Protocol of the Session on September 25, 2007

Danke sehr, Herr Posch. – Frau Fuhrmann, es liegt ihrerseits eine Wortmeldung zu einer Kurzintervention vor.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Posch, Sie haben genau das gemacht, was die FDP als immer währende Mär erzählt hat, nämlich: Runter mit den Steuern, und die Arbeit kommt von selbst. – Herr Posch, diese Gleichung, die Sie immer wieder herunterbeten, ist noch nie aufgegangen, und sie wird auch nicht aufgehen.

(Beifall bei der SPD)

Ich darf Sie vielleicht daran erinnern, dass die Steuern in den letzten Jahren der rot-grünen Bundesregierung – teilweise durchaus zu unserer eigenen Verwunderung, um es derart zu formulieren – gesenkt worden sind. Herr Posch, darüber sollten Sie auch sprechen. Die Vermögen-, Erbschaft- und Einkommensteuer sowie Höchststeuersätze wurden gesenkt. Ich darf Sie vielleicht auch daran erinnern, dass die Menschen, von welchen wir gerade reden, nämlich die Niedriglöhner, überhaupt keine Steuern zahlen. Eine Familie mit zwei Kindern zahlt bis zu einem Jahreseinkommen von 35.000 c überhaupt keine Steuern.

(Michael Boddenberg (CDU): Das ist auch richtig so!)

Herr Posch, deswegen ist das falsch, was Sie uns hier immer erzählen.

(Zuruf des Abg. Michael Boddenberg (CDU))

Herr Boddenberg, wenn Sie zuhören würden und intellektuell dazu in der Lage wären, dann hätten Sie vielleicht verstanden,dass der Zusammenhang,den Herr Posch hier aufgemacht hat, so nicht stimmt: „Gebt den Leuten mehr in die Tasche“. Die Leute haben per Steuerreform deutlich mehr.

(Michael Boddenberg (CDU):Aber Sozialabgaben zahlen sie auch!)

Zweiter Punkt. Es kann Ihnen doch nicht entgangen sein, dass die Schere zwischen den Einkommen aus Vermögen und den Einkommen aus Erwerbsarbeit in den letzten Jahren immer weiter auseinanderklafft und dass immer mehr Menschen dabei sozusagen durch den Rost fallen.

Herr Posch, das kann Ihnen doch nicht ernsthaft entgangen sein.

Dritter und letzter Punkt.

Frau Fuhrmann, die zwei Minuten.

Herr Präsident, ich bin sofort am Ende. – Sie haben eben gesagt: „Es ist das höchste Glück von Menschen, einen Arbeitsplatz zu haben.“

(Demonstrativer Beifall des Abg. Michael Bodden- berg (CDU))

Ja. Da haben Sie vollkommen recht. Da sind wir ganz einer Meinung mit Ihnen.Aber wenn wir nicht für Mindestlöhne sorgen, dann können die Menschen froh sein, wenn sie drei Arbeitsplätze haben, weil sie die nämlich benötigen, um überleben zu können. Diese Form von Working Poor lehnt die SPD in jeder Form ab.

(Michael Boddenberg (CDU): Quatsch!)

Deswegen kämpfen wir weiter um Mindestlöhne.– Danke schön.

(Beifall bei der SPD)

Herr Posch hat Gelegenheit zur Antwort.

Frau Kollegin Fuhrmann, nur ganz kurz. Unsere Position zur Steuerpolitik ist klar. Die haben wir mehrfach in diesem Hause deutlich gemacht.

(Petra Fuhrmann (SPD): Bierdeckel!)

Wir wollen ein einfaches Steuerrecht mit niedrigeren Sätzen. Wir sind prinzipiell der Auffassung, dass niedrige Steuersätze am Schluss zu Mehreinnahmen beim Staat führen und nicht umgekehrt.

(Beifall bei der FDP – Zuruf der Abg. Petra Fuhr- mann (SPD))

Zweitens. Fest steht – ich habe versucht, es darzustellen –, dass die Arbeitnehmer, deren Einkommen steuerpflichtig ist, heute weniger haben als vor zehn Jahren. Das muss doch irgendwelche Ursachen haben.

Drittens. Ich muss feststellen, dass z. B. die Abgaben, ob das im kommunalen Bereich oder in anderen Bereichen ist,durch zusätzliche Standards immer weiter steigen,dass die Nebenkosten bei den Mieten steigen. Das fällt nicht unter die Kategorie „Steuer“; da gebe ich Ihnen recht. Aber das fällt unter das EEG, oder über was wir alles diskutieren.

Last, but not least: Auch derjenige, der gerade erst lohnoder einkommensteuerpflichtig ist, leidet unter der Mehrwertsteuer in gleicher Weise. Also tun Sie nicht so, als sei das nicht der Fall.

(Beifall bei der FDP – Petra Fuhrmann (SPD):Wer zahlt eigentlich Ihr Bürgergeld?)

Nun sage ich Ihnen noch eines. Deswegen komme ich auf dieses Beispiel zurück. Ich weiß, wovon ich rede.

(Petra Fuhrmann (SPD): Das hoffen wir! – Zuruf des Abg. Roland von Hunnius (FDP))

Ich gehöre durchaus auch zu denen, die Arbeitsplätze geschaffen haben. Insofern kann ich mich in diejenigen hineinversetzen. Wenn Sie in Hessen ein Unternehmen haben, das Arbeitsplätze anbieten will, beispielsweise bei den Postdienstleistungen, und ihm von vornherein auferlegen, einen Mindestlohn von 9,80 c zu zahlen, dann wird sich dieser Unternehmer nicht in Hessen niederlassen, und er wird keinen einzigen Arbeitsplatz schaffen.

(Beifall bei der FDP)

Das ist der zentrale Punkt. Derjenige, der bereit ist, Arbeitsplätze zu schaffen, muss zunächst bereit sein, selbst Risiken einzugehen.Wenn die staatliche Sanktion aber so weit geht, von vornherein durch Mindestlöhne jede Kreativität im unternehmerischen Bereich zu ersticken, macht das keinen Sinn.

(Beifall bei der FDP – Petra Fuhrmann (SPD): Das ist Kreativität: dass die Leute zum Sozialamt gehen müssen! Unglaublich!)

Danke sehr, Herr Posch. – Für die Landesregierung hat Frau Staatsministerin Lautenschläger jetzt das Wort.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich denke, es ist in den Beiträgen des Kollegen Boddenberg wie auch des Kollegen Posch noch einmal sehr deutlich zum Ausdruck gekommen, dass es um die Zielsetzung geht, in der sich eigentlich alle hier im Hause einig sind. Aber eine Seite versucht immer, das etwas anders darzustellen. Es geht nämlich um die gemeinsame Zielsetzung, dass Menschen über ein existenzsicherndes Einkommen verfügen müssen und dass auch Menschen mit geringer Qualifikation in die Lage versetzt werden, aus eigener Kraft für ihren Lebensunterhalt zu sorgen. Es geht also um ein Mindesteinkommen und nicht um Mindestlöhne. Denn einen gesetzlichen, starren Mindestlohn, wie Sie, liebe Kollegen von der SPD-Fraktion, ihn fordern, halten wir für den falschen Weg.

Es macht Sinn, sich noch einmal genau die Istsituation anzuschauen, aber auch, wie das Thema Mindestlöhne im europäischen, aber auch im außereuropäischen Ausland gehandhabt wird. Es ist nicht alles so einfach, wie Sie es hier vorgetragen haben, z. B. dass es in Großbritannien dank des Mindestlohnes zu mehr Beschäftigung und mehr Einkommen gekommen ist. Wir wissen, dass in Großbritannien gerade gering Qualifizierte durch eine Menge von Reformen wieder Zugang zum Arbeitsmarkt haben.Aber man muss ehrlicherweise dazu sagen, dass das, was wir zu der Hartz-IV-Gesetzgebung zum Teil sehr kontrovers diskutieren, dazu geführt hat, dass Menschen überhaupt wieder Arbeit bekommen haben, die vorher keine Chance hatten,Arbeit zu bekommen.Dies gilt gerade für die Vollzeitbeschäftigung, auch für die Vollzeitbeschäftigung, die noch nicht für ein existenzsicherndes Einkommen ausreicht.

Deswegen ist es ganz wichtig, zu schauen:Wie sind die regionalen Unterschiede? Was können Arbeitnehmer und

Arbeitgeber, d. h. die Tarifparteien, tatsächlich machen? Wie schaffen wir dieses existenzsichernde Mindesteinkommen für die Menschen? Es stellt sich auch die Frage, wie wir sicherstellen, dass dieses existenzsichernde Einkommen tatsächlich durch die Teilhabe am Arbeitsmarkt erlangt wird und nicht dadurch, dauerhaft vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen zu sein.

Es ist nicht so, dass sich alle Experten sofort Ihrer Auffassung anschließen, dass ein Mindestlohn die Probleme in Deutschland lösen wird. Sie wissen ganz genau, dass das Sachverständigengutachten, aber auch die unterschiedlichen Ausgestaltungen im Ausland deutlich machen: Wenn es falsch gemacht wird, vernichtet es Arbeitsplätze. Herr Posch hat gerade das Beispiel der Postdienstleistung genannt.Wenn dort der Mindestlohn sehr hoch angesetzt wird,dann sind zwar diejenigen,die heute dort beschäftigt sind, abgesichert, aber für diejenigen, die keine Teilhabe haben, fallen möglicherweise – an dem Beispiel wird es sehr deutlich – sehr schnell Arbeitsplätze weg. Wir haben dann keine Chance, dass gering Qualifizierte einen Zugang zum Arbeitsmarkt erhalten. Meine Damen und Herren, aus meiner Sicht ist es eine der vordersten Aufgaben von Sozial-, aber auch von Arbeitsmarktpolitik, dass wir es wieder möglich machen, dass gering qualifizierte Menschen einen Zugang zum Arbeitsmarkt bekommen und dann auch ein Mindesteinkommen für ihre Familien haben.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Ich glaube, es ist auch ganz wichtig, noch einmal darauf hinzuweisen,dass wir schon heute in der bestehenden Gesetzgebung, aber auch über das Tarifsystem sehr viele unterschiedliche Möglichkeiten haben. Das ist zum einen das Arbeitnehmer-Entsendegesetz. Ich halte es für durchaus richtig, dass dort weitere Branchen aufgenommen werden. Dabei muss man sich immer genau die Bedingungen anschauen, unter denen der Mindestlohn festgelegt wird.

Wir haben außerdem das Mindestarbeitsbedingungengesetz. Alle, die sich damit ein wenig beschäftigen, wissen, dass es über viele Jahre überhaupt keine Tarifparteien, aber auch keine Parteien gab, die sich um dieses Mindestarbeitsbedingungengesetz gekümmert haben, geschweige denn, es für notwendig erachtet haben, das Gesetz, das schon seit vielen Jahrzehnten in Deutschland besteht, in Anspruch zu nehmen und zu schauen:Wo kann nachgearbeitet werden, um Menschen ein Mindesteinkommen zu gewährleisten, und was können die Tarifpartner machen?

Ein letzter Punkt sind die Allgemeinverbindlichkeitserklärungen. Da das Friseurhandwerk bei diesem Thema immer wieder angesprochen wird, muss man vielleicht auch ab und zu darauf hinweisen, dass gerade in Hessen die Tarifpartner Löhne vereinbart haben, die sie auch für allgemein verbindlich erklärt haben.Wir haben in diesem Bereich also quasi einen Mindestlohn. Ich will ganz deutlich sagen, dass ich das für ein richtiges Instrument halte und mir vorstellen kann, dass es noch in wesentlich mehr Branchen eingesetzt wird, damit keine Abwanderung ins Ausland stattfindet, aber gleichzeitig keine Flucht in die Schwarzarbeit. Denn dann haben wir das gleiche Ergebnis, dass wir gerade nichts Sozialversicherungspflichtiges haben, aber auch nicht die Möglichkeit, Menschen aus der Langzeitarbeitslosigkeit herauszuholen, sondern eine Verschiebung in die Schwarzarbeit. Dann geht dem Staat noch mehr verloren. Deswegen denke ich, dass wir gut beraten sind, wenn wir die Tarifpartner bei den Allgemeinverbindlichkeitserklärungen nach wie vor sehr ernst neh

men, sie aber selbst auch ab und zu darauf hinweisen, dass Parteien und Regierungen das genauso ernst nehmen, und sie im Übrigen auch auffordern,von den bestehenden Möglichkeiten und Instrumenten Gebrauch zu machen.

Wir haben das beim Wach- und Sicherheitsgewerbe gemacht. Es freut mich sehr, dass dort die beiden Tarifpartner auch in Hessen einen Antrag auf Allgemeinverbindlichkeitserklärung für das Lohnentgelt gestellt haben. Ich hoffe sehr, dass der Tarifausschuss in baldiger Zukunft zu einem Ergebnis kommen wird.

Das sind genau die Instrumente, die branchenspezifisch, aber auch regional, d. h. auf die Länder bezogen – wenn es nicht das Arbeitnehmer-Entsendegesetz betrifft –, angewandt werden können, um sicherzustellen, dass ein Ausgleich zwischen den Tarifpartnern geschaffen wird, aber auch zu erreichen, dass wir über Mindesteinkommen ganz anders reden können, als es vielleicht an vielen Stellen sonst der Fall wäre.

Meine sehr geehrten Damen und Herren,es ist ganz interessant, dass Sie genau in dieser Debatte die skandinavischen Ländern nicht als das leuchtende Beispiel nennen. Denn Sie wissen,dass dort völlig andere Bedingungen gelten und gerade in diesen Ländern der Mindestlohn nicht so vereinbart ist, wie Sie ihn hier fordern. Ich glaube, man sollte hinschauen, wie das System in Deutschland aufgebaut ist, um auf der einen Seite Vielfalt zu gewährleisten und auf der anderen Seite nicht gleichzeitig wieder Arbeitsplätze zu vernichten.

Sie wissen genau, dass in den USA das Aufkommen aus der Earned Income Tax, also das, was wir heute als Lohnzuschuss bezeichnen, noch zu den Mindestlöhnen hinzukommt. Das bedeutet, dass beim Mindestlohn noch gar nicht gewährleistet ist, dass er auskömmlich ist, sondern dass noch draufgezahlt werden muss.Sie reden heute zwar von Working Poor. Aber Sie reden nicht davon, dass in vielen dieser Länder noch ein staatlicher Zuschuss daraufkommt. Das lassen Sie unter den Teppich fallen. Denn Sie wissen ganz genau, dass es sehr unterschiedliche Systeme von Mindestlöhnen gibt. Das hat gerade nicht dazu geführt, dass dadurch auch ein Aufbau am Arbeitsmarkt stattgefunden hat, sondern dabei müssen viele weitere Instrumente, aber auch das entsprechende Sozialversicherungssystem eines Staates und die weiteren Rahmenbedingungen beachtet werden.

Deswegen glaube ich, dass wir gut beraten sind, wenn wir uns auf der einen Seite in der Gesetzgebung, was den Hartz-IV-Bereich, den Niedrigstlohnsektor und die Aufgabe angeht, gering Qualifizierte in Arbeit zu bringen und ihnen eine Chance zu eröffnen, noch einmal dem Thema Lohnzuschuss und Lohnzuschlag widmen, wie wir es als Landesregierung damals frühzeitig vorgeschlagen haben. Denn genau diese Menschen sollen nicht dauerhaft Bittsteller beim Sozialamt sein, wenn sie eine Vollzeiterwerbstätigkeit haben, die noch kein Mindesteinkommen ausmacht. Dann sollte ein Lohnzuschuss gezahlt werden. Dabei wissen wir, dass es heute beim Hinzuverdienst sicherlich einen Änderungs- und Handlungsbedarf gibt.

Auf der anderen Seite darf nicht mit einem Schlag eine Menge von Arbeitsplätzen vernichtet werden, indem man die Mindestlöhne so hoch anlegt, dass gering Qualifizierte keine Chance mehr haben und die Tarifpartner nicht mehr das Geschehen bestimmen. Man muss verhindern, dass dort Arbeitsplätze vernichtet werden und dass keine neuen hinzukommen können.