Rassistische und antisemitische Straftaten gegen religiöse Einrichtungen und Gedenkorte und Umsetzung der Empfehlungen des Unabhängigen Expertenkreises Antisemitismus Große Anfrage der Fraktion DIE LINKE vom 19. Dezember 2017 (Drucksache 19/1452)
Gemäß Paragraf 29 unserer Geschäftsordnung hat der Senat die Möglichkeit, die Antwort, Drucksache 19/1506, auf die Große Anfrage in der Bürgerschaft mündlich zu wiederholen.
Ich gehe davon aus, Herr Staatsrat, dass Sie die Antwort auf die Große Anfrage der Fraktion DIE LINKE nicht mündlich wiederholen möchten.
Auf die Antwort des Senats auf Große Anfragen folgt eine Aussprache, wenn dies Mitglieder der Bürgerschaft in Fraktionsstärke verlangen.
Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben nicht erst seit dem erneuten antisemitischen Angriff in Berlin-Mitte in Deutschland ein massives neues Antisemitismusproblem. Ehrlich gesagt, mich macht es auf der einen Seite ziemlich traurig, aber auf der anderen Seite auch sehr wütend. Der Zentralrat der Juden hat am Dienstag offiziell davor gewarnt, in deutschen Großstädten eine Kippa zu tragen.
Ich finde es unfassbar, dass wir im Jahr 2018 in einer Realität angekommen sind, in der antisemitische Straftaten wieder sehr stark zunehmen, wobei der größte Teil politisch rechts motiviert ist. Wir haben im Dezember die Große Anfrage eingereicht, weil sich die Angriffe auf jüdische Einrichtungen und Gedenkstätten, aber auch auf muslimische Einrichtungen in Bremen in letzter Zeit gehäuft haben. Ich möchte einige Dinge kurz in Erinnerung rufen.
Im letzten Jahr wurde die Synagoge in Bremerhaven-Lehe gleich zweimal beschädigt, beziehungsweise sie war das Ziel von Sachbeschädigungen und volksverhetzenden Schmierereien. Der jüdische Friedhof in Hastedt und der Denkort Bunker Valentin wurden aus offensichtlich politisch rechts
motivierten Gründen das Ziel von Straftaten. Am Bunker Valentin, einem Symbol der NS-Vernichtungs-und Kriegspolitik, Stand der Nazi-Slogan „Schluss mit dem Schuldkult“, den nur wenige Tage vorher die AfD-Jugendorganisation verbreitet hatte.
An der Synagoge und einer jüdischen Grabstelle fand man Hakenkreuze. Es wurden auch verschiedene Moscheen beschmiert. Ich glaube, im Frühjahr war es die Fatih Moschee in Gröpelingen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich finde, das ist in keiner Weise hinnehmbar. Es macht mich auch sprachlos, was heißt sprachlos, sprachlos macht es mich nicht, es macht mich sehr betroffen, wenn ich aus der Antwort auf unsere Große Anfrage entnehmen muss, dass sich die rechts motivierten antisemitischen Straftaten von 2016 bis einschließlich 2017 verdreifacht haben, nämlich von sechs auf 19 Straftaten.
Die Straftaten aus rassistischen und islamfeindlichen Motiven haben ebenfalls zugenommen. Ich finde es sehr traurig, dass nur relativ selten Tatverdächtige ermittelt werden können. Die Aufklärungsquoten schwanken nach der Antwort des Senats zwischen 30 und knapp über 50 Prozent.
Was kann man tun, um antisemitische oder rassistische Straftaten besser aufzuklären? Häufig werden entsprechende Straftaten bundesweit nicht als politisch motivierte Straftaten erfasst. Das ist ein bundesweites Phänomen und kein spezieller Vorwurf an die Bremer Kriminalpolizei. Es ist ein Problem, mit dem sich der Bundestag auch schon mehrfach und sehr ausführlich auseinandergesetzt hat.
Im Frühjahr 2017 stellte der unabhängige Expertenkreis Antisemitismus für den Bundestag einen ausführlichen und sehr lesenswerten Abschlussbericht vor. In diesem Bericht befindet sich auch ein sehr umfangreiches Kapitel zum Problem der Erfassung antisemitischer Straftaten. Es wird ausgeführt, dass das bisherige Erfassungssystem für politisch motivierte Kriminalität, PMK, viele Schwächen aufweist – ich zitiere –, „sodass sie nur begrenzt zur Beurteilung der Verbreitung von Antisemitismus und entsprechenden Tätergruppen geeignet ist“.
Problematisch ist meines Erachtens auch, dass die BKA-Zahlen und die Zahlen des Justizministeriums nicht zusammenpassen und dass es keine belastbaren Verlaufsstatistiken gibt. Der Expertenkreis fordert deshalb eine erhöhte Sensibilisierung der Er
mittlungsbehörden und Anpassungen bei den Definitionen im sogenannten PMK-System. Der Abschlussbericht fordert Dunkelfeldstudien und eine Zusammenarbeit von Ermittlern. Zivilgesellschaftlichen Initiativen, die ihrerseits Statistiken über antisemitische und rassistische Angriffe führen, kommen teilweise zu erheblich höheren Zahlen. Ich finde, das ist eine sehr sinnvolle Empfehlung, gerade weil wir wissen, dass die Kriterien, die die Polizei anlegen muss, wenn sie ein Ermittlungsverfahren führt, oft sehr eng sind.
Es gibt auch Empfehlungen für die Ermittlungsbehörden, die von den Länderbehörden meiner Meinung nach umgesetzt werden müssten. Der Expertenkreis Antisemitismus empfiehlt beispielsweise, dass israelbezogener Antisemitismus bei Straftaten bei der Ausbildung und Fortbildung der Polizei stärker verankert wird. Das ist in Bremen leider noch nicht umgesetzt worden, wie sich aus den Antworten auf unsere Große Anfrage ergibt. Ich bin gespannt, ob der Staatsrat gleich verkünden wird, dass das in Zukunft in Angriff genommen werden wird.
Bei vielen anderen Empfehlungen des Expertenkreises Antisemitismus verweist der Senat auf mögliche Änderungen im Rahmen der Innenministerkonferenz oder der Justizministerkonferenz, wirklich konkret ist das aber nicht. Es stellt mich auch nicht wirklich zufrieden.
Ich bin angesichts der Antworten auch teilweise ein bisschen ratlos, wie wir das im parlamentarischen Raum weiter behandeln sollen. Es ist weiterhin viel zu tun, denn die jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger erwarten zu Recht, dass sie und ihre Einrichtungen geschützt werden und dass die Straftäter belangt werden. Ich habe den Eindruck, dass wir davon ziemlich weit entfernt sind. Ich finde, das ist eine Aufgabe, der wir uns stellen müssen, und wir müssen überlegen, wie wir dort ins Gespräch kommen.
Ich glaube, dass die Innendeputation nicht der richtige Ort ist, vielleicht müssen wir uns dort noch einmal etwas anderes einfallen lassen. – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit!
Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn irgendetwas die Identität Deutschlands nach dem Zweiten Krieg geprägt hat, dann sicherlich die Erinnerung an die Schoah, das Eingeständnis deutscher Schuld und das Verhältnis zu Israel. Bekanntlich hat Angela Merkel das mit dem Begriff Staatsräson verknüpft.
Allerdings wächst die Diskrepanz zwischen einem staatstragenden Anti-Antisemitismus und dem, was breite Schichten in Deutschland denken und fühlen, und das nicht nur durch Migration und Flucht. Jeder fünfte Deutsche ist latent antisemitisch. Ich kenne diese Zahl schon aus meiner Schulzeit. Es ist erschreckend, dass dieser Wert offenbar auch jetzt nach ungefähr 20 Jahren konstant geblieben ist. Es ist daher auch nicht verwunderlich, dass Deutschland im Hinblick auf die Antidiskriminierung europaweit schlecht dasteht.
Eine EU-Studie aus dem Jahr 2015 sagt aus, dass es formalrechtlich zwar in Deutschland verboten ist, zu diskriminieren, dass es offenbar aber an entsprechenden Gremien und Einrichtungen für Betroffene fehlt und an dem Engagement fehlt, gegen Diskriminierung vorzugehen. Nach dieser Studie rangiert Deutschland auf Platz 22 im Ländervergleich, und zwar hinter Ländern wie Bulgarien, Rumänien und Ungarn.
„Wann wird es selbstverständlich sein, dass jemand mit den gleichen Noten die gleichen Aussichten bei einer Bewerbung hat, egal, ob er Yilmaz oder Krause heißt?“
Das fragte der damalige Bundespräsident Christian Wulff bei seiner Antrittsrede. Diese Frage ist auch heute, acht Jahre danach, aktueller denn je.
Über welche Themen reden wir eigentlich in Deutschland, was ist der O-Ton, der Taktgeber in München und Berlin? Gehört der Islam zu Deutschland oder haben wir eine Überfremdung in unserem eigenen Land? Für den einen oder anderen mag diese Frage politisch von Nutzen sein, aber gesellschaftspolitisch stagnieren wir, und das ist Gift.
Ich sage ganz klar, der AfD begegnen wir nicht, indem wir ihre Angstnarrative übernehmen. Ängstlichen, die es sicher gibt, helfen wir auch nicht damit, indem wir sie in ihren subjektiv empfundenen Ängsten bestärken. Wir müssen Ihnen vielmehr eine offene, ehrliche und auch auf objektivierbaren Fakten basierende Diskussion anbieten. Das fehlt in der gegenwärtigen Antisemitismusdebatte. Zu einer ehrlichen Debatte gehört es vor allen Dingen, anzuerkennen, dass das Völkische wieder Einzug in die deutsche Politik gehalten hat. Das ist eng mit dem Antisemitismus verknüpft. Das ist bitter, aber darüber müssen wir offen und ehrlich reden.
Zu einer ehrlichen Debatte gehört es auch – und das hat der Expertenkreis ausgeführt –, dass offenbar junge Menschen aus dem arabischen Raum für judenfeindliche Einstellungen anfälliger sind als junge Menschen ohne Migrationshintergrund. Das ist weniger religiös begründet, sondern sie speist sich vielmehr aus einer Identifikation mit dem Nahostkonflikt. Je eher ich mich mit dem Nahostkonflikt identifiziere, desto eher bin ich anfällig für judenfeindliche Einstellungen.
Problematisch ist vor allen Dingen die große Unkenntnis der Beteiligten. Hier kommt der Schule auch eine große Verantwortung zu, und zwar hier nicht nur genau zuzuhören und einzuschreiten, sondern vor allen Dingen auch das Wissen über diesen Konflikt und das Judentum an sich zu vermitteln.
Der sogenannte neue Antisemitismus ist ehrlicherweise aus deutscher Perspektive nicht so neu, denn er findet in Deutschland Anschluss an einen israelbezogenen Antisemitismus der Linken, den wir kennen. Wir müssen offen und ehrlich ansprechen, dass das eine unheilvolle Allianz ist, die es zu durchbrechen gilt, meine Damen und Herren.
Zu dieser Debatte gehört aber auch die Vorsicht, dass wir bei all der Diskussion über muslimischen Antisemitismus aufpassen müssen, dass wir nicht die tatsächlichen Ursachen verdecken. Es hilft uns nichts, nur mit dem Finger auf Muslime oder den Nahostkonflikt zu zeigen, sondern es muss auch grundlegend über den Antisemitismus als eine menschenverachtende Ideologie gesprochen werden.
Es muss gehen um den Mechanismus der Ausgrenzung und der Abwertung, der Identitätssuche und Unterschiedlichkeit, flankiert durch das Vermitteln von objektivierbarem Wissen und Empathie für unser Gegenüber. Das machen wir gemeinsam mit unseren jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern und unseren muslimischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern für ein friedliches Deutschland, zu dem wir alle gehören, ganz gleich, ob wir glauben oder nicht. – Danke schön!
Sehr geehrter Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau Vogt, ich schließe mich Ihnen an, denn ich bin auch ein bisschen ratlos, wie wir mit den Erkenntnissen aus Ihrer Großen Anfrage umgehen sollen. Mir ist bei der Vorbereitung auf diese Debatte aufgefallen, dass das Thema tatsächlich interessant ist und dass eine Redezeit von fünf Minuten dieser Debatte nicht ganz gerecht wird. Ich werde daher versuchen, eine andere Thematik zu beleuchten. Ich schlage vor, dass wir uns interfraktionell einmal Gedanken darüber machen müssen, auf welche Weise wir uns diesem Thema noch einmal neu annähern.
Bei aller traurigeren Aktualität muss man bei diesem Thema auch feststellen, dass teilweise gewisse Erkenntnisse nicht überraschend sind. Es ist nicht überraschend, dass ein Großteil der Straftaten bei dem Themenfeld Antisemitismus aus dem rechtsextremen Raum kommen. Das ist erschreckend, aber nicht verwunderlich. Trotzdem – und das ist hier auch gesagt worden – finden wir auch einen Antisemitismus im Bereich der Migranten, der sich mittlerweile auch – wir haben es vor Kurzem bei der Echo-Debatte erlebt – in Subkulturen, in der Kultur des Hip-Hops, in denen es plötzlich eine Anschlussfähigkeit aufgrund von Unwissen und von Weltbildern, die sehr krude sind, abbildet. Alles ist relativ schwierig aufzubrechen. Die Empfehlungen, die hier von dem Expertenkreis gegeben werden, sind ja sehr vielseitig.
Für die SPD-Fraktion kann ich sagen, dass wir jede Form des Antisemitismus verurteilen, sei es politisch oder religiös motivierter Antisemitismus. Beides hat in einem Rechtsstaat nichts zu suchen und muss klar verfolgt und bestraft werden.
In der Tat ist es auch so, dass es Vorschläge gibt, wie man diese verschiedenen Delikte kategorisieren kann, um sie besser handhabbar zu machen, um sie besser zu verfolgen, um eine bessere Analysefähigkeit bei der Strafverfolgung zu organisieren. Ich habe den Senat so verstanden, dass er sagt, dass er im Moment das leistet, was er leisten kann.