Protocol of the Session on May 8, 2019

Das Zweite, was auch nicht gefragt und beantwortet worden ist: Wenn man jetzt auf die Dunkelziffer abstellt, wie viele nachträglich eingeleitete Strafverfahren haben sich aus diesem ASS-System ergeben? Wann haben sich Frauen nach zwei, drei, vier, fünf Jahren wirklich dazu entschlossen, eine Strafanzeige zu stellen und dieses auf den Weg zu bringen? Auch das wäre wichtig zu wissen, damit wir wissen, worüber wir uns hier im Einzelnen informieren und was wir behandeln wollen.

Das Weitere, was wichtig ist, ist die Informationsarbeit und die bessere Ausstattung der Kliniken. Dass das auf eine gute personelle und finanzielle Grundlage gestellt wird, denn das ist die Intention dieses Antrags und das macht auch Sinn. Es kommt darauf an, die Informationspolitik zu verbessern und die Netzwerkarbeit zu verbessern, dass es nicht nur darum geht, die Spuren zu sichern, sondern auch alles das, was traumatisch bei den Frauen zurückgeblieben ist, zügig in die Bearbeitung einzugeben und den Frauen auch die Möglichkeiten aufzuzeigen, wohin sie sich wenden können. Da kann es im Einzelfall nicht an den geldlichen Problemen scheitern, sondern wir müssen dann auch bereit sein, das hier und da besser zu unterfüttern.

Der nächste Punkt, der angesprochen worden ist: Die Krankenkassen übernehmen die Kosten. Das ist ein wichtiger Gesichtspunkt. Deswegen ist es notwendig, dass die Initiative, die auf Bundesebene offenbar schon angeschoben ist, – –, dass wir für diesen Bereich der anonymen Spurensicherung eine bundeseinheitliche Regelung finden, die das finanziert und die es möglich macht, dass wirklich qualifizierte Mediziner unmittelbar nach diesen Taten die Spurensicherung sorgfältig durchführen können.

Bei der Frage der Spurensicherung, um noch einmal auf Herrn Hinners einzugehen, kommt es auch

darauf an, dass der Sachverhalt erfasst wird, wie etwas passiert ist, weil auch aus dem Sachverhalt, aus dem Tatgeschehen Rückschlüsse auf eine Verletzung gezogen werden können. Es geht nicht darum, ein Hämatom oder dergleichen festzuhalten, sondern wie dieses Hämatom entstanden ist. Auch das kann eine Frage der Beweisführung und Beweiswürdigung sein.

Was mir insgesamt zu kurz kommt und worin Bremen Nachholbedarf hat, das ist ein Opferschutzbericht. Einige Bundesländer, Rheinland-Pfalz zum Beispiel, Nordrhein-Westfalen, Schleswig-Holstein, haben einen Opferschutzbericht. Ich könnte mir vorstellen, wir wollen das jetzt nicht als zusätzlichen Antrag aufmachen, – –.

(Glocke)

Ich komme zum Schluss. Das sollten wir uns in der nächsten Legislaturperiode auf die Fahne schreiben, dass wir den Senat verpflichten, alljährlich oder alle zwei Jahre einen Opferschutzbericht vorzulegen, um zu sehen, was in diesem Bereich passiert ist,

(Glocke)

was an Angeboten vorhanden ist und wie wir Verbesserungsvorschläge machen können. Das ist wichtig für die Strafrechtspflege, aber auch für die Maßnahmen der justiziellen sozialen Dienste. – Danke schön!

(Beifall FDP)

Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Pirooznia.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen, meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir debattieren heute die Mitteilung des Senats zur Großen Anfrage der Fraktion DIE LINKE sowie den Antrag der Fraktion DIE LINKE mit dem Titel „Vertrauliche rechtsmedizinische Begutachtung auch für Opfer von Gewaltstraftaten einführen“.

Was sind die Forderungen? Es soll bis zum Jahr 2020 ein inhaltliches und finanzielles Konzept für eine vertrauliche rechtsmedizinische Spurensicherung für Opfer von Gewaltstraftaten erarbeitet werden. Das finde ich gut! Dabei soll auf die Erfahrung aus der anonymen Spurensicherung für Opfer von Sexualstraftaten zurückgegriffen werden. Ich

finde, diese Forderungen sind gut und wichtig und wir Grünen werden diesen Antrag unterstützen.

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE)

Das Grundprinzip der anonymen Spurensicherung verfolgt ein klares Ziel: Das noch nicht zu einer Strafanzeige entschlossene Opfer einer Sexualstraftat hat hierdurch die Möglichkeit, Spuren der Tat in einem Krankenhaus sichern zu lassen, die gegebenenfalls später in einem Strafverfahren genutzt werden können, falls sich das Opfer doch noch entscheiden sollte, den Täter anzuzeigen.

Das Modell der anonymen Spurensicherung entspricht somit eindeutig den Interessen der Opfer. Dies ermöglicht es Betroffenen, den Zeitpunkt einer Anzeige selbst zu bestimmen. Eine so weitreichende Entscheidung direkt nach der Tat zu treffen, ist bei dem erlittenen Trauma nur eingeschränkt möglich. Tatspuren und Verletzungen, die als Beweismittel der Strafverfolgung von erheblicher Bedeutung sind, können jedoch nur zeitnah nach der Tat festgestellt und dokumentiert werden.

Bei häuslicher Gewalt kann die anonyme Spurensicherung gleichwohl ein sinnvolles Instrument darstellen, da hier das Stellen einer Strafanzeige, analog zu den Sexualdelikten, häufig mit großen emotionalen Hemmnissen verbunden ist. Daher begrüßen wir die geforderte Ausweitung auch auf Opfer von Gewaltstraftaten.

Bei allgemeinen Gewaltdelikten ist jedoch aufgrund der deutlich höheren Fallzahl zu berücksichtigen, – Herr Senator Dr. Lohse hat uns gerade darauf hingewiesen, ich nehme den Ratschlag gern schon einmal an – dass die Kliniken für eine entsprechende Umsetzung auch die entsprechenden Ressourcen zur Verfügung gestellt bekommen müssen, damit dieser Mehrbedarf abgedeckt werden kann.

Am Ende meiner Rede möchte ich aber daran erinnern, dass wir dieses Thema bereits im Rahmen der Umsetzung der Istanbul-Konvention, dem Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häusliche Gewalt, berücksichtigt haben. Aber bei einem so wichtigen Thema stimmen wir gern ein zweites Mal zu. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen)

Als nächste Rednerin hat das Wort die Abgeordnete Frau Aulepp.

Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen, meine Damen und Herren! Wir debattieren ein sehr wichtiges Thema. Das haben hier alle Vorrednerinnen und -redner gesagt.

Ich muss sagen, ich mag den Begriff häusliche Gewalt nicht so gern, weil es dabei nicht darum geht, dass irgendetwas häuslich und gemütlich ist und auch nicht darum, dass Gewalt von einem Haus ausgeht, sondern es geht um teilweise erhebliche, dauerhafte und immer wiederkehrende Verletzungen und sexualisierte Gewalt im persönlichen Nahbereich. Frauen und Kinder werden in der Regel Opfer von Straftaten, die durch Männer in einem Bereich begangen werden, der eigentlich Geborgenheit und Schutz bieten sollte, der aber in diesen Fällen oft doch eher durch Abhängigkeit und Ausgeliefertsein geprägt ist.

Gerade deshalb ist es so wichtig und so gut, dass sich erstens die Betroffenen, also vermehrt die Frauen und Kinder, Hilfe holen und zweitens, und das ist ja auch Kern dieses Antrags und dieser Debatte, dass auch vermehrt Hilfe angeboten wird, die diese Betroffenen annehmen. Das finden wir gut und richtig.

(Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE)

Gut ist auch, dass das Strafrecht, das ja eigentlich vom Amtsermittlungsgrundsatz und vom Verfolgungszwang geprägt ist, an der Stelle sagt, dass es Möglichkeiten geben muss, in denen man davon eine Ausnahme macht, wenn es nämlich den Geschädigten, den Betroffenen von diesen Taten nicht zugemutet werden kann, sich sofort einem Strafverfahren zu stellen oder sich zu entscheiden, sich einem solchen Verfahren nicht zu stellen. Gut ist es, diese Entscheidung eben nicht unter dem unmittelbaren Tateindruck treffen zu müssen.

So wichtig dieses Thema ist, Herr Pirooznia hat es gerade schon gesagt, war ich ein bisschen hin- und hergerissen, weil, das haben Sie auch gerade in der Debatte nicht gesagt, Frau Vogt, dass wir im Prinzip im März schon einmal beschlossen haben, dass das ein wichtiges Thema ist und dass der Senat sich überlegen soll, wie man diese anonyme Spurensicherung auch auf Geschädigte im häuslichen Nahbereich, im partnerschaftlichen Bereich ausweiten kann, denn darum geht es. Es ist nicht immer sexualisierte Gewalt, aber es ist Gewalt im intimen, im persönlichen und familiären Nahbereich. Dieser Antrag ist im Übrigen auch einstimmig angenommen worden.

Aber, und auch das ist hier schon gesagt worden, natürlich ist es wichtig und richtig, das hier noch einmal zu betonen und zu sagen, dass es wichtig ist, dass wir hier ein Konzept für mehr Hilfe für die Betroffenen und für einen größeren Spielraum haben und dabei geht es konkret um diese Gruppe und nicht um alle Taten, die in irgendeiner Weise einen Gewaltbezug haben. Das ist in dem Antrag ein bisschen ungenau gefasst, aber es wird deutlich, was damit gewollt ist. Deswegen werden wir als Fraktion der SPD diesem Antrag natürlich zustimmen.

Erlauben Sie mir auch eine kurze persönliche Bemerkung: Herr Hinners, lieber Willi, – jetzt hört er gar nicht zu, sondern unterhält sich – ich freue mich sehr, dass diese letzte gemeinsame Debatte so einvernehmlich ist, dass wir uns in der Sache einig sind. Ich habe mich jetzt – ich nehme jetzt auch einmal das vertraute und vertrauliche Du – ich habe mich auch gern von hier aus und insgesamt gern mit Dir gestritten und ich habe immer gern mit Dir zusammengearbeitet. Vielen Dank! Du wirst bestimmt nicht in den politischen Ruhestand gehen, also werden wir sicherlich noch miteinander zu tun haben. – Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit!

(Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE)

Als nächste Rednerin hat das Wort Frau Senatorin Prof. Dr. Quante-Brandt.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich fange jetzt nicht an, auch aus meiner Perspektive noch einmal darzulegen, wie bedeutsam und wie wichtig und wie ernst dieses Thema ist. Ich bin sehr froh, dass Sie das gemeinsam so beurteilen.

(Präsidentin Grotheer übernimmt wieder den Vor- sitz.)

Ich halte das auch für ein ganz zentrales Thema. Ich bin sehr froh, dass wir seit dem Jahr 2012 die anonyme Spurensicherung haben und dass die Krankenhäuser Reinkenheide und die Kliniken der GeNo dieses einfach machen, obwohl sie es nicht abrechnen können, also dass einfach deutlich ist: Hier wird Daseinsvorsorge betrieben, und zwar für die Frauen, die genau das brauchen, dass sie die Trennung haben für die Erhebung. Es wird erhoben, es wird gesichert und sie können sich dann später überlegen, ob sie es zur Anklage führen können. Ich glaube, das ist ein ganz wichtiger

Punkt, dass an dieser Stelle diese Trennung stattfindet.

Um auf Ihre Frage zu kommen: Die Zahlen wollen wir nicht so gern nennen, ich kann Ihnen aber sagen, Herr Zenner, es ist so, dass jede fünfte Frau davon Gebrauch macht, dass die Spurensicherung stattfindet und sie sich dann zu einem späteren Zeitpunkt der Daten bemächtigt, und das führt in der Regel zur Anzeige. Das ist jede fünfte Frau von der Gruppe, die davon betroffen ist.

Das, was Sie vom Senat möchten, dass wir ein Gesamtkonzept entwickeln, das finde ich richtig. Ich finde richtig, dass man diese Ausweitung vornimmt. Man muss sich an der Stelle damit auseinandersetzen, was alles dazugehört. Man muss dann natürlich wieder genau trennen, welche Gruppen man damit meint, wie groß ein solches Angebot werden soll. Dann muss man sich auch damit auseinandersetzen, was die zentralen Indikatoren sind. Ist es die Anonymität oder ist es die Finanzierung über die Krankenkassen? All diesen Fragestellungen muss man sich am Ende noch stellen.

Da es jetzt aber in der Diskussion ist, dass ein Bundesprogramm dazu aufgelegt wird, glaube ich, ist das Ganze auch von der Frage der Finanzierung und von der Einstellung der Kassen anders zu bewegen und das wird mit dazu beitragen, dass wir ein vernünftiges und gutes Konzept bekommen werden. Wir arbeiten sehr gern daran, wir wollen das sehr gern bearbeiten und da es schon einmal debattiert worden ist, haben wir natürlich den einen oder anderen Gedanken zu diesem Thema so weit zusammengetragen, sodass es uns vermutlich gelingen wird, zügig zu einem vernünftigen Konzept zu kommen.

Den letzten Punkt, den ich dazu ansprechen möchte: Ich denke auch, es macht Sinn, dass wir auf die Struktur zurückgreifen, die wir jetzt haben, auch mit dem Notruf für Frauen. Dass die Frauen, die die anonyme Spurensicherung sehr mit gefördert und gefordert haben, auch an einer Weiterentwicklung eines Gesamtkonzeptes beteiligt werden. Ich bin der Auffassung, dass es uns gelingen muss, dass die Öffentlichkeitsarbeit zu dem Thema – das ist ja ein sperriger Begriff – besser wird. Wenn sie besser werden soll, muss man dafür an der Stelle vermutlich mehr Geld in die Hand nehmen, und auch ich halte es für sinnvoll, dass das gemacht wird. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.

Die Beratung ist geschlossen.

Wir kommen zur Abstimmung.

Wer dem Antrag der Fraktion DIE LINKE mit der Drucksachen-Nummer 19/2109 seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich jetzt um das Handzeichen!

Ich bitte um die Gegenprobe!

Stimmenthaltungen?

Ich stelle fest, die Bürgerschaft (Landtag) beschließt entsprechend.

(Einstimmig)

Im Übrigen nimmt die Bürgerschaft (Landtag) von der Antwort des Senats, Drucksache 19/1943, auf die Große Anfrage der Fraktion DIE LINKE Kenntnis.

Meine Damen und Herren, wir kommen jetzt zu den Tagesordnungspunkten, bei denen interfraktionell vereinbart wurde, diese ohne Debatte zu behandeln.