Protocol of the Session on September 5, 2007

Sehr verehrter Herr Irmer, mit dieser Rede haben Sie sich das Prädikat „Letzter kalter Krieger im Schulkampf in Hessen“ ehrlich verdient.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es ist schon erstaunlich: Als Sie nach vorne ans Pult gegangen sind, haben Sie das Visier heruntergeklappt und sind wie Don Quichotte gegen einen Riesen angetreten, der überhaupt nicht existiert. Sie haben dabei völlig übersehen, dass Sie eigentlich über die Bilanz der Hessischen Landesregierung und der hessischen CDU in der Schulpolitik reden sollten.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zurufe von der CDU)

Das ist ein relativ einmaliger Vorgang.Herr Irmer,ich verstehe Ihre Not. Sie wissen genau, dass Sie nichts vorzuweisen haben, mit dem Sie die Eltern, die Lehrer und die Schüler davon überzeugen können, dass die Bildungspolitik der CDU in diesem Land fortgesetzt werden sollte.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Deshalb steigern Sie sich in eine Argumentation hinein, die an einigen Stellen davon zeugt, dass Sie zwar lesen können, dass Ihnen aber Leseverständnis und Interpretationsfähigkeit vollkommen abgehen.

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sie haben uns außerdem Vorträge über Finnland gehalten. Das ist für manche vielleicht lehrreich gewesen. Sie hätten sich zwar vorher etwas besser informieren sollen, aber die entscheidende Frage ist: Was hat das mit dem zu tun, was Sie als Regierungspartei den hessischen Schülerinnen und Schülern und ihren Eltern in den letzten Jahren zugemutet haben? Was hat das mit dem Chaos zu tun, das an den Schulen herrscht? Was hat das mit den Baustellen zu tun, die Sie hinterlassen haben? Was hat das mit der Mehrbelastung der Lehrkräfte zu tun, und was hat das damit zu tun, dass immer mehr Schülerinnen und Schüler in Hessen keine berufliche Perspektive, keine Qualifizierungsperspektive haben,weil Sie sie im Abseits stehen lassen? Diese Fragen werden wir beantworten, und Sie werden die Quittung dafür bekommen. Da bin ich ganz sicher.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zurufe von der CDU)

Danke, Frau Habermann. – Herr Wagner, Sie haben das Wort für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

(Rafael Reißer (CDU): Jetzt kommt noch so ein Fundamentalist!)

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Herr Kollege Irmer, ich glaube, die Art der Debatte, die Sie hier geführt haben, trägt nicht dazu bei, dass wir an unseren Schulen irgendein Problem lösen. Wenn Sie ehrlich zu sich selbst sind, wissen Sie das.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD – Hans-Jürgen Ir- mer (CDU): Brauchen Sie ein Taschentuch?)

In unserer heutigen Debatte geht es um die Aussprache über die Regierungserklärung der Kultusministerin betreffend „Leistungsorientiert, sozial, verlässlich: Hessens Schulen holen auf“. Herr Kollege Irmer, dazu haben Sie überhaupt nichts gesagt, weil es dazu auch überhaupt nichts zu sagen gibt. Das ist die Bilanz nach neun Jahren Kultusministerin Karin Wolff.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Frau Ministerin, wir haben heute zwar eine lange Redezeit für diese Debatte vorgesehen – eine halbe Stunde Redezeit ist viel für den Hessischen Landtag –, ich hätte Ihnen aber noch stundenlang zuhören können. Mit jeder Minute, die Sie heute vor diesem Landtag gesprochen haben, haben Sie nämlich unter Beweis gestellt, wie weit Sie nach neun Jahren im Amt von der Wirklichkeit an unseren Schulen entfernt sind.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Sie haben die meiste Zeit Ihrer Rede dafür verbraucht, über die Konzepte der Opposition zu sprechen. Aber in den zehn Minuten, in denen Sie das dargestellt haben, was Sie für die Bilanz Ihrer Regierungstätigkeit halten, haben Sie der erstaunten Öffentlichkeit mitgeteilt: An unseren Schulen ist nach neun Jahren Karin Wolff alles prima; das einzige Problem ist, dass die Eltern, die Schülerinnen und Schüler und die Lehrerinnen und Lehrer das nicht verstanden haben. – Diese Aussage, Frau Ministerin, können Sie dem Hessischen Landtag meinetwegen stundenlang erzählen, das können Sie im Wahlkampf ruhig stundenlang erzählen. Wir laden Sie auch zu Veranstaltungen der GRÜNEN ein, damit Sie das dort sagen: denn es zeigt, Sie sind völlig abgehoben von den realen Problemen an unseren Schulen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Ich hätte Ihnen auch aus einem weiteren gönnerhaften Grund – ich gebe das zu – stundenlang zuhören können: Es war nämlich Ihre letzte Regierungserklärung als Kultusministerin.

(Heiterkeit und Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD – Zurufe von der CDU)

Die Menschen in unserem Land wissen, dass es ein „Weiter so“, wie Sie das auch heute wieder aktiv gefordert haben, im Bildungsbereich schlicht und ergreifend nicht geben darf.Wir brauchen kein „Weiter so“ an unseren Schulen, sondern wir brauchen nach neun Jahren Karin Wolff einen Aufbruch an unseren Schulen.Wir brauchen außerdem eine bessere Ausstattung an unseren Schulen. Wir müssen unseren Schulen wieder Luft zum Atmen geben. Wir müssen wieder die Voraussetzungen dafür schaffen, dass sich die Lehrerinnen und Lehrer individuell um die Schülerinnen und Schüler kümmern können. Das brau

chen wir statt eines „Weiter so“ in der Politik, wie Sie es seit fast neun Jahren in diesem Land verantworten.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Wir brauchen einen Aufbruch zu einer „Neuen Schule“, wie wir GRÜNEN sie nennen. Herr Irmer, ich will versuchen, Ihnen ganz sachlich zu erklären, worum es geht. In der Bildungspolitik gibt es einen wesentlichen Unterschied zwischen Deutschland und Finnland. Da stimme ich Ihnen zu. In unserer Gesellschaft gibt es nämlich keinen Konsens darüber, wie die weiterführenden Schulen organisiert werden sollen. Die Politik sollte das zur Kenntnis nehmen und auch nicht versuchen, mit knappen parlamentarischen Mehrheiten die unterschiedlichen Auffassungen in der Bevölkerung in die eine oder andere Richtung zu entscheiden. Es geht vielmehr darum, dass die Eltern, die Schülerinnen und Schüler und die Lehrerinnen und Lehrer eine Wahlfreiheit haben, an welcher Schule sie unterrichten und wie sie unterrichtet werden wollen.

Darum geht es in dem Konzept „Neue Schule“, das die GRÜNEN vorgelegt haben. Etwas Ähnliches vertritt die SPD mit ihrem „Haus der Bildung“.Uns geht es um Wahlfreiheit. Herr Kollege Irmer, Frau Kollegin Wolff, Sie müssten diesem Haus einmal sagen, warum Sie den Menschen, die sich eine Schule nach finnischem Vorbild wünschen, eine Schule nach finnischem Vorbild verweigern,

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Darum dreht sich die Auseinandersetzung, die wir in diesem Hause führen. Das ist auch die Entscheidung, um die es bei der nächsten Landtagswahl geht. Bei dieser Landtagswahl wird darüber entschieden, ob die Geschicke in der Bildungspolitik in unserem Land von Leuten bestimmt werden, die glauben, dass das dreigliedrige Schulsystem das allein selig machende ist und dass es daneben nichts anderes geben darf – das ist der Kurs von Karin Wolff seit neun Jahren –,

(Hans-Jürgen Irmer (CDU): Sie sagen die Unwahrheit! – Weitere Zurufe von der CDU)

oder ob die Geschicke in der Bildungspolitik von politischen Kräften bestimmt werden, die sagen, dass die Menschen, die eine Schule nach finnischem Vorbild haben wollen, in Hessen eine solche Schule finden können. Das ist der Unterschied, um den es geht.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Es geht eben nicht um Zwang. Herr Irmer, „Zwang“ ist das, was Sie in den letzten neun Jahren getan haben.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Die Bevormundung der Eltern, das ist Kern Ihrer Politik. Die Perfektionierung des dreigliedrigen Schulsystems, die Durchsetzung eines Weltbildes mit knapper parlamentarischer Mehrheit, das ist Ihre Politik. Das ist nicht die Politik der SPD und von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN in diesem Hause.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Sie enthalten Menschen eine Schulform in diesem Lande vor, die diese Schulform haben wollen. Das geht aber nicht: Es darf in der Schulpolitik unseres Landes eben

nicht um ein Entweder-oder gehen – entweder ein dreigliedriges Schulsystem oder eine Schule nach finnischem Vorbild –, sondern es muss Wahlfreiheit geben. Für diese Wahlfreiheit stehen wir, und Sie stehen eben nicht für diese Wahlfreiheit.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Das macht diese Kultusministerin eindrücklich klar – dass sie diese Wahlfreiheit nicht will. Schauen wir nach Waldeck-Frankenberg. Dort gibt es einen beschlossenen Schulentwicklungsplan, getragen von den Debatten in den Schulen und von einer Mehrheit im Kreistag, die sagt: Wir hätten gerne in unserem Kreis eine integrierte Gesamtschule. – Diese Ministerin aber verweigert die Genehmigung dieser integrierten Gesamtschule.

(Zuruf der Ministerin Karin Wolff)

Das ist Zwang. Das ist Bevormundung. Das ist ein Ignorieren des Elternwillens.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Schauen wir nach Offenbach.Auch dort gibt es sehr viele Eltern, die sagen:Wir wünschen uns ein weiteres Angebot einer integrierten Gesamtschule.

(Zurufe des Abg. Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN und der Ministerin Karin Wolff)

Es gibt dort auch eine Schule, die sagt, sie möchte integrierte Gesamtschule werden. Diese Kultusministerin verweigert es den Eltern,Lehrerinnen und Lehrern,Schülerinnen und Schülern, ein solches Angebot besuchen zu können.

(Zuruf der Ministerin Karin Wolff)

Das ist Zwang. Wir setzen auf den Geist der Freiheit an den Schulen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Wir könnten das für andere Schulträgerbezirke fortsetzen.

(Ministerin Karin Wolff: Machen Sie es doch ein- mal!)