Protocol of the Session on September 5, 2007

Herr Domisch erklärt, man dürfe diese Einheitsschule nicht Gesamtschule nennen, da das auf Widerstand stoße. Warum stößt es denn auf Widerstand? Warum haben Sie nicht den Mut, zu sagen, wie das Ding in letzter Konsequenz heißt? Es ist doch ganz bewusst Täuschung und nichts anderes.

(Beifall bei der CDU)

Die Frau Habermann war an diesem Punkt ein klein wenig ehrlicher.

(Zuruf der Abg. Heike Habermann (SPD))

Sie hat gesagt: Der beste Name wäre eigentlich Gesamtschule.

(Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU): Das hat sie letzte Woche gesagt!)

Diese Schule ist nicht in Konkurrenz zu anderen Schulformen, sondern ist die Schulform, die andere ersetzen muss.

(Zurufe von der CDU)

Kategorischer Imperativ, und das heißt im Klartext Abschaffung der Gymnasien, der Hauptschulen, der Realschulen und Förderschulen. Sie haben doch in Hessen 35 Jahre Zeit gehabt, alles umzusetzen.

(Beifall bei der CDU)

Der Kollege Quanz hat zu Recht am 1. September darauf hingewiesen: Wir hätten die IGS geschichtlich ein weites Stück vorantreiben können, wenn wir nicht auf halbem Weg stehen geblieben wären. – Meine Damen und Herren, warum sind Sie denn stehen geblieben?

(Zuruf des Abg. Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU))

Das ist die spannende Frage. Sie können doch nicht allen Ernstes Finnland und Hessen oder Deutschland miteinander vergleichen.

(Norbert Schmitt (SPD):Wer will das machen?)

Das sind doch völlig andere Rahmenbedingungen. In Finnland haben 3 % der Schulen über 300 Schüler. Aber 40 % aller Schulen haben in Finnland weniger als 50 Schüler. Die Bevölkerungszusammensetzung ist homogen, gemeinsames soziales Erbe, gewachsene kulturelle Identität,festes Werte- und Normgefüge – wichtig für Effizienz und Effektivität von Lernprozessen –, engste Zusammenarbeit von Eltern und Schule,was wir hier erst mühsam erarbeiten müssen, weil nach Ihnen überhaupt nichts vorgefunden wurde.

Optimale Ausstattung der Schulen,die dort von den Kommunen unterhalten und ausgestattet werden. Da gibt es bei uns riesengroße Diskrepanzen.Wir sind alle den in der Regel CDU-geführten Schulträgern dankbar, die große Ausstattungsprogramme für die Schulen machen – MainTaunus-Kreis, Hochtaunuskreis, Landkreis Offenbach und andere. Wir haben dort extrem hohes pädagogisches Ansehen – ich will nicht auf das berühmt-berüchtigte Schrödersche Zitat eingehen, eine völlig andere Kultur im Umgang miteinander. Lese- und Bibliothekkultur – völlig anders dargestellt.

Im finnischen Fernsehen ist es so, dass ausländische Filme nicht synchronisiert werden, sondern mit Untertiteln versehen werden. Damit wird automatisch Leseverständnis gefördert – und die Fremdsprachenkompetenz auch.

(Frank-Peter Kaufmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Also keine Synchronisierung mehr! – Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Keine synchronisierten Filme mehr!)

Meine Damen und Herren, wir haben einen Ausländeranteil an finnischen Schulen von 1,5 %, und alle, die eingeschult werden, müssen Finnisch können, und sie können Finnisch, sonst funktioniert es nicht.

(Frank-Peter Kaufmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Können wir Sie nicht auch nur mit Untertiteln haben?)

Das sind entsprechend große Unterschiede. Sie wollen das finnische System übernehmen, weil länger gemeinsam gelernt werden könne.Dieses Schlagwort des längeren gemeinsamen Lernens ist aber wirklich das einzige Schlagwort,das Sie haben.Die Realität sieht völlig anders aus.In

Finnland gibt es das Zentralabitur.Sie wollen das Zentralabitur abschaffen.

(Norbert Schmitt (SPD): Daran sieht man, dass wir das nicht kopieren wollen!)

In Finnland gibt es das Abitur in der Regel nach zwölf Jahren. Sie wollen G 8 in Hessen abschaffen. In Finnland gibt es nach Lehrerausbildung spezialisierte Lehrkräfte, Klassenlehrer, Fachlehrer. Sie wollen in Hessen die Einheitslehrerausbildung und wollen die differenzierte Lehrerausbildung abschaffen. In Finnland gibt es im Unterricht Assistenten, die kein Lehramtsstudium haben. In Hessen wollen Sie die, die kein Studium haben, abschaffen, Stichwort: U+.

(Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):Wovon reden Sie eigentlich?)

In Finnland gibt es gezieltes Faktenlernen, bewusstes Wiederholen. Sie wollen in Hessen den Lehrer als Moderator von Lernprozessen in letzter Konsequenz. In Finnland gibt es eine Betonung von Sekundärtugenden wie Pünktlichkeit, Zuverlässigkeit, Fleiß usw. Das zeigt sich im Unterricht dort: Wer keine Hausaufgaben hat, muss nachsitzen; wer später kommt, muss nachsitzen; Prüfungsarbeiten sind von Eltern zu unterschreiben. Meine Damen und Herren, all das wollen Sie nicht.

(Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Was wollen Sie denn eigentlich? Ich fordere Sie auf, kommen Sie einmal hierher, und erklären Sie, was Sie in Wirklichkeit von dem finnischen System übernehmen wollen außer der Sprechblase längeres gemeinsames Lernen.Alles, was dort zum Erfolg beigetragen hat – Grundlagen –, wollen Sie in Hessen doch gar nicht übernehmen. Sie wollen es im Gegenteil abschaffen. Ein Widerspruch in sich, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU)

Ich teile deshalb ausdrücklich das, was die SPD beispielsweise in Kriftel vor wenigen Tagen in der „FAZ“ öffentlich erklärt hat: für die Beibehaltung der Dreigliedrigkeit, gegen längeres gemeinsames Lernen. Die Bildungsstandards der Schüler seien zu verschieden,um sie sinnvoll gemeinsam unterrichten zu können. Deshalb seien Unterforderung und Überforderung zu befürchten. – So die SPD in Kriftel.

(Lachen bei der SPD)

SPD-Bildungspolitiker in Nordrhein-Westfalen sagen aktuell das Gleiche. Die Einheitsschule ist sachlich verfehlt. Das könnte man weiterführen. Ich will Ihnen ein Letztes in dieser Runde sagen. Ich erinnere an die Bundesvorsitzende der Arbeitsgemeinschaft für Bildungsfragen in der SPD, die öffentlich erklärt hat: Es ist ohne Tests vorherzusagen, dass Bundesländer mit gegliedertem Schulsystem deutlich denen überlegen sind, die auf Einheitsschulsystemen setzen.

(Axel Wintermeyer (CDU):Die hat es verstanden!)

Dem ist nichts hinzuzufügen, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU)

Im Übrigen gibt es nicht eine einzige Studie in Deutschland, die die Überlegung der Einheitsschule jemals irgendwo irgendwie nachgewiesen hätte – im Gegenteil. Alle Studien kommen übereinstimmend zu einem ver

nichtenden Ergebnis über die Einheitsschule, die integrierte Gesamtschule in ihrer Urform, wie sie in Hessen, in Nordrhein-Westfalen und in anderen Bundesländern teilweise vorhanden ist: weniger soziale Kompetenz, höhere Korrelation zwischen Schulerfolg und sozialer Herkunft,deutlich schlechtere Fachleistung,und – weshalb sie eigentlich eingeführt wurde – schwächere Schüler werden benachteiligt.

Aber zurück zur Kernaussage der SPD.Die Gesamtschule ist die Schulform, die andere ersetzen muss, sagt Frau Habermann. Frau Ypsilanti weiß noch nicht so genau, was herauskommt. Schauen wir einmal. Aber der Wahlbetrug ist vorprogrammiert.

(Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sie wollen die schulformbezogene Stundentafel abschaffen, schulformbezogene Lehrpläne abschaffen, schulformunabhängige Bildungsstandards einführen. All das ist Absenkung von Niveau.

(Frank-Peter Kaufmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das können Sie nicht mehr!)

Jetzt kommt der entscheidende Punkt. Sie wollen die Schulformempfehlung der Grundschule beseitigen. Sie wollen die Querversetzung verbieten und das Sitzenbleiben abschaffen.

Was heißt das konkret in der Praxis? Ich möchte Ihnen das mithilfe eines Beispiels „übersetzen“. Ein Elternpaar entscheidet:Wir schicken unser Kind auf das Gymnasium, ob es dafür geeignet ist oder nicht. – Das Gymnasium kann das Kind logischerweise nicht ablehnen. Das Gymnasium stellt fest: Das Kind ist aus pädagogisch-fachlicher Sicht völlig überfordert. Eine andere Schulform, eine andere Förderung wäre besser. – Das geht aber nicht, da die Querversetzung abgeschafft ist. Das Kind kommt nur mit Vieren und Fünfen nach Hause. Normalerweise wäre eine Nichtversetzung die logische Folge. Die Nichtversetzung ist aber ebenfalls abgeschafft. Das heißt im Klartext: Sie von der SPD wollen das Gymnasium von innen heraus aushöhlen. Das Gymnasium hat überhaupt keine Chance, die Schüler nicht aufzunehmen, die für diese Schulform nicht geeignet sind.

(Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Was ist das für ein Verschwörungstheoretiker da vorne?)

Perspektivisch gesehen wird das Gymnasium zu einer integrierten Gesamtschule. Das ist genau das, was Sie erreichen wollen. Dies ist ein zynischer Plan, weil Sie damit in letzter Konsequenz mit den jungen Menschen spielen, unterschiedliche Begabungen missachten, den Schulen keine Hilfestellung geben, zuschauen, wie sie pädagogisch ins Verderben rennen. Einzelschicksale sind Ihnen völlig egal.

Deshalb sage ich sehr deutlich: Mögen der liebe Gott und der Wähler verhüten, dass Sie zum Totengräber eines höchst erfolgreichen, vielfältigen gegliederten Schulsystems werden. Es geht bei der Landtagswahl um nicht mehr und um nicht weniger als um die Frage: bildungspolitische Freiheit oder sozialistische Einheitsschule?

(Beifall bei der CDU – Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir entscheiden uns für die Freiheit des Einzelnen und gegen staatliche Beglückung.

(Anhaltender Beifall bei der CDU)

Danke sehr, Herr Irmer. – Zu einer Kurzintervention hat Frau Habermann das Wort.

Sehr verehrter Herr Irmer, mit dieser Rede haben Sie sich das Prädikat „Letzter kalter Krieger im Schulkampf in Hessen“ ehrlich verdient.