Protocol of the Session on January 30, 2007

Mit den Kosten etwa auch nicht? Na gut.

Wir kommen zu Europa zurück. Herr Minister, Ihr Bekenntnis zu Europa ist – ich habe es dargelegt – ein Lippenbekenntnis. Sie fördern damit die Abgrenzung, die Ablehnung der Europäischen Union. Das ist eine Haltung, die Sie sonst wortreich beklagen. Es gibt wirklich gute Gründe, sich für die Europäische Union auszusprechen und europäisch zu denken. Ich möchte einige nennen.

Das soziale Niveau in der EU kann unter den Bedingungen der Globalisierung nur erhalten werden, wenn wir Europa weiterentwickeln. Auch das internationale Recht bekommt entscheidende Impulse durch die Europäische Union. Das haben mittlerweile auch die USA anerkannt. Wie sollten einem globalen Wettbewerb mit einer globalen Machtpolitik sonst Fesseln angelegt werden?

Man kann Europa als einen relativ geschützten Raum verstehen, der seinen Einwohnern sehr viele große neue Chancen eröffnet. Wie attraktiv die Europäische Union ist, sieht man an dem Interesse, der Europäischen Union beizutreten. Selbst die gescholtene EU-Bürokratie vereinfacht den Handel, aber auch den Verbraucherschutz. Sie schafft Mindeststandards für den Schutz unserer natürlichen Lebensgrundlagen. Die Europäische Union ist zukunftsfähig, und ihre Entwicklung können und wollen wir positiv beeinflussen. Eine defensive Grundhaltung mit dem Wunsch nach einem „Zurück“ – wie wir das heute von Ihnen gehört haben – ist dafür allerdings eine schlechte Voraussetzung.

(Beifall bei der SPD)

Ich möchte Ihnen und den Kollegen von der CDU ein Zitat mit auf den Weg geben:

Die Einheit Europas war ein Traum von wenigen. Sie wurde eine Hoffnung für viele. Sie ist heute eine Notwendigkeit für uns alle.

(Zuruf des Ministers Volker Hoff)

Der Herr Minister murmelt den Autor. Es war Konrad Adenauer. Herr Minister, Sie haben gerade zu erkennen gegeben, dass Sie das Zitat kennen. Es wird aber auch Zeit, dass Sie diese Worte verinnerlichen. – Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD)

Danke sehr,Frau Hoffmann. – Herr von Hunnius, Sie dürfen nunmehr für die FDP-Fraktion das Wort ergreifen.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Europa ist ins Gerede gekommen – hoffentlich nicht nur wegen absurder oder vermeintlich absurder Richtlinien und Vorschläge der Europäischen Kommission oder wegen des Liebeslebens einzelner, besonders bekannter Kommissare. Schließlich gibt es – das habe ich gehört – Vergleichbares auch in Berlin und München. Niemand würde sich aufgrund solcher Vorkommnisse erdreisten, dieses zu pauschalieren oder zu sagen: Wir müssen die Bundesrepublik Deutschland oder gar den Freistaat Bayern infrage stellen.

(Beifall bei der FDP)

Aber wenn es um Europa geht, dann ist jede Affäre sofort ein Symptom der drohenden Dekadenz der Europäischen Union; zumindest liest sich das in manchen Medien so. – Wir dürfen nicht vergessen, auch in Deutschland gibt es Bürokratie.Auch in Hessen sind wir ganz weit davon entfernt, Bürokratie wirklich effektiv abzubauen.

(Beifall bei der FDP)

Wer das nicht glaubt, der möge doch bitte einmal den „Staatsanzeiger“ nicht gleich zur Seite legen, sondern ihn Seite für Seite, Blatt für Blatt durchlesen. Es ist unglaublich, was man da an bürokratischen Vorschriften findet, die man auf den ersten Blick, wenn man denn wollte und dazu auch in der Lage wäre, erkennen könnte.

(Beifall bei der FDP – Zuruf des Abg. Frank-Peter Kaufmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ach, Herr Kollege, ich spreche nicht von Regierungszeiten, sondern ich spreche darüber, dass wir daran alle mitgewirkt haben. Sie haben daran doch genauso mitgewirkt. Nur, wenn wir mit dem Zeigefinger auf Europa zeigen, dann müssen wir auch sehen, dass hierbei vier Finger auf uns selbst zurückweisen. Das müssen wir realistischerweise einsehen.

(Beifall bei der FDP)

Herr Kollege Kaufmann, das, was wir in Hessen nicht schafften, den Europäern – in einem Gremium von 27 Staaten – vorzuwerfen ist vergleichsweise unfair. Es macht uns zwar sehr beliebt, auf der hohen Welle des Anti-Europäertums mitzuschwimmen, aber es ist unfair.

(Beifall bei der FDP)

Europa ist ins Gerede gekommen.Der Projekttag an Hessens Schulen sollte nicht auf einen Tag beschränkt bleiben. Die Ahnungslosigkeit hessischer Schüler bezüglich des politischen Systems Deutschlands wird nur noch übertroffen von der Ahnungslosigkeit in Sachen Europa.

(Beifall bei der FDP)

Herr Minister, am gleichen Tage wie Sie war auch eine Reihe von Abgeordneten unterwegs.Wenn eine Schülerin sagt, sie habe davon gehört, Rumänien wolle der Europäischen Union beitreten, dann ist dies ein Symptom für diese Ahnungslosigkeit.

(Frank-Peter Kaufmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Es gibt noch viel schlimmere Aussagen!)

Da aber Europa für den Alltag deutscher Bürgerinnen und Bürger längst wichtiger ist als die Ebenen Land und Bund, da Europa für die Zukunft der Bürgerinnen und Bürger in Deutschland die wichtigste Ebene ist, ist es geradezu geistiger Selbstmord, diese Ahnungslosigkeit zu tolerieren. Wir dürfen uns nicht die Arroganz erlauben, die für unser Leben entscheidende und zukunftsträchtigste Politikebene schlicht zu ignorieren. Das ist in weiten Diskussionen noch immer der Fall. Wir zerfleischen uns um die kleinsten Kleinigkeiten der Landesgesetzgebung und übersehen völlig die Gesamtrichtung, die Europa nimmt.

(Beifall bei der FDP)

Europa muss zum selbstverständlichen und zentralen Inhalt der politischen Bildung an Hessens Schulen werden. Das ist zurzeit leider nicht der Fall. Die Unkenntnis, die dort existiert, schreit zum Himmel, und sie ist zu beseitigen.

Herr Minister, daher begrüße ich Ihr Schulbuchvorhaben ausdrücklich; denn es kann dazu beitragen, aus europäischer Perspektive Dinge in die richtige Richtung zu bewegen.

Es sind in diesem Jahr mindestens vier handfeste Gründe, die uns daran erinnern, was Europa für uns bedeutet. Ich will anhand dieser vier Punkte zur europäischen Politik Stellung nehmen. Ich will nicht so sehr gegen den Minister, für die Landesregierung oder gegen die GRÜNEN sprechen und – wie Herr Kollege Kaufmann – sofort die Parteibrille aufsetzen, sondern ich sage: Bei dem Europa, das wir uns als Liberale vorstellen, können Sie entscheiden, ob es auch Ihr Europa ist.Wenn es das ist, ist es umso schöner; wenn es das nicht ist, dann müssen wir darüber reden, um Sie zu überzeugen.

Erstens.Am 1. Januar 2007 ist die Europäische Union um etwa 30 Millionen Menschen und zwei Mitgliedstaaten, Rumänien und Bulgarien, auf jetzt insgesamt über 483 Millionen Menschen gewachsen. 483 Millionen Menschen sind weit mehr Menschen als in Russland, und das sind weit mehr als in den Vereinigten Staaten von Amerika. Nur der Einfluss, den die Europäische Union hat, ist bedauerlicherweise weit geringer als der der Vereinigten Staaten.

Trotz aller Mäkeleien, die EU ist und bleibt erfolgreich und attraktiv. Wenn sich ein Land um das andere darum bewirbt, Mitglied zu werden, wenn wir uns darüber unterhalten müssen, wen wir in welcher Reihenfolge nach Europa hereinlassen, ist das ein Zeichen dafür, dass Europa attraktiv ist und dass das Projekt Europa möglicherweise außerhalb der Europäischen Union beliebter ist als innerhalb.

(Beifall bei der FDP)

Europa ist attraktiv, und Europa ist – auch im ökonomischen Sinne – ganz besonders vorteilhaft für den größten Mitgliedstaat Deutschland. Darüber gibt es inzwischen eine sehr ausführliche Untersuchung, die von Wissenschaftlern zusammengestellt worden ist, mit der man rechnerisch nachgewiesen hat, wie stark Deutschland von der Europäischen Union profitiert. Das kann man ganz einfach aufzeigen. Man kann es sagen, aber man muss es auch verinnerlichen. Nur, was man nicht tun sollte, ist, bei der Europäischen Union immer nur nach den Krümeln zu suchen, darüber aber komplett zu vergessen, was Europa für uns bedeutet.

Das Problem ist:Wir haben uns in der EWG, in der Europäischen Gemeinschaft und schließlich in der Europäischen Union über Jahrzehnte mit einem sehr bequemen Satz zufriedengegeben, und der Satz lautete: „Der Weg ist das Ziel“.Wir haben uns immer nach vorn bewegt und haben uns nie überlegt, worauf das Ganze eigentlich hinauslaufen soll:Was ist die Finalität der Europäischen Union? Was ist denn der Endzustand, auf den wir hinauswollen?

1946 hatte man in Hertenstein in der Schweiz eine Vision – die Vereinigten Staaten von Europa. Ist das noch unser Ziel? Wie viel föderales Gedankengut wollen wir in diesem Europa haben? – Wenn es nach den Engländern ginge, so gut wie gar keines.Wenn es nach den Luxemburgern und Belgiern ginge, vielleicht eine ganze Menge.Wo ist da die gemeinsame Richtung? Das ist nie ausdiskutiert worden, und daraus folgt, dass es eine Herausforderung zu bestehen gilt: Die EU muss endlich ihre Grenzen definieren.

(Beifall bei der FDP und des Abg. Armin Klein (Wiesbaden) (CDU))

Herr Klein, das meine ich im geografischen Sinne, aber nicht nur. Denn das Prinzip „Jeder kann mitmachen“ hat viel zu lange gegolten, und es kann für das künftige Europa kein taugliches Rezept sein.

(Beifall bei der FDP und des Abg. Armin Klein (Wiesbaden) (CDU))

An der Türkei, aber nicht nur an ihr, scheiden sich die Geister. Lassen Sie mich zwei Feststellungen treffen.

Erste Anmerkung: Mehr Europa in der Außen-, Sicherheits-, Innen- und Rechtspolitik erreichen wir nicht auf dem intergouvernementalen Weg, den de Gaulle haben wollte, „Europa der Vaterländer“, sondern mehr Europa erreichen wir mit der sogenannten Méthode Monnet, einer Methode der Vergemeinschaftung von Jean Monnet, indem wir gemeinsame Regelungen erlassen, an die wir uns gemeinsam halten, weil dies Regelungen sind, bei denen wir nicht auseinanderlaufen können und die nicht der Beliebigkeit unterworfen sind.

Das Ziel liberaler Europapolitik ist es – das ist die zweite Anmerkung hierzu –, eine handlungsfähige Europäische Union zu erreichen, die ihren Einfluss in der Welt für die Unionsbürger einsetzt. Als Einzelstaat Deutschland sind wir – da mögen wir uns so toll fühlen, wie auch immer – nicht in der Lage, unsere Interessen weltweit wahrzunehmen. Es wäre verfehlt, nach der UNO zu rufen, in der Hoffnung,dass sie uns hilft,oder darauf zu vertrauen,dass die Amerikaner in einer unendlichen Fortsetzung der Nachkriegspolitik weiterhin für uns da sein und unsere Interessen immer identisch sein werden.

Das Ziel ist eine handlungsfähige Europäische Union. Das heißt nicht, dass die Europäische Union den gesamten Kontinent oder sogar noch mehr umfassen müsste. Die Europäische Union als Mini-UNO ist ein Schreckgespenst.

(Beifall bei der FDP)

Das maximale Europa ist nicht das optimale Europa. Das ist wie mit Unternehmen: Es gibt eine optimale Unternehmensgröße. Wenn diese überschritten ist, dann zerfallen die Unternehmen. Das galt auch für das Römische Reich, das einmal an seiner Größe kaputtgegangen ist. Dieses Schicksal wollen wir mit der Europäischen Union nicht erleiden.

(Christel Hoffmann (SPD): Es wurde erobert!)

Zweitens. Slowenien wurde als 13. Mitglied in die Europäische Währungsunion aufgenommen. Das ist ein ganz großer Grund zur Freude, weil diesem Staat noch vor wenigen Monaten niemand zugetraut hätte, dass er die Kriterien erfüllen würde. Erinnern wir uns daran, dass Deutschland im vergangenen Jahr erstmals nach fünf Jahren wieder eines von zwei Konvergenzkriterien erfüllt hat.

Wir sollten auch hier nicht so wahnsinnig stolz sein und auf die anderen nicht herunterschauen. Slowenien hat sehr viele Reformen durchgeführt. Wir könnten uns in Deutschland daran wirklich ein Beispiel nehmen. Bei uns stößt man da auf Mutlosigkeit. Slowenien ist also reif für die Einführung des Euro.

Lassen Sie uns über den Euro sprechen. Deutsche Nostalgiker meinen noch immer, die Preise in Euro von 2007 mit den Preisen in D-Mark des Jahres 2000 vergleichen zu

können.Sie sind der Meinung,die Preise dürften nicht höher sein als damals. In Wirklichkeit ist aber die Einführung des Euro eine Erfolgsgeschichte.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der Abg. Aloys Lenz und Armin Klein (Wiesbaden) (CDU))