Protocol of the Session on May 9, 2019

Wir kommen zur Abstimmung.

Wer dem Antrag der Fraktionen Bündnis 90/Die Grünen, der SPD und der FDP mit der Drucksachen-Nummer 19/2012, Neufassung der Drucksache 19/1879, seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich um das Handzeichen!

(Dafür SPD, CDU, Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE, FDP, BIW, Abgeordneter Schäfer [LKR], Abgeordnete Wendland [parteilos])

Ich bitte um die Gegenprobe!

(Abgeordneter Tassis [AfD])

Stimmenthaltungen?

Ich stelle fest, die Bürgerschaft (Landtag) stimmt dem Antrag zu.

Im Übrigen nimmt die Bürgerschaft (Landtag) von der Antwort des Senats, Drucksache 19/1957, auf die Große Anfrage der Fraktionen Bündnis 90/Die Grünen und der SPD sowie von der Mitteilung des Senats, Drucksache 19/1975, und von dem Bericht des Ausschusses für Bundes- und Europaangelegenheiten, internationale Kontakte und Entwicklungszusammenarbeit, Drucksache 19/2150,

Kenntnis.

Ambulante Gesundheitsversorgung von Menschen ohne Krankenversicherung Große Anfrage der Fraktion DIE LINKE vom 8. November 2018 (Drucksache 19/1908)

Dazu

Mitteilung des Senats vom 18. Dezember 2018 (Drucksache 19/1978)

Dazu als Vertreter des Senats Herr Staatsrat Kück.

Ich gehe davon aus, dass der Senat die Antwort auf die Große Anfrage nicht mündlich wiederholen möchte, sodass wir direkt in die Aussprache eintreten können.

Die Aussprache ist eröffnet.

Als erste Rednerin erhält das Wort die Abgeordnete Leonidakis.

Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor zwei Jahren haben wir hier an dieser Stelle bereits über die ambulante Gesundheitsversorgung von Menschen ohne Krankenversicherung gesprochen. Damals war die humanitäre Sprechstunde ad hoc geschlossen worden und wir hatten einen Antrag zur Wiedereröffnung gestellt. In der damaligen Debatte betonte die Gesundheitssenatorin Frau Prof. Dr. Quante-Brandt, die heute leider nicht hier ist, das Menschenrecht auf Gesundheit und dem möchte ich mich heute noch einmal anschließen.

Gesundheit ist ein Menschenrecht und die Behandlung von Krankheiten, Vorsorge, Geburtshilfe und die Erhaltung der körperlichen und psychischen Gesundheit sind ein Menschenrecht, das nicht vom Geldbeutel oder vom aufenthaltsrechtlichen Status eines Menschen abhängen darf.

(Beifall DIE LINKE)

Das ist unser grundsätzlicher Leitsatz.

Zum Zweiten gibt es eine Annahme, die wir zugrunde legen und die es nicht zu vernachlässigen gilt: Sondersysteme sind bisherigen Erfahrungen zufolge immer teurer und aufwendiger, als die Aufnahme aller in die Regelsysteme. Das haben wir bei den Sachleistungen im Asylbewerberleistungsgesetz gesehen, die im Vergleich zu Geldleistungen teurer sind. Das sehen wir beim Vergleich von privatem Wohnraum versus Sammelunterkünften, die auch noch isolierend, stigmatisierend und desintegrativ wirken. Das Gleiche gilt auch im Bereich der Gesundheitsversorgung.

Es gibt mehrere Vergleiche und ich möchte nur auf einen von Georg Classen aus dem Jahr 2013 verweisen, in dem er die Kosten einer medizinischen Notfallversorgung von Geflüchteten nach den Paragrafen 4 und 6 des Asylbewerberleistungsgesetzes mit dem Bremer Modell verglichen hat. Dieser Vergleich hat ergeben, dass das Bremer Modell nicht nur weniger stigmatisiert, sondern auch für die öffentliche Hand günstiger ist, weil es weniger Bürokratie enthält.

Das Gleiche kann man auch für die Gesundheitsversorgung von Menschen ohne Krankenversicherung annehmen. Man kann davon ausgehen, dass die frühzeitige Behandlung von Krankheiten grundsätzlich nicht nur das Menschenrecht garantiert, sondern auch die Folgekosten von ver

schleppten Krankheiten und stationären Behandlungen vermeidet und die öffentliche Gesundheit verbessert. Die Einrichtung der humanitären Sprechstunde im Jahr 2009 folgte dieser Idee, die gut war, liebe Kolleginnen und Kollegen!

(Beifall DIE LINKE)

Sie ist aber aus unserer Sicht inzwischen auf halber Strecke stehen geblieben, denn sie ist natürlich noch immer ein Sondersystem und auch wenn nach dem Eklat im Jahr 2017 das Geld aufgestockt wurde – jetzt stehen 100 000 Euro für Sachkosten, wie Medikamente und die Facharztbehandlung, bereit – ist es dennoch ein Sondersystem.

Es gibt zwar inzwischen diese Vereinbarungen mit gynäkologischen Praxen und zur zahnärztlichen Versorgung sind sie in der Vorbereitung, aber es fehlen immer noch Facharztrichtungen und wenn die fachärztliche Behandlung jenseits der Gynäkologie benötigt wird, dann muss das jeweils individuell terminiert, vereinbart und abgerechnet werden.

Das ist ein großer Verwaltungsaufwand und dieses Abrechnungssystem ist so kompliziert, dass Berichten von Beteiligten zufolge, einige Behandlungen daran scheitern, weil Ärztinnen und Ärzte nicht bereit sind, diesen Aufwand zu betreiben mit den individuellen Abrechnungen, mit den Verhandlungen über den Behandlungsumfang et cetera. Und daran scheitern eben auch teilweise Behandlungen. Das ist nicht der Sinn der Sache, liebe Kolleginnen und Kollegen, das lässt sich aber im aktuellen System nicht vollständig vermeiden, weil man nicht mit allen einzelnen Facharztrichtungen und allen einzelnen Praxen Vereinbarungen treffen kann.

Deswegen sind wir davon überzeugt, dass zehn Jahre nach der Gründung der humanitären Sprechstunde jetzt der Schritt Nummer zwei kommen muss. Wir wollen eine Aufnahme ins Regelsystem erreichen, wir wollen Sondersysteme abschaffen und wir glauben und da sind wir uns sogar mit dem Senat einig, dass wir das durch die Einführung einer anonymen Gesundheitskarte erreichen können, die ähnlich funktioniert wie die Gesundheitskarte, die AOK-Karte für Geflüchtete, nur eben anonymisiert.

Die Ausgabe könnte weiterhin durch die humanitäre Sprechstunde erfolgen und dort könnte weiterhin eine niedrigschwellige Grundversorgung geleistet werden. Für die weitere Behandlung, für den

Abbau von Bürokratie, für die stigmafreie und hürdenarme Sicherstellung der Gesundheitsversorgung ist die anonyme Gesundheitskarte die beste Lösung.

Da sind wir uns, wie gesagt, mit dem Senat einig und sehr froh, dass der Senat in der Antwort auf die Anfrage dargelegt hat, dass auch er diese Lösung favorisiert.

(Beifall DIE LINKE)

Wir möchten aber auch ein Wort der Kritik verlieren: Wir haben schon vor zwei Jahren – –. Hier wurde angekündigt, dass ein neues Konzept für die humanitäre Sprechstunde vorgelegt wird. Bis heute hat dieses Konzept das Licht der Öffentlichkeit nicht erblickt. Es wäre schön gewesen, wenn man hier schon eine breite Einigkeit hat, dass man dann auch die Weiterentwicklung, den zweiten Schritt zur ambulanten Gesundheitsversorgung von nicht versicherten Menschen, schneller hätte umsetzen können.

Wir versichern an dieser Stelle, dass wir uns auch nach dem 26. Mai 2019 für die anonyme Gesundheitskarte einsetzen werden und wir hoffen, dass dann in der nächsten Legislaturperiode auch die Umsetzung von dem erfolgen kann, worin wir uns jetzt an dieser Stelle wenigstens verbal einig sind. – Dankeschön!

(Beifall DIE LINKE)

Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Herr Welt.

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Das Thema medizinische Versorgung von Menschen ohne Papieren ist ein altes, aufgrund der weltweiten Krisen und der damit verbundenen Flucht von Menschen aus ihrer Heimat, immer größer werdendes humanitäres Problem. Niemand mit gesundheitlichen Problemen sollte alleingelassen werden, wenn er dringende medizinische Hilfe benötigt.

(Beifall SPD)

Auch in Deutschland leben Menschen, die keinen oder einen erschwerten Zugang zum Gesundheitssystem haben. In Deutschland ist die Versorgung für Menschen ohne rechtlichen Aufenthaltsstatus beschränkt auf die Behandlung akuter Erkrankungen und Schmerzzuständen sowie die Versorgung

bei einer Schwangerschaft. Die rechtlichen Möglichkeiten ergeben sich aus dem Leistungsrecht des Asylbewerberleistungsgesetzes, das den Rahmen der medizinischen Behandlungsmöglichkeiten für Menschen ohne rechtlichen Aufenthaltsstatus festlegt. Ohne auf die Thematik vertieft einzugehen, ist eine entscheidende rechtliche Hürde des Zugangs zur medizinischen Behandlung jedoch die behördliche Übermittlungspflicht personenbezogener Daten des Sozialamtes an die Ausländerbehörde.

Aufgrund des fehlenden aufenthaltsrechtlichen Status leben Menschen ohne Papiere meist in prekären Situationen. Im Ergebnis werden Gesundheitsleistungen von diesen Menschen dann auch wirklich nur im Notfall mit Hindernissen in Anspruch genommen. Der Kontakt zum professionellen Gesundheitswesen wird aufgrund der persönlichen Umstände nach Möglichkeit vermieden. Gründe hierfür sind das Risiko der Statusaufdeckung und damit die Angst vor einer Abschiebung, Unsicherheit über die Kosten einer Behandlung, Unsicherheiten darüber, wo eine notwendige Behandlung überhaupt zu finden ist und auch die Sprachbarrieren sind Gründe, warum medizinische Hilfen nicht oder häufig zu spät in Anspruch genommen werden.

Die gesundheitliche Versorgung von Menschen ohne Papieren findet aufgrund der gerade angesprochenen Gründe im Moment unvollständig und meist unentgeltlich in humanitären Parallelstrukturen zum Gesundheitssystem statt. Konkrete Hilfeleistungen erfolgen meist unentgeltlich innerhalb von Parallelstrukturen zum regulären Gesundheitssystem. Teils erfolgte die medizinische Hilfe direkt in humanitären Sprechstunden, meist auf Spendenbasis, oft ehrenamtlich oder durch Verbände beziehungsweise Kommunen organisiert.

Ich bin froh über die Anfrage. Es gibt uns hier in diesem Haus die Gelegenheit, das gut funktionierende System in Bremerhaven und Bremen noch einmal ausdrücklich zu loben. Bremen hat frühzeitig ein freiwilliges und mit öffentlichen Mitteln finanziertes Versorgungssystem für Menschen ohne Papiere initiiert. Mit dem anerkannten Bremer Modell einer Gesundheitskarte erhalten seit 2005 Flüchtlinge eine AOK-Krankenversicherungskarte und können damit bei Bedarf ambulante und stationäre Behandlungen in Anspruch nehmen, ohne zuvor wegen der Ausstellung eines Krankenscheines das Sozialamt aufsuchen zu müssen.

(Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen – Vizepräsi- dentin Dogan übernimmt den Vorsitz.)

Mit der seit 2009 beim Gesundheitsamt eingerichteten humanitären Sprechstunde finden Menschen ohne Papiere einen niedrigschwelligen Zugang zu einer anonymen und unentgeltlichen allgemeinärztlichen Basisversorgung. Seit 2018 wird die humanitäre Sprechstunde mit erhöhten finanziellen Mitteln ausgestattet. Es wurden in Bremen 100 000 Euro für Sachkosten und 13 000 Euro für Personal bewilligt. Das deckt die Behandlung und die Weiterversorgung im niedergelassenen Bereich im Rahmen einer Akut- und Basisversorgung. Hier wird von motivierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern wirklich gute Arbeit geleistet und wir haben hier einen wichtigen Baustein in der Gesundheitsversorgung installiert.

(Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen)

An dieser Stelle möchte ich meinen Dank auch an die ehrenamtlich tätigen Ärztinnen und Ärzte richten. Die medizinische Versorgung von Menschen ohne Papieren basiert im Wesentlichen auf ehrenamtlichen Helfern. Ihrem Engagement verdient unseren Respekt,

(Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen)

Anerkennung und Dank. Auch den Hauptamtlichen gebührt selbstverständlich unser Dank. In Bremerhaven betreut ein Team, bestehend aus einer Ärztin, zwei Krankenschwestern, einer Sozialpädagogin und einer Gesundheitswissenschaftlerin, diese Patientinnen und Patienten. In der Stadt Bremen sind es zwei Ärzte, mit einem entsprechend größeren Mitarbeiterteam, die diese einfache, allgemeinmedizinische Versorgung in ihren Sprechstunden sicherstellen. Ich habe mir das vor 14 Tagen in Bremerhaven einmal angesehen und mit den Mitarbeitern gesprochen und die sind mit der Ausstattung wirklich zufrieden.

Das medizinische Versorgungsangebot im Land Bremen wird von uns als angemessen und ausreichend angesehen, aber es ist nicht lückenlos. Ein Konzept für eine Neuausrüstung der humanitären Sprechstunde wurde erarbeitet und befindet sich im Abstimmungsverfahren zwischen den verschiedenen Beteiligten. Sollten nach einer Erprobungszeit der Neuausrichtung höhere finanzielle Mittel benötigt werden, dann werden wir uns als SPD in den dann anstehenden Haushaltsberatungen dafür einsetzen.