an Arbeitslosigkeit zu verzeichnen hat, fortgesetzt.

Das ist bitter für die Menschen in unserem Land, insbesondere aber für die vielen jungen Menschen, die immer noch einen Ausbildungsplatz suchen. Viele junge Menschen hatten im vorigen Sommer große Hoffnungen auf das Versprechen des Hessischen Ministerpräsidenten gesetzt, bei der Schaffung von 10.000 Ausbildungsplätzen behilflich zu sein. Angeboten wurden ihnen jedoch nur perspektivlose Praktikumsplätze in der Landesverwaltung – ein Flop sondergleichen.

(Beifall bei der SPD – Gottfried Milde (Griesheim) (CDU):Wir haben den Run auf die Praktikastellen bemerkt!)

Diese jungen Menschen sind bitter enttäuscht worden. Das ist die Folge einer Wirtschaftspolitik der Hessischen Landesregierung, die – man muss es sagen – unterdurchschnittlich arbeitet und mittelmäßige Ergebnisse bereits als Erfolg feiert. Wir haben dabei Glück, dass Hessen im bundesweiten Vergleich überhaupt noch einen Mittelplatz belegen kann. Das hat nichts mit der Wirtschaftspolitik des Landes zu tun,

(Michael Boddenberg (CDU):Was kommt jetzt?)

sondern liegt darin begründet, dass Hessen in Bezug auf seine Wirtschaftsdaten früher an der Spitze war und die Spitzenposition unter der jetzigen Landesregierung verloren hat.

(Michael Boddenberg (CDU): Deswegen seid ihr auch so deutlich bestätigt worden!)

Wir sind nicht etwa bloß auf Platz 3 oder Platz 4 abgerutscht, sondern beim Zuwachs des Bruttoinlandsprodukts liegen wir jetzt auf Platz 7.Es ist nicht auszudenken, wo wir jetzt stehen würden, hätte Roland Koch das Land Hessen 1999 nicht in einem solch guten Zustand von seiner Vorgängerregierung übernommen.

(Beifall bei der SPD – Michael Boddenberg (CDU): Das ist nicht zu fassen!)

Meine Damen und Herren, mit Schönreden ist es nicht mehr getan. Es ist immer gut, sich in einer solchen Debatte auch an die eigenen Ansprüche zu erinnern. Ich zitiere aus dem Regierungsprogramm aus dem Jahr 2003:

Instrument der Wirtschaftspolitik auf Landesebene ist in erster Linie eine effektive Standort- bzw. Strukturpolitik mit den Säulen Mittelstands-,Gründungs- und Innovationsförderung, Regionalentwicklung und Qualifizierung sowie Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit.

Das ist gut aufgeschrieben. Aber gemessen an dem, was Sie vor einem Jahr formuliert haben, müssen wir heute feststellen, dass Sie weder Ihren eigenen Ansprüchen gerecht geworden sind noch Ihre Ansprüche in Ihrem eige

nen Handeln haben erkennbar werden lassen. Noch deutlicher formuliert: In der Wirtschaftspolitik haben die Landesregierung und die sie tragende Fraktion zum Schaden der Bürgerinnen und Bürger in Hessen versagt.

(Beifall bei der SPD)

Es ist mehr als dürftig, wenn der Wirtschaftsminister dieses Landes in allen Beiträgen, die wir von ihm kennen, als Antwort auf die drängenden Fragen, die uns hier beschäftigen, verkündet, das Konzept der Landesregierung sei, dass der Staat sich aus allem heraushalten müsse. Er verkündet in dozierender Weise Grundsätzliches, vergisst aber dabei, konkrete Taten zu benennen, die jetzt erforderlich sind. Er sieht dem Abrutschen der hessischen Wirtschaftsdaten tatenlos zu.

Herr Wirtschaftsminister, Sie quälen uns hier seit Monaten mit grundsätzlichen Ausschweifungen und meinen dabei noch, einen quasi wissenschaftlichen Ansatz zu vertreten. Das könnten Sie den Menschen in Hessen doch viel banaler sagen.