Im Übrigen nimmt die Bürgerschaft (Landtag) von den Berichten der staatlichen Deputation für Umwelt, Bau, Verkehr, Stadtentwicklung, Energie und Landwirtschaft, Drucksachen-Nummer 19/1948 und 19/2059, sowie von der Mitteilung des Senats, Drucksache 19/1859, Kenntnis.
Vertrauliche rechtsmedizinische Begutachtung für Opfer von Gewalt Große Anfrage der Fraktion DIE LINKE vom 24. Oktober 2018 (Drucksache 19/1883)
Vertrauliche rechtsmedizinische Begutachtung auch für Opfer von Gewaltstraftaten einführen Antrag der Fraktion DIE LINKE vom 20. März 2019 (Drucksache 19/2109)
Ich gehe davon aus, dass der Senat die Antwort auf die Große Anfrage nicht mündlich wiederholen möchte, sodass wir direkt in die Aussprache eintreten können.
Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben diese Anfrage gestellt, weil es sich um ein Thema handelt, über das viel zu wenig gesprochen wird, nämlich die häusliche Gewalt.
Opfer von Gewalt in Partnerschaften sind fast immer Frauen. Das Bundeskriminalamt veröffentlicht jährlich einen Bericht über Beziehungsgewalt. Im vergangenen Jahr gab es demnach 139 000 solcher Straftaten. Rechnerisch kommt es jeden zweiten Tag zu einem vollendeten Mord oder Totschlag im häuslichen Kontext. Im Schnitt gibt es außerdem sieben Vergewaltigungen pro Tag im häuslichen oder familiären Umfeld und angesichts dieser erschütternden Zahlen sehen wir einen akuten Handlungsbedarf.
Das sind nur die offiziellen Zahlen. Das Dunkelfeld ist im Bereich häuslicher Gewalt extrem hoch, wie alle kriminologischen Studien nahelegen. Laut einer Dunkelfeldstudie des LKA Niedersachsen werden zum Beispiel nur 5,9 Prozent aller Sexualstraftaten angezeigt. Viele Frauen trauen sich aus diversen Gründen nicht, ihren gewalttätigen Partner anzuzeigen. Deshalb ist die Politik gefordert, diese Frauen besser zu schützen.
Für Sexualstraftaten hat Bremen eine sinnvolle Möglichkeit geschaffen: Opfer von Sexualstraftaten können eine anonyme Spurensicherung vornehmen lassen. Spuren werden in den Kliniken ärztlich gesichert und anonym mit einem Nummerncode zehn Jahre aufbewahrt. Der Vorteil daran ist, dass die Menschen – wie gesagt, fast immer Frauen – auch später noch die gesicherten Spuren an die Polizei übergeben und eine Anzeige erstatten können und diese Spuren können dann gerichtlich verwertet werden.
Das heißt, Frauen die Opfer einer Sexualstraftat geworden sind, müssen sich nicht unmittelbar nach diesem traumatischen Erlebnis entscheiden, eine Strafanzeige zu stellen und sich diesem Verfahren zu unterziehen. Mit der anonymen Spurensicherung können sie das in Ruhe und gerichtsfest auch noch Jahre später tun. Das ist für die Betroffenen eine enorme Entlastung der traumatisierenden Erfahrung einer Sexualstraftat.
Die anonyme Spurensicherung bei Sexualstraftaten ist sehr wichtig und sollte eigentlich noch viel bekannter gemacht werden.
auf Gewaltstraftaten ausgeweitet werden, denn das Problem ist ja vergleichbar: Auch Opfer häuslicher Gewalt, die nicht unter das Sexualstrafrecht fallen, müssen die Gelegenheit haben, eine anonyme rechtsmedizinische Begutachtung vornehmen zu lassen, damit sie sich später noch für eine gerichtsfeste Strafanzeige entscheiden können. Mit diesem Schritt stärkt man die Opfer von häuslicher Gewalt, die Dunkelziffer kann gesenkt werden und die Täter können besser strafrechtlich belangt werden. Das sind gute Gründe, die ganz konkrete Verbesserungen bedeuten würden, denn alle, die sich mit der Problematik auseinandersetzen, die wissen, dass viele Frauen, erst nachdem sie jahrelang zu Hause misshandelt worden sind, den Schritt wagen, sich aus einer gewalttätigen Partnerschaft zu lösen und den Weg zur Polizei zu gehen, und dann sind diese Beweismittel nicht mehr da.
Berlin hat am Rechtsmedizinischen Institut der Charité eine Einrichtung geschaffen und die Nachfrage ist sehr groß. 50 Prozent der Fälle betreffen häusliche Gewalt, davon sind 80 Prozent Frauen und von diesen Betroffenen geben 81 Prozent an, dass die häusliche Beziehungsgewalt schon mehrfach stattgefunden hat. Die Berliner Zahlen belegen ganz deutlich, wie dringend eine Einrichtung, wie wir sie vorschlagen, gebraucht wird. Unsere Idee ist es, zusammen mit den bisherigen Akteuren aus der anonymen Spurensicherung bei Sexualdelikten ein Konzept zu erarbeiten und zu prüfen, welche Strukturen wir dafür bräuchten und wie viel Personal gebraucht wird.
Die Frauenbeauftragte, Frau Wilhelm von der ZGF, unterstützt diesen Vorschlag. Auch der Frauennotruf findet diesen Ansatz gut und deswegen bitten wir sehr dringend und mit einer ganz großen Betroffenheit von unserer Seite aus um Zustimmung zu diesem Antrag. Sollte dieser Antrag heute abgelehnt werden, dann kann ich jetzt schon sagen, dass wir das zu Beginn der nächsten Legislaturperiode aufgreifen werden, weil den Frauen – wie gesagt, überwiegend sind es Frauen – dringend geholfen werden muss, und das wäre ein wichtiger Schritt. – Vielen Dank!
Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Für die Fraktion der CDU ist die anonyme Spurensicherung bei Opfern nach Sexualstraftaten ein sehr
sinnvolles Verfahren; denn damit können zumindest, Frau Vogt hat schon darauf hingewiesen, die möglicherweise am Opfer befindlichen Spuren der Tat und des Täters gesichert werden, ohne dass das Opfer psychisch übermäßig in Anspruch genommen oder belastet werden muss.
Dies sollte für den Fall einer späteren Auswertung möglichst zeitnah zum Tatgeschehen durchgeführt werden. Das ergibt sich aus der Spurensicherung, die zu diesem Zeitpunkt noch am sinnvollsten ist. Im Rahmen einer späteren Anzeige und Ermittlung des Sachverhaltes könnten diese Beweismittel kriminaltechnisch sowie gerichtsmedizinisch ausgewertet werden. Die Auswertung dieser gesicherten Spuren kann wesentlich zur Identitätsaufklärung des Tatverdächtigen beitragen und helfen, die Tathandlung beweisbar zu machen.
Ganz wichtig ist, Sie haben darauf hingewiesen, Frau Vogt, dass das Opfer nach der Tathandlung möglichst schonend behandelt und untersucht wird, damit die medizinische Untersuchung möglichst nicht zu einer weiteren psychischen Belastung führt.
Dies ist, selbst bei sehr sensibler Arbeit durch die eingesetzten Mitarbeiter, leider bei einer kriminalpolizeilichen und staatsanwaltschaftlichen Vernehmung oder Tatermittlung unmittelbar nach der Tat unvermeidbar. Fachleute, Sie haben vielleicht schon davon gehört, sprechen in diesem Zusammenhang häufig von der Vergewaltigung nach der Vergewaltigung, die nicht selten auch in Gerichtsverhandlungen stattfindet, wenn der Verteidiger des Angeklagten sehr insistierend auf das Opfer einwirkt.
Meine Damen und Herren, DIE LINKE hat in der Großen Anfrage, völlig zu Recht, das Modell der anonymen Spurensuche auch für Fälle der häuslichen Gewalt angesprochen. Aus der Antwort des Senats geht dazu hervor, dass diese anonyme Spurensuche auch für diese Delikte ein sinnvolles Instrument darstellen kann, da das Stellen einer Strafanzeige, analog zu den Sexualstrafdelikten, häufig mit großen Hemmungen verbunden ist. Das ergibt sich aus der familiären Situation und das kann, glaube ich, jeder nachvollziehen.
Dem dazu vorliegenden Antrag der LINKEN, wonach der Senat ein entsprechendes Konzept vorlegen soll, stimmen wir zu. Aus Sicht, und jetzt spreche ich für meine eigenen Person, eines ehemaligen Kriminalbeamten möchte ich allerdings noch auf Folgendes hinweisen: So sinnvoll die anonyme
Spurensuche für das Opfer auch ist, sie beinhaltet zwangsläufig für die gerichtsverwertbare Tataufklärung einige durchaus erhebliche Probleme, über die man nachdenken muss und die ich hier kurz skizzieren will:
Neben den Spuren am Opfer sind natürlich auch die Spuren am Tatort und am Tatverdächtigen von elementarer Bedeutung. Diese können bei einer anonymen Spurensuche naturgemäß nicht gesichert werden und stehen daher für den Fall einer späteren Anzeige und ein Verfahren zur Aufklärung der Tat nicht zur Verfügung. Auch kann es erhebliche Probleme bereiten, längere Zeit nach der Tathandlung den genauen Tatort zu ermitteln, ebenso können etwaige Zeugen nach einer langen Zeit in der Regel nicht oder nur noch unter sehr schwierigen Bedingungen ermittelt und zum Tatgeschehen befragt werden.
Ich betone allerdings ausdrücklich, meine Damen und Herren, dass diese Hinweise überhaupt nicht gegen die anonyme Spurensicherung sprechen.
Sie kann allerdings im Strafverfahren zu erheblichen Problemen führen, ich deutete es schon an, den Tatverdächtigen zu identifizieren oder die Tat gerichtsverwertbar nachzuweisen.
Abschließend möchte ich jetzt unabhängig von diesem ernsten Thema noch einige persönliche Anmerkungen zu meinem Ausscheiden aus der Bürgerschaft nach zwölf Jahren machen.
Nach einer fast 40-jährigen vielfältigen Tätigkeit als Kriminalbeamter bekam ich vor zwölf Jahren die Chance, als Abgeordneter in die Bremische Bürgerschaft zu kommen. Ich bin sehr dankbar, dass mir diese Möglichkeit eröffnet wurde. Mit der Arbeit als Abgeordneter konnte ich auf Erkenntnisse aus meinem früheren Beruf, ich habe darauf hingewiesen, zurückgreifen und diese in die neue politische Tätigkeit einfließen lassen.
Ich weiß – ich habe diverse Rückmeldungen dazu bekommen – dass ich mit meinen Anträgen in der öffentlichen Verwaltung, aber auch bei einigen von Ihnen hier im Hause, den Abgeordneten, viel Arbeit verursacht habe. Aber, meine Damen und Herren, ich habe da kein schlechtes Gewissen und ich sehe das auch als unsere Arbeit als Abgeordnete an.
Ausdrücklich möchte ich mich bei Ihnen und allen Mitarbeitern in der Verwaltung für den parteiübergreifenden, fairen und sachlichen Umgang sowohl in den Bürgerschaftsdebatten, in den Ausschüssen, aber natürlich auch in der Innendeputation bedanken. Auch in Zukunft werde ich die Arbeit der Bremischen Bürgerschaft mit großem Interesse verfolgen. – Herzlichen Dank!
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Wir unterhalten uns über die Anfrage an den Senat, aber im Wesentlichen und vornehmlich über den Antrag der Fraktion DIE LINKE, ein inhaltliches und finanzielles Konzept für eine rechtsmedizinische Spurensicherung zu beschließen und auf den Weg zu bringen. Ich sage es gleich vorweg: Wir unterstützen diesen Antrag. Ich möchte mir aber dennoch erlauben, die eine oder andere Bemerkung zusätzlich zu machen.
Den Zeitrahmen bis Anfang 2020 halten wir für sehr sportlich, ein Jahr wäre vielleicht etwas sinnvoller. Das Zweite: Es kann nur um Sexualstraftaten gehen – nicht nur häusliche, sondern sämtliche – und es kann nur um Gewaltstraftaten gehen, die einen persönlichen, häuslichen Bezug haben. Gewalttaten, die anderweitig passieren, die kann man dokumentieren, indem man selbst den Arzt aufsucht und diesem den Tatzusammenhang schildert.
Was ist bisher in Bremen in der Sache vorhanden? Wir haben das anonyme Spurensicherungssystem an den Kliniken. Das läuft seit dem Jahr 2012 und wird eigentlich gut angenommen. Wir müssen dieses System verstärken und insbesondere den Frauen, den Betroffenen, den Geschädigten dieses Mittel gewähren, sich auch dann, wenn sie traumatisiert sind, an eine zuverlässige Stelle zu wenden, die das dokumentiert und das festhält, was ihnen passiert ist, damit sie das auch später noch einmal zur Verwertung bringen können, wenn sie in dieser Phase noch nicht in der Lage sind, dies strafrechtlich anzuzeigen. Das ist ein guter Schritt und dient dem Schutz dieser Frauen.
auch, wenn man sagt, man wolle dadurch die Dunkelziffer weiter erhellen, einen Schritt weiter zu gehen, was in dieser Anfrage und in der Beantwortung nicht gemacht worden ist. Seit dem Jahr 2012 haben wir das. Mich würde wirklich interessieren, wie viele Fälle es in Bremen gegeben hat, in denen Frauen davon Gebrauch gemacht haben. Ich bin etwas skeptisch, ob man dort schon das Offizialprinzip verletzen würde, dass also die Staatsanwaltschaft, wenn sie nur die Zahl nennt, verpflichtet wäre, ein Ermittlungsverfahren einzuleiten, das glaube ich nicht. Wenn Sie das beantworten könnten, wäre das gut.
Das Zweite, was auch nicht gefragt und beantwortet worden ist: Wenn man jetzt auf die Dunkelziffer abstellt, wie viele nachträglich eingeleitete Strafverfahren haben sich aus diesem ASS-System ergeben? Wann haben sich Frauen nach zwei, drei, vier, fünf Jahren wirklich dazu entschlossen, eine Strafanzeige zu stellen und dieses auf den Weg zu bringen? Auch das wäre wichtig zu wissen, damit wir wissen, worüber wir uns hier im Einzelnen informieren und was wir behandeln wollen.