Protocol of the Session on July 4, 2007

(Beifall bei der SPD – Hans-Jürgen Irmer (CDU): Das ist falsch, dummes Zeug!)

Spätestens seit der „Operation düstere Zukunft“ wissen alle vom Bildungssystem Betroffenen, dass im Unterricht nicht mehr Lehrkräfte ankommen, sondern weniger. Sie wissen,dass Ihre Meldungen und Anträge mit der Realität an den Schulen nichts, aber auch gerade gar nichts mehr zu tun haben. Da ist dieser Widerspruch bei der Darstellung Ihrer finanziellen Leistungen im Bildungsbereich eigentlich ein i-Tüpfelchen auf einer Bilanz des Versagens.

(Zuruf des Abg. Dr. Norbert Herr (CDU))

Sie haben sich Ihren Sarg längst selbst gezimmert, und Sie werden das noch merken.

Einer der dicksten Sargnägel werden die Versprechen der Unterrichtsgarantie und der mit einem Plus versehenen unseligen Ableger derselben sein. Zu keiner Zeit ist es gelungen, den Unterricht nach Stundentafel abzudecken. Vielmehr sind 1.000 gestrichene Lehrerstellen im Jahr 2004 der Beweis dafür,

(Zuruf des Abg. Mark Weinmeister (CDU))

dass sich diese Kultusministerin mit den Ankündigungen, an denen sie in der Öffentlichkeit gemessen wird, innerhalb der Regierung nicht durchsetzen konnte.

Seit dem Jahr 2004 erleben wir Frau Wolffs mühselige Versuche,

(Zuruf des Abg. Dr. Norbert Herr (CDU))

die gerissenen Lücken in der Lehrerversorgung notdürftig zu flicken.

(Norbert Schmitt (SPD): So ist es!)

Zusätzliche Lehrerstellen werden durch immer neue Aufgaben für die Schulen aufgefressen. Mit befristeten Verträgen schaffen Sie nicht nur Unsicherheit bei den Schulen und Eltern,

(Dr. Norbert Herr (CDU):Wer hat denn die Stellen eingeführt? Waren das nicht Sie?)

Sie lassen es auch zu, dass Lehrkräfte unter unzumutbaren Bedingungen arbeiten müssen, am Ende eines Halbjahres arbeitslos und im Ungewissen über ihre berufliche Perspektive. Es ist also kein Wunder, dass viele von ihnen Hessen den Rücken kehren, sobald sie in einem anderen Bundesland eine Chance erhalten.

Dann kam die Unterrichtsgarantie plus.Nachdem alle statistischen Verschleierungsversuche an der Unzufriedenheit im Land nichts geändert haben, startete diese Landesregierung ihre Antiqualitätsoffensive und machte den Fachunterricht der allgemeinbildenden Schulen zum Abenteuerspielplatz: Jeder darf mal in eine Klasse, er muss nur den guten Willen mitbringen. Das Ansehen der Lehrkräfte wird abgewertet. Die Schulleitungen müssen den Verordnungswust umsetzen und werden mundtot gemacht, wenn sie Kritik üben.

(Dr. Walter Lübcke (CDU): Das stimmt doch gar nicht!)

Schülerinnen und Schüler erleben eine Diskontinuität im Unterricht, die nicht dazu beiträgt, ihre Motivation und ihre Leistungen zu steigern.

(Dr. Walter Lübcke (CDU): Ihr Kultusminister musste mit Polizeischutz in die Schulen gehen!)

Die Kritik von Eltern, Lehrkräften und Schülern in dieser Woche bestätigt, dass Sie mit Ihrem Lob für die Unterrichtsgarantie plus ganz allein dastehen.Auch die für Freitag angekündigte Bilanz der Kultusministerin wird daran nichts ändern.

Ich halte mich ganz eng an Ihren Antrag und komme deswegen zum Thema Ganztagsschule.Auch hier sieht die Bilanz anders aus als Ihre wohlfeilen Worte und Zahlen. Durch die Beschränkung der Landesförderung auf die Einrichtung pädagogischer Mittagsbetreuung hatten die Schulen keine Chance, bestehende Angebote weiterzuentwickeln.

Von den 406 als ganztätig arbeitend ausgewiesenen Schulen verfügen 302 über eine pädagogische Mittagsbetreuung. Die 104 Ganztagsschulen, die diesen Namen auch verdienen und in offener oder gebundener Form arbeiten, wurden ausschließlich vor 1999 eingerichtet und genehmigt,

(Norbert Schmitt (SPD): Hört, hört!)

mit Ausnahme einiger Förderschulen. Das ist die Wahrheit. Das muss hier zu dieser Bilanz gesagt werden.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Die Einrichtung pädagogischer Mittagsbetreuung frisiert zwar die Statistik, wird aber den Anforderungen an eine Ganztagsschule nicht gerecht. Ganztagsschule heißt, die individuelle Förderung durch einen Wechsel von Unterricht, Förderung und zusätzlichen Lernimpulsen sowie durch eine Verschränkung von Freizeit und Lernen zu realisieren.Auch diese Botschaft haben Ihnen Eltern, Schüler und Lehrer in dieser Woche ins Stammbuch geschrieben. Die wissen, wovon sie reden, wenn sie mehr Ganztagsschulen in diesem Land wollen, als Sie sie einzurichten geschafft haben.

Sie können niemanden mehr darüber hinwegtäuschen, dass das Ganztagsschulprogramm dieser Landesregierung ein Etikettenschwindel war, ist und bleibt.

Hessische Schulen sind viel weiter, als Sie das manchmal wahrhaben wollen; und weil sie im Interesse der Schülerinnen und Schüler die Weiterentwicklung zur Ganztagsschule wollen, engagieren sich viele weit über das ihnen zugewiesene Stundenbudget hinaus.

Dies zu begrüßen und sonst nichts zu tun ist zynisch und beweist einmal mehr, dass Sie die Maßnahmen auf dem Rücken der Kolleginnen und Kollegen – zulasten ihrer Arbeitskraft – umsetzen, ohne für eine angemessene Ausstattung und angemessene Arbeitsbedingungen zu sorgen.

Bessere Möglichkeiten für eine individuelle Förderung gäbe es längst, wenn die zahlreichen Anträge auf die Einrichtung von Ganztagsschulen endlich genehmigt würden. Herr Irmer oder Frau Wolff, da in Ihren Anträgen immer von individueller Förderung die Rede ist, wäre es übrigens interessant, zu beobachten, wie Sie in Klassen mit 33 Schülern und schwierigen Lernausgangslagen Kinder individuell fördern und auf die Stärken und Schwächen der Einzelnen eingehen würden. Sie würden bei dieser Aufgabe vielleicht an Ihrer Qualifikation, ganz sicher aber an Ihrer eigenen Schulpolitik scheitern.

Um beim Tenor Ihres Antrags zu bleiben: Dies geschieht im Allgemeinen zur Verschlechterung der Bildungschancen von Kindern in diesem Lande, und im Besonderen geben Sie sich jede erdenkliche Mühe, auch Ihre weitere Bilanz zu ruinieren.

Der Bildungs- und Erziehungsplan ist bis heute in der Fläche nicht handhabbar und umsetzbar. Es fehlt nicht an wohlklingenden Pressemitteilungen und an Fachkonferenzen. Es mangelt vielmehr an dem erkennbaren Willen der Landesregierung, die erforderlichen Voraussetzungen für eine Umsetzung zu schaffen: Fortbildung, Vorbereitungszeiten für Erzieherinnen und Erzieher sowie für Grundschullehrkräfte und ein Kindertagesstättengesetz, das Gruppengrößen entsprechend den Anforderungen des Bildungs- und Erziehungsplans regelt. Hier ist Fehlanzeige auf ganzer Linie zu verzeichnen.

(Beifall bei der SPD)

Wir sprechen gerade davon, dass der Bildungs- und Erziehungsplan ein wichtiges Instrument ist. Wenn Sie sich damit rühmen, dass Sie für Migrantenkinder inzwischen verstärkt eine Förderung in deutscher Sprache anbieten, müssen Sie gleichzeitig auch sagen, dass Sie das auf Kosten des herkunftssprachlichen Unterrichts gemacht haben. All die zusätzlichen Stellen sind aus diesem Bereich abgezogen worden.Wenn Sie in Ihrem eigenen Bildungsund Erziehungsplan nachlesen, werden Sie feststellen, dass Herr Fthenakis der Förderung in der Herkunftssprache eine große Rolle beimisst. Seine Forderungen beinhalten, dass auch dies im Bildungs- und Erziehungsplan umgesetzt wird.

(Beifall bei der SPD)

Die Einführung der verkürzten Gymnasialzeit hat dazu geführt, dass im Gymnasium ab der 5. Klasse Angst und Stress bei Eltern und Schülern eingekehrt sind:Angst vor dem Scheitern und Stress aufgrund eines Schulalltags, der auch nach dem Unterricht nur wenig Freizeit und daher nur wenige Möglichkeiten für das Entwickeln eigener Lerninteressen und individueller Beschäftigungen zulässt. Sie sorgen mit einer permanenten Überforderung dafür, dass die Zahl der Abiturienten in Hessen nicht steigen, sondern sinken wird.

(Helmut Peuser (CDU): Glauben Sie das alles, was Sie erzählen?)

Gleichzeitig haben Sie mit G 8, mit Lehrplänen, die auf drei fiktiven Begabungstypen aufbauen, mit Querversetzen und dem Zerschlagen der Förderstufe die dringend notwendige Durchlässigkeit unseres Schulsystems komplett zerstört. Mit dieser ideologisch irregeleiteten Schulpolitik haben Sie die Möglichkeiten individueller Förderung nachhaltig beeinträchtigt und die Koppelung zwischen Bildungserfolg und Herkunft verstärkt. Das ist die Realität hessischer Bildungspolitik im Jahr 2007.

(Beifall bei der SPD)

Individuelle Förderung kann man nämlich nicht verordnen. Sie kann nur dann funktionieren, wenn ein Schulsystem so flexibel ist, dass man auf den Entwicklungsstand des einzelnen Kindes eingehen kann. Die Schulen müssen für diese Förderung Zeit und die dafür notwendigen Lehrerstunden haben.

Es spricht Bände, dass in der Lehrerzuweisung für das kommende Schuljahr an den Grundschulen nur noch 0,6 statt ehemals 2 Wochenstunden für individuelle Förderung und Differenzierung vorgesehen sind. All Ihre Rechenkünste, was die Ausstattung der Grundschulen betrifft, nützen da nichts.

Gerade bei den Grundschulen, die seit jeher nach dem Prinzip der inneren Differenzierung und der Förderung arbeiten – dies bis zum Ende der Klasse 4 mit einem besseren Erfolg als die Schulen der Sekundarstufe I –, kürzen Sie die letzten Reserven für die individuelle Förderung weg, weil Sie sonst nämlich nicht einmal auf der Grundlage Ihres eigenen Zahlenwerks darstellen könnten, dass der Unterricht zu 100 % stattfindet.Wenn der Unterricht wirklich zu 100 % stattfindet, erfolgt das ohnehin nur auf Kosten der Klassengrößen.

Ihre ideologischen Scheuklappen verhindern auch das Nachdenken über bessere Fördermöglichkeiten für die jungen Menschen,die die Schule Jahr für Jahr,ob mit oder ohne Hauptschulabschluss, ohne Berufsperspektiven ver

lassen. Ich denke, das ist ein Skandal; denn nicht nur deren Zukunft, sondern auch die Zukunft dieses Landes hängt davon ab, dass möglichst viele eine möglichst hohe Qualifikation erreichen.

SchuB-Klassen sind nur für diejenigen eine Lösung, die bereits vom Schulversagen bedroht sind.Für sie ist das ein Ausweg. Aber sie sind kein Allheilmittel, und vor allem setzt die Förderung erst dann ein, wenn die Kinder und Jugendlichen bereits versagt haben. Die Förderung setzt nicht dort ein, wo sie einsetzen sollte, nämlich in den Kindertagesstätten und in den Grundschulen, also von Anfang an. Dort machen Sie nichts, loben sich aber dafür, das Modell der SchuB-Klasse aufgelegt zu haben, das auch in Hessen keine Zukunft haben wird.

(Beifall bei der SPD)

Sie stehen insgesamt für eine Schulpolitik, die an das Fördern erst denkt, wenn Schulversagen und mangelhafte Leistungen bereits offensichtlich werden. Ihr Osterferiencamp ist ein weiteres Beispiel dafür. In der Fragestunde hat mein Kollege Quanz damals die Frage gestellt, warum Sie eigentlich nicht das ganze Jahr über fördern, sondern das auf die Osterferien konzentrieren.

(Helmut Peuser (CDU):Sie haben das Prinzip nicht verstanden!)

Genau das müssen Sie sich immer wieder fragen lassen: Warum geben Sie den Schulen nicht die Möglichkeit, von Anfang an mit individueller Förderung zu arbeiten? Warum geben Sie ihnen nicht die Ressourcen? Warum fangen Sie nicht mit dem Bildungs- und Erziehungsplan an, sondern versuchen,die Löcher am Ende,wenn schon alles zu spät ist, zu stopfen?

(Beifall bei der SPD)

Früher fördern, besser fördern durch Ganztagsschulen, alle fördern durch gemeinsames Lernen und individuelles Eingehen auf den Leistungsstand der Schülerinnen und Schüler – so kommen wir zu besseren Bildungschancen für unsere Kinder.

Ich werde heute keine Replik machen und unser bildungspolitisches Konzept in dieser Debatte, Ihrem Setzpunkt, noch einmal vorstellen. Wir werden in den nächsten Monaten genügend Gelegenheit haben, darüber zu diskutieren.