Ich sage jedoch noch einmal in aller Deutlichkeit: Ich habe nie gesagt, dass alleine die strafrechtliche Bewertung für ein politisches Handeln ausreichend ist, sondern es gibt auch immer eine politische Verantwortung, und beides zusammen werden wir auch wahrnehmen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, bevor ich den nächsten Tagesordnungspunkt aufrufe, begrüße ich auf der Besuchertribüne recht herzlich Studierende der Masterstudiengänge „Komplexes Entscheiden“ und „Entscheidungsmanagement“ der Universität Bremen und Studierende des ersten Semesters „Internationaler Studiengang Politikmanagement“ der Hochschule Bremen. Seien Sie herzlichen willkommen!
Antisemitismus im Land Bremen entschlossen bekämpfen Mitteilung des Senats vom 4. September 2018 Drucksache 19/1808
Sehr geehrter Herr Präsident, sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen, liebe Gäste! Wir führen die Debatte heute einen Tag vor dem 9. November,
weil wir morgen nicht tagen, uns aber an der Dechanatstraße wie immer zu unserer Gedenkveranstaltung treffen, und ich möchte der Fraktion DIE LINKE – Ihr seid dieses Mal an der Reihe, oder? – vorab schon einmal für die Ausrichtung der diesjährigen Gedenkveranstaltung danken.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, der jüngste Anschlag auf die Synagoge in Pittsburgh – viele werden sich noch daran erinnern – ist noch nicht lange her. Er hat uns wieder einmal erschreckend vor Augen geführt, wie tödlich Antisemitismus sein kann. Dieser Anschlag war ein scheußliches Verbrechen, das allerdings im Anschluss in sozialen Netzwerken scheußlich gefeiert wurde. Hier haben wir schon ganz offensichtlich das erste Problem, mit dem wir aktuell intensiv zu tun haben, denn all diejenigen, die solch einen Anschlag oder andere offen antisemitische Handlungen im Netz feiern, gehören strafrechtlich verfolgt, liebe Kolleginnen und Kollegen!
Der zunehmende Antisemitismus im Netz ist inzwischen leider genauso Alltag wie der zunehmende Antisemitismus auf der Straße. Wir alle kennen die Filme, die in den letzten Monaten auf YouTube online gegangen sind. Antisemitismus ist auch in Deutschland wieder alltäglich, er kommt täglich vor. Davon können all diejenigen ein Lied singen, die mit Kippa oder Davidstern um den Hals zum Beispiel Straßenbahn fahren.
Seit gestern wissen wir durch die Studie aus Leipzig, wie grassierend neuer Antisemitismus, alter und neuer Antisemitismus inzwischen wieder sind. Der Satz in einer Umfrage, Juden sind eigentümlich und passen nicht zu uns, wird in Westdeutschland von 26 Prozent der Menschen unterstützt und in Ostdeutschland gar von 39 Prozent. Das ist nicht hinnehmbar, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Dass wir dies nicht hinnehmen wollen, haben wir hier in unserer Debatte im Januar schon sehr deutlich gemacht. Wir haben dem Senat damals in einem Antrag einige Aufgaben mitgegeben. Heute debattieren wir den Bericht des Senats, der uns seit dem Sommer vorliegt. Ich möchte mich an dieser Stelle wirklich ausdrücklich und von Herzen für diesen wirklich gehaltvollen Bericht bedanken.
Dieser Bericht macht erstens deutlich: Wir tolerieren Antisemitismus in Bremen und Bremerhaven nicht, in keiner seiner Ausprägungen, weder von rechts noch von links – vermeintlich links –, noch aus irgendwelchen vermeintlich kulturellen Hintergründen.
Zweitens: Wir unterbinden jegliche Versuche von antisemitischen Organisationen, sich in Bremen niederzulassen. Dass wir das unterbinden, ist dem Bericht zu entnehmen. Das tun wir auch relativ erfolgreich. Daran werden wir auch weiter arbeiten.
Drittens: Wir unterbinden künftig verstärkt jegliche Versuche, antisemitische Veranstaltungen in öffentlichen Gebäuden anzubieten oder durchführen zu lassen. Das ist mir ein besonders wichtiger Punkt, weil ich schon in diversen Veranstaltungen in öffentlich finanzierten Gebäuden saß, auf denen antisemitische Stereotype verbreitet wurden.
Viertens: Wir verharmlosen antisemitische Schmierereien nicht als Meinungsäußerung, schon gar nicht im öffentlichen Raum oder an Synagogen, sondern betrachten sie als das, was sie sind, als Straftaten, die verfolgt werden müssen.
Wir führen antisemitische Straftaten als eigene Kategorie ein, um Klarheit zu schaffen und angemessen reagieren und natürlich intervenieren und bestrafen zu können. Wir führen diverse gute, altbewährte und auch neue, Fortbildungsveranstaltungen für Polizei, Justiz und pädagogische Fachkräfte durch. Hier wollen wir die Aufmerksamkeit für neue, aktuelle Formen des Antisemitismus verstärken.
Ganz besonders freut mich, dass wir – ich glaube, in zwei Wochen ist die offizielle Vertragsunterzeichnung – jetzt einen Kooperationsvertrag mit Yad Vashem eingehen, um interessierte Lehrerinnen und Lehrer in Bremen als Multiplikatorinnen und Multiplikatoren für eine neue, aktuelle, moderne Auseinandersetzung mit Antisemitismus auch jenseits des Geschichtsunterrichts fortzubilden.
Ich erhoffe mir von dieser Kooperation neue Impulse für den Politikunterricht und neue Impulse für eine sachliche Auseinandersetzung mit dem Nahostkonflikt. Denn immer wieder hört man auch
aus der Landeszentrale für politische Bildung, zuletzt bei der letzten Beiratssitzung, dass sich viele Lehrerinnen und Lehrer bei der Thematisierung des Nahostkonflikts unsicher fühlen. Ich erhoffe mir hier von der Kooperation, dass sie gehaltvolles Material an die Hand bekommen, um das Thema angemessen im Unterricht zu behandeln.
Wir fördern natürlich auch weiterhin hier vom Haus die wichtigen Austauschprogramme mit Israel, um mögliche Begegnungen und gegenseitiges Verständnis und gegenseitigen kritischen Austausch zu ermöglichen. Wir fördern auch weiterhin die sehr vielfältigen, unterschiedlichen Angebote des Demokratiezentrums. Ein ganz besonderes Augenmerk wollen wir hier auf die Prävention legen und natürlich auch darauf, wie wir eigentlich reagieren oder intervenieren, wenn wir mit antisemitischen Stereotypen und verbalen Hassausbrüchen zum Beispiel auf Schulhöfen konfrontiert sind?
Neu und ganz wichtig: Wir evaluieren nun regelmäßig, alle zwei Jahre, unsere Maßnahmen in Bremen, die wir aufgelegt haben, um Antisemitismus zu bekämpfen.
Ich bin bei Elftens, einem aus meiner Sicht sehr wichtigem Punkt: Wir setzen weiterhin natürlich auf die enorm breite und sehr engagierte Zivilgesellschaft, die insbesondere in der bremischen Erinnerungskultur unglaublich stark engagiert ist. Erwähnen möchte ich hier nur die neueste Initiative zur Realisierung des Mahnmals zur Ausbeutung und Vernichtung der wirtschaftlichen Existenz von jüdischen Nachbarn in Bremen. Warum ist diese Initiative von besonderer Bedeutung und wird zurecht öffentlich auch stark wahrgenommen? Weil sie die Profiteure in das Zentrum der Aufmerksamkeit rückt, diejenigen, die bis heute in ihrem Unternehmertum von der damaligen unrechtmäßigen Besitzaneignung, von dem Raub profitieren, und diejenigen ins Zentrum rückt, die keine Scheu hatten, aus den Wohnungen ihrer Nachbarn Geschirr, Radios, Wäsche, Tischdecken, Kerzenleuchter, einfach alles, was sich wegtragen lässt, zu entwenden, und dieses Raubgut bis heute in ihrem Besitz halten oder womöglich bereits vererbt haben. Diese Erinnerung ist von so immenser Bedeutung, weil sie klarmacht, dass der mörderische Antisemitismus der Nationalsozialisten von einer breiten Mitte der Gesellschaft getragen wurde. Das ist auch angesichts der gestrigen Ergebnisse der Studie aus Leipzig die eigentliche Mahnung an uns heute.
Zum Schluss möchte ich an einen sehr eindrücklichen Kommentar, der mir sehr nah gegangen ist, von Grigori Pantelejew im Weser-Kurier erinnern, der klarmachte, dass öffentliches Gedenken und Erinnern wichtig ist. Viel mehr und viel bedeutungsvoller ist aber die Realisierung von jüdischem Leben in unserer Stadt, liebe Kolleginnen und Kollegen. Denn der beste Kampf gegen Antisemitismus ist öffentlich sichtbares jüdisches Leben, ein vielfältiges Gemeindeleben. Dies zu fördern, – ich glaube, dabei spreche ich im Namen aller Fraktionen hier im Saal – das wollen wir gern tun.
Sehr geehrter Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich weiß nicht, wie es Ihnen ging, aber ich vermute fast, viele von Ihnen haben wie ich, ihren eigenen Kindern und den Schülerinnen und Schülern, denen wir im Laufe unserer politischen Karriere begegnet sind, ein Versprechen gegeben. Dieses Versprechen hieß: Das, was in der Zeit des Nationalsozialismus geschehen ist, dieser schreckliche Krieg, der Pogrom, die Shoah, die Verfolgung und Ermordung von Juden, wird es in unserer Welt nie wieder geben und dafür setze ich mich auch selbst ein.
Ich kann mich an dieses Versprechen noch gut erinnern und habe mich mit diesem Versprechen auch viele, viele Jahre sehr wohl gefühlt, weil ich den Eindruck hatte: Ja, das klappt in Deutschland. In den letzten Monaten und Jahren habe ich mich an dieses Versprechen erinnert gefühlt, und ich muss sagen, dass ich heute nicht mehr so sicher bin, wie ich damals war.
Wenn ein Vorsitzender einer mittlerweile in allen Landtagen vertretenen Partei, der AfD, ungestraft sagen darf, dass der Antisemitismus und Hitler ein Fliegenschiss in der deutschen Gesellschaft, in der deutschen Geschichte waren, meine sehr verehrten Damen und Herren, gefährdet das die Grundlagen unseres gesellschaftlichen und demokratischen Zusammenlebens.