Ganz wichtig ist, wir dürfen nicht weiter bei den Integrationsprojekten kürzen. Das erfolgreiche hessische Programm „Mediation in Schulprogrammen“ ist im Jahr 2005 ausgelaufen. Es wurde von 4 auf 2,5 Mitarbeiter im AfL gekürzt. Das nächste Projekt „Mediation und Partizipation“ läuft 2007 aus. Da steht die Entscheidung noch an, ob es weiterlaufen soll oder nicht. Ich glaube, wir sind uns in unserem Antrag einig, dass man gerade bei solchen Sachen nicht kürzen sollte, denn das Thema wird uns weiter beschäftigen.
Allerdings sind diese Projekte alleine nicht ausreichend. Man muss den Schulen durch mehr Selbstständigkeit Spielräume geben, damit sie individuelle Konzepte entwickeln können, damit sie eigenständig Personal einstellen können, wenn sie merken, dass es wichtig ist, dass man einen Schulpsychologen braucht, dass man einen Sozialpädagogen an der Schule braucht. Es ist sehr wichtig, dass die Schulen mehr Selbstständigkeit bekommen, um diese Probleme individuell vor Ort aufzugreifen und anzugehen.
Es darf also nicht sein, dass bei einer Diskussion über gewaltbereite ausländische Jugendliche das Wort kommt: „Die schieben wir alle ab.“ Das kann es nicht sein.Wir haben den Jugendlichen gegenüber eine Verantwortung, sie leben lange in diesem Land, und wir müssen versuchen, sie zu integrieren.
Außerdem sollte man die Diskussion über die Hauptschulen endlich beenden. Hauptschulen sollte man nicht abschaffen, sondern man sollte sie stärken.
Wer glaubt, durch Abschaffung der Hauptschule verschwinde auch die Schülerklientel Hauptschüler, der irrt sich. Diese Schülerklientel wird auch weiterhin da sein.
Der verpflichtenden Lehrerfortbildung sollte ebenfalls mehr Gewaltprävention zugrunde gelegt werden. Man muss ganz dringend versuchen, die Elternhäuser einzubeziehen, und das schon sehr viel früher.
Der Bildungs- und Erziehungsplan hat da einen sehr wichtigen Auftrag. Er hat Medienerziehung in Kindergarten und Grundschule als Thema. Das ist sehr, sehr wichtig. Ich denke, da muss man ganz besonders im Kindergartenbereich verstärkt auf die Eltern einwirken. Da sind sie vielleicht auch noch sehr viel interessierter und ansprechbereiter.
Im Bildungs- und Erziehungsplan ist festgelegt, dass Medien als Orientierungsquelle zu nutzen sind, dass man sich aber über Sinn und Zweck eines Mediengebrauchs bewusst wird und dadurch innerlich Abstand dazu bekommt. Was ganz wichtig ist: Jeder Fernseher, jede Playstation hat einen Knopf zum Abschalten. Da ist nicht unbedingt das Programmangebot wichtig, sondern es ist wichtig, wie ich damit umgehe:Wie wähle ich aus, und wie viel oder wie wenig schaue ich mir überhaupt an?
Man muss sehr deutlich über Risiken und Gefährdungen des Mediengebrauchs aufklären.Ich stehe dem persönlich sehr kritisch gegenüber, dass es mittlerweile in jedem Kindergarten in jedem einzelnen Gruppenraum einen Fernseher gibt. Wenn das dazu dient, dass man lernt, dass man den auch ausgeschaltet lassen kann und besser miteinander spielt, dann hat das auch einen guten Sinn.
Wir unterstützen die Vielzahl der schon in gemeinsamer Regierungsverantwortung eingerichteten und ausgebauten Angebote an präventiven Maßnahmen an den Schulen. Das Ziel muss die Errichtung einer Konfliktkultur im Gesamtsystem Schule sein, damit Lehrer, Schüler und Eltern gemeinsam an einem Strang ziehen und die Schüler eingebunden werden in Verträge, etwa: Wie benehme ich mich untereinander? Da gibt es z. B. in der Offenen Schule Kassel-Waldau sehr eindeutig einen Vertrag, der lautet: „Wir sind leise, und wir rennen nicht.“ Daran halten sich Schülerinnen und Schüler,weil sie das gemeinsam mit den Lehrerinnen und Lehrern erarbeitet haben.
Die Schule muss verstärkt von einem Lernort zu einem Ort der Wertevermittlung werden. Das ist ganz wichtig. Wir müssen uns aber auch darüber klar werden, dass das in Ganztagsschulen besser funktioniert als in Halbtagsschulen. Gerade im Bereich der Hauptschule ist es umso wichtiger, dass man den direkten Weg in die Ganztagsschule geht.Nur so habe ich die Kinder nachmittags in der Schule, nur so kann ich sie zum Sport animieren, nur so kann ich sie zum Spielen untereinander bringen.
Schule kann die Ursachen von Gewalt nicht vollständig bekämpfen, aber sie kann Perspektiven für Schüler schaffen,die eine frühzeitige Eingliederung in die Gesellschaft, die sozialen Kompetenzen und die Identifikation mit gesellschaftlichen Werten fördern. Das ist Aufgabe der Schule, und das muss sie auch angehen.Wir können uns in Hessen zwar loben, wir haben viel getan, aber es bleibt weiterhin viel zu tun. Deshalb sollten wir es gemeinsam anpacken, und ich meine, unser gemeinsamer Antrag ist ein erster Schritt in diese Richtung.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Mit dem gemeinsamen Antrag aller Fraktionen dieses Hauses setzen wir als Hessischer Landtag ein deutliches Signal gegen Gewalt und Verrohung an unseren Schulen.
Unser gemeinsamer Antrag ist eine Unterstützung für alle diejenigen, die heute schon Hervorragendes an unseren Schulen leisten, um Gewalt und Verrohung einzudämmen. Diesen Menschen, die sich über die Maßen engagieren, gilt der Dank, ich denke, des gesamten Hauses, und das sollten wir an dieser Stelle einmal festhalten.
Gleichzeitig sagen wir in unserem gemeinsamen Antrag, dass wir, alle Fraktionen dieses Hauses, wissen, dass es noch viel zu tun gibt, um Gewalt und Verrohung an unseren Schulen einzudämmen. Ich glaube, uns alle eint ein Ziel, nämlich dass die Voraussetzung für erfolgreiches Lernen angstfreies Lernen an unseren Schulen ist. Deshalb machen wir uns mit diesem gemeinsamen Antrag auf den Weg, hier ein Stück voranzukommen.
Oftmals sind es besondere Ereignisse oder die Berichterstattung der Medien, die Parlamente dazu veranlassen, sich noch intensiver mit dem Thema zu beschäftigen. Ich bin sehr froh, dass es in dem gemeinsamen Antrag gelungen ist, unabhängig von solchen medialen Ereignissen das Thema aufzugreifen, weil ich glaube, dass das der richtige Rahmen ist. Hektisches Reagieren, Aktionismus aufgrund von Berichterstattung über Einzelfälle bringt uns nicht weiter. Was wir brauchen und was wir mit diesem Antrag auch gemacht haben, ist, dass wir uns nachhaltig um die Ursachen kümmern, dass wir die Leute stärken, die schon Gutes leisten, und dass wir uns selbst als Landtag mit unserem Antrag verpflichten, dass wir die personellen und sächlichen Mittel zur Bekämpfung von Gewalt und Verrohung an unseren Schulen beibehalten und ausbauen wollen. Ich glaube, das ist ein sehr wichtiges Signal, das von diesem Antrag ausgeht.
Ich finde, die vergleichsweise gute Nachricht ist, dass die Vorgänge, wie wir sie an der Berliner Rütli-Schule haben, eher die Ausnahme sind, auch wenn sie, so sie vorkommen, die mediale Berichterstattung über Gewalt und Verrohung bestimmen. Die schlechte Nachricht ist, dass jenseits der spektakulären Einzelfälle Gewalt an unseren Schulen sehr viel alltäglicher ist, als wir es uns oft bewusst machen und als wir es uns auch in der Arbeit der einzelnen Schule klarmachen.
Man muss ein bisschen unterscheiden zwischen dem, was in den Medien über Gewalt an Schulen berichtet wird, und der wirklichen Situation. Die Medien erzeugen den Eindruck, es sei alles sehr viel dramatischer an den Schulen geworden,es sei alles sehr viel mehr mit der Gewalt an den Schulen geworden. Ich glaube, dass dieser Eindruck nicht wirklich stimmt. Da wird sehr viel aufgebauscht. Ich glaube aber auch umgekehrt, selbst wenn die Medien etwas aufbauschen, gibt es keinen Grund, sich zurückzulehnen. Selbst wenn uns die Untersuchungen zeigen, dass die Gewalt an unseren Schulen andere Prägungen hat, aber nicht unbedingt mehr geworden ist, ist das Niveau, das wir seit Jahren an unseren Schulen an Gewalt beobachten, doch erschreckend hoch und muss uns alle zum Handeln verpflichten.
Ich spreche das mit den Medien auch deshalb an, weil es nicht nur die spektakulären Einzelfälle sind,die verletzen, weil es nicht nur die körperliche und damit die offensicht
liche Gewalt ist, die Schülerinnen und Schüler verletzt, sondern weil es vor allem auch die psychische Gewalt ist, die nicht so offenkundig ist, die aber nicht minder verletzend ist, sondern oft stärker verletzend ist. Da findet sich leider relativ viel in der Schulwirklichkeit, womit Schülerinnen und Schüler konfrontiert sind und was an unseren Schulen nun wirklich nichts zu suchen hat.
Für einige Schüler und viel zu viele Schüler gehört es zur Alltagserfahrung, dass sie mit Mobbing konfrontiert sind, dass es Drohungen gegen Schülerinnen und Schüler auf dem Schulweg oder in der Schule gibt, dass es Einschüchterungsversuche gibt, dass es ausdauernde Hänseleien oder – es gibt jetzt einen neuen Begriff – Bullying gibt. Das sind alles Effekte und Vorkommnisse.
Der Kollege fragt, was Bullying ist. Bullying bedeutet, dass sich eine Gruppe innerhalb einer Klasse zusammenschließt, um eine vermeintlich schwächere Gruppe systematisch fertig zu machen. Dafür hat die Wissenschaft diesen neuen Begriff gefunden. Ich glaube, das Phänomen war aber auch schon in den vergangenen Jahren bekannt.
Wir diskutieren das in der Fraktion, Herr Kollege Irmer. Der Einwand bezog sich nur auf das Fremdwort. Da der Hessische Landtag gesagt hat, dass er Fremdwörter möglichst vermeiden will, habe ich diesen Begriff jetzt, wie ich denke, auch in Ihrem Interesse, in wohlgesetzten deutschen Worten erklärt.
Wir haben es also mit viel alltäglicher Gewalt und psychischer Gewalt an den Schulen zu tun. Außerdem gibt es auch neue Formen der Gewalt an den Schulen. Das wurde schon angesprochen. Ich meine die kurzen Filme mit Gewaltszenen, die an den Schulen gemacht und dann auch herumgezeigt werden. Das wird dann, völlig verharmlosend, als Happy Slapping bezeichnet.Auch hier handelt es sich wieder um einen Anglizismus. Mit diesem Begriff wird so getan, als sei an dem Vorgang, dass Schüler geschlagen werden, irgendetwas happy. Das Schlagen der Schüler wird also aufgezeichnet. Durch das Verbreiten dieser Aufzeichnung werden die Schüler dann erneut erniedrigt. Dann wird auch noch so getan, als sei daran irgendetwas happy. Ich finde, wir benutzen teilweise auch die falschen Begriffe für das,was wir an neuen Formen der Gewalt an unseren Schulen beobachten.
Was können wir tun, um die Gewalt an den Schulen einzudämmen? Ich denke, dazu brauchen wir den Dreiklang von Vorbeugung, Hinsehen und Handeln.
Meiner Meinung nach ist die Vorbeugung das Allerwichtigste. Wir müssen an unseren Schulen mit den Kindern und den Schülerinnen und Schülern so früh wie möglich einüben, wie sie mit Stress und Konfliktsituationen umgehen können, wie sie für Konfliktsituationen friedliche Lösungen im Rahmen von Diskussionen finden. Schülerinnen und Schüler müssen von vornherein vermittelt bekommen: Gewalt ist niemals eine Lösung für Konflikte, vielmehr gibt es immer andere Möglichkeiten, wie man mit Stresssituationen und mit Streit umgehen kann. Ich glaube, das muss nach Möglichkeit schon im Kindergarten, danach in der Grundschule und in den weiterführen
Das betrifft das Vorbeugen. Ich glaube, Vorbeugung ist das A und das O zur Bekämpfung der Gewalt an unseren Schulen.
Es geht aber auch um das Hinsehen. Es geht darum, dass man, wenn man feststellt, es wird Gewalt ausgeübt, nicht wegsieht. Im Zweifelsfall muss man sich seiner Unsicherheit und den Fragen stellen: Wie gehe ich mit dieser Situation um? Wie greife ich ein? Wie interveniere ich richtig?
Ich glaube,Hinsehen ist ganz wichtig.Wir müssen die Lehrerinnen und Lehrer, aber auch die Schülerinnen und Schüler darin bestärken, hinzusehen. Sie müssen adäquate Verhaltensmuster haben. Sie müssen auf Verhaltensmuster zurückgreifen können, die ihnen aufzeigen, wie sie eingreifen können und wie sie in den entsprechenden Situationen handeln können. Hierzu gibt es hervorragende Projekte, die auch in Hessen bereits praktiziert werden, die zeigen, wie man Lehrerinnen und Lehrer und Schülerinnen und Schüler fit machen kann, damit sie in solchen Situationen richtig reagieren.