Protocol of the Session on May 30, 2018

Anfrage mitgeteilt, dass die jährlichen Kosten für einen minderjährigen Flüchtling in Bremen bei 57 219 Euro und in Bremerhaven bei 58 704 Euro liegen. Für einen erwachsenen Flüchtling betragen die Kosten grob geschätzt 13 000 bis 15 000 Euro im Jahr. Für einen minderjährigen Ausländer muss der Staat also viermal so viel Kosten aufwenden als für einen Erwachsenen. Schon aus diesem Grund ist es doch dringend geboten, das Alter von vermeintlich minderjährigen Ausländern, die unbegleitet nach Deutschland gekommen sind, korrekt einzuschätzen.

Meine Damen und Herren, der Bremer Senat argumentiert da gern, dass es kein medizinisches Verfahren gebe, mit dem man das Alter eines Jugendlichen exakt feststellen könne. Es würden nur somatisch biologische Näherungswerte mit entsprechenden Schwankungsbreiten abgebildet, so die Antwort der Bremer Landesregierung im Mai dieses Jahres gegenüber dem Landtag. Das ist zwar grundsätzlich richtig, allerdings liegen die Schwankungsbreiten bei lediglich zwei Jahren. Das bedeutet, ergibt die Messung beispielsweise 22 Jahre oder älter, so kann man ziemlich sicher sein, dass es sich hier um einen Volljährigen handelt.

(Beifall BIW)

Die gröberen Betrugsfälle lassen sich mit den heute vorhandenen Verfahren also durchaus aufdecken und deren Zahl ist nicht klein, wie die Erfahrung aus anderen Bundesländern, ich habe es angesprochen, Hamburg oder Saarland oder auch aus anderen Staaten zeigen.

Meine Damen und Herren, der Staat darf sich bei der Altersfeststellung nicht an der Nase herumführen lassen, schon gar nicht von Menschen, die von uns Schutz und Hilfe erwarten und auch erwarten können. Es darf auch keine falsche Altersfeststellung aus ideologischen Gründen geben. Wenn man sich die eben zitierten Zahlen des Senats anschaut

(Glocke)

ich komme zum Schluss – dass von 4 293 altersgeschätzten Personen nur in einem einzigen Fall eine Altersfeststellung durchgeführt wurde, dann kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass der Bremer Senat sehr großzügig mit der Eingruppierung von Flüchtlingen als Minderjährige umgeht.

(Glocke)

Das ist nicht weiter hinnehmbar. Daher ist der heute vorliegende Antrag auch gut und wichtig und ich bitte Sie, dem auch zuzustimmen. – Vielen Dank!

(Beifall BIW)

Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Herr Möhle.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist noch gar nicht lange her, als ich in diesem Haus gesagt habe, dass für eine gelingende Integration Ehrlichkeit eine große Rolle spielt und dass ich es nicht für gut halte, wenn man nach Deutschland kommt und mit einer falschen Altersangabe, mit dieser Lebenslüge, startet.

(Beifall SPD)

Ein Teil des Hauses fand das gut, ein anderer Teil fand es weniger gut.

Ich glaube aber, dass es in der Frage, dass es an der Stelle einen hohen Anreiz gibt zu betrügen, wie Sie gesagt haben, Herr Hinners, das ist nur ein Anreiz: Ich werde ganz anders aufgenommen, wenn ich jugendlich minderjährig bin. Dann gilt das Jugendhilfegesetz, und dann gibt es Vereinbarungen, die den Aufenthalt und auch die Beschulung regeln, alle diese Dinge. Das verstehe ich auch. Trotzdem finde ich – so viel Rechtsstaatlichkeit muss sein! –, dass man sich darauf verlassen können muss, dass jemand, der sich als Jugendlicher ausgibt, auch jugendlich ist.

Nun wissen wir alle, das ist nicht immer so.

(Zuruf: Meistens!)

Es gibt Fälle, die gehen weit auseinander, und da hat man dann die Aufgabe zu prüfen, ob die Altersangaben stimmen oder nicht. Diese Art der Prüfung ist deswegen so schwierig, weil es nicht irgendwie eine Methodik gibt, die einem ganz genau und exakt sagt, wie alt der Jugendliche ist. Da kann man das Alter von Bäumen deutlich einfacher und präziser bestimmen. Das ist so. Es geht um Menschen, das weiß ich auch, aber das Alter kann man nicht präzise bestimmen.

Jetzt zu sagen, wir machen flächig von jedem Jugendlichen, der hier ankommt und sagt, er ist minderjährig, eine medizinische Röntgenuntersuchung, ist erstens überhaupt nicht zielführend, weil

ich dann immer noch nicht genau weiß, wie alt denn die jeweiligen Jugendlichen sind, und außerdem sagen Mediziner, wenn es keine medizinische Indikation für das Röntgen gibt, sei es auch nicht geboten, es zu tun.

(Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE)

So gesehen bin ich eher der Meinung, dass wir das, was wir derzeit an rechtlichen Regelungen haben, sozusagen die qualifizierte Inaugenscheinnahme, im Zweifel, wenn es dann gar nicht anders geht, auch eine medizinische Untersuchung anordnen zu können – –. Das ist die gegenwärtige Rechtslage.

Was wollen Sie also ändern, außer dass Sie sagen: Wir haben so einen Generalverdacht, denn jeder, der kommt, macht sowieso eine falsche Altersangabe, und deswegen machen wir einmal für alle gleich schlankweg eine Röntgenuntersuchung? Das halte ich für politisch verfehlt, das halte ich für eine verfehlte Aussage, und ich glaube, das wird den Jugendlichen auch nicht gerecht.

Nun ist natürlich jemand mit 20 Jahren erwachsen, aber gleichwohl ist es jemand mit einem Hilfebedarf, wenn er hier in Deutschland ankommt. Ich bin mir sehr bewusst, dass der Grat der Humanität in dem Bereich sehr schmal ist, aber ich bin auch der Meinung, dass wir in diesen Fragen eine rechtsstaatliche Grundlage brauchen, auch wenn sie persönlich und individuell das eine oder andere Mal durchaus hart ist.

Jetzt habe ich eben draußen das Flugblatt bekommen. „Was fordern wir?“. Auf der Rückseite steht: „Anstatt immer mehr Jugendliche in medizinische Altersfeststellungen zu drängen, fordern wir das Jugendamt auf, das von den Jugendlichen angegebene und auch oft nachgewiesene Geburtsdatum anzuerkennen.“ Wenn das Geburtsdatum tatsächlich nachgewiesen ist, wird es auch anerkannt, aber ansonsten kann man sich doch nicht so schlichtweg auf eine Angabe verlassen und sagen: Na ja, der Jugendliche hat gesagt, er ist jetzt 17 Jahre alt, dann wird es schon so sein. Wenn es so wäre, das habe ich eingangs gesagt, wenn es diese Ehrlichkeit in dem Bereich gäbe, dann könnte man es so handhaben, aber leider ist es nicht so.

Ich glaube, dass wir in der Frage gar nicht so sehr lange herumdiskutieren müssen. Ich finde, dass wir das, was wir haben, ordentlich machen, und wenn ich mir ansehe, was die Mitarbeiter des Jugendamtes in der letzten Zeit in der qualifizierten Inaugen

scheinnahme gelernt haben, sind sie sehr viel präziser in der Annäherung dessen, wie alt jeweils die Jugendlichen sind. Das war am Anfang vielleicht nicht ganz so einfach, weil man sich da auch erst einmal einarbeiten musste, aber inzwischen traue ich den Mitarbeitern des Jugendamtes zu, dort vernünftige Arbeit zu leisten.

(Vizepräsident Imhoff übernimmt den Vorsitz.)

Deswegen glaube ich, dass wir den CDU-Antrag nicht mitmachen. Ich finde, wenn ich das vielleicht noch einmal sagen darf, immer wieder das gleiche Thema anzuheizen, immer wieder die gleichen Fragen zu stellen und das Thema immer wieder aufs Neue anzusprechen, trägt nicht dazu bei, die Situation zu befrieden und eine ordentliche Integration zu organisieren, sondern das führt am rechten Rand immer zu neuen Aufregungen und am linken Rand immer wieder zu neuer Verzweiflung.

(Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen)

So gesehen würde ich mir wünschen, dass in den Debatten mehr Sachlichkeit und auch mehr Fachverstand Einzug hält und weniger eine Ideologisierung der jeweiligen Fragen, denn das hilft weder den Flüchtlingen noch der hiesigen Gesellschaft in der Bundesrepublik. Vielleicht so weit zunächst einmal! – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

(Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen)

Als nächste Rednerin hat das Wort die Abgeordnete Frau Görgü-Philipp.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! Die CDU-Fraktion schlägt die medizinische Altersfeststellung von unbegleiteten ausländischen Kindern und Jugendlichen als Regelfall vor, doch dagegen spricht einiges: Es wäre teuer, es wäre nicht einhundertprozentig genau, wie angenommen, und – und das ist das Entscheidende – es würde täglich in die Rechte der Betroffenen auf körperliche Unversehrtheit eingreifen und damit regelhaft das Kindeswohl gefährden.

(Zuruf BIW: Oh!)

Die CDU-Fraktion sorgt sich vorgeblich darum, dass eine ganze Gruppe von Menschen es den behördlichen Verfahren unnötig schwer macht. Diese Haltung widerspricht aber dem Geist von interna

tionalen Vereinbarungen, wie etwa der UN-Menschenrechtskonvention. In Artikel 3 steht, dass bei allen Maßnahmen, die Kinder betreffen und die von Verwaltungsbehörden getroffen werden, das Wohl des Kindes vorrangig zu berücksichtigen ist.

(Abgeordneter Hinners [CDU]: Des Kindes, ja!)

Die CDU-Fraktion sorgt sich darum, dass geflüchtete Kinder und Jugendliche nicht richtig in das staatliche Verfahren passen. Wir Grünen wollen jedoch noch einmal feststellen, dass es an dieser Stelle genau umgekehrt sein muss: Staatliche Verfahren müssen so gewählt werden, dass sie das Kindeswohl nicht gefährden.

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen – Zurufe BIW)

Die CDU-Fraktion will hier Aktivitäten vortäuschen und betreibt letztendlich nur Aktionismus. Das Stilmittel, das hierfür genutzt wird, heißt Misstrauen; Misstrauen gegenüber minderjährigen Geflüchteten, die nicht in ihrer Individualität und ihren individuellen Geschichten gesehen werden. Als wäre es ein Leichtes, Eltern und Heimat aufzugeben, als wäre es eine Leichtigkeit, den Verlust beziehungsweise Tod der Eltern und Verwandten zu bewältigen, als würde es nicht existenzielle Gründe für Flucht, in dieser Welt geben.

Misstrauen bestimmt die öffentliche Debatte, aber auch gegenüber Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Jugendamtes.

(Abgeordneter Tassis [AfD]: Ja, sehr zu Recht!)

Sie sind keine fahrlässig handelnde Durchwinkstation, die in ein paar Minuten über das Alter entscheiden, wie von der CDU dargestellt. Eine qualifizierte Inaugenscheinnahme ist eine Sache von zwei bis drei Stunden. Die Mitarbeiter des Jugendamtes habe ich als geschult und erfahren erlebt. Ihre Entscheidungen fassen sie zudem aufgrund einer ganzen Reihe von Kriterien.

Misstrauen besteht letztlich auch gegenüber einem geregelten staatlichen Verfahren, zu dem sich Bremen vor Jahren bewusst entschieden hat. Es wird ein Verfahren vorgeschlagen, das in die Rechte der Betroffenen, in das Menschenwohl eingreift, wie es die Bundesärztekammer genannt hat, ohne dass diese Eingriffe einen erkennbaren Nutzen hätten. Viele Vertreter aus den medizinischen Bereichen sprechen sich gegen eine medizinische Altersfeststellung als Regelfall aus, der Deutsche Ärztetag, die Bundesärztekammer, die Deutsche Akademie

für Kinder- und Jugendmedizin seien hier stellvertretend für viele andere Stellen genannt.

Festzuhalten ist, unser Verfahren in Bremen steht im Einklang mit dem bundeseinheitlich abgestuften Verfahren zur Altersbestimmung. Die Praxis entspricht den Empfehlungen der Bundesarbeitsgemeinschaft der Landesjugendämter, und auf dieses Verfahren werden wir nicht verzichten. Was bleibt, ist das Misstrauen, das hier gesät werden soll. Zugunsten dieses Misstrauens ist die CDUFraktion bereit, die Rechte von Kindern und Jugendlichen gering zu schätzen oder im Hintergrund gar die Vorstellung anzubieten, dass die Rechte geflüchteter Kinder und Jugendlicher weniger zu schätzen seien. Eine solche Haltung befremdet mich, meine Damen und Herren.

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen)

Anstatt unbegleitete minderjährige Flüchtlinge unter Generalverdacht zu stellen, ist es unser aller Aufgabe, ihnen das Ankommen in unserer Gesellschaft zu erleichtern. – Vielen Dank!

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen, SPD)

Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Herr Dr. Buhlert.