Protocol of the Session on July 10, 2003

Liebe Kolleginnen und Kollegen, angesichts der dramatischen bis katastrophalen Haushaltssituation ist die Zeit für Hahnenkämpfe und Betroffenheitsrituale endgültig vorbei.

(Beifall bei FDP)

Aber dies zu sagen und danach zu handeln setzt Offenheit auf beiden Seiten voraus, auch und gerade auf der Seite der Landesregierung.

Lassen Sie mich deshalb ein paar Fakten in runden Zahlen zusammenfassen. Wenn ich das alles richtig verstehe, erwarten wir in diesem Jahr eine Nettoneuverschuldung, die wesentlich höher ist als die geplanten 1 Milliarde c. Wir erwarten Mindereinnahmen zwischen 500 Millionen und 1 Milliarde c. Diese Mindereinnahmen werden nach dem Eingeständnis des Herrn Minister Weimar nur zu einem geringen Teil durch Einsparungen während des laufenden Jahres kompensiert. Ich glaube, das kann man aus den Ausführungen ablesen.

Nach Adam Riese wird die Nettoneuverschuldung im Haushaltsvollzug des Jahres 2003 – oder dann mit dem Nachtragshaushalt, was sowieso auf das Gleiche herauskommt, weil der erst verabschiedet werden kann, wenn das Geld ausgegeben ist – irgendwo zwischen 1,5 und 2 Milliarden c liegen und damit die Verfassungsgrenze überschreiten.

Für das Jahr 2004 ist angesichts eines realistischerweise zu erwartenden Wirtschaftswachstums von unter 2 % – der Ministerpräsident spricht von 1 %; das mag auch schon zu viel sein; wer weiß das schon so genau – mit Mindereinnahmen zwischen 1,3 und 2 Milliarden c zu rechnen.

(Zuruf des Abg. Norbert Schmitt (SPD))

Demzufolge wird die Neuverschuldung des Jahres 2004 – wie es aussieht, wenn sich nichts Dramatisches verändert – eher bei 2 als bei 1 Milliarde c liegen. Das sind die Fakten.

(Beifall bei der FDP)

Es wäre schön, wenn dies auch einmal ein Finanzminister sagt.Vielleicht macht er es ja nachher.Von diesen Zahlen müssen wir wohl ausgehen, so wie es aussieht.Auch wenn es nicht auf 100 Millionen c genau sein kann, ist das Bild drastisch genug.

Wir sehen: Das Land hat ein kurzfristiges Haushaltsproblem, das nur mit radikalen Ausgabenkürzungen, und dann auch sicherlich nicht komplett, gesteuert werden kann. Darüber sind wir uns auch vollkommen einig.

Das Land hat darüber hinaus auch ein mittelfristiges Haushaltsproblem, das mittelfristig gelöst wird oder gar nicht.Deshalb zielen wir mit unserm Antrag darauf ab,die Landesregierung zu bitten, ein mittelfristiges Konzept zur Haushaltssanierung vorzulegen. Denn die Probleme sind so groß, dass sie nicht im Jahr eins und im Jahr zwei geschultert werden können, sondern dass nur ein Konzept hilft, das die Strukturen beeinflusst, die zu den Haushaltszahlen führen und nicht nach dem Motto „hier eine Million mehr und da eine Million mehr“. Das kann nicht mehr reichen.

(Beifall bei der FDP)

Dazu kommt: Mit jedem Euro mehr Neuverschuldung wird der Handlungsspielraum schon im Folgejahr weiter gekürzt.

(Zuruf des Abg. Norbert Schmitt (SPD)

Lassen Sie uns einmal ein fiktives Rechenbeispiel machen, das so hoffentlich nicht Wirklichkeit wird. Ich fürchte, es ist aber nicht ganz unrealistisch. Unterstellen wir eine Neuverschuldung im Jahr 2003 in Höhe von 2 Milliarden c, um eine runde Zahl zu nehmen. Nehmen wir den gleichen Betrag im Jahr 2004. Dann wären dies 4 Milliarden c Neuverschuldung. Nehmen wir an, dass das Land Hessen dieses Geld zu 5 % leihen muss.

(Gottfried Milde (Griesheim) (CDU): Das ist Käse! – Norbert Schmitt (SPD):Das ist Wurscht! Er hat ausnahmsweise Recht!)

Das ist Wurscht. Nehmen Sie 4 %, das ist für die Aussage vollkommen unerheblich! Sie sehen daraus, dass wir unseren Handlungsspielraum um 200 Millionen c einschnüren. Das Land hat künftig 200 Millionen c weniger Spielraum für die weitere Politik.

(Beifall des Abg. Norbert Schmitt (SPD))

Das heißt, wir haben nicht nur den langfristigen Effekt, den unsere Ahnen, die Enkel und Urenkel, bezahlen, sondern wir schnüren Jahr für Jahr unseren eigenen Handlungsspielraum weiter ein.

(Zuruf des Abg. Norbert Schmitt (SPD) – Gottfried Milde (Griesheim) (CDU):Darf ich eine Zwischenfrage stellen?)

Ich möchte gern zu Ende führen, wenn Sie gestatten. – Das heißt,wir haben das Problem,dass ein Loch in diesem Jahr schon im kommenden Jahr ein weiteres Loch erzeugt und dass beide Löcher zusammen einen riesenhaften Trichter erzeugen, in den unsere Enkel und Urenkel hineinfallen werden. Das ist die Problematik, vor der wir stehen.

(Beifall bei der FDP)

Bisher – wir schreiben immerhin Juli; die erste Hälfte des Jahres ist also komplett abgelaufen – fehlt uns jeglicher Hinweis darauf, wie die pauschale Minderausgabe in Höhe von 130 Millionen c aufgebracht werden soll. Herr Kollege Schmitt, das ist für uns kein Haushaltstrick, aber es ist eine Aufgabe der Landesregierung,diese Vorgabe zu erfüllen und darzulegen, wie das Geld eingespielt werden soll.

(Beifall bei der FDP)

Wir haben schon den Anspruch, zu erfahren, wie das passieren soll. Es wäre schön, wenn das jemand wüsste.

(Zuruf der Abg. Ruth Wagner (Darmstadt) (FDP))

Es fehlt jegliche Aussage darüber, welche Einnahmesteigerungen und/oder Ausgabesenkungen über den Planansätzen in den einzelnen Ressorts vorgesehen sind. Man darf auf die Antwort gespannt sein. Aus dem, was wir im Haushaltsausschuss gehört haben, entnehme ich in etwa: Wir versuchen, so viel wie möglich einzusparen, aber es wird weit weniger als 500 Millionen c sein. – Das habe ich gelernt. Meine Damen und Herren, das kann im Ernst nicht die gesamte Strategie für dieses Jahr sein.

(Beifall bei der FDP – Norbert Schmitt (SPD): So ist es! Sehr richtig!)

Ich darf wiederholen, was unser Fraktionsvorsitzende Jörg-Uwe Hahn und ich seit Wochen erklären: Wir sind bereit – damit komme ich ausdrücklich auf das zurück, was Kollege Milde ausgeführt hat –, einschneidende Einsparmaßnahmen mit dem Ziel der Haushaltskonsolidierung mitzutragen.

(Ruth Wagner (Darmstadt) (FDP): So ist es!)

Meine Damen und Herren, dann muss die Landesregierung sich aber dazu herablassen, zu informieren, welche Maßnahmen sie überhaupt vorgesehen hat.

(Beifall bei der FDP)

Pauschal zu sagen: „Wir kürzen, und macht bitte alle mit“, das kann es nicht sein. Der Landeshaushalt 2003 ist so unelastisch und bietet ein so geringes Einsparvolumen, weil er die verfassungsmäßig vorgesehene Verschuldung fast vollständig ausschöpft.

(Norbert Schmitt (SPD): So ist es!)

Das haben wir mit verabschiedet. Ich stehe dazu. Wir haben es von Anfang an getan.Wir haben gesagt: Dies muss eine einmalige Ausnahme bleiben. – Wir sind bereit, die Konsequenzen daraus zu ziehen, nämlich für Einsparungen zu sorgen.Wir werden dies in nächster Zeit noch sehr

viel konkreter tun, als es heute getan werden kann. Wir haben ihn mitgetragen, aber wir haben jetzt auch die Aufgabe, zusammen mit den übrigen Oppositionsfraktionen für eine Sanierung des Haushalts auf mittlere Sicht Beiträge zu leisten. Diese mittelfristige Haushaltssanierung ist nicht mit Tellersammlungen, mit Seelenmassage oder gar nur mit Kosmetik zu realisieren, sondern sie fordert ein grundsätzliches Überdenken der landespolitischen Erfordernisse, die zu dem strukturellen Ungleichgewicht zwischen Einnahmen und Ausgaben geführt haben. Vor diesem strukturellen Ungleichgewicht stehen wir.

Lassen Sie es mich drastisch formulieren. Entweder verschuldet sich das Land weiterhin Jahr für Jahr bis zur Halskrause, oder es muss den Bürgerinnen und Bürgern offen sagen, dass es nicht möglich sein wird, das Niveau staatlicher Leistungen in bisherigem Umfang aufrechtzuerhalten.

(Beifall bei der FDP)

Kollege Milde, natürlich haben wir uns jedes Jahr Gedanken darüber gemacht, wie das Geld ausgegeben wird. Das Geld ist auch für gute Dinge ausgegeben worden.

(Ruth Wagner (Darmstadt) (FDP): Ja!)

Dass wir in Bildung investiert haben, war mit Sicherheit richtig. Das war goldrichtig. Wir mussten den Nachholbedarf aufarbeiten.

(Gottfried Milde (Griesheim) (CDU): Die Früchte werden wir ernten!)

Wir stehen jetzt aber vor einer Situation, in der es nicht mehr gilt, auch nur in irgendeinem kleinen Bereich nach dem Argument „nice to have“ zu operieren, sondern es muss alles von Grund auf infrage gestellt werden. Das geht nur, wenn wir über die Politikansätze neu nachdenken und wenn wir bereit sind, auf Gewohnheiten zu verzichten.

(Beifall bei der FDP – Zuruf des Abg. Gottfried Milde (Griesheim) (CDU) – Frank-Peter Kaufmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wer bezahlt die Kinderschule, Herr Kollege? – Jörg-Uwe Hahn (FDP): Herr Kaufmann wollte in diesem Plenum nicht dazwischenrufen!)

Deshalb fordern wir die Landesregierung auf, ein Konzept zur mittelfristigen Sanierung des Landeshaushalts vorzulegen. „Mittelfristig“ heißt für uns, bis zum Jahr 2008, also bis zum Ende der laufenden Legislaturperiode. Dabei sind folgende Fragen zu beantworten:Welche Leistungen muss,welche Leistungen kann das Land auf Dauer erbringen? Welche nicht hoheitlichen Bereiche können in den Privatsektor überführt werden? Welche Erlöse sind durch die Veräußerung von Beteiligungen zu erreichen, die nicht aus Landesinteresse erforderlich sind? Wie wir alle wissen, gibt es davon eine ganze Reihe. Nicht alle sind kurzfristig veräußerbar. Das wissen wir auch. Man muss aber darauf hinarbeiten, sie veräußern zu können.

(Martin Häusling (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Schlösser! – Zuruf des Abg. Norbert Schmitt (SPD))

Nicht nur Schlösser, auch andere. – Gibt es Möglichkeiten zur Verbesserung der Einnahmesituation, aber eben nicht – das wäre einfach –, wie SPD und GRÜNE es wollen, mit einer neuen Steuer, sondern andere Möglichkeiten zur Einnahmeverbesserung? Wie kann sich das Land von Belastungen abkoppeln, die auf bundesweit abgeschlossene Vereinbarungen zurückzuführen sind? Wie

kann die in der vergangenen Legislaturperiode erreichte Einsparung der Personalkosten – Sie haben sie mit über 800 Millionen c beziffert – nachhaltig gesichert werden? Sie war teilweise nicht durch Personaleinsparungen erbracht worden, sondern durch Sacheinsparungen, wie wir wissen. Das ist keine Nachhaltigkeit. Das heißt, die Aufgabe wird umso größer, das nachhaltig zu gestalten.

In welchem Umfang kann Landesvermögen aktiviert werden? Was können Konzentration und Verschlankung der Verwaltungen zu Kostensenkungen beitragen? Welche Landesprogramme einschließlich kofinanzierter Maßnahmen können ohne nennenswerte Beeinträchtigung der Landeszielsetzung um- oder abgebaut werden? Ich glaube, wir können nicht auf Dauer sagen:Alles, was kofinanziert ist, ist heilig; es muss heilig bleiben. – Das kann man auch machen.Auch dies muss Stück für Stück auf die weitere Machbarkeit abgeklopft werden.

Wann machen wir Ernst mit Befristung, Degression und Verringerung von Finanzhilfen? Wir haben nun einen fantastischen Bericht. Wir haben fast sämtliche Informationen, aber wir müssen die Konsequenzen daraus ziehen. Das ist die Aufgabe, vor der wir alle stehen.