Protocol of the Session on July 10, 2003

Wir haben diese Diskussion über die Grundlagen der Steuerschätzung schon einige Male geführt.

(Frank-Peter Kaufmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Jetzt kommt die nächste Platte!)

Finanzminister Hans Eichel ist nicht bereit, die Zahlen des konjunkturellen Wachstums auch nur annähernd an die Realität anzupassen.

(Norbert Schmitt (SPD): Dort sind die Ländervertreter auch dabei! – Reinhard Kahl (SPD):Wo sind denn die Prognosen von 1 %, von denen Sie reden?)

Deswegen frage ich Sie:Woher nehmen Sie von Rot-Grün eigentlich den Optimismus, dass ausgerechnet diese Bundesregierung ein tragfähiges Konzept für eine Finanzierung der geplanten Steuerreform vorlegen kann?

(Reinhard Kahl (SPD): Die Schätzungen liegen bei 1,8 %!)

Die Vorgaben für die Nettoneuverschuldung des Bundes werden jetzt schon dramatisch geschönt, auch ohne ein Vorziehen der Steuerreform.

(Norbert Schmitt (SPD): Und deswegen geben Sie mehr aus! Wo ist da die Logik?)

Sie können ja ein bisschen rechnen – nehmen wir einmal den Kollegen Schmitt aus.Anstatt der angekündigten 23,4 Milliarden c Nettoneuverschuldung für das Jahr 2004 liegen wir heute schon – wenn man alles zusammenrechnet, was in den letzten Tagen und Wochen auf den Tisch gelegt wurde – bei rund 50 Milliarden c notwendiger Nettoneuverschuldung, ohne eine auf Pump finanzierte Steuerreform.

Ich frage Sie: Wie wollen Sie mit solchen Planzahlen umgehen? Nur, damit nicht immer wieder der Eindruck erweckt wird, wir seien ein besonders hoch verschuldetes Land, will ich hier noch einmal die Zahlen, die Neuverschuldung betreffend, deutlich machen – neulich habe ich das schon einmal angedeutet; es stellt sich immer mehr heraus, dass es dieses Jahr auch so sein wird –: NordrheinWestfalen, dessen Haushalt nicht doppelt so groß ist wie unserer

(Frank-Peter Kaufmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Mehr als doppelt so groß!)

einen knapp doppelt so großen Haushalt, danke schön, Herr Kaufmann, Sie haben Recht –, hat in diesem Jahr eine Nettoneuverschuldung in Höhe von 10 Milliarden c vor. Sie kommen nicht darum herum. Im Moment planen sie eine Nettoneuverschuldung in Höhe von 5,6 Milliar

den c.Wenn der Nachtragshaushalt kommt, liegen sie bei 10 Milliarden c.Wir sprechen uns am Jahresende wieder.

Der Haushalt des Landes Niedersachsen ist nur unwesentlich größer als der Haushalt des Landes Hessen. Niedersachsen hat für dieses Jahr – das ist wahrlich nicht die Schuld der neuen Landesregierung –, um die Steuerausfälle ausgleichen zu können, eine Nettoneuverschuldung von 4 Milliarden c vorgelegt.

Ich möchte am Beispiel dieser beiden Bundesländer die Entwicklung seit 1998 deutlich machen, weil Sie gesagt haben, wir hätten mehr Steuereinnahmen als andere gehabt und dabei mehr Schulden gemacht. Die Nettoneuverschuldung in Hessen ist seit 1998 um 500 c pro Kopf gestiegen. Darüber sollten wir uns einig sein. Sie ist in Nordrhein-Westfalen und in Niedersachsen zum gleichen Zeitpunkt um 800 c pro Kopf gestiegen.Das ist die Wahrheit. Hessen steht doch wesentlich besser da als andere Bundesländer. Hessen hat die drittniedrigste Verschuldungsquote in Westdeutschland. Im Osten übrigens, wo sie erst seit 1990 anfangen, Schulden zu machen, ist nur ein einziges Bundesland, nämlich Sachsen, besser.

(Norbert Schmitt (SPD): Es wäre schlimm, wenn Sie das starke Land Hessen noch weiter heruntergefahren hätten!)

Ich sage Ihnen: Diesen Spitzenplatz, nach Bayern und Baden-Württemberg, wollen wir halten. Ich kann Ihnen alle Zahlen einmal vorlegen.

(Der Redner hält eine Grafik hoch.)

Hessen steht ganz vorne.Wenn Sie den Chart richtig lesen können, sehen Sie, dass wir in Hessen gut dastehen.

(Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das ist der Ablauf seit 1998.Wir können uns die Grafik einmal genau angucken, das ist gar kein Problem.Wir haben ja noch ein bisschen Zeit.

(Der Redner hält eine Grafik hoch.)

Ich habe hier eine Liste der Schulden pro Kopf am Ende des Jahres 2002. Sie zeigt also den aktuellen Stand der Verschuldung in Hessen. Hessen befindet sich auf Platz drei in Deutschland. Ich muss sagen, das ist ein guter Platz,und das alles trotz der Unterrichtsgarantie und trotz der geschützten Bereiche von Polizei und Justiz.

(Zuruf des Abg. Boris Rhein (CDU))

Kollege Rhein, ich komme sofort darauf zurück. – Trotz alledem haben wir die Ausgaben im Griff.Wir haben es im Haushaltsvollzug in der Regel sogar geschafft, die Einsparvorgaben bei den Personalausgaben zu übertreffen.

Herr Kollege, ich gehe davon aus, dass Sie die Zwischenfrage des Kollegen Rhein zulassen.

Vielleicht am Schluss. – In der vergangenen Legislaturperiode wurden in Hessen kumulativ – auch das ist für die Öffentlichkeit wichtig – 850 Millionen c Personalkosten eingespart.Wir planen, in den nächsten Jahren – in dieser Legislaturperiode – noch einmal 900 Millionen c einzusparen. Aber angesichts der Steuereinnahmen sage ich voraus, dass das nicht reichen wird.Wer hier sagt, dass wir

bei den Ausgaben nicht rechtzeitig Maß gehalten hätten, der erzählt das Gegenteil von dem, was wahr ist.

Auch die von der SPD so großzügig gerechnete Steigerung bei den Gesamtausgaben – lassen Sie mich das zum Schuss noch sagen – kann so nicht stehen bleiben. So betrug die Steigerung im Jahr 2001 – bereinigt um den Wiedereinstieg in die Helaba – nicht 3,1 %, sondern 1,2 %. Die Steigerung im Jahr 2002 betrug nicht 1,9 %, sondern im Haushaltsvollzug – das werfen Sie dem Ministerium ja immer vor,dass es das im Haushaltsvollzug nicht korrigiert – lag sie bei knapp über 1 %.Aufgrund der Bewirtschaftungsregel wird im Jahr 2003 im Vollzug die Quote ebenfalls sinken.

(Norbert Schmitt (SPD): Ihre Zahlen!)

Zudem kommen im Jahr 2003 – das sollte man wissen – die wirklich unvorhersehbaren Kosten der Aufbauhilfe für die Flutopfer, nämlich 287 Millionen c, und der sich sehr kurzfristig ergebende Zukauf von Beteiligungen an der Nassauischen Heimstätte in Höhe von 66 Millionen c hinzu. All das abgerechnet, liegen wir wiederum bei etwa 1 %, also bei den Vorgaben des Finanzplanungsrats.

(Reinhard Kahl (SPD): Das müssen Sie einmal erklären, wie Sie das machen!)

Wir haben noch eine Minute. Herr Kollege Rhein, wollen Sie Ihre Zwischenfrage stellen?

Herr Kollege Rhein, bitte sehr.

Herr Kollege Milde,wären Sie bereit,Ihr Zahlenwerk und Ihre Statistiken dem Kollegen Schmitt zu überlassen, damit er uns demnächst vielleicht eine bessere Argumentation vorträgt?

Natürlich werden wir die Folien zur Verfügung stellen. – Lassen Sie mich zusammenfassend feststellen – da werden sich die Wahrnehmungen ein bisschen unterscheiden –, dass wir in Hessen auf einem guten Weg sind. Wir haben weniger Schulden als andere, wie ich Ihnen vorgerechnet habe. Wir haben eine bessere Konjunktur als andere; das ist unzweifelhaft. Wir haben eine bessere Regierung als andere; das wird fast überall auch so gesehen.

(Beifall bei der CDU – Frank-Peter Kaufmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ach du meine Güte!)

Wir wollen ganz bestimmt nicht, dass aufgrund Ihrer Eckwertevorgaben die Situation dieses Landes ins Gegenteil verkehrt wird. – Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Vielen Dank. – Das Wort hat der Kollege von Hunnius für die FDP-Fraktion.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Drei Beobachtungen lassen sich bei den meisten

Haushaltsdebatten machen. Erstens. Sie sind Verschiebebahnhöfe für Schuldzuweisungen. Zweitens. Die jeweilige Regierung beteuert, dass sie zwar Einsparungen durchführen wolle, aber nicht sagen könne, wo und wie viel. Drittens.Die jeweilige Opposition kritisiert zum einen die Höhe der Neuverschuldung, zum anderen die realisierten Ausgabenkürzungen im jeweils betroffenen Bereich, und beides geschieht mit der gleichen Intensität.

(Frank-Peter Kaufmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Da haben Sie jetzt ein Problem!)

Ich habe gar kein Problem, Herr Kollege. Sie mögen vielleicht eines haben. – Haushaltsdebatten sind häufig Hahnenkämpfe, bei denen nur einer Federn lässt, nämlich die haushaltskritische Vernunft.

(Frank-Peter Kaufmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Den Hahn habt ihr doch in euren eigenen Reihen! – Weitere Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Abwarten, Herr Kollege, Sie polemisieren viel zu früh; gegen mich aber nicht, hoffe ich.

Ein gutes Beispiel für diese Art von Hahnenkämpfen lieferte die letzte Sitzung des Haushaltsausschusses. Auf die Fragen von SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ebenso wie vorher schon auf die in dem Dringlichen Berichtsantrag gestellten Fragen – sie waren allesamt relativ präzise und klar formuliert – gab es keine sehr präzise und klar formulierten Auskünfte. In keinem einzigen Fall gab es eine belastbare Zahl als Auskunft. Daraus schließe ich, die Regierung will sich alle Optionen offen halten, erforderliche Ausgabenkürzungen an der Stelle und in dem Umfang vorzunehmen, wie sie es für richtig hält. Das heißt, die Regierung hat das Heft in die Hand genommen, und das Parlament ist in dieser Angelegenheit im Augenblick aus dem Spiel.

Dies geschieht in der Erwartung, dass es gefährlich sein könnte, der Opposition mit konkreten Hinweisen Munition zu liefern.

(Beifall bei der FDP, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Prompt geschah auch, was zu erwarten war: Die Vertreter der SPD-Fraktion stellten die Notlage eines wichtiges Vereins sehr dramatisch dar, die – tatsächlich oder vermeintlich – durch die Haushaltssperre der Landesregierung entstanden ist.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, angesichts der dramatischen bis katastrophalen Haushaltssituation ist die Zeit für Hahnenkämpfe und Betroffenheitsrituale endgültig vorbei.