Protocol of the Session on March 28, 2007

(Hans-Jürgen Irmer (CDU): „Baustellen“ heißt es!)

Die Baustellen haben Sie eröffnet, Herr Irmer.Wir werden Mühe haben, sie wieder dichtzumachen.

Da spielt der Anfang im Kindergarten und in der Grundschule eine ebenso große Rolle wie die Förderung von Ganztagsschulen, die diesen Namen auch verdienen. Da ist eine neue Lehrerbildung ebenso zentral wie die Selbstverantwortung von Schulen.

Meine Damen und Herren,wir stehen ebenso für eine Reform der beruflichen Bildung wie für die Festschreibung der Weiterbildung als vierter Säule des Bildungswesens in staatlicher Verantwortung. Wir sind der Überzeugung, dass erfolgreiches Lernen sich messen muss an dem pädagogischen Prinzip des Umgangs mit unterschiedlichen Lernvoraussetzungen und unterschiedlichen Leistungsniveaus. Deswegen haben wir als einen Baustein unseres Hauses der Bildung die Sekundarstufe I in den Blickpunkt genommen.Dort werden weiterhin ungleiche Startchancen zementiert, und es gelingt nicht, die vielfältigen Talente der Kinder zu entwickeln.

Meine Damen und Herren von der CDU, auch die besten methodischen Ansätze können nicht verhindern, dass die Verfasstheit des Systems den Bildungserfolg des einzelnen Kindes beeinflusst. Deshalb ist es folgerichtig, Schulen die Chance zu geben, die Verfasstheit des Systems zu überwinden, um bestmögliche Ergebnisse für ihre Schülerinnen und Schüler zu erzielen. Gemeinsames Lernen unterschiedlich begabter Kinder führt nicht zur Gleichmacherei, sondern zu innerer Differenzierung und mehr Bildungschancen für alle.

(Gottfried Milde (Griesheim) (CDU): Was heißt das konkret?)

Diese brauchen wir dringend, wenn wir nicht nur schwächere Schüler fördern, sondern auch die Leistungsspitze verbreitern wollen.

Ich will noch einiges zum Antrag der GRÜNEN sagen. Wir können viele der darin enthaltenen Forderungen unterstützen. Es ist ein richtiger Schritt, die Streichung von 1.000 Lehrerstellen zurückzunehmen,damit die Schulen personell in der Lage sind, ihre Aufgaben erfolgreicher zu erfüllen. Es ist ein richtiger Schritt, auf pädagogisch sinnlose Sanktionen wie Querversetzungen und Sitzenbleiben zu verzichten und den Schulen stattdessen die Möglichkeit zu eröffnen, innerhalb des Klassenverbandes zu differenzieren und individuell zu fördern.

Es ist auch richtig, über eine Ausweitung des gemeinsamen Unterrichts von Kindern mit und ohne Behinderung nachzudenken.Uns fehlt eine Aussage zu der skandalösen Tatsache, dass die Selektion im hessischen Schulsystem unter dieser Landesregierung zu einer massiven Erhöhung der Schülerzahlen in der Schule für Lernhilfe geführt hat. Bildungspolitik mit Zukunftsperspektive muss auch an dieser Stelle über neue Wege nachdenken.

Es ist ebenfalls richtig, das Ganztagsprogramm so auszuweiten, dass die Schulgemeinden darüber entscheiden können, welche Form von Ganztagsschule sie anstreben. Nur so wird Ganztagsschule mehr als Betreuung am Nachmittag, und das Ziel, mehr Zeit zum Lernen zu gewinnen, wird erreicht.

Es ist richtig, Vorstellungen über längeres gemeinsames Lernen zu entwickeln und den Schulen Anreize dafür zu geben. Ob man dabei ausgerechnet den Begriff „neue Schule“ verwenden sollte, der jetzt unfreiwillig im Kultusministerium besetzt wurde und dort in den Aktenschränken verstaubt, ist uns eher fraglich. Zu unscharf sind uns auch die Vorstellungen über die Ausstattung und die Selbstverantwortung der Schulen.

Um gescheiterten Bildungskarrieren vorzubeugen, müssen Schulen von Anfang adäquat und orientiert an ihren Arbeitsbedingungen entsprechende Ressourcen zur Verfügung haben, und zwar nicht nur die sogenannten neuen, sondern alle Schulen. Wir wollen, dass in die Landeszuweisungen ein Faktor einfließt,der das soziale Umfeld der Schule berücksichtigt, der Indikatoren wie Arbeitslosenquote oder Migrantenanteil aufgreift, aber auch besondere pädagogische Zielsetzungen und Aufgaben aufnimmt.

Es hat keinen Sinn, nur neuen Schulen bestimmte Klassengrößen zu versprechen oder sie über Sonderprogramme auszustatten. Erst ein an den realen Bedingungen orientiertes Budget führt dazu, dass Schulen gleiche Arbeitsvoraussetzungen erreichen können. Mit einem solchen Budget können selbstverantwortliche Schulen selbst entscheiden, welches zusätzliche Personal sie an welcher Stelle im Interesse ihrer Schüler einsetzen. Sie können auch entscheiden, wie Lerngruppengrößen für bestimmte Aufgaben zu differenzieren sind. Selbstverantwortliche Schulen brauchen keine Festlegungen darüber, wie sie ihre Ressourcen einzusetzen haben. Sie wissen selbst am besten, wie sie ihre Schüler fördern können.

Insgesamt kann ich für meine Fraktion feststellen: Viele der beschriebenen Schritte im Antrag der GRÜNEN zum längeren gemeinsamen Lernen und für eine bessere Schulpolitik sind richtig, auch wenn bisher an manchen Stellen nur verschwommene Konturen statt eines klaren Profils zu erkennen sind. Wir bieten gerne eine Orientierung an unserem Haus der Bildung an. – Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Vielen Dank, Frau Habermann. – Herr Lenz, Sie haben das Wort zu einer Kurzintervention.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Habermann, Sie haben in Ihrer Rede nichts anderes getan, als das gegliederte Schulwesen zu verteufeln.

Dabei gebrauchen Sie den historisch belasteten Begriff „Selektion“.Aber das müssen Sie selbst verantworten.

Sie und Ihre Doppelvorsitzende propagieren die neue Einheitsschule, ob sie nun Gesamtschule heißt oder auch nicht.

(Sarah Sorge (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):Wie lange darf man bei einer Kurzintervention reden?)

Doch ich frage: Wie wollen Sie dafür erfolgreich bei der Bevölkerung werben, wenn die Praxis vor Ort bei Ihren eigenen Genossen anders aussieht? Ich will Ihnen dafür ein anschauliches Beispiel nennen. In der vergangenen Woche hat die SPD im Wahlkreis 41 bei der Wahlkreisdelegiertenversammlung ihren Landtagskandidaten gewählt. In einer Kampfabstimmung mit zwei Bewerbern wurde ein Herr Mair gewählt. Den Namen brauchen Sie sich nicht zu merken. Zwei Drittel der anwesenden Delegierten – dies sind Funktionäre – haben ihn gewählt.

(Andrea Ypsilanti (SPD): Herr Lenz ist wieder da! Er hat wohl einen Konkurrenten bekommen!)

Sie haben ihn gewählt, nachdem er vor der Versammlung stolz,laut und deutlich verkündet hat,dass er seine Kinder in das private konfessionelle Gymnasium in seinem Wahlkreis schickt.

(Dr. Norbert Herr (CDU): Hört, hört! – Gernot Grumbach (SPD): Sie haben jetzt Angst, da Ihr Gegenkandidat so stark ist!)

Herr Lenz, eine Kurzintervention soll sich auf einen Beitrag des Redners beziehen. Vielleicht kommen Sie jetzt dorthin.

Ich komme dazu,weil ich dies sagen muss.Es geht hier um die Gesamtschulen. In diesem Wahlkreis gibt es drei integrierte Gesamtschulen, auf die keiner der gewählten Kandidaten seine Kinder schickt. Ich nenne das eine Heuchelei,

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

wenn Sie hier die Gesamtschule, die Einheitsschule propagieren und in der Praxis anders verfahren.

(Zuruf des Abg. Gernot Grumbach (SPD))

Herr Lenz, die zwei Minuten Redezeit sind um.

(Aloys Lenz (CDU): Danke schön! – Beifall bei der CDU)

Es besteht kein Wunsch zur Antwort. Dann haben Sie das Wort, Frau Staatsministerin Wolff.

(Michael Siebel (SPD): Kann hier eigentlich jeder sagen, was er will?)

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist schon ein spannender Vorgang, wenn der erste Redner zur Begründung seines Antrags damit aufschlägt, dass er den UNO-Sonderberichterstatter Muñoz in seiner

Kritik am sogenannten selektiven Schulsystem in Deutschland zitiert.

Herr Kollege Wagner, es ist schon bemerkenswert, wenn Sie jemanden als Kronzeugen Ihrer Kritik an der Landesregierung aufrufen, der nicht nur das gegliederte Schulwesen kritisiert, sondern dies quasi als Menschenrechtsverletzung charakterisiert, und der zu gleicher Zeit und in fast gleicher Gewichtung Deutschland vorwirft, dass es das Homeschooling verbiete und stattdessen die allgemeine Schulpflicht eingeführt habe.

(Zuruf des Abg. Michael Boddenberg (CDU))

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wer die Seriosität dieses Herrn als ersten Beleg dafür nimmt, sich mit der Landesregierung auseinanderzusetzen,der kann nicht viel auf der Pfanne haben.

(Beifall bei der CDU – Mathias Wagner (Taunus) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Da wissen Sie, wovon Sie reden!)

Herr Kollege Wagner, Frau Kollegin Habermann, wenn ich bedenke, dass Ihre Formulierungen, die Sie in die Zukunft hinein äußern, relativ weich sind und zum Teil noch gar keinen Namen tragen, dann stelle ich fest, dass Sie in Ihren Anträgen sehr klar sind bei dem, was Sie nicht mehr haben wollen. Sie sagen, dass Sie dann – wenn Sie eine neue bzw. Ihre No-Name-Schule haben werden – natürlich die Haupt- und Realschulen sowie das Gymnasium nicht mehr haben und diese Schulformen abschaffen wollen.

Sie sagen, Sie wollen das Sitzenbleiben abschaffen, sowie die Querversetzung, die aus pädagogischen Gründen eingesetzt worden ist. Sie sagen, Sie wollen das G 8 abschaffen, sowie die Landesprüfung. Sie sagen, Sie wollen die Hochbegabtenförderung, wie sie etwa im Internat Schloss Hansenberg geschieht, abschaffen.

(Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU): Das ist falsch!)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, das sind die harten Fakten der Sozialdemokraten und der GRÜNEN, dass Sie nämlich von dem, was die Landesregierung eingeführt hat, einiges abschaffen wollen. Die weichen Dinge, die Sie propagieren, haben Sie nicht unter Beweis gestellt. Das konnten Sie auch nicht, da Sie etwas völlig anderes unter Beweis gestellt haben.

(Mathias Wagner (Taunus) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Darüber sollten Sie reden!)

Nun wollen wir uns noch einmal der folgenden Frage zuwenden: Was ist das eigentlich, das nicht nur eine Heuchelei von Anträgen darstellt,sondern tatsächlich an Leistungen gemessen werden kann? – Herr Kollege Wagner, dann sollten wir eher einmal darüber reden, welche Probleme Hessen hatte. Hessen hatte das erhebliche Problem, dass die Schlussbilanz der alten Landesregierung genau in dem bestanden hat, was Sie vorhin zitiert haben, nämlich dass eine unerträglich hohe Quote von 27 % der Schülerinnen und Schüler als Risikoschüler bezeichnet worden sind. Das war das Ergebnis Ihrer Politik.

(Beifall bei der CDU)

Meine Damen und Herren, das lässt sich innerhalb von drei Jahren nicht bewältigen, sondern damit haben wir noch immer zu kämpfen. Es wird in den folgenden PISAStudien erkennbar sein, dass wir in einem ersten Schritt

von dieser Quote abgekehrt sind, indem bereits 12 % weniger Schülerinnen und Schüler Risikoschüler sind.

Wir haben das Problem, dass in der Öffnungsbilanz deutlich geworden ist, dass der Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft und Leistungen in wenigen anderen Ländern so hoch gewesen ist wie in Hessen, und zwar aufgrund der Politik,die Sie betrieben haben.Das ist das Problem, das Deutschland und auch Hessen als Ausgangssituation vorgefunden haben. Das ist die Wahrheit, nichts als die Wahrheit.

(Michael Siebel (SPD): Sie haben ein Problem, das merkt man!)

Das ist in der PISA-Studie nachlesbar, und es wird dort auch sehr deutlich nachgewiesen.