Die Bürgerschaft (Landtag) lehnt das Gesetz in erster Lesung ab. Damit unterbleibt gemäß § 35 Satz 2 der Geschäftsordnung jede weitere Lesung.
Nachträglich wurde interfraktionell vereinbart, die miteinander verbundenen Tagesordnungspunkte 6 und 7 nach den miteinander verbundenen Tagesordnungspunkten 12 und 13 aufzurufen.
Kinderarmut bekämpfen, Familienförderung vom Kopf auf die Füße stellen: Kindergrundsicherung einführen! Antrag der Fraktion DIE LINKE vom 9. Mai 2017 (Neufassung der Drucksache 19/1049 vom 4. Mai 2017) (Drucksache 19/1056)
Kinderarmut bekämpfen, Familienförderung vom Kopf auf die Füße stellen: Kindergrundsicherung einführen! Bericht und Antrag der staatlichen Deputation für Soziales, Jugend und Integration vom 5. Dezember 2018 (Drucksache 19/1949)
Kinderchancengeld einführen – Kinderarmut aktiv bekämpfen! Antrag der Fraktion der FDP vom 26. Februar 2019 (Drucksache 19/2062)
Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Schade, dass der Raum noch so leer ist und die Senatsbank auch noch nicht gefüllt ist. Das Thema
ist nämlich wichtig. Es geht um das Thema Kinderarmut. Ich glaube, das müsste uns alle hier in Bremen ganz besonders interessieren.
Wir von der Fraktion DIE LINKE haben uns bereits zu Anfang dieser Legislaturperiode auf den Weg gemacht, Wege aus der Kinderarmut zu suchen, und auch davor schon im Armutsausschuss unter anderem dazu gearbeitet. Wir haben uns mit Expertinnen und Experten beraten, wir haben eine Fachkonferenz in Gröpelingen zu kommunalen Ansätzen der Kinderarmutsbekämpfung und auf Bundesebene durchgeführt. Wir haben den Antrag eingereicht, den wir heute beraten, und zwar schon im Mai 2017, der dann in die Deputation für Soziales, Jugend und Integration überwiesen wurde. Dort wiederum haben wir eine Anhörung mit vielen Experten durchgeführt, die aus dem Bundesgebiet angereist sind. Jetzt ist dieser Antrag zurück im Plenum und es hängt ziemlich viel Arbeit daran. Ich finde, die verdient das Thema Kinderarmut auch.
Bremen ist mit 33,1 Prozent nach wie vor trauriger Spitzenreiter im Ländervergleich. 35 000 arme Kinder, das sind 35 000 zu viel.
Bundesweit wird von bis zu 4,4 Millionen Kindern in Armut gesprochen und diese schockierenden Zahlen sind ein Armutszeugnis für die viertgrößte Weltwirtschaft, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Die Kinderarmut ist neben Altersarmut die Gerechtigkeitsfrage unserer Gesellschaft. Ich muss sagen, hierzulande herrscht Ungerechtigkeit. Paare mit Kindern sind in Deutschland doppelt so häufig armutsbetroffen wie Paare ohne Kinder. Einelternfamilien, immerhin jede vierte Familie in Bremen, haben die mit Abstand höchste Armutsquote überhaupt. In Bremen befinden sich 56 Prozent der rund 17 000 Alleinerziehenden im SGB-II-Bezug und davon wiederum 60 Prozent über vier Jahre. Diese jahrelangen Armutslagen bedeuten für die Kinder, dass ihre Zukunftsaussichten von Anfang an trübe sind. Wenn in Gröpelingen nur eins von sieben Kindern das Abitur schafft, während es in Schwachhausen sechs von sieben Kindern sind, wenn arme Kinder eine acht Jahre kürzere Lebenserwartung
haben, dann kann man hier nicht mehr von Einzelschicksalen sprechen. Dann haben wir ein Problem im System.
Dieses System muss geändert werden. Nach wie vor werden Kinder in den Sozialsystemen wie kleine Erwachsene behandelt. Sie bekommen dann noch das Bildungs- und Teilhabepaket dazu, aber diese zehn Euro für Nachhilfe zum Beispiel reichen natürlich vorn und hinten nicht. Selbst diese Leistungen aus dem Bildungs- und Teilhabepaket kommen bei Weitem nicht bei allen Kindern in Bremen an. Wir haben das abgefragt und in Bremerhaven, der Kommune mit der bundesweit höchsten Armutsquote mit über 40 Prozent unter den Kindern, bekommen 60 Prozent der leistungsberechtigten Kinder keine Leistungen nach dem Bildungs- und Teilhabepaket. Das heißt, wir haben hier extreme Versorgungslücken. Das kann nicht sein, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Dazu gibt es natürlich noch die versteckte Armut der Kinder, die aus Familien kommen, die zum Beispiel Anrecht auf den Familienzuschlag haben, ihn aber nicht beantragen. Wir haben hier diese Lücken und die wollen wir mit der Kindergrundsicherung schließen, denn die armutsbetroffenen Kinder bezahlen ja für das politische Versagen dabei, an dieser Stelle Abhilfe zu schaffen. Sie bezahlen mit ihrer Zukunft, mit ihrer Gesundheit, mit schlechten Arbeitsbedingungen in der Zukunft. Das ist ungerecht und das ist aber politisch gewollt.
Es ist ja zumindest bis heute nicht geändert. Wir haben bei den staatlichen Familienleistungen eine starke Ungerechtigkeit. Wir haben den Kinderfreibetrag, der wohlhabende Familien mit bis zu 300 Euro im Monat entlastet, während die Familien mit mittlerem oder niedrigem Einkommen das Kindergeld in Höhe von 204 Euro bekommen, und die armen Familien, nämlich die im Leistungsbezug, bekommen genau das wieder abgezogen. Das ist doch ungerecht.
Zu Recht regte sich eine Mutter auf unserer Armutskonferenz darüber auf, dass die zehn Euro oder die zwei Euro Kindergelderhöhung, die ohnehin schon lächerlich sind, bei ihr noch nicht einmal
ankommen. Damit spart man nämlich bei den Ärmsten der Gesellschaft. Das ist ein Unding und genau das wollen wir stoppen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn die Fraktion der FDP in ihrem Antrag genau das beklagt, dann beschweren Sie sich bitte bei Ihrer Bundespartei. Es war nämlich die schwarz-gelbe Koalition, die die Anrechnung des Kindergeldes auf den Hartz-IV-Betrag eingeführt hat und das ist absolut unsoziale Politik.
(Beifall DIE LINKE – Abgeordneter Dr. Buhlert [FDP]: Deshalb wollen wir es auch wieder abschaf- fen!)
Ich glaube, wir sind uns alle einig, denn dass die eklatante Kinderarmut in unserem Land ein Problem ist, das wissen wir alle.
Es wird regelmäßig Mitgefühl geheuchelt. Die Frage ist, was eigentlich daraus folgt. Herr Dr. Sieling hat sich für eine Kindergrundsicherung ausgesprochen. Er meint damit aber die Zusammenfassung bestehender Leistungen. Das wollen wir nicht. Wir wollen eine echte Kindergrundsicherung, die bei allen ankommt, in Höhe von 573 Euro. Andere Verbände haben eine Höhe von 619 Euro errechnet. Das sind tatsächlich an reellen Existenzkosten errechnete Beträge. Wir wollen das Geld aber nicht mit der Gießkanne verteilen, sondern wir wollen, dass dieses Geld in voller Höhe bei den armen Familien ankommt und dann mit zunehmendem Familieneinkommen abschmilzt. Das ist sozial, liebe Kolleginnen und Kollegen. – Danke!
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit Verlaub, die Bemerkung, dass das gewollt sei, die weise ich dann doch entschieden zurück.
Ich glaube, es gibt hier im Hause niemanden, den der hohe Anteil der Armut, insbesondere bei Kindern und alleinerziehenden Frauen unberührt lässt.
Ich fange einmal anders an. Ich möchte gern aus den Kinderrechten zitieren. In Artikel 2 heißt es: „Alle Kinder haben die gleichen Rechte, kein Kind darf benachteiligt werden.“ Dann heißt es: „Kinder haben das Recht, bei allen Fragen, die sie betreffen, mitzubestimmen und zu sagen, was sie denken.“ Das sind Artikel 12 und 13. „Kinder haben das Recht, gesund zu leben, Geborgenheit zu finden und keine Not zu leiden.“ Das ist Artikel 24. Allein diese drei Artikel weisen ganz deutlich darauf hin, dass wir an der Frage gründlich weiterarbeiten müssen. Niemand kann wollen, dass es Kindern in diesem Land schlecht geht. Den Vergleich zu ziehen und zu sagen: Eigentlich ist es eine Gesellschaft, die reich ist, und auf der anderen Seite diese Kinderarmut zu ertragen, das kann ich auch nicht. Ich kann das, ehrlich gesagt, kaum ertragen.
Wenn man die Folgen von Kinderarmut aus der Sicht des Kindes betrachtet, und ich habe mir angewöhnt, in Fragen des Kindeswohls, bei all diesen Fragen, diese so zu stellen, was für die Kinder das Beste und was für die Kinder richtig ist. Da hat man sicherlich im Laufe der Geschichte, auch der Pädagogikgeschichte, heute andere Maßstäbe als vielleicht noch vor 100 Jahren. Aber Armut ist immer eine Geißel gewesen und ein sehr großes Problem.