(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Lachen bei der CDU – Dr.Franz Josef Jung (Rhein- gau) (CDU): Erzählen Sie doch so was nicht!)
Meine Damen und Herren, dies hat die Tatsache gezeigt, wie die Kultusministerin diese Regierungserklärung vorgelesen hat –
völlig blutleer, in elf Minuten abgelesen, obwohl Staatsminister Grüttner 20 Minuten für die Regierungserklärung haben wollte.Jetzt hat die Kultusministerin in gerade einmal elf Minuten eine blutleere Verteidigungsrede ihrer verfehlten Regierungspolitik vorgetragen. Das ist Fakt.
Meine Damen und Herren, „Auf falschem Weg ins zweite Halbjahr, auf dem düsteren Weg zur Qualitätsverschlechterung“ – das wäre der Titel einer Regierungserklärung, der von Eltern, Lehrerinnen und Lehrern und auch von Verbänden sicher unterschrieben werden würde, und
nicht,weil die Opposition so heftig gegen die Kultusministerin ist, sondern weil dies Tatsache in Hessen geworden ist, Realität im Jahre 2004.
Meine Damen und Herren, Fakt ist, die Staatlichen Schulämter sind seit November damit beschäftigt, das Chaos zu sortieren,
das die Landesregierung mit der Arbeitszeitverlängerung für Lehrerinnen und Lehrer bei gleichzeitiger Stellenkürzung angerichtet hat.
Bis heute ist nicht allen Schulen klar, welche Stellen neu besetzt werden können, ob sie alle zusätzlichen BAT-Verträge bekommen werden
und ob sie zusätzliche BAT-Verträge auf die Schnelle noch bis Montag besetzen können. Das heißt, es finden derzeit noch Einzelgespräche von Staatlichen Schulämtern mit Schulen statt, und nicht alle Stundenpläne sind bis dato geschrieben. Ein Schulamtsdirektor erklärte mir noch Ende der letzten Woche: Wissen Sie, die Stundenpläne, die zum 2. Februar in Kraft treten, sind nicht die letzten, die für das zweite Halbjahr geschrieben werden. – Das ist die Tatsache.
Fakt ist, es bewahrheitet sich unsere Aussage, dass Fachunterricht entfallen wird. Durch die Arbeitszeitverlängerung gibt es zwar mehr Stunden an den Schulen, aber nicht unbedingt in den richtigen Fächern. Frau Henzler hat schon einige Beispiele genannt. Ich füge welche hinzu. In Fulda werden an einer Schule zweieinhalb Stellen frei. Davon können 24 Stunden Kunst und Religion nicht ersetzt werden. Das heißt, hier findet ab dem 2. Februar de facto Stundenkürzung im Stundenplan statt.
In Kassel wird an einer Schule der Matheunterricht nicht ersetzt werden können,weil der Lehrer fehlt und eine entsprechende BAT-Stelle nicht genehmigt wurde.
An einer weiteren Schule wird Mathematikunterricht ab dem nächsten Halbjahr durch die Stundenminderung in einer Klasse von zwei unterschiedlichen Lehrern gegeben. Zwei Lehrer für eine Klasse im Mathematikunterricht – das ist die neue Qualität.
In einer Schule in Frankfurt wird es ab dem 2. Februar in Deutsch und Polytechnik weniger Unterricht geben. – Das waren nur vier Beispiele aus Hessen, wie es ab dem 2. Februar aussehen wird.
Fakt ist, durch den Druck von Eltern und der Opposition hat die Kultusministerin zugesagt, etwa zwei Drittel der BAT-Verträge an Schulen zu verlängern. Das ist richtig. Der Druck war notwendig. Trotzdem gibt es während eines Schuljahres Klassenzusammenlegungen in bislang unerreichtem Maße.
Nachdem schon im Jahre 2003 zwischen Sommer- und Herbstferien Klassen zusammengelegt wurden, werden jetzt Klassen wieder aufgelöst, sozusagen in einer zweiten Stufe innerhalb eines Jahres. Zwei Beispiele aus Frank
furt: die Astrid-Lindgren-Schule und die Textorschule. Die Situation der Textorschule ist besonders bizarr. Eine Lehrerin hatte sich ein Jahr für das dritte Schuljahr unter der Voraussetzung der Zusage des Schulamtes beurlauben lassen, dass für dieses eine Jahr ein BAT-Vertrag gegeben wird, die Klasse nicht aufgelöst wird und sie im vierten Schuljahr diese Klasse wieder übernimmt. Genau diese Klasse wird zum Halbjahr aufgelöst und mit anderen zusammengelegt.Das sind alles Grundschulen.Das ist Fakt ab dem 2. Februar 2004.
Ruhen Sie sich doch nicht auf IGLU aus. IGLU wurde im Jahre 2001 erhoben. Die Viertklässler haben Gott sei Dank noch nicht vier Jahre Regierungszeit der CDU erlebt. Ruhen Sie sich nicht auf IGLU aus. Sehen Sie, was jetzt an den Grundschulen mit den Klassenzusammenlegungen passiert. Das bedeutet sicher eine Qualitätsverschlechterung und keine Qualitätsverbesserung.
Fakt ist, da, wo die Schulen jetzt gerade so auch ohne BAT-Verträge klarkommen, können sie im nächsten Halbjahr keinen Ausfall mehr durch Krankheit kompensieren. Fakt ist, dies sind keine Einzelfälle, sondern dies ist Problem in ganz Hessen. Wir werden das noch größere Chaos im Sommer erleben, wenn noch mehr Stellen wegfallen, weil Menschen in Pension gehen, wenn noch weniger BAT-Verträge neu aufgelegt werden, weil die Vertretungsmittel gekürzt wurden. Dann erst werden wir richtig erleben, was diese Kultusministerin mit der Arbeitszeitverlängerung und der Zustimmung zu Stellenstreichungen in Hessen anstellt.
Meine Damen und Herren, Fakt ist, bei Teilzeitkräften wird derzeit in Minuten gerechnet, welche Stundenverpflichtung sie in diesem und im nächsten Halbjahr haben. Fakt ist,Minderstunden werden jetzt bei Lehrerinnen und Lehrern angerechnet, die ihre Arbeitszeitverlängerung nicht einsetzen können.Die haben ab dem nächsten Halbjahr mehr Stunden. Das heißt, sie haben dann zwei Stunden Arbeitszeitverlängerung im Schuljahr 2004/2005. Ich sage Ihnen: Da kommt Freude in den Kollegien auf.
Fakt ist, zu viel Energie muss von Schulen und Schulämtern auf die Neuorganisation von Unterrichtung verwendet werden. Zu viel Motivationsverlust gibt es bei Kindern, deren Fachlehrer und Klassenlehrer wechseln, die während des Schuljahres auf andere Klassen aufgeteilt werden. Und das, wo sich gerade Grundschüler an neue Klassenkameraden und Lehrer gewöhnen müssen. Das entspricht weder einer Unterrichtsgarantie, die Sie abgegeben haben, noch einer Qualitätssteigerung für die hessischen Schulen. Es ist schon verblüffend, dass Sie überhaupt noch diese Worte in den Mund nehmen.
Allein ein Blick auf die Tagesordnung dieser Plenarsitzung zeigt die Versäumnisse der Landesregierung auf, was die Qualitätsverbesserung angeht. Wir haben zwei Punkte, die noch auf der Tagesordnung stehen.
Seit mehr als zwei Jahren diskutieren wir über die Notwendigkeit der Stärkung frühkindlicher Bildung. Was macht die Landesregierung? Sie richtet eine Kommission ein, übernimmt unsere grüne Presseerklärung, unseren Begriff des Bildungsgartens. – Das war es. Wenn Sie an dem Punkt wenigstens weitergemacht hätten, aber nein:
Seit vielen Jahren diskutieren wir nun über die Reform der Lehrerausbildung. Seit zwei Jahren liegt ein Konzept von uns GRÜNEN auf dem Tisch. Es gibt sogar einen Kommissionsbericht der Landesregierung. Selbst der Ministerpräsident hat jetzt Ankündigungen gemacht. – Das war es. Meine Damen und Herren, das ist Qualitätsentwicklung nach Art der CDU.
Die Richtlinien zur Förderung von Ganztagsangeboten in Hessen sind immer noch nicht in Kraft, die Bundesmittel können nicht so schnell abgerufen werden wie in anderen Bundesländern, weil die Landesregierung nicht in der Lage und nicht willens ist, ein mehrjähriges Programm aufzulegen, das den Schulträgern die Sicherheit gibt, dass sie in den nächsten Jahren Personal für bestimmte Schulen bekommen. Es gibt keine Planungsmöglichkeiten. – Das ist Qualitätsentwicklung nach Art der CDU.
In Hessen soll die Schulzeitverkürzung eingeführt werden. Ein Konzept dafür konnten Sie aber bis heute nicht vorlegen. Nicht einmal die Frage, ob das für kooperative Gesamtschulen gilt – diese einfache Frage –, konnten Sie bis heute beantworten.
Alles, was wir wissen, ist, dass das organisatorische Chaos vergrößert wird. Die Gymnasien sollen ihre Schulzeit in zwei Staffeln verkürzen. Das heißt, Realschulen, integrierte Gesamtschulen und vielleicht auch die kooperativen Gesamtschulen – oder auch nur ein Teil – arbeiten nach alten Lehrplänen. Die neuen G-8-Züge arbeiten nach neuen Lehrplänen, die es aber noch gar nicht gibt. Außerdem müssen die Lehrpläne sowieso überarbeitet werden, weil es jetzt auch Bildungsstandards gibt. Das organisatorische Chaos, das Sie in den nächsten zwei Jahren anstellen werden, wird nicht zur Qualitätsentwicklung beitragen – außer zu der nach Art der CDU.
Im Übrigen gehören zu der erfolgreichen Einführung von Bildungsstandards die Einführung eines Unterstützungssystems, bessere Lehrerfortbildung. Lehrerinnen und Lehrer müssen den Umgang mit interner Evaluation erlernen. Sie müssen den Umgang mit externer Evaluation erlernen. Unser Antrag, dazu eine Anhörung durchzuführen, wurde abgelehnt. „Das ist für die hessische Bildungspolitik nicht wichtig.“ – Meine Damen und Herren, das ist Qualitätsentwicklung nach Art der CDU.
Ein Konzept für den notwendigen Umbau der Schulaufsicht, damit interne und externe Evaluation und Beratung der einzelnen Schulen möglich wird, die Fortbildung und die Ausbildung der Schulaufsichtsbeamten – all das wurde von der CDU abgelehnt. Wir wissen jetzt, warum. Die Staatlichen Schulämter müssen für die Hessische Landesregierung weiterhin das Haus organisieren, sie müssen die Minuten für die Teilzeitkräfte unter den Lehrerinnen und Lehrern errechnen, sie müssen die Mehr- und Minderstunden errechnen, werden die Abordnungen machen und die dazu notwendigen Statistiken führen müssen. Also werden sie sich nicht um Qualitätsentwicklung kümmern können. – Das ist Qualitätsentwicklung der hessischen Schulen nach Art der CDU.
Dieser Weg wird nicht zu besserem Unterricht und zu besserer Leistung von Lehrerinnen, Lehrern und Kindern
führen. Mehr Qualität ist nur zu erreichen, wenn Kinder vom Kindergartenalter an individuell gefördert werden, wenn es eine Kooperation mit Grundschulen gibt, wenn Lehrerinnen und Lehrer lernen, Heterogenität von Lerngruppen als Herausforderung und Chance zu begreifen, und wenn sie bei festgelegten Bildungszielen die Verantwortung für die Pädagogik und für die Organisation des Unterrichts übernehmen können.Wenn Lehrerinnen und Lehrer dann auch noch Unterstützung durch weitere Fachleute, wie Sonderpädagogen, Schulpsychologen, Sozialpädagogen oder Unterrichtsassistenten, erhalten und wenn die Schulaufsicht zu einer echten Beratungseinrichtung wird, wenn die Kinder ganztägige Schulungen mit vielfältigen Förderangeboten besuchen können und nicht permanent unter Druck gesetzt werden, dass sie sitzen bleiben könnten oder an eine andere Schule müssten,weil die Lehrerinnen und Lehrer Verpflichtungen übernommen haben, ihre Kinder zu bestmöglichen Schulabschlüssen zu bringen – dann werden wir es mit einer echten Qualitätsentwicklung an hessischen Schulen zu tun haben.
Selbst wenn Sie das nicht wollen, selbst wenn Sie nur Ihre eigenen Maßstäbe anlegen würden,die Sie über vier Jahre in Hessen verkündet haben, selbst dann könnte man sagen: Sie sollten die Worte „Unterrichtsgarantie“ und „Unterrichtsqualität“ nicht mehr in den Mund nehmen. Mit dem Haushalt 2004, mit der Arbeitszeitverlängerung und mit den Stellenkürzungen sind Ihre Versprechungen endgültig entzaubert.
(Dr. Walter Lübcke (CDU): Das müssen Sie erst einmal begründen! – Zuruf des Abg. Frank Gotthardt (CDU))
Verehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Kollegin Hinz, Sie haben über die Zeit spekuliert, die die Ministerin gebraucht hat. Die Ministerin hat elf Minuten gesprochen. Sie hat in diesen elf Minuten unendlich mehr gesagt als Sie in 15 Minuten.
(Beifall bei der CDU – Zurufe von dem BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN: Ach! – Weitere lebhafte Zurufe von dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Verehrte Frau Hinz, von daher ist die Zeit nicht Maßstab der Qualität, sondern der Inhalt ist entscheidend. Wenn Sie sich schon hier vorne hinstellen und in lyrischer Form mit sonorer Stimme Ihre Schulgeschichte erzählen, dann frage ich mich, warum Sie bei der letzten Landtagswahl in Hessen dafür keine Mehrheit bekommen haben. Das muss doch Gründe haben.