Protocol of the Session on November 25, 2015

(FDP)

Ich stelle fest, die Bürgerschaft (Landtag) lehnt den Antrag ab.

Radikalisierung durch religiös motivierten Extremismus im Land Bremen Große Anfrage der Fraktion der CDU vom 8. September 2015 (Drucksache 19/56) Dazu Mitteilung des Senats vom 13. Oktober 2015 (Drucksache 19/111)

Dazu als Vertreter des Senats Herr Staatsrat Ehmke.

Gemäß Paragraf 29 unserer Geschäftsordnung hat der Senat die Möglichkeit, die Antwort, Drucksache 19/111, auf die Große Anfrage in der Bürgerschaft mündlich zu wiederholen.

Ich gehe davon aus, Herr Staatsrat, dass Sie die Antwort des Senats auf die Große Anfrage der Fraktion der CDU nicht mündlich wiederholen möchten.

Auf die Antwort des Senats auf Große Anfragen folgt eine Aussprache, wenn dies Mitglieder der Bürgerschaft in Fraktionsstärke verlangen.

Ich frage, ob in eine Aussprache eingetreten werden soll.

Das ist der Fall.

Als erster Redner hat das Wort der Abgeordnete Hinners.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Die fürchterlichen Terroranschläge in Paris haben diesen Großen Anfragen und der Mitteilung des Senats dazu eine völlig neue Bedeutung gegeben, denn die meisten religiös motivierten Pariser Attentäter hielten sich schon viele Jahre in Paris oder Belgien auf beziehungsweise waren dort sogar geboren worden.

Das bedeutet, meine Damen und Herren, dass die meisten Attentäter in Frankreich oder Belgien vor den Taten radikalisiert worden sind oder sich dort radikalisiert hatten und in der Lage waren, ohne konkrete Kenntnisse des Staates – und das ist besonders in dieser Situation zu bedenken – ein terroristisches Netzwerk aufzubauen und die Taten im Rahmen einer konzertierten Aktion mit über 130 Toten und vielen Verletzten zu organisieren.

Meine Damen und Herren, wenn wir uns unter diesen Voraussetzungen die Antworten des Senats auf unsere Große Anfrage anschauen, dann müssen wir feststellen, dass insbesondere die Anzahl der 360 Personen, die vom Bremer Verfassungsschutz der salafistischen Szene zugerechnet werden, nach Ansicht der CDU-Fraktion besorgniserregend ist. Die Tatsache, dass dieser Personenkreis vom Alter, vom Geschlecht und der Vita her den Attentätern von Paris ähnelt, lässt erkennen, dass wir in Deutschland und auch in Bremen eine hohe Terrorgefahr konstatieren müssen, denn wie von den Attentätern in Paris bekannt geworden ist, kommen nach Ansicht des Senats auch in Bremen als Motiv für die Radikalisierung – und das

geht aus der Antwort des Senats hervor – die Suche nach Identität und Sinn im Leben sowie innerfamiliäre Probleme, das Bedürfnis nach Halt und Orientierung, gefühlte Diskriminierungserfahrungen, ideologische Verblendung sowie naive Vorstellungen von einer besseren Welt zum Tragen.

(Präsident Weber übernimmt wieder den Vorsitz.)

Wir wissen auch, dass insbesondere die Hassprediger in einigen Moscheen in dieser verfehlten Weltphilosophie eine besondere Rolle spielen.

Eine große Gefahr geht sicherlich von den Personen aus, die nach Syrien oder in den Irak ausgereist sind, um sich dort an kriegerischen Auseinandersetzungen zu beteiligen, sich für den Umgang mit Waffen oder Sprengstoff ausbilden zu lassen um möglicherweise dann irgendwann nach Deutschland zurückzukehren. Immerhin werden beziehungsweise wurden laut Antwort des Senats in Bremen gegen 18 Personen aus diesem Kreis staatsanwaltschaftliche Ermittlungen wegen einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat nach Paragraf 89 a des Strafgesetzbuches geführt; neun davon besitzen die deutsche Staatsangehörigkeit und haben einen Migrationshintergrund, drei besitzen die türkische Staatsangehörigkeit, zwei die syrische und jeweils eine Person die polnische, kroatische sowie serbische Staatsangehörigkeit. Bei vier Personen bestehen hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass sie in Syrien bei Kampfhandlungen ums Leben gekommen sind.

Meine Damen und Herren, auch hier in Bremen gilt: Nicht die aktuellen Flüchtlinge, sondern die hier überwiegend lange in Deutschland oder in Bremen lebenden Personen sind in diesem Zusammenhang besonders zu beobachten! Keine Vorurteile also gegen Flüchtlinge, das ist vollkommen klar, das haben wir an anderer Stelle auch schon deutlich gesagt. Viele von ihnen sind selbst Opfer des Terrors, beispielsweise des IS, der Taliban, von El Kaida, Boko Haram oder der Hisbollah geworden.

Nach Ansicht der CDU-Fraktion müssen insbesondere nach den Anschlägen von Paris die Entwicklung und die Verhaltensmuster der dortigen Täter vor und während der Terroranschläge genauestens von den deutschen und natürlich auch von den bremischen Sicherheitsbehörden analysiert werden. Um im Land Bremen beispielsweise parallele Entwicklungen frühzeitig zu erkennen und eingreifen zu können, müssen der Staatsschutz der Polizei und der Verfassungsschutz personell und materiell besser ausgestattet sowie der Informationsaustausch im Land und im Bund, selbstverständlich auch in Europa, deutlich verbessert werden.

Darüber hinaus müssen aus unserer Sicht die Präventionshandlungen, die an der Stelle eine besonders große Bedeutung haben, deutlich verstärkt werden, denn aus der Antwort des Senats geht hervor, dass sich zwar viele Einrichtungen im Land mit Präventi

onsprogrammen beschäftigen, aber es gibt erstens kaum Projekte, die sich gezielt um den religiös motivierten Extremismus kümmern. Zweitens, es gibt kein Aussteigerprogramm für den Bereich Islamismus. Drittens, die sogenannte Koordinierungsstelle zur Verbesserung der Zusammenarbeit zwischen den Behörden, zivilgesellschaftlichen und religiösen Akteuren zur Verhinderung von Radikalisierung und Extremismus ist immer noch nicht realisiert worden.

(Abg. Frau Vogt [DIE LINKE]: Genau!)

Die CDU-Fraktion fordert deshalb vom Senat, und zwar nicht zuletzt nach den Attentaten von Paris, ein Sofortprogramm zur Verbesserung der personellen und materiellen Ausstattung der Polizei und des Verfassungsschutzes – dazu gibt es eine Vorlage, die der Senat beschlossen hat, sie muss aber noch umgesetzt werden – sowie deutlich verstärkte und insbesondere auch koordinierte Präventionsbemühungen gegen religiös motivierten Extremismus, einschließlich eines Aussteigerprogramms. – Vielen Dank!

(Beifall CDU)

Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Patrick Öztürk.

Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Nach den tragischen Ereignissen in Ankara, Beirut, Paris und Bamako erhält die vorliegende Antwort auf die Große Anfrage leider eine hohe Aktualität. Die Frage, die sich förmlich aufdrängt, ist: Wie kann ein Rechtsstaat Sicherheit gewährleisten, wenn er von innen heraus gefährdet wird?

Zunächst einmal gebührt es sich, denjenigen Polizistinnen und Polizisten und den Staatsmitarbeiterinnen und Staatsmitarbeitern, die sich tagtäglich für unsere Sicherheit einsetzen, einen großen Dank auszusprechen.

(Beifall SPD, CDU, Bündnis 90/Die Grünen)

Ebenso gebührt es sich, unsere Leute mit einer angemessenen Ausrüstung auszustatten, weshalb die Entscheidung des Senats, eine Million Euro in die Ausrüstung unserer Polizei zu investieren, absolut richtig ist.

(Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen)

Sicherlich wird mit Blick auf die Haushaltsberatungen eine Diskussion über die Personalausstattung der Sicherheitsbehörden notwendig, so wie es auch auf Bundesebene passiert ist, wo man sich dafür ausgesprochen hat, die Bundespolizei ab 2016 mit einer zusätzlichen Personaldecke auszustatten.

Gleichwohl macht die Antwort auf die Große Anfrage aber auch deutlich, dass innere Sicherheit nicht nur

mit mehr Personal und einer besseren Ausstattung zu haben ist, sondern zu einem gesellschaftlichen Thema geworden ist, denn wenn man sich die Ursachen für Radikalisierungsprozesse anschaut, wie Herr Hinners das schon erwähnt hat, stellt man fest, die Rede ist unter anderem von der Suche nach einem Sinn im Leben, von Bedürfnissen nach Halt und Diskriminierungserfahrungen. Gerade Letzteres macht deutlich, dass es jetzt an der Zeit sein sollte, Geschlossenheit in der Gesellschaft zu demonstrieren, und zwar mit allen Religionsgemeinschaften, dies auch einzufordern, denn das sind die wahren Charakterzüge unserer freien Demokratie. Wer versucht, einen Keil zwischen Muslime in Deutschland und die restliche Gesellschaft zu treiben, der betreibt dasselbe Spiel wie die Terroristen, meine Damen und Herren!

(Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen)

Das bedeutet, dass wir Menschen, die den Terrorismus und den Islam in der Hoffnung vermengen, weiterhin Missmut und Unsicherheit in unserer Gesellschaft zu schüren, aufs Schärfste verurteilen. Sicherlich ist es wichtig und notwendig, genau zu wissen, wer sich in unserem Land aufhält. Das bestreitet auch niemand. Flüchtlinge, die vor dem Krieg in Syrien und dem Irak fliehen, sind aber nicht die Bedrohung, sondern sie fliehen vor dieser Bedrohung und müssen vor ihr beschützt werden.

(Beifall SPD)

Im Sinne eines präventiven Ansatzes ist stattdessen von Bedeutung: Wir müssen begreifen, dass weiche Maßnahmen wichtig sind, die Orientierung suchenden jungen Leuten, bei denen die Gefahr besteht, sich von der Gesellschaft zu distanzieren, dabei helfen, sich für den richtigen Weg zu entscheiden. Das bedeutet auch, mehr zu investieren in Integrationsarbeit und Jugendarbeit, diese offensiver zu betreiben. Das bedeutet, mehr zu investieren in die sozialen Brennpunkte und die entsprechenden Unterstützungsangebote, denn jeder Jugendliche, der uns verlorengeht, meine Damen und Herren, ist einer zu viel und ein herber Verlust für unsere Gesellschaft!

(Beifall SPD)

Dazu gehört es auch, belegbare Ausgrenzungserfahrungen von Jugendlichen und insbesondere von Musliminnen und Muslimen in unserem Land ernst zu nehmen, diesen entgegenzuwirken und ihnen gezielt Perspektiven aufzuzeigen, zum Beispiel mithilfe von guten Jugendberufsagenturen.

Wir müssen einen Diskurs über Werteerziehung und Wertevermittlung im Generellen, aber auch im muslimisch-religiösen Kontext führen. Das geht nur, wenn wir auf die muslimischen Verbände zugehen, sie anerkennen und bei der Entwicklung hierauf eingehen

de Strategien einbeziehen, so wie es das Projekt „Pro Islam“ in Kooperation mit der Schura Bremen vormacht, denn das beste Mittel gegen Extremismus, meine Damen und Herren, ist es, ihm den Nährboden zu entziehen. Insofern ist es auch erfreulich zu lesen, dass das Land Bremen die Koordinierungsstelle zur Prävention religiös begründeter Radikalisierung um Muslimfeindlichkeit erweitert.

Auch die Fortbildungen zu dem Thema an Schulen werden gut ausgewählt und sind – das habe ich persönlich vor Kurzem erfahren dürfen – auch inhaltlich sehr gewinnbringend.

Die Arbeit des Beratungsnetzwerkes kitab, von Ufuq und die Sozialarbeit von VAJA sind dabei sicherlich wichtige Bausteine. Es ist daher umso wichtiger, zu gewährleisten, dass diese Projekte über den 31. Dezember 2015 hinaus nicht nur beibehalten, sondern auch ausgeweitet werden.

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen)

In diesem Zusammenhang sind auch sozialpädagogische Arbeit im Internet sowie die Sozialarbeit in den Justizvollzugsanstalten wichtige Komponenten, die es auf- oder auch auszubauen gilt.

Weiter zu erkennen ist, dass es gestiegene Anfragen zu diesem Thema auch in den ReBUZ gegeben hat und dort zunehmender Handlungsbedarf besteht, weswegen die personelle Aufstockung der ReBUZ absolut angezeigt und richtig ist.

Dies macht auch deutlich, dass Schule in diesem Zusammenhang ein sehr wichtiger Ort ist, an dem verstärkt die Erziehung und die Persönlichkeitsentwicklung im Kontext von Religion und gesellschaftlichen Werten fokussiert werden muss, denn wenn Schule dies nicht beeinflusst, dann beeinflusst dies jemand anderes. Wir müssen daher unsere Schulen stärker auf diese Anforderungen ausrichten, auch mehr muslimische Lehrkräfte für unsere Schulen gewinnen, mehr Sozialpädagogen – das brauche ich nicht extra zu sagen – und die Diskussion um eine Neuausrichtung des Religionsunterrichts führen.

Dabei möchte ich es erst einmal belassen. – Ich bedanke mich recht herzlich für Ihre Aufmerksamkeit!

(Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen)

Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Zicht.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Bremen ist eine Hochburg des Salafismus. Wenn das Landesamt für Verfassungsschutz recht hat, haben wir circa 360 Angehörige der salafistischen Szene in Bremen. Angeblich acht Personen sind nach Bremen zurückgekehrt, nachdem sie in ein Terrorcamp nach Syrien gereist waren oder reisen wollten.