Protocol of the Session on January 30, 2007

Darüber hinaus hoffe ich auf gute kollegiale Zusammenarbeit. Ich bin ganz sicher, dass das funktioniert.

In dem Zusammenhang darf ich Kollegen Walter für diese gute kollegiale Zusammenarbeit im letzten Jahr herzlich danken. Ich werde es ihm noch einmal persönlich sagen.

(Allgemeiner Beifall)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich rufe Tagesordnungspunkt 2 auf:

Regierungserklärung des Hessischen Ministers für Bundes- und Europaangelegenheiten betreffend „Hessen gestaltet Europa – mit Ideen und Initiative“

Herr Minister,ich sage Ihnen,dass wir zwischen den Fraktionen 20 Minuten Redezeit vereinbart haben. Das müssen Sie nicht einhalten. Aber jenseits der 20 Minuten sinken die Sympathiewerte. Sie haben das Wort.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Am vergangenen Freitag habe ich in GelnhausenMeerholz im Main-Kinzig-Kreis den geografischen Mittelpunkt der Europäischen Union besucht. Damit wird auch geografisch deutlich: Hessen liegt mitten in Europa. – Wir sind nach der Erweiterungsrunde noch weiter in den Mittelpunkt Europas gerückt. Mit der deutschen Ratspräsidentschaft stehen wir auch im Fokus der Öffentlichkeit, was Europapolitik angeht.

Meine sehr verehrten Damen und Herren,das gibt uns für die Umsetzung einer erfolgreichen Europapolitik beste Chancen. Lassen Sie mich zu Beginn eines voranstellen. Die Hessische Landesregierung denkt europäisch, sie fühlt europäisch, und sie handelt europäisch. Die Landesregierung hat wie in der Landes- und Bundespolitik auch in der Europapolitik einen klaren Gestaltungsanspruch, und wir haben einen festen Gestaltungswillen.

Wir wollen in Brüssel und in Berlin Europapolitik mitgestalten. Wir gehen positiv und mit Optimismus an unsere europäischen Herausforderungen und Chancen heran – mit vielen Ideen und vielem frischen Wind. Es gibt einen Obersatz, der lautet: Hier in Hessen im europäischen Geist handeln und gleichzeitig in Europa hessische Interessen umsetzen – das ist der Maßstab unserer Politik.

(Beifall bei der CDU)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, dabei ist es besonders wichtig, die Menschen nach Europa mitzunehmen und die Menschen auch für Europa zu interessieren. Europa muss aufhören, eine Veranstaltung von Eliten zu sein.Vielmehr müssen wir Europa vom Kopf auf die Füße stellen.

Welche zentralen Herausforderungen sich dort im Einzelnen stellen, das haben diejenigen, die in der vergangenen Woche am EU-Projekttag in den Schulen teilgenommen haben, gesehen. Wir hatten eine zentrale Eröffnungsveranstaltung in Lampertheim. Wir konnten feststellen, dass sich die Schüler hervorragend auf dieses Projekt eingerichtet haben.

Als wir aber abends in der „Hessenschau“ gesehen haben, dass der „Hessische Rundfunk“ auch Meinungen von ganz unbeteiligten dritten Erwachsenen eingeholt hat, ergab sich dort ein eher ambivalentes Bild. „Die europäi

sche Politik betrifft mich nicht und gefällt mir auch nicht“, sagte ein gut gekleideter junger Mann aus Frankfurt. „Die Politik in Brüssel ist unspannend“, meinte eine junge Frau. „Brüssel ist so weit weg“, meinte ein anderer Passant.

Wenn also die Europapolitik bei unseren Bürgerinnen und Bürgern mit Landesinteresse, mit Langeweile und Bürgerferne verbunden wird, dann – glaube ich – ist für uns alle als Politiker hier einiges zu besorgen.

(Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): So ist das! Das gilt auch für zwischendurch!)

Herr Kollege Al-Wazir, auch wir als Hessische Landesregierung sind da gefordert. Wir nehmen diesen Auftrag sehr ernst.

(Beifall bei der CDU – Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Na ja!)

Nehmen Sie die zahllosen Informationsbesuche von Gruppen aus Hessen in Brüssel als Beispiel, die unsere Landesvertretung mit vorbereitet. Allein dadurch haben jedes Jahr über 3.500 Bürgerinnen und Bürger aus unserem Land Gelegenheit, sich in Brüssel direkt über die Arbeit dort – sowohl der Hessischen Landesvertretung als auch der europäischen Gremien – zu informieren, und wir wollen dieses Angebot weiter ausbauen, um möglichst viele Bürger dorthin zu bekommen.

Erst vor wenigen Tagen hat die Landesregierung gemeinsam mit der Landeszentrale für politische Bildung ein ganz aktuelles Europainformationsbuch für Schulen herausgegeben. Unter dem Titel „Hessen – ein gutes Stück Europa“ finden die Schülerinnen und Schüler Antworten auf wichtige Fragen rund um Europa. Es ist auch gelungen, ganz praktische Hinweise zu geben, die es Schülern, Studenten oder jungen Leuten schlechthin ermöglichen, Austauschprogramme anzusteuern und wahrzunehmen oder im Ausland zu studieren oder berufliche Chancen zu nutzen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, an dem bundesweiten EU-Projekttag an den Schulen am 22. Januar haben sich mehr als 120 hessische Schulen beteiligt. Viele Minister, Europaabgeordnete, Staatssekretäre und EU-Beamte sind dazu an ihre alten Schulen zurückgekehrt und haben mit den Schülerinnen und Schülern über Europa gesprochen. All jenen, die zum Erfolg dieses Tages beigetragen haben, sei an dieser Stelle ein ganz herzliches Wort des Dankes gesagt.

(Beifall bei der CDU)

Meine Damen und Herren,der Kollege Al-Wazir nickt.Er war auch in seiner Schule. Das ist eben eine besondere Form. Wenn ich an meine alte Schule zurückgehe – ich sage es in allem Freimut: Heute kehre ich lieber dorthin zurück, als ich das während meiner Schulzeit getan habe. Aus den Gesprächen weiß ich, dass es auch vielen von Ihnen so geht.

(Heiterkeit des Abg. Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Meine sehr verehrten Damen und Herren, in den kommenden Monaten liegt ein Schwerpunkt unserer Arbeit natürlich auf den Veranstaltungen im Rahmen der EURatspräsidentschaft. Wir können besonders stolz darauf sein, dass die beiden informellen Räte für Verteidigung – Anfang März in Wiesbaden – und für Landwirtschaft und Fischerei – im Mai im Rheingau – hier in unserer Region stattfinden.

(Beifall des Abg.Axel Wintermeyer (CDU))

Darüber hinaus wird es in 50 deutschen Städten eine Informationskampagne unter dem Motto „Europa ist 50 – 50 Städte sind dabei“ geben. Für Hessen werden Frankfurt, Kassel und Wiesbaden dabei an den Start gehen.

Natürlich erwarten wir zur documenta in Kassel eine Vielzahl hochkarätiger Gäste, auch aus Brüssel. Unter anderem hat der für Kultur zuständige Kommissar Figel aus Brüssel sein Kommen zur documenta in Kassel angesagt.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Hessische Landesregierung wird die deutsche Ratspräsidentschaft aber auch mit vielfältigen eigenen Veranstaltungen begleiten. Wir werden versuchen, die Bürger Hessens mit Europa vertrauter zu machen und für den europäischen Gedanken zu werben. Dabei muss es uns ganz besonders darum gehen, gerade junge Menschen stärker in den Diskussionsprozess um die europäische Einigung und die EU-Erweiterung einzubinden und sie dabei umfassend über Europa und die Chancen, die mit diesem Europa gerade für die junge Generation verbunden sind, zu informieren.

Deshalb werde ich nach dem EU-Projekttag jetzt hessenweit Schulen besuchen, dort mit den Jugendlichen über Europa, die Bedeutung und die Chancen der EU-Ratspräsidentschaft für Deutschland sprechen und ihnen das Europaschulbuch vorstellen. Wir haben auch ein Planspiel Europa entwickelt,das an diesen Schulen stattfinden soll.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, parallel dazu erwartet uns Hessen ein farbiges Kulturprogramm, das ebenfalls mit Europa verbunden ist. So steht unter anderem natürlich das diesjährige Festival des mittel- und osteuropäischen Films in Wiesbaden im Zeichen unserer Ratspräsidentschaft. Die zentrale Veranstaltung zum Thema Europa findet zur Eröffnung der documenta in Kassel statt. Sie sehen, wir wollen hier einiges auf die Beine stellen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, Europa – das will ich an dieser Stelle ganz bewusst betonen – ist eine großartige Erfolgsgeschichte. Die Einigung der europäischen Völker nach dem Zweiten Weltkrieg hat unserem Kontinent seit mehr als 50 Jahren innere Stabilität und Frieden gebracht. Nach dem Fall der Mauer sind jetzt fast alle europäischen Staaten in der Europäischen Union vereint. Wir als Landesregierung haben dies immer unterstützt.

Meine Damen und Herren, wie sehr wir zusammengerückt sind, kann man an einem, wie ich finde, sehr schönen, durchaus aber auch emotionalen Beispiel sehen: Zum ersten Mal ist es gelungen, ein deutsch-französisches Geschichtsbuch zu verfassen. Es ist zwar in zwei unterschiedlichen Sprachen, Deutsch und Französisch, geschrieben, aber es nimmt den gleichen geschichtlichen Blickwinkel ein. Zum ersten Mal gelingt es, dass Schüler in Deutschland und in Frankreich Geschichte aus einem gemeinsamen Geschichtsbuch erleben und erfahren. Wenn wir an die Generation unserer Eltern und Großeltern denken, ist das ein riesengroßer Fortschritt und ein echter Paradigmenwechsel.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Der europäische Einigungsprozess hat uns aber nicht nur Frieden, sondern auch Wohlstand gebracht. Allein seit 1993 sind in der Europäischen Union schätzungsweise 2,5 Millionen Arbeitsplätze durch die Verwirklichung des

Binnenmarktes entstanden. Damit hilft uns die Europäische Union, unseren Lebensstandard zu halten und unsere wirtschaftliche Zukunft zu sichern.

Als wichtige Verkehrsdrehscheibe im Herzen Europas und als bedeutender Finanzdienstleistungsstandort – beispielsweise mit dem Sitz der Europäischen Zentralbank – hat Hessen größtes Interesse an einer starken und wirtschaftlich integrierten Europäischen Union.

Lassen Sie mich ein weiteres Beispiel nennen: die Förderpolitik der Europäischen Union.Auch hier ist unser Land Hessen durchaus großer Nutznießer. In der laufenden Förderperiode bis zum Jahr 2013 kann unser Land mit Fördermitteln aus den europäischen Strukturfonds in Höhe von 463 Millionen c rechnen. Zusätzlich erwarten wir 218 Millionen c aus dem europäischen Agrarhaushalt als Fördermittel zur Entwicklung des ländlichen Raums. Daneben erhält die hessische Landwirtschaft aus dem EU-Haushalt Direktzahlungen in Höhe von rund 220 Millionen c pro Jahr.

Wir alle und besonders diejenigen, die aus den eher ländlichen Gebieten kommen, wissen, wie wichtig diese Gelder gerade für die landwirtschaftlich geprägten Gegenden unseres Landes sind. Meine Damen und Herren, Europa ist also eine Erfolgsgeschichte.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Die Hessische Landesregierung steht mit voller Kraft hinter dem europäischen Einigungsprozess. Wir treten dafür mit Nachdruck und ganzer Kraft ein. Europaverdruss ist in Hessen nicht angesagt.

Das gilt auch und ganz besonders vor dem Hintergrund der Lissabon-Strategie.Sie wissen,die Europäische Union hat sich zum Ziel gesetzt, die weltweit dynamischste und wettbewerbsfähigste wissensbasierte Wirtschaftsregion zu werden. Wir als Hessische Landesregierung unterstützen dieses Vorhaben nachdrücklich. Wir tun dies mit einer Vielzahl von Projekten und Vorhaben, die wir auf den Weg gebracht haben, vor allem in den Bereichen Bürokratieabbau und Verwaltungsvereinfachung, bei der Verbesserung der Qualität der allgemeinbildenden und beruflichen Schulen sowie beim Ausbau der Wissensgesellschaft durch Stärkung von Forschung und Entwicklung.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, erlauben Sie mir nun, dass ich an einigen Stellen intensiver auf die Punkte eingehe, bei denen diese Landesregierung ganz konkret Aufgaben, Handlungs- und Einflussmöglichkeiten hat und diese Möglichkeiten auch wahrnimmt.

Die Europäische Union hat nur dann eine erfolgreiche Zukunft, wenn wir den europäischen Einigungsprozess so gestalten,dass die Bürgerinnen und Bürger ihn mittragen. Europäische Regelungen müssen sinnvoll, verständlich und nachvollziehbar sein. Sie dürfen nicht länger bürokratisch, unverständlich und bürgerfern sein. Das ist eines der Hauptanliegen dieser Landesregierung.

Meine Damen und Herren, die Referenden in Frankreich und den Niederlanden haben gezeigt, dass diese Ansicht keine deutsche Spezialität ist, sondern durchaus auch in anderen Ländern geteilt wird. Es ist schade – vielleicht ist das ein deutsches Problem –, dass wir die EU-weite sogenannte Reflexionsphase in Deutschland als „Denkpause“ übersetzen. Eigentlich ist es der falsche Weg, an dieser Stelle mit dem Denken zu pausieren, sondern wir müssen darüber nachdenken, wie wir diesem Europa wieder ein Gesicht und eine Seele geben. Dazu sind Denkverbote denkbar ungeeignet.

(Zuruf der Abg. Christel Hoffmann (SPD))

Meine sehr geehrten Damen und Herren, Europa gelingt gemeinsam. Das ist das Leitmotiv der Bundesregierung für die deutsche EU-Ratspräsidentschaft. Ich füge gerne hinzu: nur gemeinsam mit den Bürgerinnen und Bürgern. Deshalb ist es falsch, Kritik am Verfahren innerhalb der Europäischen Union als Kritik an Europa schlechthin zu diffamieren. Wer ineffiziente und bürokratische Verfahren und Kompetenzüberschreitungen in der Europäischen Union kritisiert, ist kein Euroskeptiker, auch kein Gegner der Europäischen Union. Nein, wer dies tut – und das nehme ich auch für mich in Anspruch –, der will Europa voranbringen.

Meine Damen und Herren, leider gibt es jeden Tag Meldungen,Vorschläge,Entwürfe,die eigentlich dafür sorgen, dass wir uns von diesem europäischen Gedanken weiter entfernen. Ganz aktuell kann ich Ihnen ein Beispiel vom 29. Januar, von gestern, nennen. Sie kennen den alten Grundsatz:An apple a day keeps the doctor away. Das hat jetzt auch die Kommission entdeckt und möchte anfangen, Richtlinien zu erarbeiten, um sogar den Obstkonsum der Bürgerinnen und Bürger in der Europäischen Gemeinschaft zu erhöhen.

(Heiterkeit der Abg. Nicola Beer (FDP))

Das mag lustig klingen.Aber angesichts der Vielzahl der Ansätze,die jeden Tag in Europa gesucht werden,um wieder irgendwo ein Thema zu setzen, ist das leider zu viel. Deshalb müssen wir dafür Sorge tragen, diesen bürokratischen Unsinn einzudämmen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und der Abg. Nicola Beer (FDP))