Herr Ministerpräsident, Sie haben uns in der letzten Sitzung aufgefordert, das zu vergleichen. Ich will gar nicht diese Statistikauslegungsgeschichten machen. Sie werden nachher wieder mit Blick auf die Pro-Kopf-Verschuldung relativ stolz erklären, dass z. B. Sachsen-Anhalt sich einen deutlich höheren Weg gewährt hat als das Bundesland Hessen. Das stimmt natürlich. Dabei unterschlagen Sie aber, dass Sie dieses Land Hessen 1999 von Hans Eichel und Rot-Grün in einem ordentlichen Zustand übernommen haben.
(Beifall bei der SPD – Lachen bei der CDU – Cle- mens Reif (CDU): Sie sehen heute, was Hans Eichel hinkriegt! – Zurufe der Abg. Dr. Franz Josef Jung (Rheingau) und Gottfried Milde (Griesheim) (CDU))
Ich will mich auf diese Art von Statistikexegese überhaupt nicht einlassen. Ich mache Ihrem Ministerpräsidenten einen Vorschlag: Wir reden über den zentralen Indikator. Ich glaube, es werden alle übereinstimmen, dass das zentrale Problem der Arbeitslosigkeit nicht ganz unwichtig ist. Lassen Sie uns über Arbeitslosigkeit reden. Es ist die Gretchenfrage der heutigen Zeit:Wie haltet ihr es mit der Arbeitslosigkeit?
Meine sehr verehrten Damen und Herren, bei dieser Frage ist eine Statistikauslegung überhaupt nicht notwendig. Wir haben das Landesarbeitsamt, das freundlicherweise Monat für Monat die aktuellen Zahlen veröffentlicht.
Ergebnis: In Hessen ist der stärkste Anstieg der Arbeitslosigkeit zu verzeichnen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, in keinem anderen Bundesland ist die Arbeitslosigkeit – Sie wissen es, Herr Ministerpräsident, deshalb nicken Sie – in den vergangenen zwölf Monaten so stark gestiegen wie in Hessen.
Im Oktober waren 13,5 % mehr arbeitslos als im Vorjahresmonat.Meine sehr verehrten Damen und Herren,mittlerweile hat Rheinland-Pfalz eine geringere Arbeitslosenquote als unser Bundesland Hessen, und dies hat Ihre Regierung zu verantworten, Herr Ministerpräsident.
Da sich die Kolleginnen und Kollegen von der CDU immer freuen, wenn ich den Namen Hans Eichel in den Mund nehme: Herr Kollege, unter Hans Eichel war dieses Land Vorreiter bei der Schaffung neuer Arbeitsplätze. Unter Ihrem Ministerpräsidenten sind wir Vorreiter bei der Schaffung neuer Arbeitslosigkeit.
Lassen Sie mich beim Thema Wirtschaft noch einen zweiten Bereich ansprechen: die Regionen, wo Sie total versagen. Es ist doch so, dass die wirtschaftlich starke Region Rhein-Main, dass unser Ballungsraum im Vergleich zu anderen wirtschaftlich starken Regionen mittlerweile am Verlieren ist. Es ist doch so, dass Sie mit Ihrem Ballungsraumgesetz gescheitert sind. Unabhängig davon, wie der Staatsgerichtshof entscheiden wird – ob er sagt, es ist verfassungsgemäß, oder nicht –, schadet das Ballungsraumgesetz unserem Lande Hessen und nützt ihm nicht.
Der Herr Ministerpräsident hat noch am Montag gesagt: Wenn die sich nicht freiwillig einigen, dann werde ich die Kommunen im Umland per Kabinettsbeschluss und Verordnung zwingen, dass sie sich an der Finanzierung der Ausgaben der Stadt Frankfurt beteiligen. – Meine sehr verehrten Damen und Herren, dies ist genau der falsche Weg.
Wer unter Regionalpolitik das Abkassieren der Kommunen versteht, der versteht nichts von Regionalpolitik.
Was wir zumindest im Rhein-Main-Gebiet brauchen, das ist eine mutige Strukturreform.Was wir jedenfalls im Ballungsraum brauchen, das ist die Zusammenführung der Landkreise und der Regierungspräsidien zu einer regionalen Ebene. Das spart Geld, das stärkt die Kommunen, es hilft den Bürgerinnen und Bürgern, und es ist im Interesse unseres Bundeslandes Hessen.
Lassen Sie mich zum Thema Wirtschaft noch abschließend etwas zum Frankfurter Flughafen sagen. Das kann man relativ kurz machen. Die SPD als Partei im Lande Hessen und als Landtagsfraktion steht zu den Ergebnissen des Mediationsverfahrens.
Wir wollen, dass dieser Flughafen ausgebaut wird. Allerdings ist klar,dass jede Variante,egal welche,beklagt wird. Hier sind wir in der Tat in Sorge, dass diese Klagen mittlerweile Erfolg haben könnten, und zwar wegen handwerklicher Fehler dieser Landesregierung.
Wir hatten zum einen die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts in Leipzig, angeregt durch die CDU-geführte Stadt Flörsheim und die SPD-geführte Stadt Offenbach. Das Problem an dieser Zurückverweisung an den Hof ist: Wenn der Verwaltungsgerichtshof nunmehr feststellt, dass beim Verfahren zur Aufstellung des Regionalplans Südhessen die Kommunen hätten angehört werden müssen, dann sind wir beim Ausbau des Frankfurter Flughafens möglicherweise um Jahre zurückgeworfen.
Wenn ich heute lese, dass die Bundesregierung einen Brief von der europäischen Behörde bekommen hat, dass die Kriterien der Seveso-II-Richtlinie wegen Ticona möglicherweise nicht eingehalten sind, dann ist dies ein zweites Problem.
Meine sehr verehrten Damen und Herren,die SPD-Landtagsfraktion hat Ticona besucht.Ich kann Ihnen sagen,das ist richtig erkennbar. Man sieht, dass Ticona da steht. Sie haben Ticona im Raumordnungsverfahren schlichtweg vergessen.
Herr Ministerpräsident, wenn dieses Verfahren scheitert, dann ist dies fatal für unser Land Hessen. Aber dann tragen Sie die Verantwortung für das Scheitern dieses Verfahrens.
Herr Kollege, Sie wissen doch: Aufsichtsrat und Ministerpräsident. Auch bei dem Thema Flughafen sieht man, dass euer Zenit und der des Ministerpräsidenten längst überschritten sind.
Zum Haushalt. Die haushaltsentlastenden Maßnahmen von 390 Millionen c wird der Ministerpräsident nachher erklären. Es gibt noch zwei weitere ganz große Batzen in diesem Haushalt,die für uns erklärungswürdig sind.Da ist einmal die so genannte Mobilisierung von Landesvermögen. Mobilisierung von Landesvermögen bedeutet nichts anderes als den Verkauf von Landesvermögen. Das wollen Sie in Höhe von 395 Millionen c im nächsten Jahr vornehmen. Allein der Verkauf einer landeseigenen Wohnungsbaugesellschaft an eine andere landeseigene Wohnungsbaugesellschaft soll dabei 250 Millionen c erbringen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, dies ist natürlich ein reines In-sich-Geschäft.Tatsächlich wird das Landesvermögen um eben diese 250 Millionen c verringert; denn nach dem Geschäft gehören dem Land nach wie vor zwei Wohnungsbaugesellschaften. Allerdings sind der einen dann 250 Millionen c entzogen. – Sie nicken, aber Ihr Herr Finanzminister hat dies bislang immer bestritten. Wir sagen: Dies ist ein Schattenhaushalt. Der einzige Unterschied zu einer direkten Verschuldung ist, dass die
Schulden nicht im Landeshaushalt stehen, sondern wahrscheinlich als Hypothek bei dieser Baugesellschaft.
Herr Ministerpräsident, Sie sind hier einmal angetreten und haben gesagt: Wir wollen das Prinzip durchhalten, dass wir Vermögen nur veräußern,um neues Vermögen zu schaffen. – An die Stelle dieses Prinzips ist getreten: Wir veräußern Vermögen, um laufende Ausgaben zu bezahlen.
Das geht nicht auf Dauer. Es ist leicht nachvollziehbar: Wenn das Vermögen weg ist – es wird bald verfrühstückt sein –, dann wird es in den nächsten Jahren nicht mehr funktionieren.
Was wir brauchen,ist nicht diese Tagespolitik.Wir bräuchten strukturelle Reformen. Für diese nachhaltigen strukturellen Reformen fehlen Ihnen allerdings die Kraft und der Weitblick. Das wird bei den Kürzungen im Personalbereich ganz deutlich. Sie wollen in den nächsten Jahren insgesamt 9.703 Stellen abbauen. Auch wir sind der Auffassung, dass die Senkung der Personalkostenquote ohne Stellenabbau nicht möglich sein wird.
Herr Ministerpräsident, hier gehört allerdings an die erste Stelle eine Aufgabenkritik. Wir müssen uns fragen: Was muss das Land im Interesse der Bürgerinnen und Bürger leisten? Und wie kann das am besten gemacht werden? Eine moderne Personalpolitik würde also zunächst die wichtigen Aufgaben beschreiben und dann das Personal schwerpunktmäßig für diese Aufgaben einsetzen.
Bei Ihnen läuft es umgekehrt. Bei Ihnen folgen nicht die Stellen den Aufgaben, sondern bei Ihnen folgen die Aufgaben den Stellen. Sie betreiben Stellenkürzungen nach dem Rasenmäherprinzip statt Organisationsentwicklung nach einer Schwerpunktsetzung.
Herr Ministerpräsident, die Leitlinien Ihrer Personalpolitik stammen aus dem vorletzten Jahrhundert. Sie verlängern allen die Arbeitszeit, um die so gewonnenen Stellen abzubauen. Alle Dienststellen müssen bis zum März des nächsten Jahres das dann überschüssige Personal kennzeichnen und an die neue Personalvermittlungsstelle melden. Die Mitarbeiter, die dorthin gemeldet werden, laufen dann über Monate, vielleicht über Jahre mit dem Kainsmal herum, nicht mehr gebraucht zu werden.
Es geht auch anders. Dass es anders geht, dass es einen modernen Weg der Personalentwicklung gibt, zeigt Ihnen – auch in unserem Bundesland Hessen – die Privatindustrie. Erst kürzlich wurden bei Lufthansa und bei Opel Beschäftigungssicherungsverträge mit den Betriebsräten geschlossen. Diese Verträge werden von den Belegschaften getragen.
Allerdings haben Sie es nicht einmal für notwendig erachtet, vor der Verkündung Ihrer Operation mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zu reden.