Protocol of the Session on November 26, 2003

Der zweite Teil der bundespolitischen Rede wird die Klagemauer sein, das Klagen, dass es in Hessen eigentlich ganz gut laufen könnte, dass aber an allem, was schlecht läuft, die Bundesregierung schuld sei.

(Zuruf von der CDU: Bravo!)

Herr Ministerpräsident, ich glaube, es wird Zeit, dass Sie aufhören, den Eindruck zu vermitteln, als Landesparlament und als Landesregierung hätten wir an den großen Fragen der politischen Entwicklung dieses Landes sozusagen nur marginalen Anteil,

(Michael Boddenberg (CDU): Er hat noch keinen Satz zur Landespolitik gesagt!)

wir könnten nichts bewegen, wir seien von anderen abhängig.

(Michael Boddenberg (CDU): Sagen Sie doch einmal etwas zur Landespolitik!)

So ist es nicht.Wir können die zentralen Fragen der hessischen Landespolitik in unserem Land selbst beeinflussen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das würde allerdings eine Landesregierung erfordern, die die Kraft hat, die Angelegenheiten Hessens auch anzugehen. Die Landesregierung darf sich nicht darauf beschränken, weinerlich in Richtung Berlin zu deuten und zu sagen: Wir können überhaupt nicht anders. – Herr Ministerpräsident, wenn Sie nicht die Kraft aufbringen, die Aufgaben unseres Landes anzugehen, dann, so glaube ich, sollten Sie besser zurücktreten und den Job jemanden machen lassen, der sich zutraut, diese Kraft zu haben.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ich möchte jetzt über die desaströse Haushaltslage des Landes sprechen. Natürlich ist die desaströse Haushaltslage unseres Landes hausgemacht.Die Kollegen Kahl und Schmitt haben Ihnen mehrfach vorgerechnet, dass es im Bundesland Hessen in der letzten Legislaturperiode mit die höchsten Ausgabensteigerungen aller Bundesländer gab.

(Norbert Schmitt (SPD): So ist es!)

Allein die Nettoneuverschuldung der letzten beiden Jahre summiert sich auf fast 4 Milliarden c. Daraus ergibt sich bei einer Verzinsung von 4 % – das ist niedrig angesetzt – für das Jahr 2004 eine zusätzliche Zinsbelastung von 160 Millionen c. Meine sehr verehrten Damen und Herren, das ist fast das Fünffache von dem, was Sie jetzt dadurch einsparen wollen, dass Sie die soziale Infrastruktur unseres Landes vernichten.

(Beifall bei der SPD und der Abg. Mathias Wagner (Taunus) und Kordula Schulz-Asche (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Herr Ministerpräsident, darüber hinaus haben Sie verschuldet, dass die Kreditwürdigkeit dieses Landes herabgestuft worden ist. In der letzten Plenarsitzung haben Sie uns aufgefordert, zu vergleichen. Ich will das gerne tun. Solange Hans Eichel Ministerpräsident dieses Landes war,

(Lachen bei Abgeordneten der CDU und des Abg. Jörg-Uwe Hahn (FDP))

hatte Hessen ebenso wie Bayern und Baden-Württemberg die beste Einschätzung. Hessen hatte die beste Einstufung bei der Ratingagentur.

(Clemens Reif (CDU): Das ist ja der Hammer! – Zuruf von der SPD: So war es! – Weitere Zurufe)

Ich sage es noch einmal: Solange Hans Eichel Ministerpräsident dieses Landes war, hatte Hessen die beste Einstufung bei der Ratingagentur.

(Beifall bei der SPD und des Abg. Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich stelle fest, dass die Ratingagentur die Premiumklasse für Bayern und BadenWürttemberg kürzlich bestätigt hat.

(Reinhard Kahl (SPD): Das gilt auch für den Bund!)

Aber Hessen wurde aus der Premiumklasse heraus abgestuft. Dies wurde mit der katastrophalen Haushaltspolitik dieses Landes begründet. Die Haushaltspolitik ist schlechter als in anderen Bundesländern.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das Schlimme daran ist, dass Sie für Ihr politisches Versagen nun die Menschen unseres Landes die Zeche zahlen lassen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, es trifft dabei nicht alle Menschen unseres Landes. Die Funktionäre der Vertriebenenverbände und die Pferderennsportliebhaber haben von dieser Landesregierung nichts zu befürchten. Dafür werden die Schwächsten der Schwachen dieser Gesellschaft erbarmungslos und herzlos geopfert.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wer die Zuschüsse für die Schuldnerberatungsstellen auf null stellt, der ignoriert die wachsende Not vieler Menschen. Wer die Mittel für die Gesundheitsprävention streicht, der überlässt die HIV-Infizierten und Aidskranken ihrem Schicksal, der verabschiedet sich auch von der Aufklärung junger Menschen über die Gefahren einer HIV-Infektion. Wer die ambulante Jugendhilfe zerstört, der führt unseren Jungendknästen Nachschub zu.Wer die Einrichtungen zur beruflichen Qualifizierung von Frauen schließt,der zeigt sein konservatives Weltbild,demzufolge das mit der Berufstätigkeit der Frauen doch irgendwie ein Fehler der Moderne sein muss. Wer bei den Frauenhäusern die Zuschüsse um bis zu 100 % kürzt, der nimmt vielen Frauen und geschlagenen Kindern die einzige Zufluchtsstätte.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Frau Sozialministerin, ich hoffe, dass Sie mir insgeheim Recht geben. Denn Sie müssten von den Mitgliedern dieser Landesregierung noch am ehesten wissen,welche Notlagen durch diese Einsparungen und Kürzungen im Sozialbereich entstehen. Frau Sozialministerin, selbst wenn Sie dies insgeheim tun, würde dies nicht reichen. Als Sozialministerin müssten Sie für Ihr Ressort kämpfen. Ich glaube, Frau Kollegin Fuhrmann hatte recht, als Sie Ihnen in der letzten Plenarsitzung gesagt hat:Angesichts solcher Einsparungen müsste eine Sozialministerin zurücktreten, wenn sie ihr Gesicht wahren will.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn ein Kriterium zur Beurteilung der Gesellschaft das ist, wie diese mit den Außenseitern, den Schwächsten in der Gesellschaft, umgeht, dann muss man sagen, dass unser Bundesland Hessen unter dieser Landesregierung an einem Tiefstpunkt angelangt ist. Herr Ministerpräsident, angesichts der Tatsache, dass Sie Ihr Kabinett noch vor wenigen Monaten um einen Minister aufgebläht haben, und angesichts der Tatsache, dass Sie Ihren neuen Dienstsitz mit einer Luxusausstattung versehen wollten, was inzwischen auch der

Rechnungshof gerügt hat, ist es geradezu obszön, dass Sie das Geld hierfür nun bei den Schwächsten der Schwachen einsammeln wollen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Kürzungen im Sozialbereich werden unser Land ärmer machen.Vieles von dem, was Sie jetzt zerstören, wird unwiederbringlich zerstört sein. Herr Ministerpräsident, wegfallen werden die Landesmittel, nicht die Aufgaben. Wegfallen werden die Institutionen. Wegfallen werden nicht die Menschen, die die Hilfe brauchen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, neben den Kürzungen im Sozialbereich, also neben dem sozialpolitischen Kahlschlag, zeichnet sich dieser Haushaltsentwurf durch eine beispiellose Wachstums- und Wirtschaftsfeindlichkeit dieser Landesregierung aus. Eine der Ursachen für die Probleme unseres Landes ist die seit Jahren währende Stagnation der Wirtschaft. Wir wissen alle, dass wir nachhaltiges Wirtschaftswachstum brauchen, wenn wir die finanzielle Not der öffentlichen Hände auf allen Ebenen beheben wollen. Wir wissen alle, dass wir nachhaltiges Wachstum brauchen, wenn wir den Wohlstand unseres Landes selbst nur bewahren wollen. Nach der Prognose aller wichtigen Wirtschaftsinstitute – dies sind nicht nur die nationalen, sondern auch die internationalen – haben wir die Chance, die Stagnation im nächsten Jahr zu überwinden. Es besteht im nächsten Jahr die Chance, dass ein nachhaltiger Aufschwung beginnt. Wir alle wissen, dass Vorreiter dieser Entwicklung die Exportwirtschaft ist. Deutschland ist schon in diesem Jahr wieder Exportweltmeister. Das heißt, kein Land dieser Erde exportiert mehr Waren und Dienstleistungen als die Bundesrepublik Deutschland.

(Heinrich Heidel (FDP): Dies ist trotz Hans Eichel so!)

Unser Problem ist die Binnenkonjunktur. In dieser Situation müssten wir eigentlich alles tun, um die Wachstumsimpulse zu verstärken. Herr Ministerpräsident, anders ausgedrückt, bedeutet dies: Es verbietet sich alles, was das wirtschaftliche Wachstum bremsen könnte. – Mit Ihrer Politik bremsen Sie jetzt aber. Es ist, ökonomisch betrachtet, geradezu widersinnig, dass Sie die ohnehin unzureichenden Landesinvestitionen im nächsten Jahr noch weiter zurückfahren wollen. – Der Wirtschaftsminister ist jetzt nicht da.– Wie wollen Sie denn glaubhaft an die Wirtschaft appellieren, mehr zu investieren und mehr Arbeitsplätze zu schaffen, wenn Sie genau das Gegenteil tun?

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Gottfried Milde (Griesheim) (CDU))

Herr Ministerpräsident, Sie schütteln jetzt den Kopf. Sie kürzen beim Hochbau. Sie kürzen beim Straßenbau. Sie setzen damit genau die falschen Signale.

(Zuruf des Abg. Gottfried Milde (Griesheim) (CDU))

Herr Kollege, ich komme noch auf den Straßenbau zu sprechen. – Sie setzen damit genau die falschen Signale.

(Clemens Reif (CDU): Das müssen ausgerechnet Sie sagen!)

Herr Kollege, Sie wollen doch auch immer auf Wirtschaftspolitiker machen. – Die Einsparungen, die Sie jetzt vornehmen werden, werden unser Bundesland Hessen teuer zu stehen kommen.

(Beifall bei der SPD)

Wir, die Mitglieder der SPD-Fraktion, beantragen daher, dass mehr Mittel für Investitionen bereitgestellt werden. Wir wollen mehr investive Mittel für die Kommunen.

(Gottfried Milde (Griesheim) (CDU): Sie wollen die Steuer erhöhen, sonst nichts!)

Wir wollen die Kommunen damit in die Lage versetzen, die lange aufgeschobenen und vor Ort notwendigen Investitionen zu tätigen. Denn das schafft Arbeitsplätze vor Ort.Herr Kollege,wir wollen mehr Investitionen des Landes für den öffentlichen Personennahverkehr, für den Hochbau und insbesondere für den Landesstraßenbau.

(Clemens Reif (CDU): Das ist etwas ganz Neues! – Gottfried Milde (Griesheim) (CDU):Ausgerechnet Sie!)

Wir wollen damit dazu beitragen, die Infrastruktur dieses Landes zu verbessern. Denn diese Investitionen würden weitere Investitionen nach sich ziehen. Es würde dann auch zu Investitionen von Privaten kommen, die zusätzlich Arbeitsplätze schaffen würden.

(Clemens Reif (CDU): Da wollen wir doch einmal hören, was die GRÜNEN dazu sagen!)

Da rufen Sie dazwischen. Das ist Ihnen offensichtlich egal. Das ist doch die zentrale Aufgabe der Politik in diesem Land Hessen. Wir müssen Arbeitsplätze schaffen. Ihre Politik wird aber zum Verlust von Arbeitsplätzen führen.

(Beifall bei der SPD)