Meine Damen und Herren, regieren heißt, Politik gegen Armut und soziale Ausgrenzung zu machen und nicht zuzusehen und die Schuld bei anderen zu suchen. Anstelle von Missbrauchsdebatten brauchen wir Strategien und Konzepte gegen Armut, aber da haben Sie wirklich nichts vorzuweisen.
Wir brauchen niedrigschwellige Hilfen.Wir brauchen Anlauf- und Beratungsdienste, die zeitnah zugänglich sind. Wir brauchen mehr Schuldner- und Drogenberatung.Wir brauchen mehr Sozialarbeit in sozialen Brennpunkten, in Spiel- und Lernstuben. Wir brauchen frühkindliche Bildung und gute Bildung für alle Kinder.Wir brauchen Ausbildungs- und Qualifizierungschancen für die von mir eben genannten 21.000 Jugendlichen, die in Hessen praktisch auf der Straße stehen.
Wir brauchen gute Integrationsangebote. Wir brauchen zielgenaue Arbeitsmarktprogramme für unterschiedliche Probleme am Arbeitsmarkt. Schließlich brauchen wir insgesamt eine wesentlich bessere Sozial- und Wirtschaftspolitik in Hessen.
Mit einem Wort: Wir brauchen eine neue Regierung in Hessen; denn Sie haben wirklich abgewirtschaftet.
(Lebhafter Beifall bei der SPD und dem BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN – Horst Klee (CDU): Das hätten Sie gleich sagen können! Dann hätten Sie uns die Rede erspart! – Gegenruf der Abg. Petra Fuhrmann (SPD): Sie werden das noch öfter hören, weil es wahr ist!)
Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! In der Debatte ist sehr deutlich geworden, dass die verschiedenen Fraktionen unterschiedlich über den Begriff von Armut sprechen, über die Bildung von Armut. Herr Kollege Bocklet hat sich immer bemüht, einzelne Sätze zu zitieren, ohne den Gesamtzusammenhang darzustellen.Aber ganz deutlich ist, dass wir anhand der Daten, die das Statistische Landesamt und das Statistische Bundesamt erheben, selbstverständlich feststellen können, dass Armut in Deutschland im Verhältnis der Bundesländer ungefähr gleich verteilt ist, egal wie Sie sie definieren.
Sie finden überall – Sie können bei den Arbeitslosenquoten anfangen und auch in den SGB-II-Bereich hineingehen – Hinweise für prekäre Situationen von Menschen.
Aber wenn Sie sich das genauer anschauen, stellen Sie auch fest, dass es Menschen gibt, die voll arbeiten
ja,aber es ist hier sehr unterschiedlich zum Ausdruck gekommen, und deswegen will ich darauf hinweisen – und weniger haben als manche Menschen, die Mittel nach SGB II beziehen.
Wenn wir jetzt über Mindestlöhne sprechen wollen, dann schauen Sie sich an, was die Tarifpartner, also auch Gewerkschaften, vereinbart haben. Auch hier kann man an manchen Stellen durchaus Fragezeichen setzen. Aber das haben immerhin Tarifpartner in einem freien Land miteinander verhandelt.
Nun komme ich zum letzten Beispiel, das Sie genannt haben. Schauen Sie sich an, in welch unterschiedlichen Lagen sich Personen befinden können, und fragen Sie sich dann, wie sich das bei den Familien verhält.Wir waren uns in Deutschland in weiten Teilen – auch innerhalb der Großen Koalition in Berlin – darüber einig, dass das, was das SGB II als Existenzminimum für Familien vorsieht, eine Ausstattung ist, die zwar nicht üppig ist, aber für viele Bereiche als ausreichend empfunden wird. An dieser Stelle verweise ich auf Ihren Bundesarbeitsminister,denn dieser hat hierzu jedenfalls keine anderen Vorschläge gemacht. Die hessische SPD mag das anders sehen, aber Sie wollen die Wirtschaft ja auch nicht ankurbeln und nicht dafür sorgen, dass es mehr Arbeitsplätze gibt. Das sind die Unterschiede, die es ab und zu gibt.
Wenn Sie sich die Lebenslagen von Familien anschauen, dann werden Sie sehr schnell feststellen,dass wir dort sehr unterschiedliche Lebenssituationen haben. Sie haben am Schluss selbst das folgende Beispiel genannt: Es gibt Kinder, die ohne Essen zur Schule kommen. Das ist ein echtes Problem.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, dieses Problem lösen wir nicht damit,dass wir für diese Familien beim Regelsatz noch etwas draufschlagen.Sie alle wissen,dass dies nichts mit dem Regelsatz zu tun hat, sondern damit, dass das Geld am Schluss nicht bei den Kindern ankommt. Daher reden wir mit Vertretern der Städte und mit Sozialdezernenten darüber, die im Übrigen auch von der SPD und den GRÜNEN kommen, wie wir es wieder schaffen können, dass ein Teil des Regelsatzes so einbehalten wird, dass das Geld zum Schluss bei den Kindern ankommt.
Es geht also nicht um die Höhe des Regelsatzes, sondern es geht an dieser Stelle darum, dass das Geld, das für die Kinder gebraucht wird, bei diesen auch tatsächlich ankommt.
Ich will Ihnen nur an wenigen Beispielen verdeutlichen, wie problematisch die Auswertung von Zahlen sein kann. Wenn wir z. B. über Kinderarmut sprechen, dann würde Deutschland, wenn das Unterhaltsrecht geändert wird, auf einen Schlag deutlich weniger Kinder haben, die in Armut leben.Dennoch hätten diese Kinder nicht mehr als vorher,da sie lediglich im ersten Rang aufgeführt würden, und das würde bei der Armutsabfrage wiederum dazu führen, dass nicht sie als Bedürftige aufgeführt werden, sondern möglicherweise ihre Mütter.
Ich sage trotzdem nicht, dass es falsch ist, solche Änderungen zu machen.An diesen Beispielen merken Sie aber vielleicht, dass, wenn wir Zahlen vergleichen, diese natürlich auch vernünftig hinterfragt werden müssen. Sie merken vielleicht auch, dass damit noch nicht die Frage gelöst ist: Wie erhöhe ich Bildungschancen? – Daher wird das aus meiner Sicht und auch aus Sicht der Landesregierung zum Teil in diesem Hause unter Annahme völlig falscher Voraussetzungen diskutiert.
Ich will Ihnen keine weiteren 20 Programme aufzählen und erläutern, was an den verschiedenen Stellen gemacht wird, denn – Herr Kollege Bocklet – das Programm zur Ausbildung alleinerziehender junger Mütter ist natürlich nur ein kleiner Beitrag dazu, jungen Müttern, die noch keine Ausbildung haben, die Chance zu geben, auch mit Kind in einen Beruf einzusteigen und hierfür bessere Bedingungen vorzufinden.Aber es ist schon allein schwierig, einzusehen, dass wir in diesem Zusammenhang überhaupt Programme brauchen.
Es ist einfach, zu sagen, da das Programm nicht alle alleinerziehenden Mütter umfasse, sei es falsch. Sie versuchen, Zahlen in ein Verhältnis zu setzen, die gar nichts miteinander zu tun haben. Damit machen Sie es sich einfach viel zu leicht.
Warum Alleinerziehende im Schnitt wesentlich schlechter gestellt sind, das ist eine Frage, die man an unser Sozialsystem richten sollte. Es hängt sicherlich damit zusammen, dass die Kinderbetreuungsmöglichkeiten ausgebaut werden sollten, aber auch damit, dass man Alleinerziehende, wenn man ihnen keine Kinderbetreuung anbietet, sehr schön aus den Statistiken herausnehmen kann. Denn wenn Sie keine Kinderbetreuung anbieten, dann müssen Sie die Alleinerziehenden auch nicht in den Arbeitsmarkt vermitteln.
Das ist eine Tatsache, die Sie an Statistiken ablesen können, und dabei wird sehr schnell deutlich, dass man in vielen Bereichen einen Bericht erstatten kann, aber dies heißt noch nicht, dass man damit neue Erkenntnisse gewinnt.
Wenn Ihnen die Daten noch immer nicht ausreichen, dann sage ich Ihnen: Wir haben hierzu in Deutschland viele Daten, und die Hessische Landesregierung hat mit ganz speziellen Programmen Ansätze geschaffen, um zu fragen: Wie schaffen wir es, dass wir Kindern mit Migrationshintergrund, die über viele Jahrzehnte eine klar benachteiligte Gruppe gewesen sind, bessere Bildungschancen und damit auch bessere Chancen geben, in unserem Land tatsächlich leben zu können, ohne arm zu sein? Das ist für mich die eigentliche Leistung.
Sie können natürlich noch einmal in Frankfurt abfragen, was dort gemacht wird. Ich wundere mich manchmal nur darüber, weshalb Sie vor dem Jahre 1999 keine umfassenden Armuts- und Reichtumsberichte vorgelegt haben. Sie scheinen diese Daten damals noch nicht gebraucht zu haben.Sie scheinen auch die Daten,die wir mit unseren Programmen eingeführt und erhoben haben, nicht gebraucht zu haben.
Wir sind noch heute mit den Kommunen dabei, im Rahmen der Kommunalisierung ein gemeinsames Konzept zu erstellen,indem wir fragen:Welche Daten müssen für eine zielgerichtete Sozialpolitik erhoben werden, um uns darüber Auskünfte zu liefern, wie wir die Lebensbedingungen
tatsächlich verbessern können? Das alles gab es vor dem Jahre 1999 nicht.Wir erarbeiten das gemeinsam mit Kommunen und der Liga der Freien Wohlfahrtspflege, und ich biete gerne an – Herr Kollege Rentsch hat es angesprochen –, dies im Rahmen der Kommunalisierung im Ausschuss gemeinsam zu behandeln. Denn das sind Daten, auf die sich alle verständigt haben, die wir tatsächlich brauchen und die uns die Kommunen zurückmelden sollen.
Es ist ein schwieriger Prozess gewesen, überhaupt herauszufinden, mit welchen Daten eventuell Steuerungsprozesse in Gang gesetzt werden könnten. Ich sage Ihnen das ganz offen:Ich finde es ein wenig scheinheilig,sich hierhin zu stellen und neue Berichte zu fordern, während Sie selbst über Jahre, vielleicht sogar Jahrzehnte hinweg nichts gemacht und damals keine Steuerungskriterien eingeführt haben,
sodass wir noch heute dabei sind, all diese Bereiche aufzuarbeiten und uns dafür einzusetzen,dass Steuerungskriterien erarbeitet werden. Von Ihnen haben wir hierzu jedenfalls noch nichts Vernünftiges gehört.
Der Zugang von Kindern zur Bildung bleibt als wichtigster Bereich bestehen. Ich möchte nur einmal daran erinnern, dass es die SPD und die GRÜNEN gewesen sind, die dagegen waren, dass wir vor der Grundschule Sprachtests eingeführt haben. Sie haben sich dagegen gewehrt, dass diese Sprachtests bei uns als erstem Bundesland eingeführt wurden, weil Sie damals noch eine völlig andere Ideologie verfolgt haben.
Natürlich ging es damals darum, Bildungschancen zu eröffnen, früh zu fördern und gerade nicht dafür zu sorgen, dass Migrantenkinder automatisch mit schlechteren Bildungsabschlüssen aufwarten müssen, als dies deutsche Schüler tun. Dieses Problem gibt es noch heute, aber wir haben es geschafft, gerade auch bei der Hauptschule die Abbrecherquote zu senken.Das ist während der gestrigen Debatte deutlich geworden. Ich halte es für scheinheilig ohne Ende, von Ihnen etwas zum Thema Bildungsarmut zu hören, da Sie sich vor dem Jahre 1999 um diesen Bereich überhaupt nicht gekümmert haben. Unter Ihrer Regierung hat es die größte Abbrecherquote gegeben, und dazu haben wir von Ihnen auch heute nichts zu hören bekommen.
Als Landesregierung werden wir diese Programme weiterhin sehr ruhig und gelassen umsetzen. Wir werden dafür sorgen, dass z. B. in der Hauptschule noch weniger junge Menschen zu Abbrechern werden. Hierfür ist mit den SchuB-Klassen ein ganz wichtiger Ansatz gemacht worden. Wir werden aber auch weiterhin dafür sorgen, dass mit Deutschkursen nicht nur die Bildungschancen vor der Grundschule verbessert werden, sondern wir haben schon damals, als wir diese Kurse eingeführt haben, gesagt, dass wir diese Kurse eigentlich überflüssig machen möchten, weil die Kinder ab dem Kindergarteneintritt Deutsch lernen sollen,damit sie sich in dieser Gesellschaft zurechtfinden und eben nicht erst einen Kurs besuchen müssen.
Wir haben das in den Kindergärten noch weiter nach vorne verlagert. Deswegen haben wir einen Bildungsplan für die Null- bis Zehnjährigen aufgestellt, um die Zu
sammenarbeit zwischen frühkindlicher und schulischer Bildung tatsächlich zu verbessern und um diesen Kindern – egal, aus welchen familiären Verhältnissen sie stammen – bessere Bildungschancen zu geben. Ich kann mich nur darüber wundern – es wird von allen Experten einheitlich so gesehen, dass dies der richtige Weg ist, um Bildungschancen von Kindern zu verbessern –, dass Sie sich dann heute hinstellen und sagen, wir brauchen in Hessen neue Datenerhebungen, weil Sie sonst zu wenige Erkenntnisse hätten.
Wir haben diese Erkenntnisse. Wir setzen diese Erkenntnisse in unseren Programmen um – egal,ob dies im Sozialoder Kultusministerium, der Sozialen Stadt, dem Wirtschaftsministerium oder an vielen anderen Plätzen geschieht, wo es darum geht, Bildungschancen zu erhöhen.
Ja, ich komme gleich zum Schluss. – Das war das eigentliche Problem, das Rot-Grün in Hessen hinterlassen hat. Wir werden aber weiter dafür sorgen, dass Einrichtungen besser verzahnt werden,dass junge Menschen bessere Bildungschancen bekommen und dass wir nicht jeden Tag über neue Statistiken sprechen, sondern tatsächlich Menschen helfen,Arbeit zu bekommen, um aus prekären Verhältnissen herauszukommen. Wir werden gleichzeitig dafür sorgen, dass diese Kinder die gleichen Bildungschancen haben werden wie die Kinder eines Hochschulabgängers. Das steht für uns im Vordergrund, und das werden wir im Rahmen der Sozialberichterstattung, die mit der Liga vereinbart worden ist, auch im Rahmen der Kommunalisierung weiter umsetzen.
Ich kann Ihnen hierzu nur sagen: Sie haben über Jahre in diesem Bereich nichts gemacht. Sie fordern neue Förderprogramme. Sie fordern und fordern, aber Sie selbst haben im Bereich der Schule und der Bildung, wo es tatsächlich der Hilfestellung für Kinder bedurfte, nichts getan.Wir machen das, und wir werden das als Landesregierung auch zukünftig umsetzen.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Herr Kollege Rentsch hat vorhin völlig zu Recht darauf hingewiesen, dass es für eine moderne Sozialpolitik notwendig ist, die Wirkungen von einzelnen sozialpolitischen Maßnahmen zu prüfen. Natürlich spielen hierbei die Kommunen eine ganz wesentliche Rolle, weil dort ein Großteil der sozialpolitischen Leistungen erbracht wird. Es ist daher völlig richtig, auf kommunaler Ebene Daten zu erheben und zu schauen, ob diese Maßnahmen wirken und dazu beitragen, für Chancengleichheit und Startgerechtigkeit zu sorgen, oder nicht.