Protocol of the Session on October 15, 2003

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Hans-Jürgen Irmer (CDU))

Es werden keine zusätzlichen 500 Lehrer in der nächsten Zeit eingestellt, es werden 1.000 Lehrer gespart – nette Beschäftigungseffekte.

(Zuruf des Abg. Hans-Jürgen Irmer (CDU))

Es wird weniger Polizei geben – nette Beschäftigungseffekte. Meine Damen und Herren, darüber können wir gerne reden.

(Zuruf des Abg. Klaus Peter Möller (CDU))

Ein konkretes Beispiel, damit kommen wir noch einmal zur Kinder- und Familienbetreuung:In meinem Wahlkreis wird ein Kinder- und Jugendhaus auf null gestellt. Dort bekommen einige Kinder aus sozialen Brennpunkten das einzige warme Mittagessen. Dort wird jetzt der Hortbereich abgebaut.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Dann kommen Mütter und sagen: Wenn der Hortbereich abgebaut wird, kann ich nicht mehr berufstätig sein – nette Beschäftigungseffekte, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Genauso ist es mit der Schuldnerberatung. Schuldnerberatung heißt, da geht jemand hin, weil er sich beraten lassen will, weil er nicht soziale Transferleistungen beziehen will,weil er sich in das Berufsleben eingliedern lassen will. Jemand, der eben nicht entschuldet wird, wird Sozialhilfebezieher sein – nette Beschäftigungseffekte.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Zum Schluss: Sie sagen mit einer Arroganz, dass es zu Kürzungen kommen wird, die man spüren wird, und dass dies nicht anders geht. – Sie werden es in der Tat zu spüren bekommen, und die Kommunen werden es zu spüren bekommen.

(Zurufe der Abg. Hans-Jürgen Irmer und Armin Klein (Wiesbaden) (CDU))

Was sagen eigentlich Ihre Bürgermeister dazu,die die Folgekosten dieser ganzen Affäre tragen müssen? Was sagen die Ihnen eigentlich? Was glauben Sie, was die Kommunen im Endeffekt drauflegen müssen?

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Volker Hoff (CDU): Haben Sie die Bürgermeister gefragt, was sie zur rot-grünen Regierung in Berlin sagen?)

Zum Ehrenamt. Es wird nicht das eintreten, was Sie glauben. Die Ehrenamtlichen werden Ihnen nämlich auch die rote Karte zeigen. Ehrenamt haben wir nie als die Ausfallbürgung für den Wegfall staatlicher Leistungen verstanden. Genau das tun Sie. Das wird nicht funktionieren.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das Ehrenamt funktioniert immer nur aus dem guten Mix von Fachkräften und ehrenamtlicher Arbeit.Wenn Sie das eine wegschneiden, wird das andere wegbrechen. Das werden Sie so schnell nicht wieder bekommen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wir werden es im Winter zu spüren bekommen, wenn die Obdachlosenhilfe zugemacht wird und Leute auf der Straße erfrieren. Wir werden es zu spüren bekommen, wenn die Drogenkriminalität, weil die Beratung wegfällt, wieder steigt. Wir werden es zu spüren bekommen, wenn die Jugendlichen ihre Freizeit an den Tankstellen und an den Bushaltestellen verbringen und nicht mehr in adäquaten Jugendhäusern. Wir werden es alle zu spüren bekommen – und Sie ganz bestimmt auch.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Hans-Jürgen Irmer (CDU): Ei, ei, ei!)

Meine Damen und Herren, der Antrag Drucks. 16/682 soll vereinbarungsgemäß an den Sozialpolitischen Ausschuss überwiesen werden. Dem widerspricht keiner? – Dann wird das so erfolgen.

Noch eine Mitteilung:Wir haben festgestellt, dass der Abgeordnete Dr. Jung in dieser Plenarwoche seit 20 Jahren an Plenarsitzungen teilnimmt.

(Allgemeiner Beifall und Zurufe: Oh! – Jörg-Uwe Hahn (FDP): So sieht er auch aus!)

Am 30.10.1983 ist Herr Dr. Jung in den Landtag eingetreten, das wollte ich einmal angemerkt haben.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 40 auf:

Beschlussempfehlung und Bericht des Hauptausschusses zu dem Entschließungsantrag der Fraktion der FDP betreffend Föderalismusreform – Drucks. 16/662 zu Drucks. 16/64 –

Herr Kollege Hahn hat das Wort für die FDP-Fraktion.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Der Föderalismus in Deutschland ist in einer Krise. Immer größere Aufgabenfülle beim Bund, Streitigkeiten über die Rolle des Bundesrats, Uneinigkeit im Finanzausgleich und ein immer stärkeres Europa höhlen die Kompetenzen der Länder und höhlen insbesondere die Kompetenzen der Landtage in den letzten Jahren und Jahrzehnten immer weiter aus.

(Beifall bei der FDP)

Aus diesem Grund war es gut – das soll an dieser Stelle auch erwähnt werden –, dass der Präsident des SchleswigHolsteinischen Landtags, Kollege Arens, an der Spitze der Präsidentenkonferenz eine Initiative ergriffen hat, nach dem Motto „Die Landtage müssen endlich aus ihrer politischen Bedeutungslosigkeit herausgeführt werden“. Das kann man nur schaffen, indem man gemeinsam agiert. Das kann man nicht schaffen, indem man nur die Präsidenten der Landtage zusammentrommelt, sondern indem man die Fraktionsvorsitzenden der in den Landtagen vertretenen Fraktionen ebenfalls mit einlädt. Es war ein guter Tag für den Parlamentarismus, als die Länderparlamente am 31. März dieses Jahres in Lübeck eine gemeinsame Erklärung für einen stärkeren Aufbau der Landtage abgegeben haben.

Es ist sicherlich ein guter Tag für den Parlamentarismus und für den Föderalismus in unserem Land, wenn am

kommenden Donnerstag der Deutsche Bundestag und am kommenden Freitag der Bundesrat einen gemeinsamen Antrag zur Einrichtung einer Föderalismuskommission beschließen werden. Diese Kommission muss Schluss machen mit der Aufgabenfülle beim Bund, sie muss Schluss machen mit den Streitigkeiten über die Rolle des Bundesrats, sie muss Schluss machen mit der Uneinigkeit im Finanzausgleich, und sie muss ein System finden, dass die Landtage in der Europapolitik einen stärkeren Anteil haben. Meine Damen und Herren, dann geht es dem Föderalismus wieder gut, dann ist der Reformstau in unserem Land auch wieder aufzuheben. Wir brauchen eine Änderung, und die muss nun ganz schnell geschehen.

(Beifall bei der FDP und des Abg. Armin Klein (Wiesbaden) (CDU))

Ich will hier ganz offen sagen, dass wir Liberale ein Problem damit haben, dass es nur eine Föderalismuskommission gibt.Wir haben Probleme damit, dass die großen Parteien in Berlin ausgehandelt haben, dass es 16 Parlamentarier des Bundestages und 16 Mitglieder des Bundesrats sind, die letztlich eine Entscheidung zu treffen haben.Wir haben ein Problem damit, dass man vereinbart hat, dass jeweils eine Zweidrittelmehrheit gefunden werden muss. Das nährt natürlich die Befürchtungen, dass dort nur der kleinste gemeinsame Nenner gesucht und gefunden werden kann. Das ist schade.

(Beifall bei der FDP)

Wir sind davon ausgegangen, dass es eigentlich der Sache angemessen ist, einen Konvent – wie Anfang der Neunzigerjahre bei der Änderung des Grundgesetzes, als die neuen Bundesländer dazugekommen sind – einzusetzen. Wir haben aber zur Kenntnis zu nehmen – da sind wir Realisten genug –, dass das, was nunmehr am Ende der Woche in Berlin verabschiedet und am 7.November konstituiert wird, ein erster und notwendiger Schritt in die richtige Richtung ist. Wir Liberale werden uns natürlich mit aller Kraft, allem Wissen und aller Überzeugung an diesem Prozess beteiligen.

(Beifall bei der FDP)

Für uns Liberale – das sage ich für die Liberalen bundesweit – gilt, dass wir sechs Punkte bei der Diskussion als ganz wichtig betrachten: erstens Subsidiarität, zweitens klare Zuordnung der Verantwortlichkeiten, drittens Wettbewerbsföderalismus – dies ist der wichtigste Punkt –, viertens Entflechtung der Verwaltungszuständigkeiten, fünftens Stärkung der Länder und der Landtage und sechstens eine bessere Einbindung unserer Politik in Europa.

(Beifall bei der FDP)

Liebe Kolleginnen und Kollegen,Subsidiarität war einmal im Grundgesetz so angelegt.Als die Mütter und Väter das Grundgesetz geschaffen haben, gab es noch nicht eine Reihe von Sondervorschriften. Diese sind in den Sechziger-,Siebziger- und Achtzigerjahren in die Verfassung aufgenommen worden. Ich sage noch nicht einmal, dass alles falsch war,was aufgenommen wurde;aber jetzt ist es nicht mehr notwendig.

Warum brauchen wir eigentlich eine konkurrierende Gesetzgebung dergestalt, dass der Bund immer das Erstzugriffsrecht hat? Wieso können wir das nicht einfach herumdrehen und sagen, wenn die Länder dieses nutzen, dann hat sich der Bund daraus zurückzuziehen? Warum brauchen wir eigentlich eine Rahmengesetzgebung, die so ins Detail verliebt ist – ein Wort unseres Bundespräsidenten Rau, der dies am 31. März in Lübeck gesagt hat?

Es kann ja sein,dass es in dem einen oder anderen Fall zur Vereinheitlichung der Rechtslage eine Rahmengesetzgebung braucht – aber bitte nicht bis zum Spiegelstrich und ins Detail geregelt, sondern wirklich nur die ganz, ganz groben Rahmen. Im Beamtenrecht braucht man die sicherlich noch, um auch Veränderungen – beispielsweise Umzug – einigermaßen erfassen zu können.

Als Liberale sagen wir eindeutig: So viel Gesetzgebungskompetenz wie möglich muss den Ländern zurückgegeben werden. Auf der anderen Seite sagen wir aber auch, diese irre Zahl von Zuständigkeiten des Bundesrates muss reduziert werden.

(Beifall bei der FDP, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wieso eigentlich sind 60 bis 65 % aller Gesetzesinitiativen des Bundestages zustimmungspflichtig?

(Michael Siebel (SPD): Damit der Koch blockieren kann!)

Herr Siebel, dieser Zwischenruf war so unintelligent, dass ich jetzt nicht „Lafontaine“ und anderes entgegne.

Als die Väter und Mütter das Grundgesetz formuliert haben, waren es etwa 20 bis 25 % der Gesetzesbeschlüsse des Bundestages, die mit einer Zustimmung des Bundesrates versehen werden mussten. Schon allein daran kann man erkennen, dass wir einen Profit in der Politik haben, wenn wir diese Entflechtung vornehmen – auf der einen Seite eine Vielzahl von Gesetzgebungskompetenzen herunter, vom Bund auf die Länder. Wir sind näher an den Menschen und an den Problemen. Das merkt man teilweise, wenn man mit Bundestagsabgeordneten der eigenen oder anderer Parteien spricht.

(Volker Hoff (CDU): Das stimmt!)

Kümmern wir uns doch darum.Auf der anderen Seite sollen sie das, was sie in Berlin zu entscheiden haben, selbst entscheiden können. Meine sehr verehrten Damen und Herren, das ist nicht nur der Punkt Subsidiarität, sondern es ist auch der Punkt klare Zuständigkeiten. Das ist auch der Profit für den Bürger. Der Bürger kann doch überhaupt nicht mehr unterscheiden, was eigentlich Länder-, was Bundessache ist. Für den ist das doch alles ein Durcheinander und überhaupt nicht mehr nachvollziehbar.Deshalb kann er auch nicht mehr loben oder abstrafen. Deshalb haben wir auch bei jeder Landtagswahl, oder wenn Landtagswahlen zusammenfallen, wie am 2. Februar, eine kleine Bundestagswahl. Für den Bürger sind das „die Politiker“, die da irgendetwas machen.