Protocol of the Session on February 28, 2019

Wenn man die Folgen von Kinderarmut aus der Sicht des Kindes betrachtet, und ich habe mir angewöhnt, in Fragen des Kindeswohls, bei all diesen Fragen, diese so zu stellen, was für die Kinder das Beste und was für die Kinder richtig ist. Da hat man sicherlich im Laufe der Geschichte, auch der Pädagogikgeschichte, heute andere Maßstäbe als vielleicht noch vor 100 Jahren. Aber Armut ist immer eine Geißel gewesen und ein sehr großes Problem.

Ich glaube, dass wir in der Frage, wie wir das Problem auflösen können, mit der Grundsicherung gar nicht so weit auseinander liegen. Ich glaube, dass der Weg nur so sein kann. Man muss dann aber gerechterweise sagen, dass wir für eine Änderung in diese Richtung eine Bundesgesetzgebung brauchen. Das können wir von Bremen aus allein nicht hinbekommen. Genau das sagt im Übrigen der Bericht aus dem Sozialressort, dass man auf Bundesebene in einer Arbeitsgruppe der Sozialminister und -senatoren arbeite, um in der Bundesrepublik zu einer einheitlichen Lösung zu kommen.

Das zu unterstützen finde ich richtig, finde ich notwendig, und ich glaube, dass man immer auch fragen kann, welche Probleme wir denn im Land Bremen lösen können. Da haben wir vieles probiert. Wir haben das mit der blauen Karte, mit der Teilhabe probiert, wir haben relativ viele Maßnahmen beschlossen und auch durchgeführt. Ich habe den Eindruck, dass der Kern der Kinderarmut an der Stelle aber tatsächlich nicht aufzubrechen ist. Teilhabe kann man organisieren, das machen wir sogar einigermaßen erfolgreich, aber am Ende des Tages ist Kinderarmut im Grunde genommen die Armut der Eltern.

Deswegen gibt es für uns zum Beispiel zu der Frage einen unmittelbaren Zusammenhang, wie hoch eigentlich der Mindestlohn ist. Ich finde die aktuelle Forderung richtig, dass er auf zwölf Euro erhöht werden muss, das finde ich wegweisend. Das hilft gerade den Familien, die Kinder haben, Kinder großziehen und den Kindern Gutes tun wollen, das tatsächlich tun zu können. Ich unterstelle keinen Eltern, dass sie das nicht wollen, dass sie ihren Kindern nicht die nötige Aufmerksamkeit, Unterstützung, die nötigen Hilfen et cetera geben wollen. Aber wenn die finanziellen Ressourcen dafür nicht da sind, dann hat man natürlich ein großes Problem. Deswegen glaube ich, dass wir insbesondere in den Bereichen der Löhne und der Bezahlung für Arbeit eine deutliche Verbesserung bräuchten.

Wir haben in Bremen nach wie vor, – man muss nicht so tun, als sei das Armutsproblem ein ganz isoliertes, – über 600 Kindern, die in Obhut genommen werden müssen, weil es in den Familien nicht geht. Das ist für mich eine unerträglich hohe Zahl. Ich glaube, dass der Ansatz, Familien zu helfen, nicht nur finanzieller Art sein darf, sondern immer auch eine soziale und psychosoziale Hilfestellung anbieten muss. Das ist allein über die Frage des Geldes nicht zu entscheiden und nicht hinzubekommen.

Ich bin fest davon überzeugt, dass das eine Aufgabe ist, bei der man in all den Fragen, wie Grundsicherung ja oder nein, am Ende des Tages immer auch Geld in die entsprechenden sozialen Strukturen geben muss, damit man das leisten kann. Das heißt, wir brauchen gut ausgestattete Kitas, wir brauchen gut ausgestattete Grundschulen. Das alles brauchen wir, und das alles gehört im Grunde genommen dazu, den Kindern, die in Armut leben, zu helfen.

(Beifall SPD)

Lassen Sie mich kurz etwas sagen: Ich bin sonst kein begeisterter Anhänger davon, Studien zu zitieren, aber ich finde die Studie der BertelsmannStiftung zu Bedarfen von Kindern und Jugendlichen in Deutschland dieses Mal ausnehmend gut, weil die tatsächlich Kinder und Jugendliche befragt haben, was diese glauben, zu entbehren und zu benötigen. Das kann man sehr gut in dieser Studie nachlesen, ich will das hier nicht alles vortragen. Ich will aber sagen, dass mich erschüttert, dass es wenige Kinder gibt, die Hunger, also nicht genug zu essen haben, aber es Kinder gibt, die nicht genug zu essen bekommen.

(Abgeordnete Dr. Schaefer [Bündnis 90/Die Grü- nen]: Das stimmt!)

Und das wird in dieser Studie auch klar. Das müsste uns eigentlich alle in hohem Maße aufrütteln.

Um das noch in einem Satz zu sagen: Den Antrag der FDP-Fraktion, dessen Fragen schon im Mai 2017 das erste Mal verhandelt worden sind, zwei Tage vor der Sitzung einzureichen, finde ich ein wenig absurd, aber das nur am Rande. Ich glaube, dass ein neuer Begriff mit Chancen oder Ähnlichem die Diskussion eher verwirrt als befördert.

(Abgeordnete Bergmann [FDP]: Ein neues Kon- zept, kein neuer Begriff!)

Ich würde mir wünschen, dass Sie auf allen Ebenen Ihrer politischen Möglichkeiten dafür sorgen, dass wir ein vernünftig austariertes Grundeinkommen und eine Kindergrundsicherung bekommen. Ich wäre glücklich, wenn uns das gelänge. In dem Sinne sollten wir alle hier im Hause weiterarbeiten. – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit!

(Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen)

Als nächste Rednerin hat das Wort die Abgeordnete Ahrens.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Bei 35 000 Kindern in Armutsverhältnissen hier im Lande Bremen ist das Thema Kinderarmut eines der dringendsten Probleme in Bremen, das uns als CDU-Fraktion auch schon lange umtreibt. Während Sie 2013 die von uns geforderte Enquetekommission zum Thema Armut noch ablehnten, ließen Sie sich 2014 zu dem von der CDU angeregten und letztlich gemeinsam getragenen Armutsausschuss überzeugen. Dieser Armutsausschuss hat uns noch einmal in unserer Auffassung bestätigt, das hat Herr Möhle auch schon gesagt, arme Kinder sind arm an Chancen und nicht nur arm an Geld. Armut begünstigt politische und gesellschaftliche Teilnahmslosigkeit. Silke Hellwig stellte heute im Weser Kurier nüchtern fest, eine gewählte Landesregierung hat die Pflicht und Schuldigkeit, allen Landeskindern eine solide Bildung angedeihen zu lassen, die sie zur Teilhabe und Selbstbestimmung befähigen.

Das sehen wir als CDU-Fraktion genauso. Der Armutsausschuss unter der Führung von Dr. vom Bruch bestätigte, dass es politische Versäumnisse in Bremen gab, die die Armut begünstigt haben. Er

beschloss insgesamt 88 von allen Fraktionen getragene Verbesserungsmaßnahmen. Maßnahmen, die zum größten Teil immer noch nicht vom Senat umgesetzt wurden, wie wir abgefragt haben, genauer gesagt, die Fraktion DIE LINKE. Diese Missachtung der Legislative und dieser halbherzige Kampf hier vor Ort gegen die Armut in Bremen kann uns alle hier gemeinsam nicht zufriedenstellen.

(Beifall CDU, BIW)

Denn wir alle, die wir hier in diesem Hause sitzen, haben gemeinsam diese 88 Maßnahmen beschlossen, nur umgesetzt hat es der rot-grüne Senat nicht. In der von der Sozialdeputation durchgeführten Anhörung zur Einführung einer Kindergrundsicherung wurde uns von Professor Dr. Holger Bonin der Universität Kassel ebenso wie von Dr. Irene Becker eindrucksvoll dargelegt, dass keines der derzeit vorgestellten Modelle wirklich in der Praxis schon funktionieren würde. Entweder es ist überhaupt nicht finanzierbar oder es befindet sich in einem Ideen- beziehungsweise Skizzenstadium ohne wirkliche Umsetzungsreife. Sein Appell, die bisherigen Leistungen, die von vielen verschiedenen Dienststellen ausgezahlt werden, zu bündeln und durch eine Behörde auszuzahlen, also die Harmonisierung in einem System, hat uns dagegen überzeugt. Auch dass es eine Umstellung von einem Antragsverfahren hin zu einer automatischen Gewährung geben muss, finden wir als CDU-Fraktion richtig, weil es die Dunkelziffer, die Sie auch noch einmal dargestellt haben, automatisch vermeidet.

(Abgeordnete Leonidakis [DIE LINKE]: Das wider- spricht sich doch!)

Wir wollen, dass alle gesetzlich beschlossenen Leistungen auch alle betroffenen Familien erreichen, schnell, unbürokratisch und zu 100 Prozent.

(Beifall CDU)

Das unterstützen wir, wobei uns die Beachtung folgender drei Punkte wichtig ist. Wir brauchen auch weiterhin eine Art Bedürftigkeitsprüfung, damit die Hilfe direkt bei denen ankommt, die sie brauchen. Die Zahlung einer solchen zusammengefassten Leistung darf keine falschen Anreize setzen. Beispielsweise müssen Alleinerziehende auch weiterhin einen Anreiz haben, einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung nachzugehen, damit sie nicht später mit Altersarmut konfrontiert werden.

(Zuruf Abgeordnete Leonidakis [DIE LINKE])

Wer arbeitet und über den Bezugsgrenzen liegt, muss auch weiterhin den verfassungsrechtlich garantierten Steuerfreibetrag erhalten. Einige Systeme und Modelle von den 14, die derzeit diskutiert werden, wollen das verändern. Wie die Anhörung ergab, gibt es auch Reformbedarf in Bezug auf einzelne Leistungen, damit sie nicht in bestimmten Fallkonstellationen, zum Beispiel bei Arbeitsaufnahmen, die Bezieher bestrafen. Hier müssen wir auch aus Sicht der CDU-Fraktion vorankommen. Wir bitten um getrennte Abstimmung in Punkt zwei des Deputationsantrags. Leider wurde hier so undifferenziert von einer Kindergrundsicherung gesprochen, dass Frau Stahmann jegliche der 14 derzeit existierenden Lösungsvorschläge der NGOs plus denen der verschiedenen Parteien, vollumfänglich weiterverfolgen könnte.

Das sehen wir als CDU-Fraktion differenzierter und hatten um eine Klarstellung gebeten, die leider damals in der Deputation nicht erfolgte. Nicht alles halten wir wirklich für ausgereift oder finanzierbar. Deswegen lehnen wir die Anträge der FDP-Fraktion und der Fraktion DIE LINKE auch ab, wie voraussichtlich auch gleich die Mehrheit des Hauses. Das heißt aber nicht, meine Damen und Herren, um das noch einmal deutlich zu sagen, dass wir gegen eine Kindergrundsicherung sind. Wir sind uns nur an der Stelle, weil jedes dieser verschiedenen vorgestellten Modelle das anders definiert, noch nicht sicher, ob wir wirklich immer das Gleiche unter Kindergrundsicherung verstehen.

(Abgeordneter Prof. Dr. Hilz [FDP]: Dann machen Sie doch einmal einen eigenen Vorschlag! Das wäre doch einmal etwas!)

Da wollen wir keine absolute Blackbox beschließen. – Danke schön!

(Beifall CDU)

Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Dr. Buhlert.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! Niemand kann angesichts von Kinderarmut ruhig bleiben und ruhigen Gewissens schlafen. Wir sind alle aufgefordert, etwas dagegen zu tun, und wir sind auch bereit, etwas dagegen zu tun. Es ist schon angeklungen, es ist kein Problem, das man auf Bremer Ebene lösen muss. Auf Bremer Ebene kann man Politik machen, das haben wir an anderer Stelle diskutiert, die dafür sorgt, dass Eltern mehr verdienen,

(Abgeordneter Rupp [DIE LINKE]: Genau das hö- ren wir seit fünfzig Jahren!)

dass Eltern in Arbeit kommen, dass Wirtschaftswachstum vorhanden ist, dass Arbeitsplätze in größerer Menge entstehen und dass deswegen nicht das Risiko besteht, weil die Eltern arm sind, dass die Kinder arm sind, und dass Arbeitsplätze geschaffen werden.

(Beifall FDP – Zuruf Abgeordneter Rupp [DIE LINKE])

Das ist der eine Punkt. Der andere Punkt ist, dass man sich darüber unterhalten muss, welcher Betrag an Grundsicherung gegeben werden muss. Wir als Freie Demokraten haben gesagt, es ist in der Tat kurzfristig, aber auch weil auf Bundesebene das Konzept erst kurzfristig fertig geworden ist, man muss es auch auf Bundesebene lösen. Wir wollten sagen, wie wir uns das vorstellen. Deswegen haben wir uns entschieden, einen Antrag einzubringen, auch auf die Gefahr hin, dass er so kurzfristig nicht alle überzeugt. Die Debatte wird aber weitergehen, weil es nicht hier entschieden wird, sondern im Bund.

(Beifall FDP)

Wir wollen ein Kinderchancengeld. Das ist Teil unseres liberalen Bürgergeldkonzepts, und über solche Konzepte zur Grundsicherung werden wir reden. Das ist nicht ein Grundbetrag, der allen das Gleiche gibt, sondern er besteht aus einem Grundbetrag, der automatisch, wie auch von der CDU gefordert, ausgezahlt werden soll, einfach dadurch, dass das Kind seine Geburtsurkunde bekommt und dann die Familienkasse automatisch weiß, dass sie mit der Zahlung starten soll.

Dass das Ganze dann von den Sorgeberechtigten und Eltern verwaltet wird, versteht sich wegen deren Geschäftsfähigkeit und der Nichtgeschäftsfähigkeit der Kinder von selbst; dazu aber ergänzt durch einen flexiblen Betrag, der sich unterscheidet, der die Leistungen von Wohngeld und so weiter umfasst. Diese Leistungen sind nicht an allen Orten gleich, in München und Bremen können nicht die gleichen Sätze gezahlt werden. Am Ende haben wir ein Chancenpaket, das leichter und flexibler von den Eltern, Kindern und Jugendlichen abgerufen werden kann, um auch diese Leistung in Anspruch zu nehmen, dadurch dass man das Ganze entbürokratisiert. Diese drei Säulen sind es, die wir wollen. Warum wollen wir sie? Weil wir natürlich das Geld den Kindern direkt geben wollen

und nicht mehr einen Anspruch einer Bedarfsgemeinschaft sehen.

Wir glauben, Kinder haben ein eigenes Recht auf eigene Ausstattung, die dann natürlich von den Sorgeberechtigten verwaltet wird, aber einen eigenen Anspruch und müssen nicht mehr in der Bedarfsgemeinschaft verrechnet werden.

(Beifall FDP)

Das ist eine neue Idee, dass die Kinder einen eigenen Anspruch haben und dann genau geschaut wird, was brauchen die Kinder, und sie nicht wie kleine Erwachsene verrechnet werden und genau hingeschaut wird, wer, was, wie verdient, was dazuverdient wird und so weiter. Das ist übrigens auch noch ein Aspekt bei uns, dass wir die Chancen verbessern wollen, besser gesagt, die Möglichkeiten, Geld zu behalten von dem, was man dazuverdient, gerade für Jugendliche in Ferienarbeit und in solchen Phasen ist das eine Motivation.

Ansonsten wollte ich noch einmal darauf hinweisen, dass wir dieses Konzept mit dem Bürgergeld auch deswegen vorschlagen, weil unser bisheriges System immer wieder nur die bekannten Maßnahmen verändert. Da wird dann überlegt, wie viel mehr Kindergeld, wie viel mehr Euro an dieser Stelle und an jener Stelle.

Ich glaube, man muss in diesem System wirklich auch einmal den gordischen Knoten durchschlagen. Es ist so, und das ist das Erschreckende, wenn Sie als Alleinerziehende oder als Paar ein gemeinsames Einkommen von 2 000 auf 2 500 Euro im Monat steigern, was wahrlich mit Kindern nicht viel ist, verdienen Sie am Ende weniger oder bekommen Sie weniger, weil dann etliche Sozialleistungen wegfallen. Das ist ein negativer Anreiz zur Beschäftigungsaufnahme. Solche Knicke im System, wie sie immer wieder in den Studien dargestellt wurden, in der Anhörung und an anderen Stellen, solche Knicke im System können wir uns nicht leisten. Es muss jeder Euro, der von einer Familie mehr dazuverdient wird, dazu führen, dass auch mehr bei dieser Familie ankommt.

(Beifall FDP)

Da ist unser gesamtes Transfersystem wirklich kontraproduktiv. Das müssen wir ändern. Wenn wir uns an dieser Stelle auf Bundesebene einig werden, würde ich mich sehr freuen. Das dient dazu, dass Menschen einen Anreiz haben, eigene Arbeit aufzunehmen und sich nicht überlegen,

lohnt sich das überhaupt oder mache ich das nur, weil ich ein Vorbild für meine Kinder sein will? Diese Menschen gibt es ja auch, die sagen, ich weiß zwar, dass ich dann weniger verdiene, aber ich will Vorbild für meine Kinder sein, ich will ihnen zeigen, dass man für den eigenen Lebensunterhalt arbeiten muss. Diese Menschen haben unsere Anerkennung verdient. Sie hätten es aber auch verdient,

(Glocke)

dass wir an dieser Stelle das Sozialsystem ändern, damit es nicht diese negativen Leistungsanreize gibt. – Danke schön!

(Beifall FDP)