Protocol of the Session on June 22, 2006

Aber wenn es denn stimmt – und ich teile diese Analyse –, dass dies eine der größten und tief greifendsten Reformen in der Geschichte der Bundesrepublik gewesen ist, dann

ist es doch überhaupt nicht verwunderlich, wenn man nach eineinhalb Jahren Echtbetrieb feststellt, dass es hier und dort Präzisierungsbedarf gibt

(Petra Fuhrmann (SPD): Richtig!)

und dass man Schnittstellen beseitigen und Schlupflöcher im Gesetz schließen muss, beispielsweise die Geschichte, auf die Frau Fuhrmann in ihrer Antwort zu Recht eingegangen ist. Es ist nicht akzeptabel, dass jemand im Alter von 19 Jahren auszieht, einen eigenen Haushalt bildet und sich den von der Gemeinschaft der Steuerzahler finanzieren lässt.Wenn er das mit eigener Arbeit macht, ist es gut und richtig, aber wenn er glaubt, die Allgemeinheit würde das finanzieren, dann ist das nicht akzeptabel. In dem Gesetz steht aber nicht drin,dass jemand,der im Alter von 24 Jahren arbeitslos wird, anschließend zu den Eltern zurückgehen muss, wenn er nicht seine Leistungen verlieren will. Herr Bocklet, das ist nicht richtig.

(Beifall bei der SPD und des Abg. Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU))

Deshalb sage ich Ihnen, schauen Sie lieber einmal ins Gesetz, bevor Sie hier solche Behauptungen aufstellen.

(Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Genau, lesen hilft!)

So verhält es sich auch mit der Datenlage. Im Ausschuss haben wir deutlich gemacht, dass wir ein hohes Interesse an bewertbaren, belastbaren, validen Daten haben.

(Marcus Bocklet (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Im Jahr 2012!)

Denn wir wollen erkennen, wie wirksam die Instrumente von Hartz IV sind – und zwar ganz egal, ob diese Instrumente von einer Optionskommune oder von einer Arbeitsgemeinschaft eingesetzt werden. Wir sind doch allesamt – das unterstelle ich einmal – keine Organisationsfetischisten.Wir haben unterschiedliche Auffassungen über den richtigen Weg. Wir haben gemeinsam einen Weg gefunden, um beide Möglichkeiten zu testen. Aber wir machen das doch nicht, weil im Grundsatzprogramm der SPD drinsteht, die Arbeitsgemeinschaft ist der einzige Weg zur Beglückung der Menschheit.

(Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Das steht dort nicht drin!)

Und in unserem Grundsatzprogramm steht auch nicht, die Option ist der einzige Weg zur Beglückung der Menschheit.

Wir haben dazu sehr unterschiedliche Auffassungen und Begründungen, warum wir dazu gekommen sind. Jetzt wollen wir das im Echtbetrieb erfahren. Dazu brauchen wir Daten. Deshalb haben wir ein hohes Interesse, diese Daten zu erhalten.

Aber – da bin ich Herrn Rentsch für seine sachliche Darstellung außerordentlich dankbar – die Landesregierung hat keine Möglichkeit, das mit Rechtsmitteln zu erzwingen.Weder lässt sich die Bundesagentur von uns anweisen – Sie wissen, das wäre für uns eine sehr sympathische Vorstellung,wenn wir das tun könnten;aber die Rechtslage ist nicht so –,

(Petra Fuhrmann (SPD): Da sei der Deibel vor!)

noch können wir eine Kommune anweisen, die im Rahmen der kommunalen Selbstverwaltung handelt.

Das sind sehr praktische Beispiele, und mein Mitarbeiter hat die im Ausschuss auch angeführt.

Zum Thema Datenerfassung. Laut Gesetz und laut Praxis der Bundesagentur ist jemand, der in eine Arbeitsgelegenheit vermittelt ist, nicht arbeitslos. In manchen Optionskommunen wurde er bislang trotzdem als arbeitslos geführt.

Ich sage Ihnen einmal: Inhaltlich habe ich dafür große Sympathie. Denn für mich ist eine Vermittlung in den Arbeitsmarkt dann beendet, wenn die Person eine Beschäftigung aufgenommen hat,

(Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU): Richtig!)

die sie in die Lage versetzt, mit ihrer Hände Arbeit ihr Leben zu finanzieren.

(Beifall bei der CDU und des Abg. Jörg-Uwe Hahn (FDP))

Deswegen habe ich prinzipiell Sympathie dafür, dass eine Kommune sagt: Wenn der in einer Arbeitsgelegenheit ist, dann ist er trotzdem arbeitslos. – Aber das ist contra legem. Wenn ich das in der Kommune so buche, in der Arbeitsgemeinschaft im Nachbarkreis aber anders, dann sind die Zahlen nicht bewertbar, valide oder vergleichbar.

Diese Schnittstellen Punkt für Punkt abzuarbeiten ist das mühsame Geschäft, das die Landesregierung betreibt, gemeinsam mit der Bundesagentur –

(Petra Fuhrmann (SPD):Aber ihr seid doch wieder gegen die zentrale Datenerfassung!)

wir haben ein gutes Verhältnis zur Regionaldirektion –, die an zentralen Vorgaben hängt, und gemeinsam mit den optierenden Kommunen, deren Stärke auch ihr Selbstbewusstsein ist. Das wussten wir. Deshalb wollten wir sie ja in die Verantwortung bringen. Dann müssen wir aber auch damit leben, dass mancher Diskussionsprozess mit ihnen ein bisschen länger dauert und wir überzeugen müssen, statt anweisen zu können.

Herr Rentsch hat darauf hingewiesen: Wir können nicht anweisen. – Ich will eine Kommune, die ihre Selbstverwaltungsaufgabe wahrnimmt, auch nicht anweisen. Das wäre, jedenfalls nach unserem Staatsverständnis, falsch. Herr Weise,der Chef der BA,hat festgestellt,dass es keine Landesregierung gibt, die sich so intensiv und so professionell um eine Verbesserung der Datensituation kümmert wie die Hessische Landesregierung.

Es ist auf der anderen Seite aber auch unbestritten, dass das Software-Programm A2ll, das die BA eingeführt hat, und das kommunale Programm PROSOZ, das immer noch nicht die notwendigen Schnittstellen hat, nicht die notwendige Qualität aufweisen. Herr Bocklet, Sie können sich gerne hier vorne hinstellen und sagen: Eineinhalb Jahre später muss doch ein solches Programm umprogrammiert sein. Da gehe ich zu Microsoft und kaufe mir Windows, neueste Version, und drücke das in meinen Computer rein.

(Marcus Bocklet (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das habe ich nicht gesagt!)

So einfach ist die Welt nicht gestrickt. Das ist nicht unser Job. Wir können es auch gar nicht. Den Eindruck will ich gar nicht erwecken, dass wir Computerprogramme stricken. Überdies wäre

(Marcus Bocklet (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Unterirdisch!)

es etwas merkwürdig, wenn die Hessische Landesregierung ein Computerprogramm in Auftrag geben würde,das

dann bei der BA und den Optionskommunen eingesetzt werden sollte und das überhaupt nicht mit den Vorstellungen der BA, bundesweit, und dem zuständigen Bundesministerium übereinstimmt.

(Zuruf der Abg.Margaretha Hölldobler-Heumüller (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Das sind wirklich absonderliche und weltfremde Vorstellungen, die Sie hier am Pult zum wiederholten Male geäußert haben. Es wird aber nicht dadurch besser, dass Sie es hier immer wieder engagiert neu vortragen.

Wir haben gesagt, dass wir kein Datum mehr nennen.Wir haben uns bislang mehrfach auf die Daten verlassen, die uns von der BA und von Software-Herstellern genannt wurden, wann geliefert werden könnte, auch von optierenden Kommunen. Deshalb werden wir im Moment auch kein neues Datum nennen. Der Herbst ist im Moment Ihre Sprachregelung. Ich mache sie mir nicht zu Eigen, sondern in Zeiten der Fußballweltmeisterschaft halte ich es mit Beckenbauer: „Schauen wir einmal“. Das heißt nicht, dass wir in unseren Anstrengungen nachlassen würden, auf alle Druck zu machen und in permanenten Meetings, auch mit der Spitze der BA, uns darum zu bemühen, die Situation zu verbessern.

Ich will noch einige Sätze zu dem sagen, was wir an weiterem Änderungsbedarf sehen. Ich rede hier ausdrücklich nicht – weil auch wir uns an den mühsam gefundenen gemeinsamen Kompromiss im Koalitionsvertrag im Bund gebunden fühlen –

(Zuruf der Abg. Petra Fuhrmann (SPD))

über Leistungsverschärfungen und Sanktionen, obwohl wir auch dort unterschiedliche Meinungen haben. Das macht auch nichts. Das soll man nicht verschweigen. Wir haben uns aber auf eine Plattform geeinigt. Die verlassen wir nicht.

Wir regen die Beseitigung von Schnittstellen an.Wenn wir uns gemeinsam auf die Plattform begeben haben, dann wollen wir einen fairen Wettbewerb der beiden Organisationsmodelle, und dass beide mit den gleichen Instrumenten fair ausgestattet werden.

(Petra Fuhrmann (SPD): Die für Schwerbehinderte nicht mehr zuständig sind, nicht mehr für Jugendliche! Wann wird gefordert, dass sie für Arbeitslose nicht mehr zuständig sein sollen?)

Deshalb ist für uns die zentrale Forderung, dass die optierenden Kommunen einen gleichberechtigten Zugang zum Stellenpool der BA bekommen. Es ist doch ein unmöglicher Zustand, dass die freien Stellen, die die optierenden Kommunen haben,zwar an die BA gemeldet werden müssen, von ihr also benutzt werden können – was gut ist, denn das ist auch kein Selbstzweck, sondern die Jobs meldet man, um Leute zu bekommen, die dafür geeignet sind –, dass aber umgekehrt die optierenden Kommunen keinen Zugriff auf den Stellenpool der BA haben. Das zu ändern ist für uns eine zentrale Forderung.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und der FDP)

Solange diese Forderung nicht erfüllt ist, solange es keine Waffengleichheit gibt, werden wir dies immer wieder einfordern.

Herr Staatssekretär,die Zeit,die die Fraktionen hatten,ist zu Ende.

Danke, Frau Präsidentin. Ich komme zum Ende. – Deshalb werden wir sie weiter einfordern, bis sie in einem dritten oder vierten Anpassungsgesetz steht, im Interesse der Menschen, für die wir arbeiten.

Sie haben die Frage nach der Reha-Zuständigkeit und der Vermittlung von unter 25-Jährigen angesprochen. Das ist kein Paradigmenwechsel, sondern das sind zwei Punkte gewesen,bei denen zumindest die Hessische Landesregierung schon immer, schon im Prozess des Findens des Kompromisses, gesagt hat:

(Petra Fuhrmann (SPD): Herr Kollege Krämer, Reha steht im Gesetz! Das ist doch schon Gesetzeslage!)

Hier sehen wir die Zuständigkeit der BA gegeben. Wir machen es doch auch nicht aus Organisationsfetischismus.

(Petra Fuhrmann (SPD): Das ist völliger Unsinn!)

Wenn man junge Menschen entweder zur BA schicken muss, wo die Kompetenz für die Ausbildungsplatzvermittlung ist,wo die Ausbildungsplatzberatung ist,oder aber zu den Optionskommunen, und wenn auch von den Optionskommunen vielfach vorgetragen wird,dass sie das im Interesse der Jugendlichen lieber an einer Stelle konzentriert hätten, damit sie nicht von A nach B geschickt werden,dann halten wir das für eine Forderung,die,jedenfalls aus unserer Situation heraus, vernünftig ist und für die wir eintreten wollen und eintreten werden.